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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
mäßige Freiheit bleibt." Auch die beliebte Theorie des Mißtrauens, die
Lehre von dem natürlichen Kriege zwischen Fürst und Volk wirkte mit
ein. In einer Flugschrift über den bairischen Landtag rechtfertigte der libe-
rale Publicist v. Spraun den Antrag Hornthals mit der freundlichen
Erwägung: sonst könnte ja der Hof jederzeit eine Bartholomäusnacht ver-
anstalten! Das Weimarische Oppositionsblatt erklärte drohend, das deutsche
Volk werde alle die gewissenlosen Abgeordneten, welche gegen den Antrag
stimmten, für den Tag der Abrechnung im Gedächtniß behalten. Um
einem möglichen Mißbrauch der monarchischen Gewalt vorzubeugen, wollte
man den König in aller Unschuld seiner Militärhoheit berauben, die
letzte Entscheidung der Verfassungsstreitigkeiten dem Gewissen der zumeist
minderjährigen gemeinen Soldaten überlassen. Selbst die Erfahrungen
des achtzehnten Brumaire hatten den deutschen Doctrinarismus noch
nicht darüber belehrt, daß ein Staatsstreich nur dann gelingt, wenn die
Nation ihn erträgt oder billigt.

Obwohl der Antrag nicht der revolutionären Gesinnung, sondern
nur der gedankenlosen Unerfahrenheit entsprang, so wirkte er doch sogleich
sehr schädlich. Einige aufgeregte junge Leutnants sprachen im Sinne des
Volkstribunen und wurden in der Stille bestraft. Die große Mehrzahl
der Offiziere fühlte sich in der monarchischen Gesinnung, welche jedes
tüchtige Heer belebt, tief verletzt und verfiel im Zorne auf ein gefähr-
liches Mittel. Man verbreitete in den Garnisonen eine Bittschrift, die
den König beschwor "ein dem Sinne der Constitution so ganz entgegenes
Begehren" abzuweisen; Generale, Hauptleute, Unteroffiziere unterschrieben
bunt durcheinander. Erschreckt durch solche Kundgebungen brach der
Landtag die Verhandlungen über den gefährlichen Antrag plötzlich ab.
König Friedrich Wilhelm aber betrachtete diese ersten Folgen des Reprä-
sentativsystems mit schwerer Besorgniß. Jener unruhige Landsknechtsgeist,
welchen die Abenteuer des Imperators in allen napoleonischen Heeren erweckt,
hatte die Franzosen und die Sachsen schon einmal zu offener Empörung
verführt; in Italien schürten die alten napoleonischen Offiziere überall
den Haß gegen Oesterreichs Herrschaft, jeden Augenblick konnte dort eine
militärische Revolution ausbrechen; sollten jetzt auch die süddeutschen Heere
in die politischen Parteikämpfe hineingerissen werden? Der Wiener Hof
sah den bairischen Staat bereits dicht am Abhange der Revolution da-
hintaumeln. Gentz schrieb eine donnernde Denkschrift über die bairischen
Stände.*) Er klagte den Monarchen an, daß er durch seine Thronrede
"ein vollständig abgerundetes System von königlicher Demokratie" begründet
habe, und fragte, "was dieser kaum aus der Wiege hervorgegangenen

*) Bemerkungen über die ersten Vorgänge in der bairischen Ständeversammlung.
Die Denkschrift wurde am 10. April 1819 nach Berlin gesendet, muß aber schon zu
Anfang März geschrieben sein, da sie die Verhandlungen des Landtags nur bis zum
15. Febr. verfolgt.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
mäßige Freiheit bleibt.“ Auch die beliebte Theorie des Mißtrauens, die
Lehre von dem natürlichen Kriege zwiſchen Fürſt und Volk wirkte mit
ein. In einer Flugſchrift über den bairiſchen Landtag rechtfertigte der libe-
rale Publiciſt v. Spraun den Antrag Hornthals mit der freundlichen
Erwägung: ſonſt könnte ja der Hof jederzeit eine Bartholomäusnacht ver-
anſtalten! Das Weimariſche Oppoſitionsblatt erklärte drohend, das deutſche
Volk werde alle die gewiſſenloſen Abgeordneten, welche gegen den Antrag
ſtimmten, für den Tag der Abrechnung im Gedächtniß behalten. Um
einem möglichen Mißbrauch der monarchiſchen Gewalt vorzubeugen, wollte
man den König in aller Unſchuld ſeiner Militärhoheit berauben, die
letzte Entſcheidung der Verfaſſungsſtreitigkeiten dem Gewiſſen der zumeiſt
minderjährigen gemeinen Soldaten überlaſſen. Selbſt die Erfahrungen
des achtzehnten Brumaire hatten den deutſchen Doctrinarismus noch
nicht darüber belehrt, daß ein Staatsſtreich nur dann gelingt, wenn die
Nation ihn erträgt oder billigt.

Obwohl der Antrag nicht der revolutionären Geſinnung, ſondern
nur der gedankenloſen Unerfahrenheit entſprang, ſo wirkte er doch ſogleich
ſehr ſchädlich. Einige aufgeregte junge Leutnants ſprachen im Sinne des
Volkstribunen und wurden in der Stille beſtraft. Die große Mehrzahl
der Offiziere fühlte ſich in der monarchiſchen Geſinnung, welche jedes
tüchtige Heer belebt, tief verletzt und verfiel im Zorne auf ein gefähr-
liches Mittel. Man verbreitete in den Garniſonen eine Bittſchrift, die
den König beſchwor „ein dem Sinne der Conſtitution ſo ganz entgegenes
Begehren“ abzuweiſen; Generale, Hauptleute, Unteroffiziere unterſchrieben
bunt durcheinander. Erſchreckt durch ſolche Kundgebungen brach der
Landtag die Verhandlungen über den gefährlichen Antrag plötzlich ab.
König Friedrich Wilhelm aber betrachtete dieſe erſten Folgen des Reprä-
ſentativſyſtems mit ſchwerer Beſorgniß. Jener unruhige Landsknechtsgeiſt,
welchen die Abenteuer des Imperators in allen napoleoniſchen Heeren erweckt,
hatte die Franzoſen und die Sachſen ſchon einmal zu offener Empörung
verführt; in Italien ſchürten die alten napoleoniſchen Offiziere überall
den Haß gegen Oeſterreichs Herrſchaft, jeden Augenblick konnte dort eine
militäriſche Revolution ausbrechen; ſollten jetzt auch die ſüddeutſchen Heere
in die politiſchen Parteikämpfe hineingeriſſen werden? Der Wiener Hof
ſah den bairiſchen Staat bereits dicht am Abhange der Revolution da-
hintaumeln. Gentz ſchrieb eine donnernde Denkſchrift über die bairiſchen
Stände.*) Er klagte den Monarchen an, daß er durch ſeine Thronrede
„ein vollſtändig abgerundetes Syſtem von königlicher Demokratie“ begründet
habe, und fragte, „was dieſer kaum aus der Wiege hervorgegangenen

*) Bemerkungen über die erſten Vorgänge in der bairiſchen Ständeverſammlung.
Die Denkſchrift wurde am 10. April 1819 nach Berlin geſendet, muß aber ſchon zu
Anfang März geſchrieben ſein, da ſie die Verhandlungen des Landtags nur bis zum
15. Febr. verfolgt.
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[504/0518] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. mäßige Freiheit bleibt.“ Auch die beliebte Theorie des Mißtrauens, die Lehre von dem natürlichen Kriege zwiſchen Fürſt und Volk wirkte mit ein. In einer Flugſchrift über den bairiſchen Landtag rechtfertigte der libe- rale Publiciſt v. Spraun den Antrag Hornthals mit der freundlichen Erwägung: ſonſt könnte ja der Hof jederzeit eine Bartholomäusnacht ver- anſtalten! Das Weimariſche Oppoſitionsblatt erklärte drohend, das deutſche Volk werde alle die gewiſſenloſen Abgeordneten, welche gegen den Antrag ſtimmten, für den Tag der Abrechnung im Gedächtniß behalten. Um einem möglichen Mißbrauch der monarchiſchen Gewalt vorzubeugen, wollte man den König in aller Unſchuld ſeiner Militärhoheit berauben, die letzte Entſcheidung der Verfaſſungsſtreitigkeiten dem Gewiſſen der zumeiſt minderjährigen gemeinen Soldaten überlaſſen. Selbſt die Erfahrungen des achtzehnten Brumaire hatten den deutſchen Doctrinarismus noch nicht darüber belehrt, daß ein Staatsſtreich nur dann gelingt, wenn die Nation ihn erträgt oder billigt. Obwohl der Antrag nicht der revolutionären Geſinnung, ſondern nur der gedankenloſen Unerfahrenheit entſprang, ſo wirkte er doch ſogleich ſehr ſchädlich. Einige aufgeregte junge Leutnants ſprachen im Sinne des Volkstribunen und wurden in der Stille beſtraft. Die große Mehrzahl der Offiziere fühlte ſich in der monarchiſchen Geſinnung, welche jedes tüchtige Heer belebt, tief verletzt und verfiel im Zorne auf ein gefähr- liches Mittel. Man verbreitete in den Garniſonen eine Bittſchrift, die den König beſchwor „ein dem Sinne der Conſtitution ſo ganz entgegenes Begehren“ abzuweiſen; Generale, Hauptleute, Unteroffiziere unterſchrieben bunt durcheinander. Erſchreckt durch ſolche Kundgebungen brach der Landtag die Verhandlungen über den gefährlichen Antrag plötzlich ab. König Friedrich Wilhelm aber betrachtete dieſe erſten Folgen des Reprä- ſentativſyſtems mit ſchwerer Beſorgniß. Jener unruhige Landsknechtsgeiſt, welchen die Abenteuer des Imperators in allen napoleoniſchen Heeren erweckt, hatte die Franzoſen und die Sachſen ſchon einmal zu offener Empörung verführt; in Italien ſchürten die alten napoleoniſchen Offiziere überall den Haß gegen Oeſterreichs Herrſchaft, jeden Augenblick konnte dort eine militäriſche Revolution ausbrechen; ſollten jetzt auch die ſüddeutſchen Heere in die politiſchen Parteikämpfe hineingeriſſen werden? Der Wiener Hof ſah den bairiſchen Staat bereits dicht am Abhange der Revolution da- hintaumeln. Gentz ſchrieb eine donnernde Denkſchrift über die bairiſchen Stände. *) Er klagte den Monarchen an, daß er durch ſeine Thronrede „ein vollſtändig abgerundetes Syſtem von königlicher Demokratie“ begründet habe, und fragte, „was dieſer kaum aus der Wiege hervorgegangenen *) Bemerkungen über die erſten Vorgänge in der bairiſchen Ständeverſammlung. Die Denkſchrift wurde am 10. April 1819 nach Berlin geſendet, muß aber ſchon zu Anfang März geſchrieben ſein, da ſie die Verhandlungen des Landtags nur bis zum 15. Febr. verfolgt.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/518>, abgerufen am 22.11.2024.