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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Fichte und Jahn.
so wenig wie die weichliche Weste; ein breiter Hemdkragen überdeckte den
niederen Stehkragen des schmutzigen Rockes. Und diesen fragwürdigen
Anzug pries er wohlgefällig als die wahre altdeutsche Tracht. Welch ein
Fest, als die Oesterreicher eines Tages die ehernen Rosse des Lysippos
von dem Triumphbogen des Carrouselplatzes herabnahmen um sie nach
Venedig zurückzuführen; mit einem male stand der riesige Recke neben
dem Erzbilde der Victoria droben auf dem Bogen, hielt den deutschen
Soldaten eine donnernde Rede und schlug der Siegesgöttin mit wuch-
tigen Fäusten auf ihren verlogenen Mund und ihre prahlerische Trompete.
Seitdem kannte ihn die ganze Stadt; das Herz lachte ihm im Leibe, so
oft ihn die Pariser mit feindseligen Blicken maßen und einander zu-
flüsterten: Le voila! Celui-ci!

Nach der Heimkehr eröffnete er wieder seine Turnschule: "Frisch, frei,
fröhlich, fromm ist der Turngemein Willkomm!" In hellen Haufen eilte
die Berliner Jugend auf den Turnplatz in der Hasenhaide und zu der
Schwimmschule des Obersten Pfuel am Oberbaum. Von den Studenten
kam freilich nur ein Theil, den meisten ging es wider die Ehre, daß
unter den Turnern vollkommene Gleichheit herrschen und man sich mit
den Gnoten duzen sollte; auch bei den niederen Klassen fand die neue
Kunst zunächst nur wenig Anklang, denn wer beständig mit dem Körper
arbeitet, glaubt der Schulung des Leibes nicht erst zu bedürfen. Um so
eifriger betheiligte sich das kleine Volk aus der Plamann'schen Lehranstalt,
wo Jahn einst Lehrer gewesen, aus den Gymnasien und den anderen
Schulen der höheren Stände. Diese jungen Teutonen hatten dem hei-
ligen Kriege fern bleiben müssen und brannten vor Begier, jetzt das Ver-
säumte nachzuholen, durch trutzigen Muth und rüstige Fäuste ihre Deutsch-
heit zu erweisen; ihre Augen leuchteten, wenn ihnen Jahn in seinen
wunderlichen Stabreimen das Bild des echten Turners schilderte: "Tu-
gendsam und tüchtig, keusch und kühn, rein und ringfertig, wehrhaft und
wahrhaft!" Sie ließen sich's nicht zweimal sagen, daß sie nicht "als
müßige Eckner mit dem Bahgesichte" dastehen dürften, wie die gründlich ver-
achteten "Kuchenbäcker" dort, die Bürger, die vom Grenzgraben der Hasen-
haide den Kraftproben der Jugend verwundert zuschauten. "Nicht Quaas
und Fraß, meinte Jahn, Leben und Weben soll beim Volksfeste vor-
walten;" und wie lebte und webte es auf dem Turnplatze, wenn die
Jungen, allesammt in grauen Jacken von ungebleichter Leinwand, mit
nacktem Halse und langem Haar gleich dem Meister, ihre unerhörten
Künste übten: den Kiebitzlauf und den Bratenwender, das Kippen und
das Wippen, das Nest und den Schwebehang, die Affen-, Frosch- und
Karpfensprünge, die Bein-, Bauch- und Rückenwellen und die Krone von
Allem, die Riesenwelle. Entzückt rühmte das Turnlied:

Als der Turnermeister der alte Jahn
Für des Volks urheilige Rechte
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 25

Fichte und Jahn.
ſo wenig wie die weichliche Weſte; ein breiter Hemdkragen überdeckte den
niederen Stehkragen des ſchmutzigen Rockes. Und dieſen fragwürdigen
Anzug pries er wohlgefällig als die wahre altdeutſche Tracht. Welch ein
Feſt, als die Oeſterreicher eines Tages die ehernen Roſſe des Lyſippos
von dem Triumphbogen des Carrouſelplatzes herabnahmen um ſie nach
Venedig zurückzuführen; mit einem male ſtand der rieſige Recke neben
dem Erzbilde der Victoria droben auf dem Bogen, hielt den deutſchen
Soldaten eine donnernde Rede und ſchlug der Siegesgöttin mit wuch-
tigen Fäuſten auf ihren verlogenen Mund und ihre prahleriſche Trompete.
Seitdem kannte ihn die ganze Stadt; das Herz lachte ihm im Leibe, ſo
oft ihn die Pariſer mit feindſeligen Blicken maßen und einander zu-
flüſterten: Le voilà! Celui-ci!

Nach der Heimkehr eröffnete er wieder ſeine Turnſchule: „Friſch, frei,
fröhlich, fromm iſt der Turngemein Willkomm!“ In hellen Haufen eilte
die Berliner Jugend auf den Turnplatz in der Haſenhaide und zu der
Schwimmſchule des Oberſten Pfuel am Oberbaum. Von den Studenten
kam freilich nur ein Theil, den meiſten ging es wider die Ehre, daß
unter den Turnern vollkommene Gleichheit herrſchen und man ſich mit
den Gnoten duzen ſollte; auch bei den niederen Klaſſen fand die neue
Kunſt zunächſt nur wenig Anklang, denn wer beſtändig mit dem Körper
arbeitet, glaubt der Schulung des Leibes nicht erſt zu bedürfen. Um ſo
eifriger betheiligte ſich das kleine Volk aus der Plamann’ſchen Lehranſtalt,
wo Jahn einſt Lehrer geweſen, aus den Gymnaſien und den anderen
Schulen der höheren Stände. Dieſe jungen Teutonen hatten dem hei-
ligen Kriege fern bleiben müſſen und brannten vor Begier, jetzt das Ver-
ſäumte nachzuholen, durch trutzigen Muth und rüſtige Fäuſte ihre Deutſch-
heit zu erweiſen; ihre Augen leuchteten, wenn ihnen Jahn in ſeinen
wunderlichen Stabreimen das Bild des echten Turners ſchilderte: „Tu-
gendſam und tüchtig, keuſch und kühn, rein und ringfertig, wehrhaft und
wahrhaft!“ Sie ließen ſich’s nicht zweimal ſagen, daß ſie nicht „als
müßige Eckner mit dem Bahgeſichte“ daſtehen dürften, wie die gründlich ver-
achteten „Kuchenbäcker“ dort, die Bürger, die vom Grenzgraben der Haſen-
haide den Kraftproben der Jugend verwundert zuſchauten. „Nicht Quaas
und Fraß, meinte Jahn, Leben und Weben ſoll beim Volksfeſte vor-
walten;“ und wie lebte und webte es auf dem Turnplatze, wenn die
Jungen, alleſammt in grauen Jacken von ungebleichter Leinwand, mit
nacktem Halſe und langem Haar gleich dem Meiſter, ihre unerhörten
Künſte übten: den Kiebitzlauf und den Bratenwender, das Kippen und
das Wippen, das Neſt und den Schwebehang, die Affen-, Froſch- und
Karpfenſprünge, die Bein-, Bauch- und Rückenwellen und die Krone von
Allem, die Rieſenwelle. Entzückt rühmte das Turnlied:

Als der Turnermeiſter der alte Jahn
Für des Volks urheilige Rechte
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 25
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[385/0399] Fichte und Jahn. ſo wenig wie die weichliche Weſte; ein breiter Hemdkragen überdeckte den niederen Stehkragen des ſchmutzigen Rockes. Und dieſen fragwürdigen Anzug pries er wohlgefällig als die wahre altdeutſche Tracht. Welch ein Feſt, als die Oeſterreicher eines Tages die ehernen Roſſe des Lyſippos von dem Triumphbogen des Carrouſelplatzes herabnahmen um ſie nach Venedig zurückzuführen; mit einem male ſtand der rieſige Recke neben dem Erzbilde der Victoria droben auf dem Bogen, hielt den deutſchen Soldaten eine donnernde Rede und ſchlug der Siegesgöttin mit wuch- tigen Fäuſten auf ihren verlogenen Mund und ihre prahleriſche Trompete. Seitdem kannte ihn die ganze Stadt; das Herz lachte ihm im Leibe, ſo oft ihn die Pariſer mit feindſeligen Blicken maßen und einander zu- flüſterten: Le voilà! Celui-ci! Nach der Heimkehr eröffnete er wieder ſeine Turnſchule: „Friſch, frei, fröhlich, fromm iſt der Turngemein Willkomm!“ In hellen Haufen eilte die Berliner Jugend auf den Turnplatz in der Haſenhaide und zu der Schwimmſchule des Oberſten Pfuel am Oberbaum. Von den Studenten kam freilich nur ein Theil, den meiſten ging es wider die Ehre, daß unter den Turnern vollkommene Gleichheit herrſchen und man ſich mit den Gnoten duzen ſollte; auch bei den niederen Klaſſen fand die neue Kunſt zunächſt nur wenig Anklang, denn wer beſtändig mit dem Körper arbeitet, glaubt der Schulung des Leibes nicht erſt zu bedürfen. Um ſo eifriger betheiligte ſich das kleine Volk aus der Plamann’ſchen Lehranſtalt, wo Jahn einſt Lehrer geweſen, aus den Gymnaſien und den anderen Schulen der höheren Stände. Dieſe jungen Teutonen hatten dem hei- ligen Kriege fern bleiben müſſen und brannten vor Begier, jetzt das Ver- ſäumte nachzuholen, durch trutzigen Muth und rüſtige Fäuſte ihre Deutſch- heit zu erweiſen; ihre Augen leuchteten, wenn ihnen Jahn in ſeinen wunderlichen Stabreimen das Bild des echten Turners ſchilderte: „Tu- gendſam und tüchtig, keuſch und kühn, rein und ringfertig, wehrhaft und wahrhaft!“ Sie ließen ſich’s nicht zweimal ſagen, daß ſie nicht „als müßige Eckner mit dem Bahgeſichte“ daſtehen dürften, wie die gründlich ver- achteten „Kuchenbäcker“ dort, die Bürger, die vom Grenzgraben der Haſen- haide den Kraftproben der Jugend verwundert zuſchauten. „Nicht Quaas und Fraß, meinte Jahn, Leben und Weben ſoll beim Volksfeſte vor- walten;“ und wie lebte und webte es auf dem Turnplatze, wenn die Jungen, alleſammt in grauen Jacken von ungebleichter Leinwand, mit nacktem Halſe und langem Haar gleich dem Meiſter, ihre unerhörten Künſte übten: den Kiebitzlauf und den Bratenwender, das Kippen und das Wippen, das Neſt und den Schwebehang, die Affen-, Froſch- und Karpfenſprünge, die Bein-, Bauch- und Rückenwellen und die Krone von Allem, die Rieſenwelle. Entzückt rühmte das Turnlied: Als der Turnermeiſter der alte Jahn Für des Volks urheilige Rechte Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 25

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/399>, abgerufen am 22.11.2024.