Bildung hinter den Preußen noch weit zurück; die Rechtsverwahrungen der altbairischen "realen" Gewerbsmeister fanden bei der Kammer freund- liches Gehör, nur eine kleine Minderheit schloß sich den Pfälzern an, die ihre heimische Gewerbefreiheit eifrig vertheidigten. Noch geringer war das Verständniß für die Selbstverwaltung. Auf verwaltende Kreisver- sammlungen, wie sie Preußen besaß, wagte dies an die Allmacht seiner Landrichter gewöhnte Volk noch gar nicht zu hoffen. Der auf unmaß- geblichen Beirath beschränkte napoleonische Generalrath, der in der Pfalz unter dem Namen "Landrath" fortbestand, galt den Altbaiern schon als ein Ideal, und selbst diese bescheidene Reform vermochte man in den rechtsrheinischen Provinzen noch nicht durchzusetzen.
Ueberhaupt standen die praktischen Ergebnisse dieses Landtags außer allem Verhältniß zu dem Aufwand großer Worte. Das Wichtigste blieb, daß der wackere Finanzminister Lerchenfeld die so lange verschleierte Lage des Staatshaushalts endlich aufdeckte. Es stellte sich ein Jahresdeficit von 31/2 Mill. fl. heraus und eine Schuldenlast von mehr als 105 Mill., eine gewaltige Last für das verkehrsarme Land, die erst nach harten Kämpfen mit dem Particularismus der neuen Provinzen als gemeinsame Staatsschuld des gesammten Königreichs anerkannt wurde. Der größte Theil dieser Summen war in Folge der Kriegsnöthe aufgenommen worden; wie viel aber die Verschwendung der Krone hinzu gesündigt, dies erfuhr Niemand, denn die Regierung weigerte sich über die Verwaltung der ab- solutistischen Epoche im Einzelnen Rechenschaft abzulegen, da der gut- herzige Max Joseph, der in Geldsachen immer ein Kind blieb, erst neuerdings von den französischen Entschädigungsgeldern unbedenklich 3,4 Mill. Fr. an seine Söhne und Töchter verschenkt hatte.*)
Dem Könige war der Landtag schon nach wenigen Tagen verleidet; es kam ihm vor wie heller Aufruhr, daß seine Beamten jetzt den Unter- thanen Rede stehen sollten. Sein Mißmuth steigerte sich zu hellem Zorne, als Hornthal die Vereidigung des Heeres auf die Constitution verlangte und mit dreister Stirn versicherte, dieser offenbar verfassungswidrige An- trag bezwecke nur die Ausführung einer Vorschrift des Grundgesetzes. Damit war zum ersten male ein unbegreiflicher Irrthum ausgesprochen, der seitdem während eines Menschenalters ein Lieblingssatz der liberalen Parteien geblieben ist. Befangen in dem modischen Hasse gegen die stehenden Heere wollten die Constitutionellen schlechterdings nicht einsehen, daß ein debattirendes Heer der schlimmste Feind der Freiheit ist und das Recht des Bürgers nur da gesichert bestehen kann, wo die bewaffnete Macht keinen eigenen Willen hat. Mit der größten Zuversicht, als verstände sich der Unsinn ganz von selbst, stellte Behr die Behauptung auf: "giebt es einen Stand, der ohne Willen ist, so weiß ich nicht wo die verfassungs-
*) Zastrows Bericht, 17. Febr. 1819.
Verfaſſungseid des bairiſchen Heeres.
Bildung hinter den Preußen noch weit zurück; die Rechtsverwahrungen der altbairiſchen „realen“ Gewerbsmeiſter fanden bei der Kammer freund- liches Gehör, nur eine kleine Minderheit ſchloß ſich den Pfälzern an, die ihre heimiſche Gewerbefreiheit eifrig vertheidigten. Noch geringer war das Verſtändniß für die Selbſtverwaltung. Auf verwaltende Kreisver- ſammlungen, wie ſie Preußen beſaß, wagte dies an die Allmacht ſeiner Landrichter gewöhnte Volk noch gar nicht zu hoffen. Der auf unmaß- geblichen Beirath beſchränkte napoleoniſche Generalrath, der in der Pfalz unter dem Namen „Landrath“ fortbeſtand, galt den Altbaiern ſchon als ein Ideal, und ſelbſt dieſe beſcheidene Reform vermochte man in den rechtsrheiniſchen Provinzen noch nicht durchzuſetzen.
Ueberhaupt ſtanden die praktiſchen Ergebniſſe dieſes Landtags außer allem Verhältniß zu dem Aufwand großer Worte. Das Wichtigſte blieb, daß der wackere Finanzminiſter Lerchenfeld die ſo lange verſchleierte Lage des Staatshaushalts endlich aufdeckte. Es ſtellte ſich ein Jahresdeficit von 3½ Mill. fl. heraus und eine Schuldenlaſt von mehr als 105 Mill., eine gewaltige Laſt für das verkehrsarme Land, die erſt nach harten Kämpfen mit dem Particularismus der neuen Provinzen als gemeinſame Staatsſchuld des geſammten Königreichs anerkannt wurde. Der größte Theil dieſer Summen war in Folge der Kriegsnöthe aufgenommen worden; wie viel aber die Verſchwendung der Krone hinzu geſündigt, dies erfuhr Niemand, denn die Regierung weigerte ſich über die Verwaltung der ab- ſolutiſtiſchen Epoche im Einzelnen Rechenſchaft abzulegen, da der gut- herzige Max Joſeph, der in Geldſachen immer ein Kind blieb, erſt neuerdings von den franzöſiſchen Entſchädigungsgeldern unbedenklich 3,4 Mill. Fr. an ſeine Söhne und Töchter verſchenkt hatte.*)
Dem Könige war der Landtag ſchon nach wenigen Tagen verleidet; es kam ihm vor wie heller Aufruhr, daß ſeine Beamten jetzt den Unter- thanen Rede ſtehen ſollten. Sein Mißmuth ſteigerte ſich zu hellem Zorne, als Hornthal die Vereidigung des Heeres auf die Conſtitution verlangte und mit dreiſter Stirn verſicherte, dieſer offenbar verfaſſungswidrige An- trag bezwecke nur die Ausführung einer Vorſchrift des Grundgeſetzes. Damit war zum erſten male ein unbegreiflicher Irrthum ausgeſprochen, der ſeitdem während eines Menſchenalters ein Lieblingsſatz der liberalen Parteien geblieben iſt. Befangen in dem modiſchen Haſſe gegen die ſtehenden Heere wollten die Conſtitutionellen ſchlechterdings nicht einſehen, daß ein debattirendes Heer der ſchlimmſte Feind der Freiheit iſt und das Recht des Bürgers nur da geſichert beſtehen kann, wo die bewaffnete Macht keinen eigenen Willen hat. Mit der größten Zuverſicht, als verſtände ſich der Unſinn ganz von ſelbſt, ſtellte Behr die Behauptung auf: „giebt es einen Stand, der ohne Willen iſt, ſo weiß ich nicht wo die verfaſſungs-
*) Zaſtrows Bericht, 17. Febr. 1819.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0517"n="503"/><fwplace="top"type="header">Verfaſſungseid des bairiſchen Heeres.</fw><lb/>
Bildung hinter den Preußen noch weit zurück; die Rechtsverwahrungen<lb/>
der altbairiſchen „realen“ Gewerbsmeiſter fanden bei der Kammer freund-<lb/>
liches Gehör, nur eine kleine Minderheit ſchloß ſich den Pfälzern an, die<lb/>
ihre heimiſche Gewerbefreiheit eifrig vertheidigten. Noch geringer war<lb/>
das Verſtändniß für die Selbſtverwaltung. Auf verwaltende Kreisver-<lb/>ſammlungen, wie ſie Preußen beſaß, wagte dies an die Allmacht ſeiner<lb/>
Landrichter gewöhnte Volk noch gar nicht zu hoffen. Der auf unmaß-<lb/>
geblichen Beirath beſchränkte napoleoniſche Generalrath, der in der Pfalz<lb/>
unter dem Namen „Landrath“ fortbeſtand, galt den Altbaiern ſchon als<lb/>
ein Ideal, und ſelbſt dieſe beſcheidene Reform vermochte man in den<lb/>
rechtsrheiniſchen Provinzen noch nicht durchzuſetzen.</p><lb/><p>Ueberhaupt ſtanden die praktiſchen Ergebniſſe dieſes Landtags außer<lb/>
allem Verhältniß zu dem Aufwand großer Worte. Das Wichtigſte blieb,<lb/>
daß der wackere Finanzminiſter Lerchenfeld die ſo lange verſchleierte Lage<lb/>
des Staatshaushalts endlich aufdeckte. Es ſtellte ſich ein Jahresdeficit<lb/>
von 3½ Mill. fl. heraus und eine Schuldenlaſt von mehr als 105 Mill.,<lb/>
eine gewaltige Laſt für das verkehrsarme Land, die erſt nach harten<lb/>
Kämpfen mit dem Particularismus der neuen Provinzen als gemeinſame<lb/>
Staatsſchuld des geſammten Königreichs anerkannt wurde. Der größte<lb/>
Theil dieſer Summen war in Folge der Kriegsnöthe aufgenommen worden;<lb/>
wie viel aber die Verſchwendung der Krone hinzu geſündigt, dies erfuhr<lb/>
Niemand, denn die Regierung weigerte ſich über die Verwaltung der ab-<lb/>ſolutiſtiſchen Epoche im Einzelnen Rechenſchaft abzulegen, da der gut-<lb/>
herzige Max Joſeph, der in Geldſachen immer ein Kind blieb, erſt<lb/>
neuerdings von den franzöſiſchen Entſchädigungsgeldern unbedenklich 3,4<lb/>
Mill. Fr. an ſeine Söhne und Töchter verſchenkt hatte.<noteplace="foot"n="*)">Zaſtrows Bericht, 17. Febr. 1819.</note></p><lb/><p>Dem Könige war der Landtag ſchon nach wenigen Tagen verleidet;<lb/>
es kam ihm vor wie heller Aufruhr, daß ſeine Beamten jetzt den Unter-<lb/>
thanen Rede ſtehen ſollten. Sein Mißmuth ſteigerte ſich zu hellem Zorne,<lb/>
als Hornthal die Vereidigung des Heeres auf die Conſtitution verlangte<lb/>
und mit dreiſter Stirn verſicherte, dieſer offenbar verfaſſungswidrige An-<lb/>
trag bezwecke nur die Ausführung einer Vorſchrift des Grundgeſetzes.<lb/>
Damit war zum erſten male ein unbegreiflicher Irrthum ausgeſprochen,<lb/>
der ſeitdem während eines Menſchenalters ein Lieblingsſatz der liberalen<lb/>
Parteien geblieben iſt. Befangen in dem modiſchen Haſſe gegen die<lb/>ſtehenden Heere wollten die Conſtitutionellen ſchlechterdings nicht einſehen,<lb/>
daß ein debattirendes Heer der ſchlimmſte Feind der Freiheit iſt und das<lb/>
Recht des Bürgers nur da geſichert beſtehen kann, wo die bewaffnete Macht<lb/>
keinen eigenen Willen hat. Mit der größten Zuverſicht, als verſtände ſich<lb/>
der Unſinn ganz von ſelbſt, ſtellte Behr die Behauptung auf: „giebt es<lb/>
einen Stand, der ohne Willen iſt, ſo weiß ich nicht wo die verfaſſungs-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[503/0517]
Verfaſſungseid des bairiſchen Heeres.
Bildung hinter den Preußen noch weit zurück; die Rechtsverwahrungen
der altbairiſchen „realen“ Gewerbsmeiſter fanden bei der Kammer freund-
liches Gehör, nur eine kleine Minderheit ſchloß ſich den Pfälzern an, die
ihre heimiſche Gewerbefreiheit eifrig vertheidigten. Noch geringer war
das Verſtändniß für die Selbſtverwaltung. Auf verwaltende Kreisver-
ſammlungen, wie ſie Preußen beſaß, wagte dies an die Allmacht ſeiner
Landrichter gewöhnte Volk noch gar nicht zu hoffen. Der auf unmaß-
geblichen Beirath beſchränkte napoleoniſche Generalrath, der in der Pfalz
unter dem Namen „Landrath“ fortbeſtand, galt den Altbaiern ſchon als
ein Ideal, und ſelbſt dieſe beſcheidene Reform vermochte man in den
rechtsrheiniſchen Provinzen noch nicht durchzuſetzen.
Ueberhaupt ſtanden die praktiſchen Ergebniſſe dieſes Landtags außer
allem Verhältniß zu dem Aufwand großer Worte. Das Wichtigſte blieb,
daß der wackere Finanzminiſter Lerchenfeld die ſo lange verſchleierte Lage
des Staatshaushalts endlich aufdeckte. Es ſtellte ſich ein Jahresdeficit
von 3½ Mill. fl. heraus und eine Schuldenlaſt von mehr als 105 Mill.,
eine gewaltige Laſt für das verkehrsarme Land, die erſt nach harten
Kämpfen mit dem Particularismus der neuen Provinzen als gemeinſame
Staatsſchuld des geſammten Königreichs anerkannt wurde. Der größte
Theil dieſer Summen war in Folge der Kriegsnöthe aufgenommen worden;
wie viel aber die Verſchwendung der Krone hinzu geſündigt, dies erfuhr
Niemand, denn die Regierung weigerte ſich über die Verwaltung der ab-
ſolutiſtiſchen Epoche im Einzelnen Rechenſchaft abzulegen, da der gut-
herzige Max Joſeph, der in Geldſachen immer ein Kind blieb, erſt
neuerdings von den franzöſiſchen Entſchädigungsgeldern unbedenklich 3,4
Mill. Fr. an ſeine Söhne und Töchter verſchenkt hatte. *)
Dem Könige war der Landtag ſchon nach wenigen Tagen verleidet;
es kam ihm vor wie heller Aufruhr, daß ſeine Beamten jetzt den Unter-
thanen Rede ſtehen ſollten. Sein Mißmuth ſteigerte ſich zu hellem Zorne,
als Hornthal die Vereidigung des Heeres auf die Conſtitution verlangte
und mit dreiſter Stirn verſicherte, dieſer offenbar verfaſſungswidrige An-
trag bezwecke nur die Ausführung einer Vorſchrift des Grundgeſetzes.
Damit war zum erſten male ein unbegreiflicher Irrthum ausgeſprochen,
der ſeitdem während eines Menſchenalters ein Lieblingsſatz der liberalen
Parteien geblieben iſt. Befangen in dem modiſchen Haſſe gegen die
ſtehenden Heere wollten die Conſtitutionellen ſchlechterdings nicht einſehen,
daß ein debattirendes Heer der ſchlimmſte Feind der Freiheit iſt und das
Recht des Bürgers nur da geſichert beſtehen kann, wo die bewaffnete Macht
keinen eigenen Willen hat. Mit der größten Zuverſicht, als verſtände ſich
der Unſinn ganz von ſelbſt, ſtellte Behr die Behauptung auf: „giebt es
einen Stand, der ohne Willen iſt, ſo weiß ich nicht wo die verfaſſungs-
*) Zaſtrows Bericht, 17. Febr. 1819.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/517>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.