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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
steller gar zu gröblich über das Wendenthum der alten Provinzen ge-
schimpft hatte. --

Gleichzeitig mit dem Erlaß jener Cabinetsordre vom 11. Jan. wurde
Wilhelm Humboldt in das Ministerium berufen -- ein Entschluß, der
für den Fortgang des Verfassungswerkes das Beste zu versprechen schien.
Humboldt war im November zum Aachener Congresse entboten worden,
um über die bairisch-badischen Händel, die er als Mitglied der Frank-
furter Territorialcommission genau kannte, Bericht zu erstatten und dann
seine Weisungen für den Abschluß des Territorialrecesses zu empfangen.
Man merkte ihm in Aachen den Unmuth über Bernstoffs Ernennung
deutlich an -- denn das Portefeuille des Auswärtigen hätte er sicherlich
nicht ausgeschlagen, trotz seiner Bedenken gegen Schuckmann und Witt-
genstein. Er bat dort den König um Enthebung von seinem Londoner
Posten*); nach Erledigung der Frankfurter Geschäfte wollte er dann in der
Stille seines Parkes zu Tegel den Wissenschaften leben und nur noch an den
Verhandlungen des Staatsraths theilnehmen. Da stellte Witzleben dem
Monarchen vor, welche unschätzbaren Dienste Humboldts reiche Bildung
und sein Redaktionstalent bei den Verfassungsberathungen leisten könne.
Der König ging auf den Gedanken ein, und auch Hardenberg hielt es
für gerathen, seinen Nebenbuhler durch eine Stelle im Ministerium zu be-
schwichtigen; er fürchtete und sagte es ihm ins Gesicht, daß Humboldt im
Staatsrathe die Führung der Opposition übernehmen würde. So beschloß
man denn das Ministerium des Innern in zwei Hälften zu theilen. Das
Polizeiministerium ward aufgehoben und als eine Abtheilung mit Schuck-
manns Departement vereinigt; dafür sollte Schuckmann die Verwaltung
der ständischen und der Communalangelegenheiten als ein besonderes
Ministerium an Humboldt abtreten. Wittgenstein blieb Mitglied des Staats-
ministeriums, verwaltete aber nur noch die Angelegenheiten des königlichen
Hauses, so daß er in einer unangreifbaren Stellung den weiteren Verlauf
der Dinge abwarten und sich jederzeit auf sein unpolitisches Amt zurück-
ziehen konnte.

Humboldt sollte, nach der Absicht des Königs, die laufenden Geschäfte
des Communalwesens führen, mit den alten Landtagen über ihr Schulden-
und Armenwesen verhandeln, endlich bei der Ausarbeitung der Gemeinde-,
Provinzial- und Landesverfassung im Einzelnen hilfreiche Hand leisten.
Die Feststellung des Entwurfes behielt sich Hardenberg selber vor, nach
dem Rechte und der Pflicht seines Staatskanzleramts; nachdem er alle
die Departements, welche er früher unmittelbar verwaltet, an Fachminister
abgetreten hatte, blieb ihm nur noch die oberste Leitung der gesammten
Verwaltung, und diese verflüchtigte sich in leeren Schein, sobald auch der
Entwurf der Verfassung einem Fachminister überlassen wurde. Eine in

*) Humboldts Eingabe an den König, Aachen 13. Nov. 1818.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
ſteller gar zu gröblich über das Wendenthum der alten Provinzen ge-
ſchimpft hatte. —

Gleichzeitig mit dem Erlaß jener Cabinetsordre vom 11. Jan. wurde
Wilhelm Humboldt in das Miniſterium berufen — ein Entſchluß, der
für den Fortgang des Verfaſſungswerkes das Beſte zu verſprechen ſchien.
Humboldt war im November zum Aachener Congreſſe entboten worden,
um über die bairiſch-badiſchen Händel, die er als Mitglied der Frank-
furter Territorialcommiſſion genau kannte, Bericht zu erſtatten und dann
ſeine Weiſungen für den Abſchluß des Territorialreceſſes zu empfangen.
Man merkte ihm in Aachen den Unmuth über Bernſtoffs Ernennung
deutlich an — denn das Portefeuille des Auswärtigen hätte er ſicherlich
nicht ausgeſchlagen, trotz ſeiner Bedenken gegen Schuckmann und Witt-
genſtein. Er bat dort den König um Enthebung von ſeinem Londoner
Poſten*); nach Erledigung der Frankfurter Geſchäfte wollte er dann in der
Stille ſeines Parkes zu Tegel den Wiſſenſchaften leben und nur noch an den
Verhandlungen des Staatsraths theilnehmen. Da ſtellte Witzleben dem
Monarchen vor, welche unſchätzbaren Dienſte Humboldts reiche Bildung
und ſein Redaktionstalent bei den Verfaſſungsberathungen leiſten könne.
Der König ging auf den Gedanken ein, und auch Hardenberg hielt es
für gerathen, ſeinen Nebenbuhler durch eine Stelle im Miniſterium zu be-
ſchwichtigen; er fürchtete und ſagte es ihm ins Geſicht, daß Humboldt im
Staatsrathe die Führung der Oppoſition übernehmen würde. So beſchloß
man denn das Miniſterium des Innern in zwei Hälften zu theilen. Das
Polizeiminiſterium ward aufgehoben und als eine Abtheilung mit Schuck-
manns Departement vereinigt; dafür ſollte Schuckmann die Verwaltung
der ſtändiſchen und der Communalangelegenheiten als ein beſonderes
Miniſterium an Humboldt abtreten. Wittgenſtein blieb Mitglied des Staats-
miniſteriums, verwaltete aber nur noch die Angelegenheiten des königlichen
Hauſes, ſo daß er in einer unangreifbaren Stellung den weiteren Verlauf
der Dinge abwarten und ſich jederzeit auf ſein unpolitiſches Amt zurück-
ziehen konnte.

Humboldt ſollte, nach der Abſicht des Königs, die laufenden Geſchäfte
des Communalweſens führen, mit den alten Landtagen über ihr Schulden-
und Armenweſen verhandeln, endlich bei der Ausarbeitung der Gemeinde-,
Provinzial- und Landesverfaſſung im Einzelnen hilfreiche Hand leiſten.
Die Feſtſtellung des Entwurfes behielt ſich Hardenberg ſelber vor, nach
dem Rechte und der Pflicht ſeines Staatskanzleramts; nachdem er alle
die Departements, welche er früher unmittelbar verwaltet, an Fachminiſter
abgetreten hatte, blieb ihm nur noch die oberſte Leitung der geſammten
Verwaltung, und dieſe verflüchtigte ſich in leeren Schein, ſobald auch der
Entwurf der Verfaſſung einem Fachminiſter überlaſſen wurde. Eine in

*) Humboldts Eingabe an den König, Aachen 13. Nov. 1818.
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[496/0510] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. ſteller gar zu gröblich über das Wendenthum der alten Provinzen ge- ſchimpft hatte. — Gleichzeitig mit dem Erlaß jener Cabinetsordre vom 11. Jan. wurde Wilhelm Humboldt in das Miniſterium berufen — ein Entſchluß, der für den Fortgang des Verfaſſungswerkes das Beſte zu verſprechen ſchien. Humboldt war im November zum Aachener Congreſſe entboten worden, um über die bairiſch-badiſchen Händel, die er als Mitglied der Frank- furter Territorialcommiſſion genau kannte, Bericht zu erſtatten und dann ſeine Weiſungen für den Abſchluß des Territorialreceſſes zu empfangen. Man merkte ihm in Aachen den Unmuth über Bernſtoffs Ernennung deutlich an — denn das Portefeuille des Auswärtigen hätte er ſicherlich nicht ausgeſchlagen, trotz ſeiner Bedenken gegen Schuckmann und Witt- genſtein. Er bat dort den König um Enthebung von ſeinem Londoner Poſten *); nach Erledigung der Frankfurter Geſchäfte wollte er dann in der Stille ſeines Parkes zu Tegel den Wiſſenſchaften leben und nur noch an den Verhandlungen des Staatsraths theilnehmen. Da ſtellte Witzleben dem Monarchen vor, welche unſchätzbaren Dienſte Humboldts reiche Bildung und ſein Redaktionstalent bei den Verfaſſungsberathungen leiſten könne. Der König ging auf den Gedanken ein, und auch Hardenberg hielt es für gerathen, ſeinen Nebenbuhler durch eine Stelle im Miniſterium zu be- ſchwichtigen; er fürchtete und ſagte es ihm ins Geſicht, daß Humboldt im Staatsrathe die Führung der Oppoſition übernehmen würde. So beſchloß man denn das Miniſterium des Innern in zwei Hälften zu theilen. Das Polizeiminiſterium ward aufgehoben und als eine Abtheilung mit Schuck- manns Departement vereinigt; dafür ſollte Schuckmann die Verwaltung der ſtändiſchen und der Communalangelegenheiten als ein beſonderes Miniſterium an Humboldt abtreten. Wittgenſtein blieb Mitglied des Staats- miniſteriums, verwaltete aber nur noch die Angelegenheiten des königlichen Hauſes, ſo daß er in einer unangreifbaren Stellung den weiteren Verlauf der Dinge abwarten und ſich jederzeit auf ſein unpolitiſches Amt zurück- ziehen konnte. Humboldt ſollte, nach der Abſicht des Königs, die laufenden Geſchäfte des Communalweſens führen, mit den alten Landtagen über ihr Schulden- und Armenweſen verhandeln, endlich bei der Ausarbeitung der Gemeinde-, Provinzial- und Landesverfaſſung im Einzelnen hilfreiche Hand leiſten. Die Feſtſtellung des Entwurfes behielt ſich Hardenberg ſelber vor, nach dem Rechte und der Pflicht ſeines Staatskanzleramts; nachdem er alle die Departements, welche er früher unmittelbar verwaltet, an Fachminiſter abgetreten hatte, blieb ihm nur noch die oberſte Leitung der geſammten Verwaltung, und dieſe verflüchtigte ſich in leeren Schein, ſobald auch der Entwurf der Verfaſſung einem Fachminiſter überlaſſen wurde. Eine in *) Humboldts Eingabe an den König, Aachen 13. Nov. 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/510>, abgerufen am 22.11.2024.