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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.
gewährt, aber die sämmtlichen 31 Abgeordneten bildeten eine einzige Ver-
sammlung und galten als Vertreter des ganzen Landes. Die Verhand-
lungen verliefen keineswegs leicht, Schritt für Schritt mußte die Regie-
rung mit der Topfguckerei und der naiven Unerfahrenheit der Volksver-
treter ringen; endlich verständigte man sich doch, und da Alles hinter
verschlossenen Thüren vorging, so konnten die Zeitungen ihren Lesern un-
gescheut Wunder erzählen von der unbegreiflichen politischen Weisheit dieses
Mustervölkchens, das unter je 1500 erwachsenen Männern einen staats-
männisch gebildeten Abgeordneten besaß. Manche glückliche Reform, die ohne
den Landtag unmöglich gewesen, kam jetzt zu Stande; so wurde (1821)
an der Stelle von 49 wunderlichen alten Steuern eine Einkommensteuer
mit Fassion eingeführt, eine in Deutschland noch unerhörte Neuerung.
Mancher andere heilsame Vorschlag scheiterte freilich, weil die philisterhafte
Aengstlichkeit der Landstände den freien Gedanken ihres Fürsten nicht zu
folgen vermochte; die Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen konnte
Karl August schlechterdings nicht durchsetzen. Im Ganzen fühlte sich das
Land wohl, und schon 1818 erhielt auch Hildburghausen eine Verfassung
nach weimarischem Muster.

Nur Goethe betrachtete die neuen Institutionen mit stillem Mißbe-
hagen und sah darin nichts als das vorwitzige Dreinreden Unberufener;
der Abscheu gegen jeglichen Dilettantismus lag dem Meister zu tief im
Blute. Als er einmal einen Trinkspruch zum Landtagsfeste nicht um-
gehen konnte, erinnerte er die Volksvertreter patriarchalisch an ihre Fa-
milienpflichten:

Ein Jeder sei in seinem Hause Vater,
So wird der Fürst auch Landesvater sein.

Und als sie gar ihm selber Rechenschaft abverlangten wegen der 11,000
Thaler, die er seit einem Menschenalter alljährlich für Kunst und Wissen-
schaft auszugeben hatte, da beschloß der alte Herr ein Exempel zu statuiren,
diktirte seinem Schreiber drei Worte und drei Zahlen -- Einnahme, Aus-
gabe, Kassenbestand -- setzte majestätisch seinen Namen darunter und
sendete den Zettel dem Landtage. Die Entrüstung war groß. Bei ruhiger
Ueberlegung kam es den wackeren Vertretern von Neustadt, Kaltennord-
heim, Gerstungen doch selbst sonderbar vor, daß sie die Antiken- und
Bücher-Einkäufe Goethes im Einzelnen prüfen sollten, und so ent-
schlossen sie sich zu einer That constitutioneller Selbstverleugnung, welche in
der pedantischen Geschichte des deutschen Parlamentarismus einzig dasteht:
der Buchstabe der Verfassung ward der Pietät geopfert, die dreizeilige
Rechnung stillschweigend genehmigt. --

Im Schatten der neuen Preßfreiheit wuchs nun in Weimar und
Jena urplötzlich ein ganzes Heer politischer Zeitschriften auf, eine schlecht-
hin bodenlose Publicistik, wie sie nur in diesem gelehrten Volke entstehen
konnte, und doch eine Macht, denn mit ihr begann der verhängnißvolle

II. 7. Die Burſchenſchaft.
gewährt, aber die ſämmtlichen 31 Abgeordneten bildeten eine einzige Ver-
ſammlung und galten als Vertreter des ganzen Landes. Die Verhand-
lungen verliefen keineswegs leicht, Schritt für Schritt mußte die Regie-
rung mit der Topfguckerei und der naiven Unerfahrenheit der Volksver-
treter ringen; endlich verſtändigte man ſich doch, und da Alles hinter
verſchloſſenen Thüren vorging, ſo konnten die Zeitungen ihren Leſern un-
geſcheut Wunder erzählen von der unbegreiflichen politiſchen Weisheit dieſes
Muſtervölkchens, das unter je 1500 erwachſenen Männern einen ſtaats-
männiſch gebildeten Abgeordneten beſaß. Manche glückliche Reform, die ohne
den Landtag unmöglich geweſen, kam jetzt zu Stande; ſo wurde (1821)
an der Stelle von 49 wunderlichen alten Steuern eine Einkommenſteuer
mit Faſſion eingeführt, eine in Deutſchland noch unerhörte Neuerung.
Mancher andere heilſame Vorſchlag ſcheiterte freilich, weil die philiſterhafte
Aengſtlichkeit der Landſtände den freien Gedanken ihres Fürſten nicht zu
folgen vermochte; die Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen konnte
Karl Auguſt ſchlechterdings nicht durchſetzen. Im Ganzen fühlte ſich das
Land wohl, und ſchon 1818 erhielt auch Hildburghauſen eine Verfaſſung
nach weimariſchem Muſter.

Nur Goethe betrachtete die neuen Inſtitutionen mit ſtillem Mißbe-
hagen und ſah darin nichts als das vorwitzige Dreinreden Unberufener;
der Abſcheu gegen jeglichen Dilettantismus lag dem Meiſter zu tief im
Blute. Als er einmal einen Trinkſpruch zum Landtagsfeſte nicht um-
gehen konnte, erinnerte er die Volksvertreter patriarchaliſch an ihre Fa-
milienpflichten:

Ein Jeder ſei in ſeinem Hauſe Vater,
So wird der Fürſt auch Landesvater ſein.

Und als ſie gar ihm ſelber Rechenſchaft abverlangten wegen der 11,000
Thaler, die er ſeit einem Menſchenalter alljährlich für Kunſt und Wiſſen-
ſchaft auszugeben hatte, da beſchloß der alte Herr ein Exempel zu ſtatuiren,
diktirte ſeinem Schreiber drei Worte und drei Zahlen — Einnahme, Aus-
gabe, Kaſſenbeſtand — ſetzte majeſtätiſch ſeinen Namen darunter und
ſendete den Zettel dem Landtage. Die Entrüſtung war groß. Bei ruhiger
Ueberlegung kam es den wackeren Vertretern von Neuſtadt, Kaltennord-
heim, Gerſtungen doch ſelbſt ſonderbar vor, daß ſie die Antiken- und
Bücher-Einkäufe Goethes im Einzelnen prüfen ſollten, und ſo ent-
ſchloſſen ſie ſich zu einer That conſtitutioneller Selbſtverleugnung, welche in
der pedantiſchen Geſchichte des deutſchen Parlamentarismus einzig daſteht:
der Buchſtabe der Verfaſſung ward der Pietät geopfert, die dreizeilige
Rechnung ſtillſchweigend genehmigt. —

Im Schatten der neuen Preßfreiheit wuchs nun in Weimar und
Jena urplötzlich ein ganzes Heer politiſcher Zeitſchriften auf, eine ſchlecht-
hin bodenloſe Publiciſtik, wie ſie nur in dieſem gelehrten Volke entſtehen
konnte, und doch eine Macht, denn mit ihr begann der verhängnißvolle

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[406/0420] II. 7. Die Burſchenſchaft. gewährt, aber die ſämmtlichen 31 Abgeordneten bildeten eine einzige Ver- ſammlung und galten als Vertreter des ganzen Landes. Die Verhand- lungen verliefen keineswegs leicht, Schritt für Schritt mußte die Regie- rung mit der Topfguckerei und der naiven Unerfahrenheit der Volksver- treter ringen; endlich verſtändigte man ſich doch, und da Alles hinter verſchloſſenen Thüren vorging, ſo konnten die Zeitungen ihren Leſern un- geſcheut Wunder erzählen von der unbegreiflichen politiſchen Weisheit dieſes Muſtervölkchens, das unter je 1500 erwachſenen Männern einen ſtaats- männiſch gebildeten Abgeordneten beſaß. Manche glückliche Reform, die ohne den Landtag unmöglich geweſen, kam jetzt zu Stande; ſo wurde (1821) an der Stelle von 49 wunderlichen alten Steuern eine Einkommenſteuer mit Faſſion eingeführt, eine in Deutſchland noch unerhörte Neuerung. Mancher andere heilſame Vorſchlag ſcheiterte freilich, weil die philiſterhafte Aengſtlichkeit der Landſtände den freien Gedanken ihres Fürſten nicht zu folgen vermochte; die Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen konnte Karl Auguſt ſchlechterdings nicht durchſetzen. Im Ganzen fühlte ſich das Land wohl, und ſchon 1818 erhielt auch Hildburghauſen eine Verfaſſung nach weimariſchem Muſter. Nur Goethe betrachtete die neuen Inſtitutionen mit ſtillem Mißbe- hagen und ſah darin nichts als das vorwitzige Dreinreden Unberufener; der Abſcheu gegen jeglichen Dilettantismus lag dem Meiſter zu tief im Blute. Als er einmal einen Trinkſpruch zum Landtagsfeſte nicht um- gehen konnte, erinnerte er die Volksvertreter patriarchaliſch an ihre Fa- milienpflichten: Ein Jeder ſei in ſeinem Hauſe Vater, So wird der Fürſt auch Landesvater ſein. Und als ſie gar ihm ſelber Rechenſchaft abverlangten wegen der 11,000 Thaler, die er ſeit einem Menſchenalter alljährlich für Kunſt und Wiſſen- ſchaft auszugeben hatte, da beſchloß der alte Herr ein Exempel zu ſtatuiren, diktirte ſeinem Schreiber drei Worte und drei Zahlen — Einnahme, Aus- gabe, Kaſſenbeſtand — ſetzte majeſtätiſch ſeinen Namen darunter und ſendete den Zettel dem Landtage. Die Entrüſtung war groß. Bei ruhiger Ueberlegung kam es den wackeren Vertretern von Neuſtadt, Kaltennord- heim, Gerſtungen doch ſelbſt ſonderbar vor, daß ſie die Antiken- und Bücher-Einkäufe Goethes im Einzelnen prüfen ſollten, und ſo ent- ſchloſſen ſie ſich zu einer That conſtitutioneller Selbſtverleugnung, welche in der pedantiſchen Geſchichte des deutſchen Parlamentarismus einzig daſteht: der Buchſtabe der Verfaſſung ward der Pietät geopfert, die dreizeilige Rechnung ſtillſchweigend genehmigt. — Im Schatten der neuen Preßfreiheit wuchs nun in Weimar und Jena urplötzlich ein ganzes Heer politiſcher Zeitſchriften auf, eine ſchlecht- hin bodenloſe Publiciſtik, wie ſie nur in dieſem gelehrten Volke entſtehen konnte, und doch eine Macht, denn mit ihr begann der verhängnißvolle

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/420>, abgerufen am 25.11.2024.