Darauf ein kecker Gassenhauer, dessen Kehrreim "Brüder so kann's nicht gehn! Volk in's Gewehr!" noch nach Jahren bei allen Pöbelaufläufen in Mitteldeutschland widerhallte. Dann ein Abendmahlslied freier Brü- der, das "der ew'gen Freiheit heil'gen Märt'rerorden" schildert, wie er mit gezückten Dolchen auf die Hostie schwört:
Nur die Bürgergleichheit, der Volkswille sei Selbstherrscher von Gottes Gnaden --
und der Nation gebietet:
Dann, Volk, die Molochsgeister würge, würge!
Noch deutlicher lautete das Neujahrslied freier Christen, gesungen nach einer raschen, leichtfertigen Melodie, die den Text nur noch frecher er- scheinen ließ:
Freiheitsmesser gezückt! Hurrah! Den Dolch durch die Kehle gedrückt! Mit Purpurgewändern, Mit Kronen und Bändern Zum Rachealtar steht das Opfer geschmückt!
Und so weiter, immer abgeschmackter, immer wüster, bis zu dem Schluß- verse:
Nieder mit Kronen, Thronen, Frohnen, Drohnen und Baronen! Sturm!
Unter den hunderten junger Männer, welche diese wüthenden Verse sangen, mochten die wenigsten sich etwas dabei denken; dem Poeten aber war es ganzer Ernst mit seinen Worten. Er hatte sich schon einen Plan entworfen, den er mit den Unbedingten wiederholt besprach: da eine Re- volution vorderhand unmöglich sei, so müsse man zunächst einige Ver- räther ermorden um das zage Volk zugleich zu schrecken und anzufeuern; er selber wollte sich diesen vorbereitenden Thaten fern halten, nicht aus Furcht, sondern weil er dereinst bei der allgemeinen Volkserhebung als Führer aufzutreten dachte. Zugleich betrieb er rastlos die Wühlerei im Volke. Bei jener Petition um die Ausführung des Art. 13, bei allen den Eingaben und Versammlungen, welche den Großherzog von Hessen zur Erfüllung des Verfassungsversprechens drängen sollten, hatte Follen die Hand im Spiele, und für ihn, den rothen Republikaner, konnte dies Alles nur ein Mittel für größere Zwecke sein; sein Genosse Leutnant Schulz in Darmstadt predigte in einem "Frage- und Antwortsbüchlein" den hessischen Bauern offen die Revolution.
Die Jenenser verhielten sich lange ablehnend gegen das demagogische Gebahren der Gießener und verwarfen auch Follens Reichsverfassungs- plan; freilich nur gegen eine starke Minderheit. Nach und nach fanden die revolutionären Lehren der Schwarzen doch Eingang an der Saale, namentlich durch die Vermittlung Robert Wesselhöfts, eines derben, kräf- tigen Thüringers von diktatorischem Wesen. Es bildete sich im Schooße
II. 7. Die Burſchenſchaft.
Darauf ein kecker Gaſſenhauer, deſſen Kehrreim „Brüder ſo kann’s nicht gehn! Volk in’s Gewehr!“ noch nach Jahren bei allen Pöbelaufläufen in Mitteldeutſchland widerhallte. Dann ein Abendmahlslied freier Brü- der, das „der ew’gen Freiheit heil’gen Märt’rerorden“ ſchildert, wie er mit gezückten Dolchen auf die Hoſtie ſchwört:
Nur die Bürgergleichheit, der Volkswille ſei Selbſtherrſcher von Gottes Gnaden —
und der Nation gebietet:
Dann, Volk, die Molochsgeiſter würge, würge!
Noch deutlicher lautete das Neujahrslied freier Chriſten, geſungen nach einer raſchen, leichtfertigen Melodie, die den Text nur noch frecher er- ſcheinen ließ:
Freiheitsmeſſer gezückt! Hurrah! Den Dolch durch die Kehle gedrückt! Mit Purpurgewändern, Mit Kronen und Bändern Zum Rachealtar ſteht das Opfer geſchmückt!
Und ſo weiter, immer abgeſchmackter, immer wüſter, bis zu dem Schluß- verſe:
Nieder mit Kronen, Thronen, Frohnen, Drohnen und Baronen! Sturm!
Unter den hunderten junger Männer, welche dieſe wüthenden Verſe ſangen, mochten die wenigſten ſich etwas dabei denken; dem Poeten aber war es ganzer Ernſt mit ſeinen Worten. Er hatte ſich ſchon einen Plan entworfen, den er mit den Unbedingten wiederholt beſprach: da eine Re- volution vorderhand unmöglich ſei, ſo müſſe man zunächſt einige Ver- räther ermorden um das zage Volk zugleich zu ſchrecken und anzufeuern; er ſelber wollte ſich dieſen vorbereitenden Thaten fern halten, nicht aus Furcht, ſondern weil er dereinſt bei der allgemeinen Volkserhebung als Führer aufzutreten dachte. Zugleich betrieb er raſtlos die Wühlerei im Volke. Bei jener Petition um die Ausführung des Art. 13, bei allen den Eingaben und Verſammlungen, welche den Großherzog von Heſſen zur Erfüllung des Verfaſſungsverſprechens drängen ſollten, hatte Follen die Hand im Spiele, und für ihn, den rothen Republikaner, konnte dies Alles nur ein Mittel für größere Zwecke ſein; ſein Genoſſe Leutnant Schulz in Darmſtadt predigte in einem „Frage- und Antwortsbüchlein“ den heſſiſchen Bauern offen die Revolution.
Die Jenenſer verhielten ſich lange ablehnend gegen das demagogiſche Gebahren der Gießener und verwarfen auch Follens Reichsverfaſſungs- plan; freilich nur gegen eine ſtarke Minderheit. Nach und nach fanden die revolutionären Lehren der Schwarzen doch Eingang an der Saale, namentlich durch die Vermittlung Robert Weſſelhöfts, eines derben, kräf- tigen Thüringers von diktatoriſchem Weſen. Es bildete ſich im Schooße
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Darauf ein kecker Gaſſenhauer, deſſen Kehrreim „Brüder ſo kann’s nicht
gehn! Volk in’s Gewehr!“ noch nach Jahren bei allen Pöbelaufläufen
in Mitteldeutſchland widerhallte. Dann ein Abendmahlslied freier Brü-
der, das „der ew’gen Freiheit heil’gen Märt’rerorden“ ſchildert, wie er
mit gezückten Dolchen auf die Hoſtie ſchwört:
Nur die Bürgergleichheit, der Volkswille ſei
Selbſtherrſcher von Gottes Gnaden —
und der Nation gebietet:
Dann, Volk, die Molochsgeiſter würge, würge!
Noch deutlicher lautete das Neujahrslied freier Chriſten, geſungen nach
einer raſchen, leichtfertigen Melodie, die den Text nur noch frecher er-
ſcheinen ließ:
Freiheitsmeſſer gezückt!
Hurrah! Den Dolch durch die Kehle gedrückt!
Mit Purpurgewändern,
Mit Kronen und Bändern
Zum Rachealtar ſteht das Opfer geſchmückt!
Und ſo weiter, immer abgeſchmackter, immer wüſter, bis zu dem Schluß-
verſe:
Nieder mit Kronen, Thronen, Frohnen, Drohnen und Baronen!
Sturm!
Unter den hunderten junger Männer, welche dieſe wüthenden Verſe
ſangen, mochten die wenigſten ſich etwas dabei denken; dem Poeten aber
war es ganzer Ernſt mit ſeinen Worten. Er hatte ſich ſchon einen Plan
entworfen, den er mit den Unbedingten wiederholt beſprach: da eine Re-
volution vorderhand unmöglich ſei, ſo müſſe man zunächſt einige Ver-
räther ermorden um das zage Volk zugleich zu ſchrecken und anzufeuern;
er ſelber wollte ſich dieſen vorbereitenden Thaten fern halten, nicht aus
Furcht, ſondern weil er dereinſt bei der allgemeinen Volkserhebung als
Führer aufzutreten dachte. Zugleich betrieb er raſtlos die Wühlerei im
Volke. Bei jener Petition um die Ausführung des Art. 13, bei allen
den Eingaben und Verſammlungen, welche den Großherzog von Heſſen
zur Erfüllung des Verfaſſungsverſprechens drängen ſollten, hatte Follen
die Hand im Spiele, und für ihn, den rothen Republikaner, konnte dies
Alles nur ein Mittel für größere Zwecke ſein; ſein Genoſſe Leutnant
Schulz in Darmſtadt predigte in einem „Frage- und Antwortsbüchlein“
den heſſiſchen Bauern offen die Revolution.
Die Jenenſer verhielten ſich lange ablehnend gegen das demagogiſche
Gebahren der Gießener und verwarfen auch Follens Reichsverfaſſungs-
plan; freilich nur gegen eine ſtarke Minderheit. Nach und nach fanden
die revolutionären Lehren der Schwarzen doch Eingang an der Saale,
namentlich durch die Vermittlung Robert Weſſelhöfts, eines derben, kräf-
tigen Thüringers von diktatoriſchem Weſen. Es bildete ſich im Schooße
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/454>, abgerufen am 22.11.2024.
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