Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 8. Der Aachener Congreß. Gunst des Königs zu erwerben. Friedrich Wilhelm hatte ihn bisher immermit stillem Mißtrauen betrachtet; er vergaß es nicht, daß Metternich den preußischen Staat um Sachsen, die deutsche Nation um das Elsaß betrogen hatte. Hier in Aachen zum ersten male gestattete er dem Verdächtigen eine vertrauliche Annäherung. Der König empfand dunkel, daß ein unheim- licher Geist in der deutschen Jugend arbeitete und suchte, da er das Maß der Gefahr nicht übersah, nach einer zuverlässigen Belehrung, nach einer sicheren Stütze. Bei seinem russischen Freunde konnte er keinen Rath finden, denn der Czar befand sich selber in einem ähnlichen Zustande unbestimmter Besorgniß. Der greise Staatskanzler aber bot ein trauriges Bild körperlichen und sittlichen Verfalles. Hardenberg spielte auf dem Congresse eine untergeordnete Rolle, überließ die Geschäfte meist an Bern- storff, und der König sah voll Unmuths, wie die Somnambüle Hänel hier vor dem hohen Rathe Europas ihr Wesen trieb und der Wunder- mann Koreff mit der ganzen Aufgeblasenheit des jüdischen Emporkömm- lings politische Audienzen ertheilte. Nur Metternich erschien fest, sicher, ganz mit sich im Reinen, er allein wußte was er wollte; aus seiner Hal- tung sprach das Bewußtsein, daß er den ruhigsten, den bestgesicherten Staat Europas regiere. Gern wiederholte er jetzt den Ausspruch Talleyrands: "Oesterreich ist das Oberhaus Europas; so lange es nicht aufgelöst ist, zwingt es die Gemeinen zur Mäßigung." Im vorigen Jahre hatte er noch, aus Scheu vor der Souveränität der deutschen Kronen, die consti- tutionelle Bewegung sich selber überlassen wollen. Jetzt war von solchen Bedenken keine Rede mehr: die deutschen Jakobiner hatten seit dem Wart- burgfeste die Maske fallen lassen, nun galt es offenen Kampf. In wiederholten Gesprächen betheuerte er dem Könige: nach seiner II. 8. Der Aachener Congreß. Gunſt des Königs zu erwerben. Friedrich Wilhelm hatte ihn bisher immermit ſtillem Mißtrauen betrachtet; er vergaß es nicht, daß Metternich den preußiſchen Staat um Sachſen, die deutſche Nation um das Elſaß betrogen hatte. Hier in Aachen zum erſten male geſtattete er dem Verdächtigen eine vertrauliche Annäherung. Der König empfand dunkel, daß ein unheim- licher Geiſt in der deutſchen Jugend arbeitete und ſuchte, da er das Maß der Gefahr nicht überſah, nach einer zuverläſſigen Belehrung, nach einer ſicheren Stütze. Bei ſeinem ruſſiſchen Freunde konnte er keinen Rath finden, denn der Czar befand ſich ſelber in einem ähnlichen Zuſtande unbeſtimmter Beſorgniß. Der greiſe Staatskanzler aber bot ein trauriges Bild körperlichen und ſittlichen Verfalles. Hardenberg ſpielte auf dem Congreſſe eine untergeordnete Rolle, überließ die Geſchäfte meiſt an Bern- ſtorff, und der König ſah voll Unmuths, wie die Somnambüle Hänel hier vor dem hohen Rathe Europas ihr Weſen trieb und der Wunder- mann Koreff mit der ganzen Aufgeblaſenheit des jüdiſchen Emporkömm- lings politiſche Audienzen ertheilte. Nur Metternich erſchien feſt, ſicher, ganz mit ſich im Reinen, er allein wußte was er wollte; aus ſeiner Hal- tung ſprach das Bewußtſein, daß er den ruhigſten, den beſtgeſicherten Staat Europas regiere. Gern wiederholte er jetzt den Ausſpruch Talleyrands: „Oeſterreich iſt das Oberhaus Europas; ſo lange es nicht aufgelöſt iſt, zwingt es die Gemeinen zur Mäßigung.“ Im vorigen Jahre hatte er noch, aus Scheu vor der Souveränität der deutſchen Kronen, die conſti- tutionelle Bewegung ſich ſelber überlaſſen wollen. Jetzt war von ſolchen Bedenken keine Rede mehr: die deutſchen Jakobiner hatten ſeit dem Wart- burgfeſte die Maske fallen laſſen, nun galt es offenen Kampf. In wiederholten Geſprächen betheuerte er dem Könige: nach ſeiner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0502" n="488"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 8. Der Aachener Congreß.</fw><lb/> Gunſt des Königs zu erwerben. Friedrich Wilhelm hatte ihn bisher immer<lb/> mit ſtillem Mißtrauen betrachtet; er vergaß es nicht, daß Metternich den<lb/> preußiſchen Staat um Sachſen, die deutſche Nation um das Elſaß betrogen<lb/> hatte. Hier in Aachen zum erſten male geſtattete er dem Verdächtigen eine<lb/> vertrauliche Annäherung. Der König empfand dunkel, daß ein unheim-<lb/> licher Geiſt in der deutſchen Jugend arbeitete und ſuchte, da er das Maß<lb/> der Gefahr nicht überſah, nach einer zuverläſſigen Belehrung, nach einer<lb/> ſicheren Stütze. 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II. 8. Der Aachener Congreß.
Gunſt des Königs zu erwerben. Friedrich Wilhelm hatte ihn bisher immer
mit ſtillem Mißtrauen betrachtet; er vergaß es nicht, daß Metternich den
preußiſchen Staat um Sachſen, die deutſche Nation um das Elſaß betrogen
hatte. Hier in Aachen zum erſten male geſtattete er dem Verdächtigen eine
vertrauliche Annäherung. Der König empfand dunkel, daß ein unheim-
licher Geiſt in der deutſchen Jugend arbeitete und ſuchte, da er das Maß
der Gefahr nicht überſah, nach einer zuverläſſigen Belehrung, nach einer
ſicheren Stütze. Bei ſeinem ruſſiſchen Freunde konnte er keinen Rath
finden, denn der Czar befand ſich ſelber in einem ähnlichen Zuſtande
unbeſtimmter Beſorgniß. Der greiſe Staatskanzler aber bot ein trauriges
Bild körperlichen und ſittlichen Verfalles. Hardenberg ſpielte auf dem
Congreſſe eine untergeordnete Rolle, überließ die Geſchäfte meiſt an Bern-
ſtorff, und der König ſah voll Unmuths, wie die Somnambüle Hänel
hier vor dem hohen Rathe Europas ihr Weſen trieb und der Wunder-
mann Koreff mit der ganzen Aufgeblaſenheit des jüdiſchen Emporkömm-
lings politiſche Audienzen ertheilte. Nur Metternich erſchien feſt, ſicher,
ganz mit ſich im Reinen, er allein wußte was er wollte; aus ſeiner Hal-
tung ſprach das Bewußtſein, daß er den ruhigſten, den beſtgeſicherten
Staat Europas regiere. Gern wiederholte er jetzt den Ausſpruch Talleyrands:
„Oeſterreich iſt das Oberhaus Europas; ſo lange es nicht aufgelöſt iſt,
zwingt es die Gemeinen zur Mäßigung.“ Im vorigen Jahre hatte er
noch, aus Scheu vor der Souveränität der deutſchen Kronen, die conſti-
tutionelle Bewegung ſich ſelber überlaſſen wollen. Jetzt war von ſolchen
Bedenken keine Rede mehr: die deutſchen Jakobiner hatten ſeit dem Wart-
burgfeſte die Maske fallen laſſen, nun galt es offenen Kampf.
In wiederholten Geſprächen betheuerte er dem Könige: nach ſeiner
heiligen Ueberzeugung habe die revolutionäre Partei ihre Hochburg in
Preußen; ſie verzweige ſich bis in die höchſten Kreiſe des Heeres und des Be-
amtenthums; in der Hand des Königs liege mithin das Schickſal der
Welt; unfehlbar werde der Aufruhr durch ganz Europa dahinraſen, wenn
Preußens Regierung dem Beiſpiel der kleinen Höfe folge und ihrem Volke
eine „demagogiſche Verfaſſung“ bairiſchen Stiles gebe. Er bemerkte wohl,
daß ſeine Worte einigen Eindruck machten, doch klagte er bei ſeinem Kaiſer
über Friedrich Wilhelms bedauerliche Schwäche, da der geſunde Menſchen-
verſtand des Königs nicht ſogleich an alle die Wahngebilde der öſterreichi-
ſchen Geſpenſterfurcht glauben wollte. Unterdeſſen ſuchte Metternich auch
den Cabinetsrath Albrecht, einen treuen, fleißigen, hochconſervativen Be-
amten, für ſeine Anſicht zu gewinnen und rief ſodann den zuverläſſigſten
ſeiner preußiſchen Freunde, Wittgenſtein, zu Hilfe. Am 14. Nov. ſendete
er dem Fürſten von Aachen aus zwei große Denkſchriften „über die Lage
der preußiſchen Staaten“; beide Aktenſtücke waren beſtimmt, zur guten
Stunde durch Wittgenſtein dem Könige vorgelegt zu werden, doch erhielt
auch Hardenberg Anſtands halber eine vertrauliche Mittheilung. Von
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