tische Idealismus jener Tage war zu gestaltlos, um eine bestimmte Ge- sinnung hervorzurufen. Der ersten Generation der Burschenschaft ge- hörten neben einzelnen liberalen Parteiführern, wie H. v. Gagern, auch viele Männer an, welche späterhin eine streng-conservative Richtung ein- schlugen, so Leo, Stahl, W. Menzel, Jarcke, Hengstenberg. Die wort- reiche Schwärmerei, die unklare Sehnsucht und die beständige Verwechs- lung von Schein und Wirklichkeit waren der Entwicklung des politischen Talents nicht günstig. Im großen Durchschnitt sind aus der Burschen- schaft mehr Gelehrte und Schriftsteller hervorgegangen, aus den Reihen ihrer späteren Gegner, der Corps, mehr Staatsmänner.
Vorderhand war die Burschenschaft in Jena obenauf. Ihr Ruhm ward auf allen Universitäten verkündet und lockte neue Genossen herbei, so daß sich die Studentenzahl in kurzer Zeit verdoppelte. Auch an an- deren Hochschulen thaten sich Burschenschaften auf, so in Gießen und in Tübingen, wo die Stiftler schon 1813 einen Tugendbund zur Bekämpfung der akademischen Roheit gebildet hatten; und ganz von selbst erwachte der Wunsch die neue Gemeinschaft auf einer feierlichen Zusammenkunft aller deutschen Burschen zu befestigen. In solchen freien, über die Grenzen des Einzelstaats hinausreichenden socialen Verbindungen findet der Ein- heitsdrang zertheilter Völker seinen natürlichen Ausdruck; in Deutschland wie in Italien sind die Congresse der Gelehrten, der Künstler, der Ge- werbtreibenden wie Sturmvögel den blutigen Einheitskämpfen vorausge- zogen. Unter den Deutschen aber schritten die Studenten Allen voran, und nichts bezeichnet so deutlich das harmlose politische Stillleben jener Tage. Lange bevor die Männer auf den Gedanken kamen, sich über ihre ernsten gemeinsamen Interessen zu verständigen, regte sich in der Jugend der Drang, die gemeinsamen Träume und Hoffnungen auszutauschen, in phan- tastischem Spiele der idealen Einheit des Vaterlandes froh zu werden. --
Das Jubelfest der Reformation erweckte überall unter den Prote- stanten ein frohes Gefühl dankbaren Stolzes; auch Goethe sang in diesen Tagen: "ich will in Kunst und Wissenschaft wie immer protestiren." Die Studentenschaft ward von dieser Stimmung der Zeit um so stärker er- griffen, da ihr der christlich-protestantische Enthusiasmus des Befreiungs- krieges noch in der Seele nachzitterte. Als der Gedanke eines großen Verbrüderungsfestes der deutschen Burschen zuerst in Jahns Kreise auf- getaucht war, beschloß die Jenenser Burschenschaft den Versammlungstag auf den 18. "des Siegesmonds" 1817 zu verlegen um damit zugleich das Jubelfest der Reformation und die übliche Jahresfeier der Leipziger Schlacht zu verbinden. Armin, Luther, Scharnhorst, alle die hohen Ge- stalten der Führer des Deutschthums gegen das wälsche Wesen flossen in den
II. 6. Die Burſchenſchaft.
tiſche Idealismus jener Tage war zu geſtaltlos, um eine beſtimmte Ge- ſinnung hervorzurufen. Der erſten Generation der Burſchenſchaft ge- hörten neben einzelnen liberalen Parteiführern, wie H. v. Gagern, auch viele Männer an, welche ſpäterhin eine ſtreng-conſervative Richtung ein- ſchlugen, ſo Leo, Stahl, W. Menzel, Jarcke, Hengſtenberg. Die wort- reiche Schwärmerei, die unklare Sehnſucht und die beſtändige Verwechs- lung von Schein und Wirklichkeit waren der Entwicklung des politiſchen Talents nicht günſtig. Im großen Durchſchnitt ſind aus der Burſchen- ſchaft mehr Gelehrte und Schriftſteller hervorgegangen, aus den Reihen ihrer ſpäteren Gegner, der Corps, mehr Staatsmänner.
Vorderhand war die Burſchenſchaft in Jena obenauf. Ihr Ruhm ward auf allen Univerſitäten verkündet und lockte neue Genoſſen herbei, ſo daß ſich die Studentenzahl in kurzer Zeit verdoppelte. Auch an an- deren Hochſchulen thaten ſich Burſchenſchaften auf, ſo in Gießen und in Tübingen, wo die Stiftler ſchon 1813 einen Tugendbund zur Bekämpfung der akademiſchen Roheit gebildet hatten; und ganz von ſelbſt erwachte der Wunſch die neue Gemeinſchaft auf einer feierlichen Zuſammenkunft aller deutſchen Burſchen zu befeſtigen. In ſolchen freien, über die Grenzen des Einzelſtaats hinausreichenden ſocialen Verbindungen findet der Ein- heitsdrang zertheilter Völker ſeinen natürlichen Ausdruck; in Deutſchland wie in Italien ſind die Congreſſe der Gelehrten, der Künſtler, der Ge- werbtreibenden wie Sturmvögel den blutigen Einheitskämpfen vorausge- zogen. Unter den Deutſchen aber ſchritten die Studenten Allen voran, und nichts bezeichnet ſo deutlich das harmloſe politiſche Stillleben jener Tage. Lange bevor die Männer auf den Gedanken kamen, ſich über ihre ernſten gemeinſamen Intereſſen zu verſtändigen, regte ſich in der Jugend der Drang, die gemeinſamen Träume und Hoffnungen auszutauſchen, in phan- taſtiſchem Spiele der idealen Einheit des Vaterlandes froh zu werden. —
Das Jubelfeſt der Reformation erweckte überall unter den Prote- ſtanten ein frohes Gefühl dankbaren Stolzes; auch Goethe ſang in dieſen Tagen: „ich will in Kunſt und Wiſſenſchaft wie immer proteſtiren.“ Die Studentenſchaft ward von dieſer Stimmung der Zeit um ſo ſtärker er- griffen, da ihr der chriſtlich-proteſtantiſche Enthuſiasmus des Befreiungs- krieges noch in der Seele nachzitterte. Als der Gedanke eines großen Verbrüderungsfeſtes der deutſchen Burſchen zuerſt in Jahns Kreiſe auf- getaucht war, beſchloß die Jenenſer Burſchenſchaft den Verſammlungstag auf den 18. „des Siegesmonds“ 1817 zu verlegen um damit zugleich das Jubelfeſt der Reformation und die übliche Jahresfeier der Leipziger Schlacht zu verbinden. Armin, Luther, Scharnhorſt, alle die hohen Ge- ſtalten der Führer des Deutſchthums gegen das wälſche Weſen floſſen in den
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II. 6. Die Burſchenſchaft.
tiſche Idealismus jener Tage war zu geſtaltlos, um eine beſtimmte Ge-
ſinnung hervorzurufen. Der erſten Generation der Burſchenſchaft ge-
hörten neben einzelnen liberalen Parteiführern, wie H. v. Gagern, auch
viele Männer an, welche ſpäterhin eine ſtreng-conſervative Richtung ein-
ſchlugen, ſo Leo, Stahl, W. Menzel, Jarcke, Hengſtenberg. Die wort-
reiche Schwärmerei, die unklare Sehnſucht und die beſtändige Verwechs-
lung von Schein und Wirklichkeit waren der Entwicklung des politiſchen
Talents nicht günſtig. Im großen Durchſchnitt ſind aus der Burſchen-
ſchaft mehr Gelehrte und Schriftſteller hervorgegangen, aus den Reihen
ihrer ſpäteren Gegner, der Corps, mehr Staatsmänner.
Vorderhand war die Burſchenſchaft in Jena obenauf. Ihr Ruhm
ward auf allen Univerſitäten verkündet und lockte neue Genoſſen herbei,
ſo daß ſich die Studentenzahl in kurzer Zeit verdoppelte. Auch an an-
deren Hochſchulen thaten ſich Burſchenſchaften auf, ſo in Gießen und in
Tübingen, wo die Stiftler ſchon 1813 einen Tugendbund zur Bekämpfung
der akademiſchen Roheit gebildet hatten; und ganz von ſelbſt erwachte der
Wunſch die neue Gemeinſchaft auf einer feierlichen Zuſammenkunft aller
deutſchen Burſchen zu befeſtigen. In ſolchen freien, über die Grenzen
des Einzelſtaats hinausreichenden ſocialen Verbindungen findet der Ein-
heitsdrang zertheilter Völker ſeinen natürlichen Ausdruck; in Deutſchland
wie in Italien ſind die Congreſſe der Gelehrten, der Künſtler, der Ge-
werbtreibenden wie Sturmvögel den blutigen Einheitskämpfen vorausge-
zogen. Unter den Deutſchen aber ſchritten die Studenten Allen voran, und
nichts bezeichnet ſo deutlich das harmloſe politiſche Stillleben jener Tage.
Lange bevor die Männer auf den Gedanken kamen, ſich über ihre ernſten
gemeinſamen Intereſſen zu verſtändigen, regte ſich in der Jugend der
Drang, die gemeinſamen Träume und Hoffnungen auszutauſchen, in phan-
taſtiſchem Spiele der idealen Einheit des Vaterlandes froh zu werden. —
Das Jubelfeſt der Reformation erweckte überall unter den Prote-
ſtanten ein frohes Gefühl dankbaren Stolzes; auch Goethe ſang in dieſen
Tagen: „ich will in Kunſt und Wiſſenſchaft wie immer proteſtiren.“ Die
Studentenſchaft ward von dieſer Stimmung der Zeit um ſo ſtärker er-
griffen, da ihr der chriſtlich-proteſtantiſche Enthuſiasmus des Befreiungs-
krieges noch in der Seele nachzitterte. Als der Gedanke eines großen
Verbrüderungsfeſtes der deutſchen Burſchen zuerſt in Jahns Kreiſe auf-
getaucht war, beſchloß die Jenenſer Burſchenſchaft den Verſammlungstag
auf den 18. „des Siegesmonds“ 1817 zu verlegen um damit zugleich
das Jubelfeſt der Reformation und die übliche Jahresfeier der Leipziger
Schlacht zu verbinden. Armin, Luther, Scharnhorſt, alle die hohen Ge-
ſtalten der Führer des Deutſchthums gegen das wälſche Weſen floſſen in den
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/438>, abgerufen am 25.11.2024.
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