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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Der badische Landtag gegen den Bundestag.
durch die badische Regierung selber bereits aufgehoben war. Man hielt
es gar nicht der Mühe werth erst zu beweisen, warum denn Baden seine
Bundespflichten gegen die Mediatisirten nicht ebenso ehrlich erfüllen konnte
wie Preußen und Baiern. Schritt man auf diesem Wege fort, so wurden
die letzten armen Trümmer einer nationalen Rechtsordnung, welche den
Deutschen noch blieben, durch den liberalen Particularismus zerstört.
Jene Zuchtlosigkeit der deutschen Libertät, welche das alte Reich verwüstet
hatte, lebte wieder auf; nur trotzte sie nicht mehr auf habende ständische
Freiheiten, sondern auf die naturrechtliche Phrase der angeborenen Rechte.
Liebenstein, der so oft in flammender Begeisterung von der Einheit
Deutschlands geredet hatte, stellte jetzt die ungeheuerliche Behauptung auf,
ein Bundesbeschluß werde überhaupt erst rechtsgiltig durch die Zustim-
mung der Karlsruher Kammern, obschon die badische Verfassung selbst
die Verbindlichkeit der Bundesgesetze für das Großherzogthum ausdrücklich
anerkannte. Paulus beeilte sich, in Rottecks Archiv diese neue Doctrin
als ein Bollwerk deutscher Freiheit zu verherrlichen. Die Liberalen wagten
offenen Ungehorsam gegen den Deutschen Bund, auf dessen Grundgesetz
die badische Verfassung selber beruhte; und dies in einem Augenblicke,
da der Bundestag zwar durch Trägheit schwer gesündigt, aber noch durch-
aus keine Gewaltthat gegen die Freiheit der Nation versucht hatte. Und
bei diesem Feldzuge gegen den Bund half der preußische Geschäftsträger
getreulich mit; er spielte die Rolle eines badischen Oppositionsführers mit
solcher Dreistigkeit, daß Großherzog Ludwig ein Jahr darauf, als Varn-
hagen endlich abberufen war, zu seinem Nachfolger Küster offen sagte:
wir haben endlich Frieden, weil Varnhagen nicht mehr hier ist; "seine
Anwesenheit würde heute wie vor'm Jahre Alles verderben!" *)

In der ersten Kammer fanden die Rechte der Mediatisirten besseren
Schutz. Türckheim erstattete einen vortrefflichen, freilich sehr scharfen Be-
richt, wies das Unrecht der zweiten Kammer siegreich nach und gab ihr
zu bedenken, daß ein angesehener Adel zu allen Zeiten eine Schutzmauer
gegen die Willkür des Beamtenthums gewesen sei. Der Uebermuth der
jungen liberalen Partei war aber schon so hoch gestiegen, daß sie ein
starkes Wort aus conservativem Munde bereits wie eine Gewerbsbeein-
trächtigung ansah. Die zweite Kammer wies den Bericht Türckheims
"mit Indignation" zurück, obgleich ihre eigenen Redner wahrlich auch
kein Blatt vor die Lippen genommen hatten. In seiner Erwiderung berief
sich Winter sogar auf den berühmten Satz aus Steins politischem Testa-
ment, daß keinem Unterthan obrigkeitliche Gewalt zustehen dürfe; und
doch war allbekannt, daß der Freiherr die vormaligen Reichsstände keines-
wegs zu den Unterthanen rechnete, sondern ihre vertragsmäßigen Rechte
lebhaft vertheidigte. Die Regierung wußte nicht aus noch ein. Vom

*) Küsters Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.

Der badiſche Landtag gegen den Bundestag.
durch die badiſche Regierung ſelber bereits aufgehoben war. Man hielt
es gar nicht der Mühe werth erſt zu beweiſen, warum denn Baden ſeine
Bundespflichten gegen die Mediatiſirten nicht ebenſo ehrlich erfüllen konnte
wie Preußen und Baiern. Schritt man auf dieſem Wege fort, ſo wurden
die letzten armen Trümmer einer nationalen Rechtsordnung, welche den
Deutſchen noch blieben, durch den liberalen Particularismus zerſtört.
Jene Zuchtloſigkeit der deutſchen Libertät, welche das alte Reich verwüſtet
hatte, lebte wieder auf; nur trotzte ſie nicht mehr auf habende ſtändiſche
Freiheiten, ſondern auf die naturrechtliche Phraſe der angeborenen Rechte.
Liebenſtein, der ſo oft in flammender Begeiſterung von der Einheit
Deutſchlands geredet hatte, ſtellte jetzt die ungeheuerliche Behauptung auf,
ein Bundesbeſchluß werde überhaupt erſt rechtsgiltig durch die Zuſtim-
mung der Karlsruher Kammern, obſchon die badiſche Verfaſſung ſelbſt
die Verbindlichkeit der Bundesgeſetze für das Großherzogthum ausdrücklich
anerkannte. Paulus beeilte ſich, in Rottecks Archiv dieſe neue Doctrin
als ein Bollwerk deutſcher Freiheit zu verherrlichen. Die Liberalen wagten
offenen Ungehorſam gegen den Deutſchen Bund, auf deſſen Grundgeſetz
die badiſche Verfaſſung ſelber beruhte; und dies in einem Augenblicke,
da der Bundestag zwar durch Trägheit ſchwer geſündigt, aber noch durch-
aus keine Gewaltthat gegen die Freiheit der Nation verſucht hatte. Und
bei dieſem Feldzuge gegen den Bund half der preußiſche Geſchäftsträger
getreulich mit; er ſpielte die Rolle eines badiſchen Oppoſitionsführers mit
ſolcher Dreiſtigkeit, daß Großherzog Ludwig ein Jahr darauf, als Varn-
hagen endlich abberufen war, zu ſeinem Nachfolger Küſter offen ſagte:
wir haben endlich Frieden, weil Varnhagen nicht mehr hier iſt; „ſeine
Anweſenheit würde heute wie vor’m Jahre Alles verderben!“ *)

In der erſten Kammer fanden die Rechte der Mediatiſirten beſſeren
Schutz. Türckheim erſtattete einen vortrefflichen, freilich ſehr ſcharfen Be-
richt, wies das Unrecht der zweiten Kammer ſiegreich nach und gab ihr
zu bedenken, daß ein angeſehener Adel zu allen Zeiten eine Schutzmauer
gegen die Willkür des Beamtenthums geweſen ſei. Der Uebermuth der
jungen liberalen Partei war aber ſchon ſo hoch geſtiegen, daß ſie ein
ſtarkes Wort aus conſervativem Munde bereits wie eine Gewerbsbeein-
trächtigung anſah. Die zweite Kammer wies den Bericht Türckheims
„mit Indignation“ zurück, obgleich ihre eigenen Redner wahrlich auch
kein Blatt vor die Lippen genommen hatten. In ſeiner Erwiderung berief
ſich Winter ſogar auf den berühmten Satz aus Steins politiſchem Teſta-
ment, daß keinem Unterthan obrigkeitliche Gewalt zuſtehen dürfe; und
doch war allbekannt, daß der Freiherr die vormaligen Reichsſtände keines-
wegs zu den Unterthanen rechnete, ſondern ihre vertragsmäßigen Rechte
lebhaft vertheidigte. Die Regierung wußte nicht aus noch ein. Vom

*) Küſters Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.
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[517/0531] Der badiſche Landtag gegen den Bundestag. durch die badiſche Regierung ſelber bereits aufgehoben war. Man hielt es gar nicht der Mühe werth erſt zu beweiſen, warum denn Baden ſeine Bundespflichten gegen die Mediatiſirten nicht ebenſo ehrlich erfüllen konnte wie Preußen und Baiern. Schritt man auf dieſem Wege fort, ſo wurden die letzten armen Trümmer einer nationalen Rechtsordnung, welche den Deutſchen noch blieben, durch den liberalen Particularismus zerſtört. Jene Zuchtloſigkeit der deutſchen Libertät, welche das alte Reich verwüſtet hatte, lebte wieder auf; nur trotzte ſie nicht mehr auf habende ſtändiſche Freiheiten, ſondern auf die naturrechtliche Phraſe der angeborenen Rechte. Liebenſtein, der ſo oft in flammender Begeiſterung von der Einheit Deutſchlands geredet hatte, ſtellte jetzt die ungeheuerliche Behauptung auf, ein Bundesbeſchluß werde überhaupt erſt rechtsgiltig durch die Zuſtim- mung der Karlsruher Kammern, obſchon die badiſche Verfaſſung ſelbſt die Verbindlichkeit der Bundesgeſetze für das Großherzogthum ausdrücklich anerkannte. Paulus beeilte ſich, in Rottecks Archiv dieſe neue Doctrin als ein Bollwerk deutſcher Freiheit zu verherrlichen. Die Liberalen wagten offenen Ungehorſam gegen den Deutſchen Bund, auf deſſen Grundgeſetz die badiſche Verfaſſung ſelber beruhte; und dies in einem Augenblicke, da der Bundestag zwar durch Trägheit ſchwer geſündigt, aber noch durch- aus keine Gewaltthat gegen die Freiheit der Nation verſucht hatte. Und bei dieſem Feldzuge gegen den Bund half der preußiſche Geſchäftsträger getreulich mit; er ſpielte die Rolle eines badiſchen Oppoſitionsführers mit ſolcher Dreiſtigkeit, daß Großherzog Ludwig ein Jahr darauf, als Varn- hagen endlich abberufen war, zu ſeinem Nachfolger Küſter offen ſagte: wir haben endlich Frieden, weil Varnhagen nicht mehr hier iſt; „ſeine Anweſenheit würde heute wie vor’m Jahre Alles verderben!“ *) In der erſten Kammer fanden die Rechte der Mediatiſirten beſſeren Schutz. Türckheim erſtattete einen vortrefflichen, freilich ſehr ſcharfen Be- richt, wies das Unrecht der zweiten Kammer ſiegreich nach und gab ihr zu bedenken, daß ein angeſehener Adel zu allen Zeiten eine Schutzmauer gegen die Willkür des Beamtenthums geweſen ſei. Der Uebermuth der jungen liberalen Partei war aber ſchon ſo hoch geſtiegen, daß ſie ein ſtarkes Wort aus conſervativem Munde bereits wie eine Gewerbsbeein- trächtigung anſah. Die zweite Kammer wies den Bericht Türckheims „mit Indignation“ zurück, obgleich ihre eigenen Redner wahrlich auch kein Blatt vor die Lippen genommen hatten. In ſeiner Erwiderung berief ſich Winter ſogar auf den berühmten Satz aus Steins politiſchem Teſta- ment, daß keinem Unterthan obrigkeitliche Gewalt zuſtehen dürfe; und doch war allbekannt, daß der Freiherr die vormaligen Reichsſtände keines- wegs zu den Unterthanen rechnete, ſondern ihre vertragsmäßigen Rechte lebhaft vertheidigte. Die Regierung wußte nicht aus noch ein. Vom *) Küſters Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/531>, abgerufen am 22.11.2024.