Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 8. Der Aachener Congreß. Gemeindebehörden der Hauptstadt wurden ungebärdig, weil Niemand ausder Residenz bei der Befragung der Notabeln zugezogen worden war, und mahnten in mehrfachen Eingaben an das königliche Wort, worauf ihnen der Bescheid wurde, daß "wiederholte Erinnerungen unangemessen erschienen".*) Hardenberg konnte sich nicht mehr verhehlen, daß er endlich selber Es war ein Meisterstreich Wittgensteins. Der schlaue Hofmann *) Eingabe des Großen Ausschusses der kur- und neumärkischen Ritterschaft, 17. März; Antwort des Königs, 28. März; Bericht der Merseburger Regierung, 28. Juni; Schreiben der Berliner Stadtverordneten, 15. Januar; Bericht der Berliner Regierung, 16. Febr. 1818. **) Hardenbergs Tagebuch, 6. Mai; Hardenberg an den König, 25. und 30. Mai;
Cabinetsordre an Hardenberg, 16. Sept. 1818. II. 8. Der Aachener Congreß. Gemeindebehörden der Hauptſtadt wurden ungebärdig, weil Niemand ausder Reſidenz bei der Befragung der Notabeln zugezogen worden war, und mahnten in mehrfachen Eingaben an das königliche Wort, worauf ihnen der Beſcheid wurde, daß „wiederholte Erinnerungen unangemeſſen erſchienen“.*) Hardenberg konnte ſich nicht mehr verhehlen, daß er endlich ſelber Es war ein Meiſterſtreich Wittgenſteins. Der ſchlaue Hofmann *) Eingabe des Großen Ausſchuſſes der kur- und neumärkiſchen Ritterſchaft, 17. März; Antwort des Königs, 28. März; Bericht der Merſeburger Regierung, 28. Juni; Schreiben der Berliner Stadtverordneten, 15. Januar; Bericht der Berliner Regierung, 16. Febr. 1818. **) Hardenbergs Tagebuch, 6. Mai; Hardenberg an den König, 25. und 30. Mai;
Cabinetsordre an Hardenberg, 16. Sept. 1818. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0472" n="458"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 8. Der Aachener Congreß.</fw><lb/> Gemeindebehörden der Hauptſtadt wurden ungebärdig, weil Niemand aus<lb/> der Reſidenz bei der Befragung der Notabeln zugezogen worden war,<lb/> und mahnten in mehrfachen Eingaben an das königliche Wort, worauf<lb/> ihnen der Beſcheid wurde, daß „wiederholte Erinnerungen unangemeſſen<lb/> erſchienen“.<note place="foot" n="*)">Eingabe des Großen Ausſchuſſes der kur- und neumärkiſchen Ritterſchaft,<lb/> 17. März; Antwort des Königs, 28. März; Bericht der Merſeburger Regierung,<lb/> 28. Juni; Schreiben der Berliner Stadtverordneten, 15. Januar; Bericht der Berliner<lb/> Regierung, 16. Febr. 1818.</note></p><lb/> <p>Hardenberg konnte ſich nicht mehr verhehlen, daß er endlich ſelber<lb/> Hand an’s Werk legen mußte. Aber woher die Zeit und die Kraft für<lb/> die Verfaſſungsarbeit nehmen inmitten der Unmaſſe von Geſchäften, die<lb/> den Alternden faſt erdrückte? Da half ihm Wittgenſtein, dem er arglos<lb/> ſeine Sorgen anvertraute, mit einem freundlichen Rathe aus (6. Mai).<lb/> Der Fürſt empfahl die Anſtellung von zwei neuen Miniſtern als zweiten<lb/> Chefs für die beiden Departements, welche der Staatskanzler bisher noch<lb/> unmittelbar leitete; für die General-Controle ſchlug er den Grafen Lottum<lb/> vor, einen wohlmeinenden Mann, der politiſch wenig bedeutete, für das<lb/> auswärtige Amt den däniſchen Geſandten in Berlin, Graf Chriſtian<lb/> Bernſtorff. Da Hardenberg mit Bernſtorff ſeit Jahren nahe befreundet<lb/> war, ſo ging er unbedenklich auf den Gedanken ein und ſchrieb am<lb/> 25. Mai dem Könige: er fühle die Laſt ſeiner achtundſechzig Jahre und<lb/> halte ſich auch verpflichtet vorzuſorgen „für den täglichen Fall, daß Gott<lb/> über mich geböte“. Das Staatskanzleramt wolle er bis zu ſeinem Ende<lb/> fortführen, aber einen Nachfolger für dieſen Poſten wiſſe er ſchlechter-<lb/> dings nicht zu nennen; am einfachſten alſo, wenn jetzt ſchon Miniſter<lb/> für ſämmtliche Departements ernannt würden, damit nach ſeinem Ab-<lb/> leben Alles ungeſtört weiter gehe. Darauf folgten die Vorſchläge, die<lb/> er „mit ſeinem bewährten Freunde Wittgenſtein“ beſprochen hatte. Der<lb/> König, der den Grafen Bernſtorff ebenfalls von Jugend auf kannte und<lb/> ſchätzte, genehmigte den Antrag, und nachdem der anfangs lebhaft über-<lb/> raſchte däniſche Geſandte die Erlaubniß ſeines Monarchen eingeholt,<lb/> wurde die Aenderung am 16. September durch ein überaus gnädiges<lb/> Schreiben des Königs an den Staatskanzler förmlich vollzogen.<note place="foot" n="**)">Hardenbergs Tagebuch, 6. Mai; Hardenberg an den König, 25. und 30. Mai;<lb/> Cabinetsordre an Hardenberg, 16. Sept. 1818.</note></p><lb/> <p>Es war ein Meiſterſtreich Wittgenſteins. Der ſchlaue Hofmann<lb/> hatte einen Plan, der ſeine Spitze unzweifelhaft gegen den Staatskanzler<lb/> richtete, ſo geſchickt eingefädelt, daß dem Könige wie dem Staatskanzler<lb/> ſelber Alles als Hardenbergs eigenes Werk erſcheinen mußte. Die Be-<lb/> ſetzung des auswärtigen Amtes bot große Schwierigkeiten; denn das diplo-<lb/> matiſche Corps Preußens beſaß in jenem Augenblicke neben vielen brauch-<lb/> baren Diplomaten zweiten Ranges, die faſt durchweg gute Geſandtſchafts-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [458/0472]
II. 8. Der Aachener Congreß.
Gemeindebehörden der Hauptſtadt wurden ungebärdig, weil Niemand aus
der Reſidenz bei der Befragung der Notabeln zugezogen worden war,
und mahnten in mehrfachen Eingaben an das königliche Wort, worauf
ihnen der Beſcheid wurde, daß „wiederholte Erinnerungen unangemeſſen
erſchienen“. *)
Hardenberg konnte ſich nicht mehr verhehlen, daß er endlich ſelber
Hand an’s Werk legen mußte. Aber woher die Zeit und die Kraft für
die Verfaſſungsarbeit nehmen inmitten der Unmaſſe von Geſchäften, die
den Alternden faſt erdrückte? Da half ihm Wittgenſtein, dem er arglos
ſeine Sorgen anvertraute, mit einem freundlichen Rathe aus (6. Mai).
Der Fürſt empfahl die Anſtellung von zwei neuen Miniſtern als zweiten
Chefs für die beiden Departements, welche der Staatskanzler bisher noch
unmittelbar leitete; für die General-Controle ſchlug er den Grafen Lottum
vor, einen wohlmeinenden Mann, der politiſch wenig bedeutete, für das
auswärtige Amt den däniſchen Geſandten in Berlin, Graf Chriſtian
Bernſtorff. Da Hardenberg mit Bernſtorff ſeit Jahren nahe befreundet
war, ſo ging er unbedenklich auf den Gedanken ein und ſchrieb am
25. Mai dem Könige: er fühle die Laſt ſeiner achtundſechzig Jahre und
halte ſich auch verpflichtet vorzuſorgen „für den täglichen Fall, daß Gott
über mich geböte“. Das Staatskanzleramt wolle er bis zu ſeinem Ende
fortführen, aber einen Nachfolger für dieſen Poſten wiſſe er ſchlechter-
dings nicht zu nennen; am einfachſten alſo, wenn jetzt ſchon Miniſter
für ſämmtliche Departements ernannt würden, damit nach ſeinem Ab-
leben Alles ungeſtört weiter gehe. Darauf folgten die Vorſchläge, die
er „mit ſeinem bewährten Freunde Wittgenſtein“ beſprochen hatte. Der
König, der den Grafen Bernſtorff ebenfalls von Jugend auf kannte und
ſchätzte, genehmigte den Antrag, und nachdem der anfangs lebhaft über-
raſchte däniſche Geſandte die Erlaubniß ſeines Monarchen eingeholt,
wurde die Aenderung am 16. September durch ein überaus gnädiges
Schreiben des Königs an den Staatskanzler förmlich vollzogen. **)
Es war ein Meiſterſtreich Wittgenſteins. Der ſchlaue Hofmann
hatte einen Plan, der ſeine Spitze unzweifelhaft gegen den Staatskanzler
richtete, ſo geſchickt eingefädelt, daß dem Könige wie dem Staatskanzler
ſelber Alles als Hardenbergs eigenes Werk erſcheinen mußte. Die Be-
ſetzung des auswärtigen Amtes bot große Schwierigkeiten; denn das diplo-
matiſche Corps Preußens beſaß in jenem Augenblicke neben vielen brauch-
baren Diplomaten zweiten Ranges, die faſt durchweg gute Geſandtſchafts-
*) Eingabe des Großen Ausſchuſſes der kur- und neumärkiſchen Ritterſchaft,
17. März; Antwort des Königs, 28. März; Bericht der Merſeburger Regierung,
28. Juni; Schreiben der Berliner Stadtverordneten, 15. Januar; Bericht der Berliner
Regierung, 16. Febr. 1818.
**) Hardenbergs Tagebuch, 6. Mai; Hardenberg an den König, 25. und 30. Mai;
Cabinetsordre an Hardenberg, 16. Sept. 1818.
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