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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
zu halten; der Verfassungsentwurf dagegen konnte nimmermehr als die
Angelegenheit eines Fachministers behandelt werden. "Hier ist, schrieb
Hardenberg, von einer noch nicht existirenden Sache die Rede, die nur
nach der eignen Ansicht Sr. Maj., wenigstens in den Grundzügen, be-
stimmt werden kann, und bei der Se. Maj. zu Rathe ziehen kann, wen
Sie wollen. Der König entscheide, ob ich entbehrlich bin oder nicht.
So lange Se. Maj. meine Dienste für nützlich halten, werde ich meine
mir verliehene Autorität aufrecht halten und bin dazu verpflichtet." Der
König entschied im Sinne des Kanzlers und befahl dem Minister (17. Febr.)
mit wenigen, strengen Worten, sich unverzüglich zu erklären, wenn anders
er noch im königlichen Dienste verbleiben wolle. Humboldt aber unter-
warf sich (27. Febr.): "es widerspräche allen meinen Gesinnungen, nicht
Allerhöchst Ihrem Dienste so lange meine Kräfte zu widmen, als dies
nur auf die entfernteste Weise von meinem Entschlusse abhängt."*)

Unter solchen Kundgebungen des Mißtrauens, ja der Ungnade wurde
Humboldt in den Rath der Krone berufen. Er fühlte sich tief gekränkt
und rechtfertigte seinen Entschluß vor Freunden mit der Erklärung: als
widersetzlich wolle er seinem Monarchen nicht erscheinen, auch halte er
sich verpflichtet, mindestens einen Versuch zu wagen.**) Die ganze Wahr-
heit sagte er damit nicht. Er mußte wissen, daß er durch seine letzten
Briefe für immer mit Hardenberg gebrochen hatte. Wenn er gleichwohl
eine Stellung annahm, deren beschränkte Befugnisse seinem Talente, seinem
Selbstgefühle nicht genügten, so konnte er nur die Absicht hegen, im Mi-
nisterium den Kampf gegen Hardenberg fortzusetzen, bis die Machtstellung
des Staatskanzlers gebrochen war. Es sollte sich bald zeigen, daß er
diesen Plan wirklich verfolgte. Vorläufig mußte er noch bis in den
Sommer hinein in Frankfurt bleiben, um den Territorialreceß abzu-
schließen; gereizt wie er war, klagte er seinen Freunden, man halte ihn ab-
sichtlich von Berlin fern, damit der Staatskanzler seine Verfassungspläne
ohne ihn vollenden könne. Welch einen seltsamen Anblick bot doch die
preußische Monarchie gerade in den verhängnißschweren Tagen, da Oester-
reich sich zum entscheidenden Schlage rüstete. In den Provinzen überall
eine musterhafte Verwaltung, im Mittelpunkte des Staates rathlose Ver-
wirrung: ein Ministerium, das auf die dringenden Fragen des Königs
keine Antwort fand, und zwischen den beiden namhaftesten Staatsmännern
eine unversöhnliche Feindschaft, die nur mit dem Sturze des Einen oder
des Anderen endigen konnte.

Jener Kampf zwischen Hardenberg und Humboldt erscheint um
so unerquicklicher, da sie Beide über die Grundsätze der Verfassung fast

*) Humboldt an den König, 11. Febr., mit Randbemerkungen des Staatskanzlers.
Cabinetsordre an Humboldt, 17. Febr., Antwort Humboldts, 27. Febr. 1819.
**) Humboldt an Motz, 18. März 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
zu halten; der Verfaſſungsentwurf dagegen konnte nimmermehr als die
Angelegenheit eines Fachminiſters behandelt werden. „Hier iſt, ſchrieb
Hardenberg, von einer noch nicht exiſtirenden Sache die Rede, die nur
nach der eignen Anſicht Sr. Maj., wenigſtens in den Grundzügen, be-
ſtimmt werden kann, und bei der Se. Maj. zu Rathe ziehen kann, wen
Sie wollen. Der König entſcheide, ob ich entbehrlich bin oder nicht.
So lange Se. Maj. meine Dienſte für nützlich halten, werde ich meine
mir verliehene Autorität aufrecht halten und bin dazu verpflichtet.“ Der
König entſchied im Sinne des Kanzlers und befahl dem Miniſter (17. Febr.)
mit wenigen, ſtrengen Worten, ſich unverzüglich zu erklären, wenn anders
er noch im königlichen Dienſte verbleiben wolle. Humboldt aber unter-
warf ſich (27. Febr.): „es widerſpräche allen meinen Geſinnungen, nicht
Allerhöchſt Ihrem Dienſte ſo lange meine Kräfte zu widmen, als dies
nur auf die entfernteſte Weiſe von meinem Entſchluſſe abhängt.“*)

Unter ſolchen Kundgebungen des Mißtrauens, ja der Ungnade wurde
Humboldt in den Rath der Krone berufen. Er fühlte ſich tief gekränkt
und rechtfertigte ſeinen Entſchluß vor Freunden mit der Erklärung: als
widerſetzlich wolle er ſeinem Monarchen nicht erſcheinen, auch halte er
ſich verpflichtet, mindeſtens einen Verſuch zu wagen.**) Die ganze Wahr-
heit ſagte er damit nicht. Er mußte wiſſen, daß er durch ſeine letzten
Briefe für immer mit Hardenberg gebrochen hatte. Wenn er gleichwohl
eine Stellung annahm, deren beſchränkte Befugniſſe ſeinem Talente, ſeinem
Selbſtgefühle nicht genügten, ſo konnte er nur die Abſicht hegen, im Mi-
niſterium den Kampf gegen Hardenberg fortzuſetzen, bis die Machtſtellung
des Staatskanzlers gebrochen war. Es ſollte ſich bald zeigen, daß er
dieſen Plan wirklich verfolgte. Vorläufig mußte er noch bis in den
Sommer hinein in Frankfurt bleiben, um den Territorialreceß abzu-
ſchließen; gereizt wie er war, klagte er ſeinen Freunden, man halte ihn ab-
ſichtlich von Berlin fern, damit der Staatskanzler ſeine Verfaſſungspläne
ohne ihn vollenden könne. Welch einen ſeltſamen Anblick bot doch die
preußiſche Monarchie gerade in den verhängnißſchweren Tagen, da Oeſter-
reich ſich zum entſcheidenden Schlage rüſtete. In den Provinzen überall
eine muſterhafte Verwaltung, im Mittelpunkte des Staates rathloſe Ver-
wirrung: ein Miniſterium, das auf die dringenden Fragen des Königs
keine Antwort fand, und zwiſchen den beiden namhafteſten Staatsmännern
eine unverſöhnliche Feindſchaft, die nur mit dem Sturze des Einen oder
des Anderen endigen konnte.

Jener Kampf zwiſchen Hardenberg und Humboldt erſcheint um
ſo unerquicklicher, da ſie Beide über die Grundſätze der Verfaſſung faſt

*) Humboldt an den König, 11. Febr., mit Randbemerkungen des Staatskanzlers.
Cabinetsordre an Humboldt, 17. Febr., Antwort Humboldts, 27. Febr. 1819.
**) Humboldt an Motz, 18. März 1819.
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[498/0512] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. zu halten; der Verfaſſungsentwurf dagegen konnte nimmermehr als die Angelegenheit eines Fachminiſters behandelt werden. „Hier iſt, ſchrieb Hardenberg, von einer noch nicht exiſtirenden Sache die Rede, die nur nach der eignen Anſicht Sr. Maj., wenigſtens in den Grundzügen, be- ſtimmt werden kann, und bei der Se. Maj. zu Rathe ziehen kann, wen Sie wollen. Der König entſcheide, ob ich entbehrlich bin oder nicht. So lange Se. Maj. meine Dienſte für nützlich halten, werde ich meine mir verliehene Autorität aufrecht halten und bin dazu verpflichtet.“ Der König entſchied im Sinne des Kanzlers und befahl dem Miniſter (17. Febr.) mit wenigen, ſtrengen Worten, ſich unverzüglich zu erklären, wenn anders er noch im königlichen Dienſte verbleiben wolle. Humboldt aber unter- warf ſich (27. Febr.): „es widerſpräche allen meinen Geſinnungen, nicht Allerhöchſt Ihrem Dienſte ſo lange meine Kräfte zu widmen, als dies nur auf die entfernteſte Weiſe von meinem Entſchluſſe abhängt.“ *) Unter ſolchen Kundgebungen des Mißtrauens, ja der Ungnade wurde Humboldt in den Rath der Krone berufen. Er fühlte ſich tief gekränkt und rechtfertigte ſeinen Entſchluß vor Freunden mit der Erklärung: als widerſetzlich wolle er ſeinem Monarchen nicht erſcheinen, auch halte er ſich verpflichtet, mindeſtens einen Verſuch zu wagen. **) Die ganze Wahr- heit ſagte er damit nicht. Er mußte wiſſen, daß er durch ſeine letzten Briefe für immer mit Hardenberg gebrochen hatte. Wenn er gleichwohl eine Stellung annahm, deren beſchränkte Befugniſſe ſeinem Talente, ſeinem Selbſtgefühle nicht genügten, ſo konnte er nur die Abſicht hegen, im Mi- niſterium den Kampf gegen Hardenberg fortzuſetzen, bis die Machtſtellung des Staatskanzlers gebrochen war. Es ſollte ſich bald zeigen, daß er dieſen Plan wirklich verfolgte. Vorläufig mußte er noch bis in den Sommer hinein in Frankfurt bleiben, um den Territorialreceß abzu- ſchließen; gereizt wie er war, klagte er ſeinen Freunden, man halte ihn ab- ſichtlich von Berlin fern, damit der Staatskanzler ſeine Verfaſſungspläne ohne ihn vollenden könne. Welch einen ſeltſamen Anblick bot doch die preußiſche Monarchie gerade in den verhängnißſchweren Tagen, da Oeſter- reich ſich zum entſcheidenden Schlage rüſtete. In den Provinzen überall eine muſterhafte Verwaltung, im Mittelpunkte des Staates rathloſe Ver- wirrung: ein Miniſterium, das auf die dringenden Fragen des Königs keine Antwort fand, und zwiſchen den beiden namhafteſten Staatsmännern eine unverſöhnliche Feindſchaft, die nur mit dem Sturze des Einen oder des Anderen endigen konnte. Jener Kampf zwiſchen Hardenberg und Humboldt erſcheint um ſo unerquicklicher, da ſie Beide über die Grundſätze der Verfaſſung faſt *) Humboldt an den König, 11. Febr., mit Randbemerkungen des Staatskanzlers. Cabinetsordre an Humboldt, 17. Febr., Antwort Humboldts, 27. Febr. 1819. **) Humboldt an Motz, 18. März 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/512>, abgerufen am 25.11.2024.