Parteien unzweifelhaft sofort erlegen, und was sollte werden, wenn die Ultras wieder ans Ruder kamen?
Daher erklärte sich selbst Hardenberg, auf die flehentlichen Bitten des französischen Gesandten, endlich bereit in ein Abkommen zu willigen, wenn die betheiligten deutschen Höfe zustimmten; nur dürfe die Herabsetzung der Forderungen ein billiges Maß nicht überschreiten, weil die Unzufrieden- heit der enttäuschten Gläubiger, namentlich in den neugewonnenen deutschen Ländern ernstlich zu fürchten sei.*) Aber inzwischen hatte Czar Alexander wieder einmal auf Kosten der Bundesgenossen seine Großmuth leuchten lassen und dem Tuilerienhofe eigenmächtig die Herabminderung der Rech- nung versprochen. Er setzte durch, daß die Entscheidung in die Hände der Pariser Gesandtenconferenz gelegt wurde, und hier befand sich Preußen wieder in der nämlichen ungünstigen Lage wie auf den beiden Friedens- congressen: sein Gesandter stand Einer gegen Drei, als der einzige Hei- schende unter lauter Nachgiebigen, und erreichte nur so viel, daß seine Verbündeten die Vorschläge Richelieus, der eine Zahlung von 200 Mill. anbot, nicht ohne Weiteres annahmen. Durch Wellingtons Vermittlung kam endlich am 25. April 1818 ein Vertrag zu Stande, kraft dessen die Krone Frankreich für alle noch unerledigten Forderungen 240,8 Mill Fr. in Rentenbriefen (eine Rente von 12,04 Mill.) binnen Jahresfrist zahlen sollte. Bei der Vertheilung der Summe nahm Wellington, dem alt- englischen Brauche getreu, für sein Land sofort ein Viertel der 12 Mill. Rente in Anspruch, so daß die englischen Gläubiger fast vollständig be- friedigt wurden, während die deutschen sich mit einem Sechstel ihrer For- derungen begnügen mußten. Dergestalt ward eine feierliche Versprechung des Pariser Friedensvertrags durch einen Machtspruch Englands, Rußlands und Oesterreichs, gegen Preußens Widerspruch und ohne jede Anfrage bei den kleinen Höfen, großentheils zurückgenommen. Frankreichs auswärtige Gläubiger erlitten eine Einbuße von 800 Mill. Die Geschädigten klagten laut, die liberale Presse Deutschlands erging sich in bitteren Vorwürfen gegen die "heilige Allianz", die man stets für die Thaten des Vier- bundes verantwortlich machte. Wieder und wieder mußte die deutsche Nation erfahren, daß sie die Sicherung ihrer Rechte allein von ihrer eigenen Macht, nicht von dem guten Willen ihrer Verbündeten erwarten durfte.
Mit Alledem war die Großmuth des Czaren gegen die Bourbonen noch nicht erschöpft. Richelieu hegte seit Langem den Wunsch, daß mit der Occupation auch die in der That unnatürliche, demüthigende Aus- nahmestellung, welche Frankreich jetzt noch unter den großen Mächten ein- nahm, ein Ende finden würde. Er hoffte, der Aachener Congreß werde die Krone Frankreich zum Eintritt in den Vierbund einladen und also die alte Gleichberechtigung der Großmächte wieder herstellen. Unbedenklich
Parteien unzweifelhaft ſofort erlegen, und was ſollte werden, wenn die Ultras wieder ans Ruder kamen?
Daher erklärte ſich ſelbſt Hardenberg, auf die flehentlichen Bitten des franzöſiſchen Geſandten, endlich bereit in ein Abkommen zu willigen, wenn die betheiligten deutſchen Höfe zuſtimmten; nur dürfe die Herabſetzung der Forderungen ein billiges Maß nicht überſchreiten, weil die Unzufrieden- heit der enttäuſchten Gläubiger, namentlich in den neugewonnenen deutſchen Ländern ernſtlich zu fürchten ſei.*) Aber inzwiſchen hatte Czar Alexander wieder einmal auf Koſten der Bundesgenoſſen ſeine Großmuth leuchten laſſen und dem Tuilerienhofe eigenmächtig die Herabminderung der Rech- nung verſprochen. Er ſetzte durch, daß die Entſcheidung in die Hände der Pariſer Geſandtenconferenz gelegt wurde, und hier befand ſich Preußen wieder in der nämlichen ungünſtigen Lage wie auf den beiden Friedens- congreſſen: ſein Geſandter ſtand Einer gegen Drei, als der einzige Hei- ſchende unter lauter Nachgiebigen, und erreichte nur ſo viel, daß ſeine Verbündeten die Vorſchläge Richelieus, der eine Zahlung von 200 Mill. anbot, nicht ohne Weiteres annahmen. Durch Wellingtons Vermittlung kam endlich am 25. April 1818 ein Vertrag zu Stande, kraft deſſen die Krone Frankreich für alle noch unerledigten Forderungen 240,8 Mill Fr. in Rentenbriefen (eine Rente von 12,04 Mill.) binnen Jahresfriſt zahlen ſollte. Bei der Vertheilung der Summe nahm Wellington, dem alt- engliſchen Brauche getreu, für ſein Land ſofort ein Viertel der 12 Mill. Rente in Anſpruch, ſo daß die engliſchen Gläubiger faſt vollſtändig be- friedigt wurden, während die deutſchen ſich mit einem Sechſtel ihrer For- derungen begnügen mußten. Dergeſtalt ward eine feierliche Verſprechung des Pariſer Friedensvertrags durch einen Machtſpruch Englands, Rußlands und Oeſterreichs, gegen Preußens Widerſpruch und ohne jede Anfrage bei den kleinen Höfen, großentheils zurückgenommen. Frankreichs auswärtige Gläubiger erlitten eine Einbuße von 800 Mill. Die Geſchädigten klagten laut, die liberale Preſſe Deutſchlands erging ſich in bitteren Vorwürfen gegen die „heilige Allianz“, die man ſtets für die Thaten des Vier- bundes verantwortlich machte. Wieder und wieder mußte die deutſche Nation erfahren, daß ſie die Sicherung ihrer Rechte allein von ihrer eigenen Macht, nicht von dem guten Willen ihrer Verbündeten erwarten durfte.
Mit Alledem war die Großmuth des Czaren gegen die Bourbonen noch nicht erſchöpft. Richelieu hegte ſeit Langem den Wunſch, daß mit der Occupation auch die in der That unnatürliche, demüthigende Aus- nahmeſtellung, welche Frankreich jetzt noch unter den großen Mächten ein- nahm, ein Ende finden würde. Er hoffte, der Aachener Congreß werde die Krone Frankreich zum Eintritt in den Vierbund einladen und alſo die alte Gleichberechtigung der Großmächte wieder herſtellen. Unbedenklich
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Vertrag über die franzöſiſchen Schulden.
Parteien unzweifelhaft ſofort erlegen, und was ſollte werden, wenn die
Ultras wieder ans Ruder kamen?
Daher erklärte ſich ſelbſt Hardenberg, auf die flehentlichen Bitten des
franzöſiſchen Geſandten, endlich bereit in ein Abkommen zu willigen, wenn
die betheiligten deutſchen Höfe zuſtimmten; nur dürfe die Herabſetzung
der Forderungen ein billiges Maß nicht überſchreiten, weil die Unzufrieden-
heit der enttäuſchten Gläubiger, namentlich in den neugewonnenen deutſchen
Ländern ernſtlich zu fürchten ſei. *) Aber inzwiſchen hatte Czar Alexander
wieder einmal auf Koſten der Bundesgenoſſen ſeine Großmuth leuchten
laſſen und dem Tuilerienhofe eigenmächtig die Herabminderung der Rech-
nung verſprochen. Er ſetzte durch, daß die Entſcheidung in die Hände
der Pariſer Geſandtenconferenz gelegt wurde, und hier befand ſich Preußen
wieder in der nämlichen ungünſtigen Lage wie auf den beiden Friedens-
congreſſen: ſein Geſandter ſtand Einer gegen Drei, als der einzige Hei-
ſchende unter lauter Nachgiebigen, und erreichte nur ſo viel, daß ſeine
Verbündeten die Vorſchläge Richelieus, der eine Zahlung von 200 Mill.
anbot, nicht ohne Weiteres annahmen. Durch Wellingtons Vermittlung
kam endlich am 25. April 1818 ein Vertrag zu Stande, kraft deſſen die
Krone Frankreich für alle noch unerledigten Forderungen 240,8 Mill Fr.
in Rentenbriefen (eine Rente von 12,04 Mill.) binnen Jahresfriſt zahlen
ſollte. Bei der Vertheilung der Summe nahm Wellington, dem alt-
engliſchen Brauche getreu, für ſein Land ſofort ein Viertel der 12 Mill.
Rente in Anſpruch, ſo daß die engliſchen Gläubiger faſt vollſtändig be-
friedigt wurden, während die deutſchen ſich mit einem Sechſtel ihrer For-
derungen begnügen mußten. Dergeſtalt ward eine feierliche Verſprechung
des Pariſer Friedensvertrags durch einen Machtſpruch Englands, Rußlands
und Oeſterreichs, gegen Preußens Widerſpruch und ohne jede Anfrage bei
den kleinen Höfen, großentheils zurückgenommen. Frankreichs auswärtige
Gläubiger erlitten eine Einbuße von 800 Mill. Die Geſchädigten klagten
laut, die liberale Preſſe Deutſchlands erging ſich in bitteren Vorwürfen
gegen die „heilige Allianz“, die man ſtets für die Thaten des Vier-
bundes verantwortlich machte. Wieder und wieder mußte die deutſche Nation
erfahren, daß ſie die Sicherung ihrer Rechte allein von ihrer eigenen
Macht, nicht von dem guten Willen ihrer Verbündeten erwarten durfte.
Mit Alledem war die Großmuth des Czaren gegen die Bourbonen
noch nicht erſchöpft. Richelieu hegte ſeit Langem den Wunſch, daß mit
der Occupation auch die in der That unnatürliche, demüthigende Aus-
nahmeſtellung, welche Frankreich jetzt noch unter den großen Mächten ein-
nahm, ein Ende finden würde. Er hoffte, der Aachener Congreß werde
die Krone Frankreich zum Eintritt in den Vierbund einladen und alſo
die alte Gleichberechtigung der Großmächte wieder herſtellen. Unbedenklich
*) Kruſemarks Bericht, 27. Sept; Weiſung Hardenbergs an Kruſemark, 23. Nov. 1817.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 29
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/463>, abgerufen am 22.11.2024.
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