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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Plan eines allgemeinen Garantie-Vertrags.
eine allgemeine gegenseitige Gewährleistung des europäischen Besitzstandes
einzugehen; denn der friedensseligen Welt war jedes Mittel zur Wahrung
des Bestehenden willkommen, und Metternich hoffte insgeheim, die all-
gemeine Garantie werde den beiden Ehrgeizigen, die er am meisten fürch-
tete, dem Czaren und dem preußischen Heere, einen Zaum anlegen. Aber
Lord Castlereagh widersprach entschieden. Mit einem so weit aussehenden
Vertrage durfte er dem Parlamente nicht unter die Augen treten; der
Plan lief auf die Befestigung der Heiligen Allianz hinaus und konnte
also nur ihrem Stifter, der den Briten längst zu mächtig war, zu gute
kommen. Auch die regelmäßigen Congresse erschienen der insularischen
Politik unannehmbar; nur auf gelegentliche Zusammenkünfte, je nach Zeit
und Umständen, wollte sie sich einlassen. Der Lord blieb unerschütterlich,
und da auch die beiden deutschen Mächte sich gestehen mußten, daß die
handfeste Quadrupel-Allianz mit ihren klaren, greifbaren Verpflichtungen
den europäischen Frieden ungleich wirksamer sicherte als der nebelhafte
Heilige Bund, so wurde die Berathung über den Garantievertrag vor-
läufig vertagt. Der Czar aber hielt die Hoffnung fest, daß die zarte
Psyche seines Lieblingswerkes dereinst noch einen Körper gewinnen sollte,
erinnerte seine Gesandten in einem Rundschreiben nochmals an die Grund-
sätze der heiligen Allianz und erklärte zum Abschied nachdrücklich: er sei
bereit sich jedem Garantie-Vertrage anzuschließen, welchen eine der vier
Mächte auf Grund der Ancillon'schen Denkschrift noch vorschlagen würde.*)

Auch bei manchen andern Fragen trat der alte Gegensatz der eng-
lischen und der russischen Politik wieder grell hervor. Da der Negerhandel
an der brasilianischen Küste nicht nachließ, so verlangte England das Recht,
alle des Sklavenhandels verdächtigen Fahrzeuge überall durch seine Kriegs-
schiffe durchsuchen zu lassen; Rußland aber und die sämmtlichen anderen
Mächte fanden diesen Anspruch allzu anmaßend, und Castlereagh mußte
zufrieden sein, als die drei Monarchen sich herbeiließen, den König von
Portugal in eigenhändigen Briefen zur Abstellung des Unwesens zu er-
mahnen.**) Andererseits konnten Rußland und Preußen ein gemeinsames
Vorgehen gegen die Barbaresken nicht durchsetzen, weil England keine
russischen Schiffe im Mittelmeere sehen wollte. Ebenso erfolglos blieb
ein Hilferuf des Madrider Hofes. Die alten Gönner der spanischen
Bourbonen, Rußland und Frankreich, wünschten, daß England die Ver-
mittlung zwischen dem Könige und seinen aufständischen Unterthanen in
Südamerika übernehmen, wo möglich auch die Vereinigten Staaten
von der Anerkennung der neuen creolischen Republiken abhalten sollte.
Wellington aber lehnte die Zumuthung ab. Er erkannte, daß König

*) Bernstorff an Lottum, 5., 23. Nov. 1818.
**) König Friedrich Wilhelm an den König von Portugal, 7. Nov. Bernstorff
an Lottum, 29. Okt., 9. Nov. 1818.

Plan eines allgemeinen Garantie-Vertrags.
eine allgemeine gegenſeitige Gewährleiſtung des europäiſchen Beſitzſtandes
einzugehen; denn der friedensſeligen Welt war jedes Mittel zur Wahrung
des Beſtehenden willkommen, und Metternich hoffte insgeheim, die all-
gemeine Garantie werde den beiden Ehrgeizigen, die er am meiſten fürch-
tete, dem Czaren und dem preußiſchen Heere, einen Zaum anlegen. Aber
Lord Caſtlereagh widerſprach entſchieden. Mit einem ſo weit ausſehenden
Vertrage durfte er dem Parlamente nicht unter die Augen treten; der
Plan lief auf die Befeſtigung der Heiligen Allianz hinaus und konnte
alſo nur ihrem Stifter, der den Briten längſt zu mächtig war, zu gute
kommen. Auch die regelmäßigen Congreſſe erſchienen der inſulariſchen
Politik unannehmbar; nur auf gelegentliche Zuſammenkünfte, je nach Zeit
und Umſtänden, wollte ſie ſich einlaſſen. Der Lord blieb unerſchütterlich,
und da auch die beiden deutſchen Mächte ſich geſtehen mußten, daß die
handfeſte Quadrupel-Allianz mit ihren klaren, greifbaren Verpflichtungen
den europäiſchen Frieden ungleich wirkſamer ſicherte als der nebelhafte
Heilige Bund, ſo wurde die Berathung über den Garantievertrag vor-
läufig vertagt. Der Czar aber hielt die Hoffnung feſt, daß die zarte
Pſyche ſeines Lieblingswerkes dereinſt noch einen Körper gewinnen ſollte,
erinnerte ſeine Geſandten in einem Rundſchreiben nochmals an die Grund-
ſätze der heiligen Allianz und erklärte zum Abſchied nachdrücklich: er ſei
bereit ſich jedem Garantie-Vertrage anzuſchließen, welchen eine der vier
Mächte auf Grund der Ancillon’ſchen Denkſchrift noch vorſchlagen würde.*)

Auch bei manchen andern Fragen trat der alte Gegenſatz der eng-
liſchen und der ruſſiſchen Politik wieder grell hervor. Da der Negerhandel
an der braſilianiſchen Küſte nicht nachließ, ſo verlangte England das Recht,
alle des Sklavenhandels verdächtigen Fahrzeuge überall durch ſeine Kriegs-
ſchiffe durchſuchen zu laſſen; Rußland aber und die ſämmtlichen anderen
Mächte fanden dieſen Anſpruch allzu anmaßend, und Caſtlereagh mußte
zufrieden ſein, als die drei Monarchen ſich herbeiließen, den König von
Portugal in eigenhändigen Briefen zur Abſtellung des Unweſens zu er-
mahnen.**) Andererſeits konnten Rußland und Preußen ein gemeinſames
Vorgehen gegen die Barbaresken nicht durchſetzen, weil England keine
ruſſiſchen Schiffe im Mittelmeere ſehen wollte. Ebenſo erfolglos blieb
ein Hilferuf des Madrider Hofes. Die alten Gönner der ſpaniſchen
Bourbonen, Rußland und Frankreich, wünſchten, daß England die Ver-
mittlung zwiſchen dem Könige und ſeinen aufſtändiſchen Unterthanen in
Südamerika übernehmen, wo möglich auch die Vereinigten Staaten
von der Anerkennung der neuen creoliſchen Republiken abhalten ſollte.
Wellington aber lehnte die Zumuthung ab. Er erkannte, daß König

*) Bernſtorff an Lottum, 5., 23. Nov. 1818.
**) König Friedrich Wilhelm an den König von Portugal, 7. Nov. Bernſtorff
an Lottum, 29. Okt., 9. Nov. 1818.
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[475/0489] Plan eines allgemeinen Garantie-Vertrags. eine allgemeine gegenſeitige Gewährleiſtung des europäiſchen Beſitzſtandes einzugehen; denn der friedensſeligen Welt war jedes Mittel zur Wahrung des Beſtehenden willkommen, und Metternich hoffte insgeheim, die all- gemeine Garantie werde den beiden Ehrgeizigen, die er am meiſten fürch- tete, dem Czaren und dem preußiſchen Heere, einen Zaum anlegen. Aber Lord Caſtlereagh widerſprach entſchieden. Mit einem ſo weit ausſehenden Vertrage durfte er dem Parlamente nicht unter die Augen treten; der Plan lief auf die Befeſtigung der Heiligen Allianz hinaus und konnte alſo nur ihrem Stifter, der den Briten längſt zu mächtig war, zu gute kommen. Auch die regelmäßigen Congreſſe erſchienen der inſulariſchen Politik unannehmbar; nur auf gelegentliche Zuſammenkünfte, je nach Zeit und Umſtänden, wollte ſie ſich einlaſſen. Der Lord blieb unerſchütterlich, und da auch die beiden deutſchen Mächte ſich geſtehen mußten, daß die handfeſte Quadrupel-Allianz mit ihren klaren, greifbaren Verpflichtungen den europäiſchen Frieden ungleich wirkſamer ſicherte als der nebelhafte Heilige Bund, ſo wurde die Berathung über den Garantievertrag vor- läufig vertagt. Der Czar aber hielt die Hoffnung feſt, daß die zarte Pſyche ſeines Lieblingswerkes dereinſt noch einen Körper gewinnen ſollte, erinnerte ſeine Geſandten in einem Rundſchreiben nochmals an die Grund- ſätze der heiligen Allianz und erklärte zum Abſchied nachdrücklich: er ſei bereit ſich jedem Garantie-Vertrage anzuſchließen, welchen eine der vier Mächte auf Grund der Ancillon’ſchen Denkſchrift noch vorſchlagen würde. *) Auch bei manchen andern Fragen trat der alte Gegenſatz der eng- liſchen und der ruſſiſchen Politik wieder grell hervor. Da der Negerhandel an der braſilianiſchen Küſte nicht nachließ, ſo verlangte England das Recht, alle des Sklavenhandels verdächtigen Fahrzeuge überall durch ſeine Kriegs- ſchiffe durchſuchen zu laſſen; Rußland aber und die ſämmtlichen anderen Mächte fanden dieſen Anſpruch allzu anmaßend, und Caſtlereagh mußte zufrieden ſein, als die drei Monarchen ſich herbeiließen, den König von Portugal in eigenhändigen Briefen zur Abſtellung des Unweſens zu er- mahnen. **) Andererſeits konnten Rußland und Preußen ein gemeinſames Vorgehen gegen die Barbaresken nicht durchſetzen, weil England keine ruſſiſchen Schiffe im Mittelmeere ſehen wollte. Ebenſo erfolglos blieb ein Hilferuf des Madrider Hofes. Die alten Gönner der ſpaniſchen Bourbonen, Rußland und Frankreich, wünſchten, daß England die Ver- mittlung zwiſchen dem Könige und ſeinen aufſtändiſchen Unterthanen in Südamerika übernehmen, wo möglich auch die Vereinigten Staaten von der Anerkennung der neuen creoliſchen Republiken abhalten ſollte. Wellington aber lehnte die Zumuthung ab. Er erkannte, daß König *) Bernſtorff an Lottum, 5., 23. Nov. 1818. **) König Friedrich Wilhelm an den König von Portugal, 7. Nov. Bernſtorff an Lottum, 29. Okt., 9. Nov. 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/489>, abgerufen am 25.11.2024.