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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.
dieser Uebergangszeit zu entladen pflegte. Steffens urtheilte über die
fratzenhaften Unarten der Turner allzu hart; seine feine ästhetische Natur
verkannte, wie selten ein echter Germane ohne ein vollgerütteltes Maß
jugendlicher Roheit zu männlicher Kraft und Haltung gelangt; auch fehlte
ihm der behagliche Humor, der doch nöthig war um den ehrenwerthen
Kern hinter Jahns Wunderlichkeit herauszufinden. Aber das schwere
sittliche Gebrechen der Turnplätze, den heillosen Hochmuth des jungen
Geschlechts erkannte er richtig, und die ehrliche Gesinnung des feurigen
Redners, der im Frühjahr 1813 die Breslauer Jugend durch Wort und
Beispiel begeistert hatte, ließ sich nicht in Abrede stellen. Wackere Männer
standen hüben und drüben, Freunde und Brüder gingen im Zorne aus-
einander. Karl v. Raumer trennte sich von seinem Schwager und Waffen-
gefährten Steffens; sein Bruder Friedrich und dessen Fachgenosse der
Historiker Karl Adolf Menzel hielten die Partei des Anklägers. Unter
den Vertheidigern der Turnplätze that sich außer dem Pädagogen Harnisch
namentlich Passow hervor, der gelehrte Lexikograph. Seine freimüthige
aber auch sehr leidenschaftliche Schrift "Turnziel" stellte der Turnkunst
gradeswegs die Aufgabe "der allmählichen Entwicklung zu den höchsten
Zielen der Menschheit"; dies sei ein edlerer Zweck als die Ausbildung
von "Söldnern und Miethlingen für die Blutbank der Willkür". Wenn
die Alten mit so feierlichem Ernst von der culturfördernden Macht des
Recks und des Barrens redeten, dann konnte die Jugend allerdings nicht
mehr bezweifeln, daß sich die Welt um sie drehe.

Durch Steffens' Auftreten wurden einige ängstliche Leute in Berlin,
welche schon längst unheimliche demagogische Zwecke hinter der Turnerei
gewittert hatten, zu neuen Angriffen ermuthigt: der Oberlehrer Wadzeck,
der Schriftsteller Scheerer und nicht zuletzt der berüchtigte Cölln, dessen
Schmähschrift "die Feuerbrände" noch von den Zeiten des Tilsiter Friedens
her in üblem Andenken stand. Die Gehässigkeit solcher Denunciationen
vergiftete nun vollends den unbefangenen Sinn der Jugend. Jahn
polterte wider "diese vielköpfige Otter, dies Gezücht, das sich mit Recht
Schriftsteller nennt, weil es wirklich Anderer Schriften nachstellt". Seine
Jungen sangen ein Trutzlied mit dem eleganten Wortspiele "nicht zecken
und nicht scheeren soll uns ein fauler Bauch" und nannten die Holz-
köpfe, die sie auf der Hasenhaide mit dem Ger herunterschossen, Wadzecks.
Eine krankhafte, völlig ziellose politische Aufregung nahm auf den Turn-
plätzen mehr und mehr überhand. Mit Bedauern sah Altenstein diese
Wendung. Er wußte, daß der Unwille des Königs täglich zunahm, und
schrieb dem Staatskanzler besorgt: "wenn schon das Turnen so mißbraucht
und so falsch aufgefaßt wird, so verliert man die Hoffnung auf Größeres,
auf die Verfassung u. A."*) So lange als möglich bewahrte er seine

*) Jahn an Schuckmann, Nov. 1819. Altenstein an Hardenberg, 15. Sept. 1818.

II. 7. Die Burſchenſchaft.
dieſer Uebergangszeit zu entladen pflegte. Steffens urtheilte über die
fratzenhaften Unarten der Turner allzu hart; ſeine feine äſthetiſche Natur
verkannte, wie ſelten ein echter Germane ohne ein vollgerütteltes Maß
jugendlicher Roheit zu männlicher Kraft und Haltung gelangt; auch fehlte
ihm der behagliche Humor, der doch nöthig war um den ehrenwerthen
Kern hinter Jahns Wunderlichkeit herauszufinden. Aber das ſchwere
ſittliche Gebrechen der Turnplätze, den heilloſen Hochmuth des jungen
Geſchlechts erkannte er richtig, und die ehrliche Geſinnung des feurigen
Redners, der im Frühjahr 1813 die Breslauer Jugend durch Wort und
Beiſpiel begeiſtert hatte, ließ ſich nicht in Abrede ſtellen. Wackere Männer
ſtanden hüben und drüben, Freunde und Brüder gingen im Zorne aus-
einander. Karl v. Raumer trennte ſich von ſeinem Schwager und Waffen-
gefährten Steffens; ſein Bruder Friedrich und deſſen Fachgenoſſe der
Hiſtoriker Karl Adolf Menzel hielten die Partei des Anklägers. Unter
den Vertheidigern der Turnplätze that ſich außer dem Pädagogen Harniſch
namentlich Paſſow hervor, der gelehrte Lexikograph. Seine freimüthige
aber auch ſehr leidenſchaftliche Schrift „Turnziel“ ſtellte der Turnkunſt
gradeswegs die Aufgabe „der allmählichen Entwicklung zu den höchſten
Zielen der Menſchheit“; dies ſei ein edlerer Zweck als die Ausbildung
von „Söldnern und Miethlingen für die Blutbank der Willkür“. Wenn
die Alten mit ſo feierlichem Ernſt von der culturfördernden Macht des
Recks und des Barrens redeten, dann konnte die Jugend allerdings nicht
mehr bezweifeln, daß ſich die Welt um ſie drehe.

Durch Steffens’ Auftreten wurden einige ängſtliche Leute in Berlin,
welche ſchon längſt unheimliche demagogiſche Zwecke hinter der Turnerei
gewittert hatten, zu neuen Angriffen ermuthigt: der Oberlehrer Wadzeck,
der Schriftſteller Scheerer und nicht zuletzt der berüchtigte Cölln, deſſen
Schmähſchrift „die Feuerbrände“ noch von den Zeiten des Tilſiter Friedens
her in üblem Andenken ſtand. Die Gehäſſigkeit ſolcher Denunciationen
vergiftete nun vollends den unbefangenen Sinn der Jugend. Jahn
polterte wider „dieſe vielköpfige Otter, dies Gezücht, das ſich mit Recht
Schriftſteller nennt, weil es wirklich Anderer Schriften nachſtellt“. Seine
Jungen ſangen ein Trutzlied mit dem eleganten Wortſpiele „nicht zecken
und nicht ſcheeren ſoll uns ein fauler Bauch“ und nannten die Holz-
köpfe, die ſie auf der Haſenhaide mit dem Ger herunterſchoſſen, Wadzecks.
Eine krankhafte, völlig zielloſe politiſche Aufregung nahm auf den Turn-
plätzen mehr und mehr überhand. Mit Bedauern ſah Altenſtein dieſe
Wendung. Er wußte, daß der Unwille des Königs täglich zunahm, und
ſchrieb dem Staatskanzler beſorgt: „wenn ſchon das Turnen ſo mißbraucht
und ſo falſch aufgefaßt wird, ſo verliert man die Hoffnung auf Größeres,
auf die Verfaſſung u. A.“*) So lange als möglich bewahrte er ſeine

*) Jahn an Schuckmann, Nov. 1819. Altenſtein an Hardenberg, 15. Sept. 1818.
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[394/0408] II. 7. Die Burſchenſchaft. dieſer Uebergangszeit zu entladen pflegte. Steffens urtheilte über die fratzenhaften Unarten der Turner allzu hart; ſeine feine äſthetiſche Natur verkannte, wie ſelten ein echter Germane ohne ein vollgerütteltes Maß jugendlicher Roheit zu männlicher Kraft und Haltung gelangt; auch fehlte ihm der behagliche Humor, der doch nöthig war um den ehrenwerthen Kern hinter Jahns Wunderlichkeit herauszufinden. Aber das ſchwere ſittliche Gebrechen der Turnplätze, den heilloſen Hochmuth des jungen Geſchlechts erkannte er richtig, und die ehrliche Geſinnung des feurigen Redners, der im Frühjahr 1813 die Breslauer Jugend durch Wort und Beiſpiel begeiſtert hatte, ließ ſich nicht in Abrede ſtellen. Wackere Männer ſtanden hüben und drüben, Freunde und Brüder gingen im Zorne aus- einander. Karl v. Raumer trennte ſich von ſeinem Schwager und Waffen- gefährten Steffens; ſein Bruder Friedrich und deſſen Fachgenoſſe der Hiſtoriker Karl Adolf Menzel hielten die Partei des Anklägers. Unter den Vertheidigern der Turnplätze that ſich außer dem Pädagogen Harniſch namentlich Paſſow hervor, der gelehrte Lexikograph. Seine freimüthige aber auch ſehr leidenſchaftliche Schrift „Turnziel“ ſtellte der Turnkunſt gradeswegs die Aufgabe „der allmählichen Entwicklung zu den höchſten Zielen der Menſchheit“; dies ſei ein edlerer Zweck als die Ausbildung von „Söldnern und Miethlingen für die Blutbank der Willkür“. Wenn die Alten mit ſo feierlichem Ernſt von der culturfördernden Macht des Recks und des Barrens redeten, dann konnte die Jugend allerdings nicht mehr bezweifeln, daß ſich die Welt um ſie drehe. Durch Steffens’ Auftreten wurden einige ängſtliche Leute in Berlin, welche ſchon längſt unheimliche demagogiſche Zwecke hinter der Turnerei gewittert hatten, zu neuen Angriffen ermuthigt: der Oberlehrer Wadzeck, der Schriftſteller Scheerer und nicht zuletzt der berüchtigte Cölln, deſſen Schmähſchrift „die Feuerbrände“ noch von den Zeiten des Tilſiter Friedens her in üblem Andenken ſtand. Die Gehäſſigkeit ſolcher Denunciationen vergiftete nun vollends den unbefangenen Sinn der Jugend. Jahn polterte wider „dieſe vielköpfige Otter, dies Gezücht, das ſich mit Recht Schriftſteller nennt, weil es wirklich Anderer Schriften nachſtellt“. Seine Jungen ſangen ein Trutzlied mit dem eleganten Wortſpiele „nicht zecken und nicht ſcheeren ſoll uns ein fauler Bauch“ und nannten die Holz- köpfe, die ſie auf der Haſenhaide mit dem Ger herunterſchoſſen, Wadzecks. Eine krankhafte, völlig zielloſe politiſche Aufregung nahm auf den Turn- plätzen mehr und mehr überhand. Mit Bedauern ſah Altenſtein dieſe Wendung. Er wußte, daß der Unwille des Königs täglich zunahm, und ſchrieb dem Staatskanzler beſorgt: „wenn ſchon das Turnen ſo mißbraucht und ſo falſch aufgefaßt wird, ſo verliert man die Hoffnung auf Größeres, auf die Verfaſſung u. A.“ *) So lange als möglich bewahrte er ſeine *) Jahn an Schuckmann, Nov. 1819. Altenſtein an Hardenberg, 15. Sept. 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/408>, abgerufen am 22.11.2024.