Bauerdirnen auf der Dorfkirchweih "mieselte" und dann wieder tagelang in der Borkenhütte seines Parks sich vergrub, allein mit der unendlichen Sehnsucht seines Herzens. Was ihn damals so rastlos umhertrieb war nicht blos die natürliche Ungeduld vollsaftiger Jugend, sondern der unbe- friedigte Ehrgeiz eines thatenfrohen Geistes, dem das Schwerste grade leicht genug schien, der die Unwahrheit einer Fürstenwürde ohne Macht bitter empfand
und was ihm das Geschick durch die Geburt geschenkt, mit Müh' und Schweiß erst zu erringen denkt.
"Mit Hilfe Goethes und des guten Glücks" hatte er dann doch gelernt sich in sein enges Schicksal zu fügen und im kleinsten Punkte die höchste Kraft zu sammeln.
Seit vierzig Jahren verehrte ihn die Nation als den menschlich größten unter den Mäcenaten der neuen Geschichte. Jene berechnende Klugheit kaufmännischer Dynastenpolitik, die bei der Kunstliebe Lorenzos von Medici doch mitwirkte, war dem Erben des alten stolzen Ernestiner- hauses völlig fremd. Wenn er mit sicherer Menschenkenntniß aus den Talenten der deutschen Literatur die besten und größten um sich versam- melte, so leiteten ihn allein der lautere Idealismus eines unendlich em- pfänglichen Geistes, der das ganze Gebiet menschlichen Erkennens und Bildens mit freudigem Verständniß umfaßte, und eine glühende Begeiste- rung für den Ruhm der Nation. Sein Ehrgeiz war, wie er noch im Alter bei der Erneuerung seines Hausordens aussprach, "daß auf eine gründ- liche und des Ernstes des deutschen Nationalcharakters würdige Weise sich Licht und Wahrheit verbreite". Sein lebendiges, durch ernste Studien geschultes Naturgefühl schätzte in der Kunst nur das Naive, das Einfache, das Vaterländische; alle Mystik, alle gesuchte Künstelei war ihm verhaßt, und wenn sie auch mit so prächtigen Gewändern auftrat wie in Schillers Braut von Messina. Aber niemals hätte er sich vermessen den Genius zu gängeln; frei und unbekümmert sollte die deutsche Kunst sich ihre Wege finden, so wie er selber durchs Leben ging, freimüthig, derb, form- los, kräftig in Allem, selbst in den Verirrungen seiner ungebändigten Sinn- lichkeit, ein rastlos strebender Geist, der jeden mißlungenen Versuch hoch- herzig vergaß um sogleich wieder an ein neues Unternehmen zu schreiten. Nur eine so ursprüngliche Natur konnte sich fünfzig Jahre lang neben Goethe in sorgloser Selbständigkeit behaupten. Er wußte wohl, was er dem Freunde dankte, wenngleich Augenblicke der Entfremdung kamen, und blickte bewundernd zu ihm auf; doch er fand es "possirlich wie dieser Mensch immer feierlicher wurde" und ließ sich durch das umständliche Wesen des Alternden in seiner eigenen fröhlichen Ungebundenheit nicht stören. Auf den ersten Blick mochte man den stämmigen Mann wohl für einen schlichten Jäger halten, wenn er in seiner alten grünen Pikesche und der Soldatenmütze, die Cigarre im Munde, mit seinen Hunden durch
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Karl Auguſt von Weimar.
Bauerdirnen auf der Dorfkirchweih „mieſelte“ und dann wieder tagelang in der Borkenhütte ſeines Parks ſich vergrub, allein mit der unendlichen Sehnſucht ſeines Herzens. Was ihn damals ſo raſtlos umhertrieb war nicht blos die natürliche Ungeduld vollſaftiger Jugend, ſondern der unbe- friedigte Ehrgeiz eines thatenfrohen Geiſtes, dem das Schwerſte grade leicht genug ſchien, der die Unwahrheit einer Fürſtenwürde ohne Macht bitter empfand
und was ihm das Geſchick durch die Geburt geſchenkt, mit Müh’ und Schweiß erſt zu erringen denkt.
„Mit Hilfe Goethes und des guten Glücks“ hatte er dann doch gelernt ſich in ſein enges Schickſal zu fügen und im kleinſten Punkte die höchſte Kraft zu ſammeln.
Seit vierzig Jahren verehrte ihn die Nation als den menſchlich größten unter den Mäcenaten der neuen Geſchichte. Jene berechnende Klugheit kaufmänniſcher Dynaſtenpolitik, die bei der Kunſtliebe Lorenzos von Medici doch mitwirkte, war dem Erben des alten ſtolzen Erneſtiner- hauſes völlig fremd. Wenn er mit ſicherer Menſchenkenntniß aus den Talenten der deutſchen Literatur die beſten und größten um ſich verſam- melte, ſo leiteten ihn allein der lautere Idealismus eines unendlich em- pfänglichen Geiſtes, der das ganze Gebiet menſchlichen Erkennens und Bildens mit freudigem Verſtändniß umfaßte, und eine glühende Begeiſte- rung für den Ruhm der Nation. Sein Ehrgeiz war, wie er noch im Alter bei der Erneuerung ſeines Hausordens ausſprach, „daß auf eine gründ- liche und des Ernſtes des deutſchen Nationalcharakters würdige Weiſe ſich Licht und Wahrheit verbreite“. Sein lebendiges, durch ernſte Studien geſchultes Naturgefühl ſchätzte in der Kunſt nur das Naive, das Einfache, das Vaterländiſche; alle Myſtik, alle geſuchte Künſtelei war ihm verhaßt, und wenn ſie auch mit ſo prächtigen Gewändern auftrat wie in Schillers Braut von Meſſina. Aber niemals hätte er ſich vermeſſen den Genius zu gängeln; frei und unbekümmert ſollte die deutſche Kunſt ſich ihre Wege finden, ſo wie er ſelber durchs Leben ging, freimüthig, derb, form- los, kräftig in Allem, ſelbſt in den Verirrungen ſeiner ungebändigten Sinn- lichkeit, ein raſtlos ſtrebender Geiſt, der jeden mißlungenen Verſuch hoch- herzig vergaß um ſogleich wieder an ein neues Unternehmen zu ſchreiten. Nur eine ſo urſprüngliche Natur konnte ſich fünfzig Jahre lang neben Goethe in ſorgloſer Selbſtändigkeit behaupten. Er wußte wohl, was er dem Freunde dankte, wenngleich Augenblicke der Entfremdung kamen, und blickte bewundernd zu ihm auf; doch er fand es „poſſirlich wie dieſer Menſch immer feierlicher wurde“ und ließ ſich durch das umſtändliche Weſen des Alternden in ſeiner eigenen fröhlichen Ungebundenheit nicht ſtören. Auf den erſten Blick mochte man den ſtämmigen Mann wohl für einen ſchlichten Jäger halten, wenn er in ſeiner alten grünen Pikeſche und der Soldatenmütze, die Cigarre im Munde, mit ſeinen Hunden durch
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Karl Auguſt von Weimar.
Bauerdirnen auf der Dorfkirchweih „mieſelte“ und dann wieder tagelang
in der Borkenhütte ſeines Parks ſich vergrub, allein mit der unendlichen
Sehnſucht ſeines Herzens. Was ihn damals ſo raſtlos umhertrieb war
nicht blos die natürliche Ungeduld vollſaftiger Jugend, ſondern der unbe-
friedigte Ehrgeiz eines thatenfrohen Geiſtes, dem das Schwerſte grade
leicht genug ſchien, der die Unwahrheit einer Fürſtenwürde ohne Macht
bitter empfand
und was ihm das Geſchick durch die Geburt geſchenkt,
mit Müh’ und Schweiß erſt zu erringen denkt.
„Mit Hilfe Goethes und des guten Glücks“ hatte er dann doch gelernt
ſich in ſein enges Schickſal zu fügen und im kleinſten Punkte die höchſte
Kraft zu ſammeln.
Seit vierzig Jahren verehrte ihn die Nation als den menſchlich
größten unter den Mäcenaten der neuen Geſchichte. Jene berechnende
Klugheit kaufmänniſcher Dynaſtenpolitik, die bei der Kunſtliebe Lorenzos
von Medici doch mitwirkte, war dem Erben des alten ſtolzen Erneſtiner-
hauſes völlig fremd. Wenn er mit ſicherer Menſchenkenntniß aus den
Talenten der deutſchen Literatur die beſten und größten um ſich verſam-
melte, ſo leiteten ihn allein der lautere Idealismus eines unendlich em-
pfänglichen Geiſtes, der das ganze Gebiet menſchlichen Erkennens und
Bildens mit freudigem Verſtändniß umfaßte, und eine glühende Begeiſte-
rung für den Ruhm der Nation. Sein Ehrgeiz war, wie er noch im Alter
bei der Erneuerung ſeines Hausordens ausſprach, „daß auf eine gründ-
liche und des Ernſtes des deutſchen Nationalcharakters würdige Weiſe ſich
Licht und Wahrheit verbreite“. Sein lebendiges, durch ernſte Studien
geſchultes Naturgefühl ſchätzte in der Kunſt nur das Naive, das Einfache,
das Vaterländiſche; alle Myſtik, alle geſuchte Künſtelei war ihm verhaßt,
und wenn ſie auch mit ſo prächtigen Gewändern auftrat wie in Schillers
Braut von Meſſina. Aber niemals hätte er ſich vermeſſen den Genius
zu gängeln; frei und unbekümmert ſollte die deutſche Kunſt ſich ihre
Wege finden, ſo wie er ſelber durchs Leben ging, freimüthig, derb, form-
los, kräftig in Allem, ſelbſt in den Verirrungen ſeiner ungebändigten Sinn-
lichkeit, ein raſtlos ſtrebender Geiſt, der jeden mißlungenen Verſuch hoch-
herzig vergaß um ſogleich wieder an ein neues Unternehmen zu ſchreiten.
Nur eine ſo urſprüngliche Natur konnte ſich fünfzig Jahre lang neben
Goethe in ſorgloſer Selbſtändigkeit behaupten. Er wußte wohl, was er
dem Freunde dankte, wenngleich Augenblicke der Entfremdung kamen,
und blickte bewundernd zu ihm auf; doch er fand es „poſſirlich wie dieſer
Menſch immer feierlicher wurde“ und ließ ſich durch das umſtändliche
Weſen des Alternden in ſeiner eigenen fröhlichen Ungebundenheit nicht
ſtören. Auf den erſten Blick mochte man den ſtämmigen Mann wohl
für einen ſchlichten Jäger halten, wenn er in ſeiner alten grünen Pikeſche
und der Soldatenmütze, die Cigarre im Munde, mit ſeinen Hunden durch
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/417>, abgerufen am 25.11.2024.
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