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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Die Burschenschaft.
wie alles wahrhaft Große nie in der Geschichte wiederkehren und in
seinem dunklen Schooße fruchtbare, auf Jahrhunderte wirkende Keime ent-
halten kann!"

An diesen Ausbrüchen akademischen Größenwahnsinns hatte die klein-
liche Empfindlichkeit der Gegner reichliche Mitschuld. Die Zeit war an
die Gehässigkeit politischer Kämpfe noch wenig gewöhnt, fast alle die be-
schimpften Schriftsteller fühlten sich durch die Narrethei der Burschen
ernstlich beleidigt. Nur Wangenheim ertrug den Unglimpf mit guter
Laune: bisher hatten ihn seine Genossen am Bundestage als Demagogen
beargwöhnt, seit sein Buch auf der Wartburg verbrannt worden behan-
delten sie ihn wieder freundlicher. Viele der Uebrigen beschwerten sich laut
und setzten finstere Gerüchte in Umlauf: auch die Urkunde der Heiligen
Allianz und die Bundesakte sollten die jungen Hochverräther mit verbrannt
haben. Der Ungebärdigste von Allen war Geh. Rath Kamptz; mit beiden
Händen ergriff er den willkommenen Anlaß um den akademischen Jako-
binern endlich den Garaus zu machen. Welch ein Glück auch, daß die un-
wissenden Jungen grade seinen Codex der Gensdarmerie ins Feuer geworfen
hatten, eine Sammlung von deutschen Polizeigesetzen, fast ohne eigene Zu-
thaten des Herausgebers! Also landesherrliche Verordnungen, darunter auch
solche von Karl August selber, waren auf großherzoglich sachsen-weimarischem
Boden öffentlich verbrannt; nach Quistorps Peinlichem Rechte lag der That-
bestand des "Lasters der beleidigten Majestät" unbestreitbar vor. In zwei
drohenden Briefen an den Großherzog und dann noch in einer Flugschrift
"über die öffentliche Verbrennung von Druckschriften" legte Kamptz diese
Gedanken dar und forderte stürmisch Genugthuung: der deutsche Boden
sei entweiht, das Jahrhundert entheiligt durch den Vandalismus dema-
gogischer Intoleranz, durch die Volksdümmlichkeit der Werkzeuge schlechter
Professoren.

Am Wiener Hofe war nur eine Stimme der Angst und der Ent-
rüstung. Durch die Nachrichten aus Eisenach wurde Metternich zum
ersten male bewogen, sich der deutschen Dinge, die er bisher so gleichgiltig
behandelt hatte, ernstlich anzunehmen; er erkannte mit Schrecken, daß sich
hinter dem phantastischen Treiben der Jugend doch der Todfeind seines
Systems, der nationale Gedanke verbarg. Sofort erklärte er dem preu-
ßischen Gesandten, jetzt sei es an der Zeit "gegen diesen Geist des Jako-
binismus zu wüthen" (sevir), und ersuchte den Staatskanzler, gemeinsam
mit Oesterreich wider den Weimarischen Hof vorzugehen.*) Im ersten
Schrecken wollte er sogar alle österreichischen Studenten sogleich aus Jena
abberufen. Im Oesterreichischen Beobachter veröffentlichte Gentz eine Reihe
geharnischter Artikel über das Wartburgfest, ein kunstvolles Gemisch von
Scharfsinn und Thorheit. Nur mit Zittern, rief er aus, könne ein Vater

*) Krusemarks Berichte, 12., 22. Nov. 1817.

II. 6. Die Burſchenſchaft.
wie alles wahrhaft Große nie in der Geſchichte wiederkehren und in
ſeinem dunklen Schooße fruchtbare, auf Jahrhunderte wirkende Keime ent-
halten kann!“

An dieſen Ausbrüchen akademiſchen Größenwahnſinns hatte die klein-
liche Empfindlichkeit der Gegner reichliche Mitſchuld. Die Zeit war an
die Gehäſſigkeit politiſcher Kämpfe noch wenig gewöhnt, faſt alle die be-
ſchimpften Schriftſteller fühlten ſich durch die Narrethei der Burſchen
ernſtlich beleidigt. Nur Wangenheim ertrug den Unglimpf mit guter
Laune: bisher hatten ihn ſeine Genoſſen am Bundestage als Demagogen
beargwöhnt, ſeit ſein Buch auf der Wartburg verbrannt worden behan-
delten ſie ihn wieder freundlicher. Viele der Uebrigen beſchwerten ſich laut
und ſetzten finſtere Gerüchte in Umlauf: auch die Urkunde der Heiligen
Allianz und die Bundesakte ſollten die jungen Hochverräther mit verbrannt
haben. Der Ungebärdigſte von Allen war Geh. Rath Kamptz; mit beiden
Händen ergriff er den willkommenen Anlaß um den akademiſchen Jako-
binern endlich den Garaus zu machen. Welch ein Glück auch, daß die un-
wiſſenden Jungen grade ſeinen Codex der Gensdarmerie ins Feuer geworfen
hatten, eine Sammlung von deutſchen Polizeigeſetzen, faſt ohne eigene Zu-
thaten des Herausgebers! Alſo landesherrliche Verordnungen, darunter auch
ſolche von Karl Auguſt ſelber, waren auf großherzoglich ſachſen-weimariſchem
Boden öffentlich verbrannt; nach Quiſtorps Peinlichem Rechte lag der That-
beſtand des „Laſters der beleidigten Majeſtät“ unbeſtreitbar vor. In zwei
drohenden Briefen an den Großherzog und dann noch in einer Flugſchrift
„über die öffentliche Verbrennung von Druckſchriften“ legte Kamptz dieſe
Gedanken dar und forderte ſtürmiſch Genugthuung: der deutſche Boden
ſei entweiht, das Jahrhundert entheiligt durch den Vandalismus dema-
gogiſcher Intoleranz, durch die Volksdümmlichkeit der Werkzeuge ſchlechter
Profeſſoren.

Am Wiener Hofe war nur eine Stimme der Angſt und der Ent-
rüſtung. Durch die Nachrichten aus Eiſenach wurde Metternich zum
erſten male bewogen, ſich der deutſchen Dinge, die er bisher ſo gleichgiltig
behandelt hatte, ernſtlich anzunehmen; er erkannte mit Schrecken, daß ſich
hinter dem phantaſtiſchen Treiben der Jugend doch der Todfeind ſeines
Syſtems, der nationale Gedanke verbarg. Sofort erklärte er dem preu-
ßiſchen Geſandten, jetzt ſei es an der Zeit „gegen dieſen Geiſt des Jako-
binismus zu wüthen“ (sévir), und erſuchte den Staatskanzler, gemeinſam
mit Oeſterreich wider den Weimariſchen Hof vorzugehen.*) Im erſten
Schrecken wollte er ſogar alle öſterreichiſchen Studenten ſogleich aus Jena
abberufen. Im Oeſterreichiſchen Beobachter veröffentlichte Gentz eine Reihe
geharniſchter Artikel über das Wartburgfeſt, ein kunſtvolles Gemiſch von
Scharfſinn und Thorheit. Nur mit Zittern, rief er aus, könne ein Vater

*) Kruſemarks Berichte, 12., 22. Nov. 1817.
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[430/0444] II. 6. Die Burſchenſchaft. wie alles wahrhaft Große nie in der Geſchichte wiederkehren und in ſeinem dunklen Schooße fruchtbare, auf Jahrhunderte wirkende Keime ent- halten kann!“ An dieſen Ausbrüchen akademiſchen Größenwahnſinns hatte die klein- liche Empfindlichkeit der Gegner reichliche Mitſchuld. Die Zeit war an die Gehäſſigkeit politiſcher Kämpfe noch wenig gewöhnt, faſt alle die be- ſchimpften Schriftſteller fühlten ſich durch die Narrethei der Burſchen ernſtlich beleidigt. Nur Wangenheim ertrug den Unglimpf mit guter Laune: bisher hatten ihn ſeine Genoſſen am Bundestage als Demagogen beargwöhnt, ſeit ſein Buch auf der Wartburg verbrannt worden behan- delten ſie ihn wieder freundlicher. Viele der Uebrigen beſchwerten ſich laut und ſetzten finſtere Gerüchte in Umlauf: auch die Urkunde der Heiligen Allianz und die Bundesakte ſollten die jungen Hochverräther mit verbrannt haben. Der Ungebärdigſte von Allen war Geh. Rath Kamptz; mit beiden Händen ergriff er den willkommenen Anlaß um den akademiſchen Jako- binern endlich den Garaus zu machen. Welch ein Glück auch, daß die un- wiſſenden Jungen grade ſeinen Codex der Gensdarmerie ins Feuer geworfen hatten, eine Sammlung von deutſchen Polizeigeſetzen, faſt ohne eigene Zu- thaten des Herausgebers! Alſo landesherrliche Verordnungen, darunter auch ſolche von Karl Auguſt ſelber, waren auf großherzoglich ſachſen-weimariſchem Boden öffentlich verbrannt; nach Quiſtorps Peinlichem Rechte lag der That- beſtand des „Laſters der beleidigten Majeſtät“ unbeſtreitbar vor. In zwei drohenden Briefen an den Großherzog und dann noch in einer Flugſchrift „über die öffentliche Verbrennung von Druckſchriften“ legte Kamptz dieſe Gedanken dar und forderte ſtürmiſch Genugthuung: der deutſche Boden ſei entweiht, das Jahrhundert entheiligt durch den Vandalismus dema- gogiſcher Intoleranz, durch die Volksdümmlichkeit der Werkzeuge ſchlechter Profeſſoren. Am Wiener Hofe war nur eine Stimme der Angſt und der Ent- rüſtung. Durch die Nachrichten aus Eiſenach wurde Metternich zum erſten male bewogen, ſich der deutſchen Dinge, die er bisher ſo gleichgiltig behandelt hatte, ernſtlich anzunehmen; er erkannte mit Schrecken, daß ſich hinter dem phantaſtiſchen Treiben der Jugend doch der Todfeind ſeines Syſtems, der nationale Gedanke verbarg. Sofort erklärte er dem preu- ßiſchen Geſandten, jetzt ſei es an der Zeit „gegen dieſen Geiſt des Jako- binismus zu wüthen“ (sévir), und erſuchte den Staatskanzler, gemeinſam mit Oeſterreich wider den Weimariſchen Hof vorzugehen. *) Im erſten Schrecken wollte er ſogar alle öſterreichiſchen Studenten ſogleich aus Jena abberufen. Im Oeſterreichiſchen Beobachter veröffentlichte Gentz eine Reihe geharniſchter Artikel über das Wartburgfeſt, ein kunſtvolles Gemiſch von Scharfſinn und Thorheit. Nur mit Zittern, rief er aus, könne ein Vater *) Kruſemarks Berichte, 12., 22. Nov. 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/444>, abgerufen am 22.11.2024.