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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Gentz.
über alles Maß hinaus hatte er dies Recht mißbraucht; die ungeheueren
Summen, die er mit unbeschämter Stirn von den großen Höfen, von
den Rothschilds, von den Hospodaren der Wallachei bezog, genügten noch
immer nicht für die unsinnige Verschwendung des weibisch verwöhnten,
in allen erdenklichen Lüsten abgetriebenen und entnervten Mannes. Jahre-
lang hatte man in der Hofburg nur seine Feder benutzt ohne ihn in
alle Geheimnisse einzuweihen. Erst seit dem Wiener und dem zweiten
Pariser Congresse erlangte er bei Metternich jene Vertrauensstellung,
deren er sich schon früher fälschlich zu rühmen pflegte; für Kaiser Franz
blieb er freilich bis zu seinem Tode nur der ausländische Plebejer. Die
Zeit des Aachener Congresses nannte er selbst den Kulminationspunkt seines
Lebens; alle Höfe überschütteten ihn mit Auszeichnungen und Geschenken,
Freund und Feind erkannten ihn als den Publicisten des europäischen
Bundes an. Im Bewußtsein seiner umfassenden Sachkenntniß blickte
er mit ingrimmiger Verachtung auf das dilettirende politische Gerede
der Abgeordneten, Professoren und Zeitungsschreiber hernieder. Niemals
wollte er zugeben, daß sich aus den Ansichten so vieler Halbwisser schließlich
doch eine öffentliche Meinung herausbildet, die selbst in ihren Ver-
irrungen noch eine reale Macht bleibt und zuweilen ebenso unwider-
stehlich wirkt, wie das auch aus den Ansichten von Nichtkennern hervor-
gehende Urtheil des Publikums im Schauspielhause. Wie fühlte er sich
glücklich, "daß es doch endlich wieder diplomatische Geheimnisse gab", daß
die Cabinette beschlossen hatten, diesmal die Congreßverhandlungen sorg-
fältiger als es in Wien geschehen vor den Blicken der Uneingeweihten
zu behüten. Durch Zwang und Strafen sollte der große Haufe der
Unberufenen die Lust verlieren sich in die Arbeit der politischen Zunft
einzumischen. Mit rechter Herzensfreude nahm Gentz jetzt jene preußische
Denkschrift über das Bundespreßgesetz, welche Jordan im vorigen Jahre
vergeblich nach Wien gebracht hatte, wieder vor und begann sie im öster-
reichischen Sinne umzugestalten; dem Meister der Feder war kein Mittel
hart genug, das die Zeitungen zum Schweigen bringen konnte.

Noch schrecklicher als die Licenz der Presse schien ihm, so gesteht er
selbst, "das größte aller Uebel, das Burschenunwesen." Jene rührende
Begeisterung für Deutschlands Einheit, welche selbst die Thorheiten der
brausenden Jugend noch entschuldbar erscheinen ließ, war für die Oester-
reicher natürlich nur ein Grund mehr zur Verdammniß. Dazu der
Abscheu dieser verweichlichten und verzärtelten aristokratischen Welt gegen
die derben akademischen Sitten, von deren Roheit man sich in der Hof-
burg Wunderdinge erzählte: sogar Arndt war nach Metternichs Mei-
nung ein wüster Trunkenbold. Dazu endlich und vor Allem die memmen-
hafte Furcht: selbst der Hahnenschrei und das Schnattern der Gänse,
selbst das Rollen des Donners und alle die andern Schrecknisse, mit
denen die grausame Natur die reizbaren Nerven des Wiener Hofpubli-

Gentz.
über alles Maß hinaus hatte er dies Recht mißbraucht; die ungeheueren
Summen, die er mit unbeſchämter Stirn von den großen Höfen, von
den Rothſchilds, von den Hospodaren der Wallachei bezog, genügten noch
immer nicht für die unſinnige Verſchwendung des weibiſch verwöhnten,
in allen erdenklichen Lüſten abgetriebenen und entnervten Mannes. Jahre-
lang hatte man in der Hofburg nur ſeine Feder benutzt ohne ihn in
alle Geheimniſſe einzuweihen. Erſt ſeit dem Wiener und dem zweiten
Pariſer Congreſſe erlangte er bei Metternich jene Vertrauensſtellung,
deren er ſich ſchon früher fälſchlich zu rühmen pflegte; für Kaiſer Franz
blieb er freilich bis zu ſeinem Tode nur der ausländiſche Plebejer. Die
Zeit des Aachener Congreſſes nannte er ſelbſt den Kulminationspunkt ſeines
Lebens; alle Höfe überſchütteten ihn mit Auszeichnungen und Geſchenken,
Freund und Feind erkannten ihn als den Publiciſten des europäiſchen
Bundes an. Im Bewußtſein ſeiner umfaſſenden Sachkenntniß blickte
er mit ingrimmiger Verachtung auf das dilettirende politiſche Gerede
der Abgeordneten, Profeſſoren und Zeitungsſchreiber hernieder. Niemals
wollte er zugeben, daß ſich aus den Anſichten ſo vieler Halbwiſſer ſchließlich
doch eine öffentliche Meinung herausbildet, die ſelbſt in ihren Ver-
irrungen noch eine reale Macht bleibt und zuweilen ebenſo unwider-
ſtehlich wirkt, wie das auch aus den Anſichten von Nichtkennern hervor-
gehende Urtheil des Publikums im Schauſpielhauſe. Wie fühlte er ſich
glücklich, „daß es doch endlich wieder diplomatiſche Geheimniſſe gab“, daß
die Cabinette beſchloſſen hatten, diesmal die Congreßverhandlungen ſorg-
fältiger als es in Wien geſchehen vor den Blicken der Uneingeweihten
zu behüten. Durch Zwang und Strafen ſollte der große Haufe der
Unberufenen die Luſt verlieren ſich in die Arbeit der politiſchen Zunft
einzumiſchen. Mit rechter Herzensfreude nahm Gentz jetzt jene preußiſche
Denkſchrift über das Bundespreßgeſetz, welche Jordan im vorigen Jahre
vergeblich nach Wien gebracht hatte, wieder vor und begann ſie im öſter-
reichiſchen Sinne umzugeſtalten; dem Meiſter der Feder war kein Mittel
hart genug, das die Zeitungen zum Schweigen bringen konnte.

Noch ſchrecklicher als die Licenz der Preſſe ſchien ihm, ſo geſteht er
ſelbſt, „das größte aller Uebel, das Burſchenunweſen.“ Jene rührende
Begeiſterung für Deutſchlands Einheit, welche ſelbſt die Thorheiten der
brauſenden Jugend noch entſchuldbar erſcheinen ließ, war für die Oeſter-
reicher natürlich nur ein Grund mehr zur Verdammniß. Dazu der
Abſcheu dieſer verweichlichten und verzärtelten ariſtokratiſchen Welt gegen
die derben akademiſchen Sitten, von deren Roheit man ſich in der Hof-
burg Wunderdinge erzählte: ſogar Arndt war nach Metternichs Mei-
nung ein wüſter Trunkenbold. Dazu endlich und vor Allem die memmen-
hafte Furcht: ſelbſt der Hahnenſchrei und das Schnattern der Gänſe,
ſelbſt das Rollen des Donners und alle die andern Schreckniſſe, mit
denen die grauſame Natur die reizbaren Nerven des Wiener Hofpubli-

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[463/0477] Gentz. über alles Maß hinaus hatte er dies Recht mißbraucht; die ungeheueren Summen, die er mit unbeſchämter Stirn von den großen Höfen, von den Rothſchilds, von den Hospodaren der Wallachei bezog, genügten noch immer nicht für die unſinnige Verſchwendung des weibiſch verwöhnten, in allen erdenklichen Lüſten abgetriebenen und entnervten Mannes. Jahre- lang hatte man in der Hofburg nur ſeine Feder benutzt ohne ihn in alle Geheimniſſe einzuweihen. Erſt ſeit dem Wiener und dem zweiten Pariſer Congreſſe erlangte er bei Metternich jene Vertrauensſtellung, deren er ſich ſchon früher fälſchlich zu rühmen pflegte; für Kaiſer Franz blieb er freilich bis zu ſeinem Tode nur der ausländiſche Plebejer. Die Zeit des Aachener Congreſſes nannte er ſelbſt den Kulminationspunkt ſeines Lebens; alle Höfe überſchütteten ihn mit Auszeichnungen und Geſchenken, Freund und Feind erkannten ihn als den Publiciſten des europäiſchen Bundes an. Im Bewußtſein ſeiner umfaſſenden Sachkenntniß blickte er mit ingrimmiger Verachtung auf das dilettirende politiſche Gerede der Abgeordneten, Profeſſoren und Zeitungsſchreiber hernieder. Niemals wollte er zugeben, daß ſich aus den Anſichten ſo vieler Halbwiſſer ſchließlich doch eine öffentliche Meinung herausbildet, die ſelbſt in ihren Ver- irrungen noch eine reale Macht bleibt und zuweilen ebenſo unwider- ſtehlich wirkt, wie das auch aus den Anſichten von Nichtkennern hervor- gehende Urtheil des Publikums im Schauſpielhauſe. Wie fühlte er ſich glücklich, „daß es doch endlich wieder diplomatiſche Geheimniſſe gab“, daß die Cabinette beſchloſſen hatten, diesmal die Congreßverhandlungen ſorg- fältiger als es in Wien geſchehen vor den Blicken der Uneingeweihten zu behüten. Durch Zwang und Strafen ſollte der große Haufe der Unberufenen die Luſt verlieren ſich in die Arbeit der politiſchen Zunft einzumiſchen. Mit rechter Herzensfreude nahm Gentz jetzt jene preußiſche Denkſchrift über das Bundespreßgeſetz, welche Jordan im vorigen Jahre vergeblich nach Wien gebracht hatte, wieder vor und begann ſie im öſter- reichiſchen Sinne umzugeſtalten; dem Meiſter der Feder war kein Mittel hart genug, das die Zeitungen zum Schweigen bringen konnte. Noch ſchrecklicher als die Licenz der Preſſe ſchien ihm, ſo geſteht er ſelbſt, „das größte aller Uebel, das Burſchenunweſen.“ Jene rührende Begeiſterung für Deutſchlands Einheit, welche ſelbſt die Thorheiten der brauſenden Jugend noch entſchuldbar erſcheinen ließ, war für die Oeſter- reicher natürlich nur ein Grund mehr zur Verdammniß. Dazu der Abſcheu dieſer verweichlichten und verzärtelten ariſtokratiſchen Welt gegen die derben akademiſchen Sitten, von deren Roheit man ſich in der Hof- burg Wunderdinge erzählte: ſogar Arndt war nach Metternichs Mei- nung ein wüſter Trunkenbold. Dazu endlich und vor Allem die memmen- hafte Furcht: ſelbſt der Hahnenſchrei und das Schnattern der Gänſe, ſelbſt das Rollen des Donners und alle die andern Schreckniſſe, mit denen die grauſame Natur die reizbaren Nerven des Wiener Hofpubli-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/477>, abgerufen am 26.11.2024.