Commission, Staatsrath v. Hohnhorst in seinem sofort veröffentlichten Berichte zugestand. Die Mitwisser blieben unentdeckt.
Die Kunde von der Bestrafung des Mannheimer Spottbuben ward in den Kreisen der Unbedingten mit unverhohlener Freude aufgenommen. Die jungen Leute waren fieberisch aufgeregt und beriethen sich insgeheim über neue Tollheiten; jetzt war es an der Zeit, die Mahnung von Karl Follens Bundeslied zu erfüllen:
Nieder reißt der Bosheit Damm, Der Gewaltherrn ganzen Stamm!
Doch immer wenn ein bestimmter Vorschlag auftauchte, regte sich auch die Stimme des Gewissens. Karl Follen rieth seinen Jenenser Freunden, in hellen Haufen nach Mannheim zu ziehen, die Stadt anzu- zünden und den gefangenen Märtyrer zu befreien; aber die Mehrheit widersprach. Zu Pfingsten kamen Burschen aus Jena, Gießen, Göttingen in Fritzlar und auf dem Brocken zusammen, um über einen zweiten Gewaltstreich zu verhandeln. Man ward nicht einig. Die Besseren, wie Heinrich Leo, waren der wüsten Frechheit müde und zogen sich angeekelt zurück. Auch den Rohen fiel jetzt, nachdem der erste Rausch der Schaden- freude verflogen, die kopflose Thorheit der Unthat Sands schwer auf das Herz; sie sahen, wie die Regierungen sich zur Abwehr rüsteten, wie die Burschenschaft selbst mit dem Untergange bedroht war; der alte Ueber- muth wich einer tiefen Entmuthigung.
Nur in Gießen, der Hochburg der Schwarzen, erloschen die Flammen der revolutionären Leidenschaft so schnell nicht. Dort führte Paul Follen, unterstützt von den älteren Freunden Weidig und Hofmann, das schlechte Handwerk seines Bruders fort. Um zu vollenden was auf den Pfingst- versammlungen mißlungen war, traf er einmal Nachts in einer Dorf- schenke mit einem Pfarrer aus der Wetterau und einem jungen Apotheker Löning aus Nassau zusammen. Präsident Ibell in Wiesbaden sollte das nächste Opfer sein. Was kümmerte es diese Wüthenden, daß Ibell der tüchtigste und im Grunde auch der liberalste der nassauischen Beamten war? Er diente den Gewaltherren und hatte zudem soeben durch die Absetzung des schwarzen Bruders Snell den Zorn der Unbedingten gereizt. Die drei Mordgesellen warfen das Loos; da forderte Löning als nächster Lands- mann Ibells die Blutthat für sich. *) Er war ein geistloser, unwissender Mensch, vor Kurzem erst in Heidelberg unter die Schwarzen gerathen, grade roh genug, um das einleuchtende Evangelium des politischen Mordes handgreiflich zu nehmen. Am 1. Juli ließ er sich, ganz nach Sands Vor- bilde, bei Ibell zum Besuch anmelden und warf sich dann plötzlich mit rasender Wuth auf sein Opfer. Der Stoß ging fehl, Ibell ward nur
*) Nach Paul Follens eigenem Geständniß (bei Münch, Erinnerungen S. 60). Zu ergänzen durch die vorsichtigen Andeutungen H. Leo's (Aus meiner Jugendzeit S. 227)
II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
Commiſſion, Staatsrath v. Hohnhorſt in ſeinem ſofort veröffentlichten Berichte zugeſtand. Die Mitwiſſer blieben unentdeckt.
Die Kunde von der Beſtrafung des Mannheimer Spottbuben ward in den Kreiſen der Unbedingten mit unverhohlener Freude aufgenommen. Die jungen Leute waren fieberiſch aufgeregt und beriethen ſich insgeheim über neue Tollheiten; jetzt war es an der Zeit, die Mahnung von Karl Follens Bundeslied zu erfüllen:
Nieder reißt der Bosheit Damm, Der Gewaltherrn ganzen Stamm!
Doch immer wenn ein beſtimmter Vorſchlag auftauchte, regte ſich auch die Stimme des Gewiſſens. Karl Follen rieth ſeinen Jenenſer Freunden, in hellen Haufen nach Mannheim zu ziehen, die Stadt anzu- zünden und den gefangenen Märtyrer zu befreien; aber die Mehrheit widerſprach. Zu Pfingſten kamen Burſchen aus Jena, Gießen, Göttingen in Fritzlar und auf dem Brocken zuſammen, um über einen zweiten Gewaltſtreich zu verhandeln. Man ward nicht einig. Die Beſſeren, wie Heinrich Leo, waren der wüſten Frechheit müde und zogen ſich angeekelt zurück. Auch den Rohen fiel jetzt, nachdem der erſte Rauſch der Schaden- freude verflogen, die kopfloſe Thorheit der Unthat Sands ſchwer auf das Herz; ſie ſahen, wie die Regierungen ſich zur Abwehr rüſteten, wie die Burſchenſchaft ſelbſt mit dem Untergange bedroht war; der alte Ueber- muth wich einer tiefen Entmuthigung.
Nur in Gießen, der Hochburg der Schwarzen, erloſchen die Flammen der revolutionären Leidenſchaft ſo ſchnell nicht. Dort führte Paul Follen, unterſtützt von den älteren Freunden Weidig und Hofmann, das ſchlechte Handwerk ſeines Bruders fort. Um zu vollenden was auf den Pfingſt- verſammlungen mißlungen war, traf er einmal Nachts in einer Dorf- ſchenke mit einem Pfarrer aus der Wetterau und einem jungen Apotheker Löning aus Naſſau zuſammen. Präſident Ibell in Wiesbaden ſollte das nächſte Opfer ſein. Was kümmerte es dieſe Wüthenden, daß Ibell der tüchtigſte und im Grunde auch der liberalſte der naſſauiſchen Beamten war? Er diente den Gewaltherren und hatte zudem ſoeben durch die Abſetzung des ſchwarzen Bruders Snell den Zorn der Unbedingten gereizt. Die drei Mordgeſellen warfen das Loos; da forderte Löning als nächſter Lands- mann Ibells die Blutthat für ſich. *) Er war ein geiſtloſer, unwiſſender Menſch, vor Kurzem erſt in Heidelberg unter die Schwarzen gerathen, grade roh genug, um das einleuchtende Evangelium des politiſchen Mordes handgreiflich zu nehmen. Am 1. Juli ließ er ſich, ganz nach Sands Vor- bilde, bei Ibell zum Beſuch anmelden und warf ſich dann plötzlich mit raſender Wuth auf ſein Opfer. Der Stoß ging fehl, Ibell ward nur
*) Nach Paul Follens eigenem Geſtändniß (bei Münch, Erinnerungen S. 60). Zu ergänzen durch die vorſichtigen Andeutungen H. Leo’s (Aus meiner Jugendzeit S. 227)
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Commiſſion, Staatsrath v. Hohnhorſt in ſeinem ſofort veröffentlichten
Berichte zugeſtand. Die Mitwiſſer blieben unentdeckt.
Die Kunde von der Beſtrafung des Mannheimer Spottbuben ward
in den Kreiſen der Unbedingten mit unverhohlener Freude aufgenommen.
Die jungen Leute waren fieberiſch aufgeregt und beriethen ſich insgeheim
über neue Tollheiten; jetzt war es an der Zeit, die Mahnung von Karl
Follens Bundeslied zu erfüllen:
Nieder reißt der Bosheit Damm,
Der Gewaltherrn ganzen Stamm!
Doch immer wenn ein beſtimmter Vorſchlag auftauchte, regte ſich
auch die Stimme des Gewiſſens. Karl Follen rieth ſeinen Jenenſer
Freunden, in hellen Haufen nach Mannheim zu ziehen, die Stadt anzu-
zünden und den gefangenen Märtyrer zu befreien; aber die Mehrheit
widerſprach. Zu Pfingſten kamen Burſchen aus Jena, Gießen, Göttingen
in Fritzlar und auf dem Brocken zuſammen, um über einen zweiten
Gewaltſtreich zu verhandeln. Man ward nicht einig. Die Beſſeren, wie
Heinrich Leo, waren der wüſten Frechheit müde und zogen ſich angeekelt
zurück. Auch den Rohen fiel jetzt, nachdem der erſte Rauſch der Schaden-
freude verflogen, die kopfloſe Thorheit der Unthat Sands ſchwer auf das
Herz; ſie ſahen, wie die Regierungen ſich zur Abwehr rüſteten, wie die
Burſchenſchaft ſelbſt mit dem Untergange bedroht war; der alte Ueber-
muth wich einer tiefen Entmuthigung.
Nur in Gießen, der Hochburg der Schwarzen, erloſchen die Flammen
der revolutionären Leidenſchaft ſo ſchnell nicht. Dort führte Paul Follen,
unterſtützt von den älteren Freunden Weidig und Hofmann, das ſchlechte
Handwerk ſeines Bruders fort. Um zu vollenden was auf den Pfingſt-
verſammlungen mißlungen war, traf er einmal Nachts in einer Dorf-
ſchenke mit einem Pfarrer aus der Wetterau und einem jungen Apotheker
Löning aus Naſſau zuſammen. Präſident Ibell in Wiesbaden ſollte das
nächſte Opfer ſein. Was kümmerte es dieſe Wüthenden, daß Ibell der
tüchtigſte und im Grunde auch der liberalſte der naſſauiſchen Beamten war?
Er diente den Gewaltherren und hatte zudem ſoeben durch die Abſetzung
des ſchwarzen Bruders Snell den Zorn der Unbedingten gereizt. Die drei
Mordgeſellen warfen das Loos; da forderte Löning als nächſter Lands-
mann Ibells die Blutthat für ſich. *) Er war ein geiſtloſer, unwiſſender
Menſch, vor Kurzem erſt in Heidelberg unter die Schwarzen gerathen,
grade roh genug, um das einleuchtende Evangelium des politiſchen Mordes
handgreiflich zu nehmen. Am 1. Juli ließ er ſich, ganz nach Sands Vor-
bilde, bei Ibell zum Beſuch anmelden und warf ſich dann plötzlich mit
raſender Wuth auf ſein Opfer. Der Stoß ging fehl, Ibell ward nur
*) Nach Paul Follens eigenem Geſtändniß (bei Münch, Erinnerungen S. 60).
Zu ergänzen durch die vorſichtigen Andeutungen H. Leo’s (Aus meiner Jugendzeit S. 227)
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/538>, abgerufen am 22.11.2024.
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