sammlungen so oft das echte Talent verdunkelt. Neben diesen beiden beliebten Volksmännern erschien der liberale Vicepräsident Seuffert der öffentlichen Meinung doch gar zu gemäßigt, weil er mit den gegebenen Thatsachen politisch zu rechnen verstand.
Gleich bei der Eröffnung erfuhr die Krone noch einmal die üblen Folgen ihres zweizüngigen Verhaltens gegen den römischen Stuhl. Der Papst verbot den geistlichen Mitgliedern des Landtags, den Verfassungs- eid zu leisten, da der offenbare Widerspruch zwischen dem Concordat und dem Religionsedikt noch immer nicht ausgeglichen war. Es kam aber- mals zu ärgerlichen Verhandlungen; der Nuntius, Herzog von Serra Cassano, ein eleganter junger Prälat, der in den Hofkreisen rasch festen Fuß gefaßt hatte, drohte bereits abzureisen.*) Da fand sich ein wenig rühmlicher Ausweg: die Mehrzahl der Geistlichen leistete den Eid, aber unter der Bedingung, daß er nicht gegen die Gesetze der katholischen Kirche verstoße; der Staat gestattete diese reservatio mentalis, die allerdings verschiedener Auslegungen fähig war, und nur einzelne clericale Heiß- sporne, wie der Fürstbischof von Eichstädt, versagten sich dem Ausgleich.
Natürlich mußte der jugendliche Parlamentarismus, da er vor allem Volke in die Schule ging, auch ein reiches Lehrgeld zahlen, Es fehlte nicht an unnützem Gerede noch an kleinlichem Gezänk. Als die Reichsräthe in ihrer Adresse aussprachen, dies Oberhaus sei berufen, dem Anwogen der beweglichen Kräfte des Volksgeistes einen Damm, dem Wandelbaren Festig- keit entgegenzustellen, da fühlten sich die Abgeordneten in ihrer Amtsehre beleidigt und machten dem modischen Adelshasse in erregten Reden Luft, begnügten sich aber schließlich die Aeußerungen der Adelskammer für "auf- fallend" zu erklären. In unzähligen halbreifen Anträgen kamen alle die Klagen und Wünsche zu Tage, die sich unter der Herrschaft einer schranken- losen Bureaukratie allmählich angesammelt hatten, und nicht selten mußte die Kammer der Reichsräthe die Abgeordneten an die Grenzen ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse erinnern, da der Krone allein das Recht der Initiative zustand. Sehr auffällig zeigte sich dabei, wie weit die poli- tischen Durchschnittsanschauungen im Norden und im Süden noch aus- einandergingen. Manche Kernsätze der neufranzösischen constitutionellen Theorie, von denen man in Norddeutschland noch wenig sprach, hatten in den Staaten des Rheinbundes schon feste Wurzeln geschlagen. So baten beide Kammern um die Einführung des öffentlichen Gerichtsver- fahrens, und der Kronprinz ließ in den Zeitungen ausdrücklich berichten, daß er mit unter den zustimmenden Reichsräthen gewesen sei; die zweite Kammer verlangte außerdem noch das Schwurgericht, und seitdem ward dieser Satz in das Glaubensbekenntniß des deutschen Liberalismus auf- genommen. Dagegen standen die Baiern in ihrer volkswirthschaftlichen
*) Zastrows Bericht, 29. Januar 1819.
II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
ſammlungen ſo oft das echte Talent verdunkelt. Neben dieſen beiden beliebten Volksmännern erſchien der liberale Vicepräſident Seuffert der öffentlichen Meinung doch gar zu gemäßigt, weil er mit den gegebenen Thatſachen politiſch zu rechnen verſtand.
Gleich bei der Eröffnung erfuhr die Krone noch einmal die üblen Folgen ihres zweizüngigen Verhaltens gegen den römiſchen Stuhl. Der Papſt verbot den geiſtlichen Mitgliedern des Landtags, den Verfaſſungs- eid zu leiſten, da der offenbare Widerſpruch zwiſchen dem Concordat und dem Religionsedikt noch immer nicht ausgeglichen war. Es kam aber- mals zu ärgerlichen Verhandlungen; der Nuntius, Herzog von Serra Caſſano, ein eleganter junger Prälat, der in den Hofkreiſen raſch feſten Fuß gefaßt hatte, drohte bereits abzureiſen.*) Da fand ſich ein wenig rühmlicher Ausweg: die Mehrzahl der Geiſtlichen leiſtete den Eid, aber unter der Bedingung, daß er nicht gegen die Geſetze der katholiſchen Kirche verſtoße; der Staat geſtattete dieſe reservatio mentalis, die allerdings verſchiedener Auslegungen fähig war, und nur einzelne clericale Heiß- ſporne, wie der Fürſtbiſchof von Eichſtädt, verſagten ſich dem Ausgleich.
Natürlich mußte der jugendliche Parlamentarismus, da er vor allem Volke in die Schule ging, auch ein reiches Lehrgeld zahlen, Es fehlte nicht an unnützem Gerede noch an kleinlichem Gezänk. Als die Reichsräthe in ihrer Adreſſe ausſprachen, dies Oberhaus ſei berufen, dem Anwogen der beweglichen Kräfte des Volksgeiſtes einen Damm, dem Wandelbaren Feſtig- keit entgegenzuſtellen, da fühlten ſich die Abgeordneten in ihrer Amtsehre beleidigt und machten dem modiſchen Adelshaſſe in erregten Reden Luft, begnügten ſich aber ſchließlich die Aeußerungen der Adelskammer für „auf- fallend“ zu erklären. In unzähligen halbreifen Anträgen kamen alle die Klagen und Wünſche zu Tage, die ſich unter der Herrſchaft einer ſchranken- loſen Bureaukratie allmählich angeſammelt hatten, und nicht ſelten mußte die Kammer der Reichsräthe die Abgeordneten an die Grenzen ihrer verfaſſungsmäßigen Befugniſſe erinnern, da der Krone allein das Recht der Initiative zuſtand. Sehr auffällig zeigte ſich dabei, wie weit die poli- tiſchen Durchſchnittsanſchauungen im Norden und im Süden noch aus- einandergingen. Manche Kernſätze der neufranzöſiſchen conſtitutionellen Theorie, von denen man in Norddeutſchland noch wenig ſprach, hatten in den Staaten des Rheinbundes ſchon feſte Wurzeln geſchlagen. So baten beide Kammern um die Einführung des öffentlichen Gerichtsver- fahrens, und der Kronprinz ließ in den Zeitungen ausdrücklich berichten, daß er mit unter den zuſtimmenden Reichsräthen geweſen ſei; die zweite Kammer verlangte außerdem noch das Schwurgericht, und ſeitdem ward dieſer Satz in das Glaubensbekenntniß des deutſchen Liberalismus auf- genommen. Dagegen ſtanden die Baiern in ihrer volkswirthſchaftlichen
*) Zaſtrows Bericht, 29. Januar 1819.
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beliebten Volksmännern erſchien der liberale Vicepräſident Seuffert der
öffentlichen Meinung doch gar zu gemäßigt, weil er mit den gegebenen
Thatſachen politiſch zu rechnen verſtand.
Gleich bei der Eröffnung erfuhr die Krone noch einmal die üblen
Folgen ihres zweizüngigen Verhaltens gegen den römiſchen Stuhl. Der
Papſt verbot den geiſtlichen Mitgliedern des Landtags, den Verfaſſungs-
eid zu leiſten, da der offenbare Widerſpruch zwiſchen dem Concordat und
dem Religionsedikt noch immer nicht ausgeglichen war. Es kam aber-
mals zu ärgerlichen Verhandlungen; der Nuntius, Herzog von Serra
Caſſano, ein eleganter junger Prälat, der in den Hofkreiſen raſch feſten
Fuß gefaßt hatte, drohte bereits abzureiſen. *) Da fand ſich ein wenig
rühmlicher Ausweg: die Mehrzahl der Geiſtlichen leiſtete den Eid, aber
unter der Bedingung, daß er nicht gegen die Geſetze der katholiſchen Kirche
verſtoße; der Staat geſtattete dieſe reservatio mentalis, die allerdings
verſchiedener Auslegungen fähig war, und nur einzelne clericale Heiß-
ſporne, wie der Fürſtbiſchof von Eichſtädt, verſagten ſich dem Ausgleich.
Natürlich mußte der jugendliche Parlamentarismus, da er vor allem
Volke in die Schule ging, auch ein reiches Lehrgeld zahlen, Es fehlte nicht
an unnützem Gerede noch an kleinlichem Gezänk. Als die Reichsräthe in
ihrer Adreſſe ausſprachen, dies Oberhaus ſei berufen, dem Anwogen der
beweglichen Kräfte des Volksgeiſtes einen Damm, dem Wandelbaren Feſtig-
keit entgegenzuſtellen, da fühlten ſich die Abgeordneten in ihrer Amtsehre
beleidigt und machten dem modiſchen Adelshaſſe in erregten Reden Luft,
begnügten ſich aber ſchließlich die Aeußerungen der Adelskammer für „auf-
fallend“ zu erklären. In unzähligen halbreifen Anträgen kamen alle die
Klagen und Wünſche zu Tage, die ſich unter der Herrſchaft einer ſchranken-
loſen Bureaukratie allmählich angeſammelt hatten, und nicht ſelten mußte
die Kammer der Reichsräthe die Abgeordneten an die Grenzen ihrer
verfaſſungsmäßigen Befugniſſe erinnern, da der Krone allein das Recht
der Initiative zuſtand. Sehr auffällig zeigte ſich dabei, wie weit die poli-
tiſchen Durchſchnittsanſchauungen im Norden und im Süden noch aus-
einandergingen. Manche Kernſätze der neufranzöſiſchen conſtitutionellen
Theorie, von denen man in Norddeutſchland noch wenig ſprach, hatten
in den Staaten des Rheinbundes ſchon feſte Wurzeln geſchlagen. So
baten beide Kammern um die Einführung des öffentlichen Gerichtsver-
fahrens, und der Kronprinz ließ in den Zeitungen ausdrücklich berichten,
daß er mit unter den zuſtimmenden Reichsräthen geweſen ſei; die zweite
Kammer verlangte außerdem noch das Schwurgericht, und ſeitdem ward
dieſer Satz in das Glaubensbekenntniß des deutſchen Liberalismus auf-
genommen. Dagegen ſtanden die Baiern in ihrer volkswirthſchaftlichen
*) Zaſtrows Bericht, 29. Januar 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/516>, abgerufen am 22.11.2024.
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