nicht auf. Die preußischen Behörden hatten beständig über die händel- süchtige Anmaßung dieser Nachbarn zu klagen; den bereits vereinbarten Vertrag über eine preußische Etappenstraße wollte Marschall nachträglich noch abändern, und erst als ihn General Wolzogen mit einer Pistolen- forderung bedrohte, gab er die versprochene Unterschrift. Zwecklos erging sich der bureaukratische Aktenfleiß im reinen Genusse seines Daseins. Als das neue Herzogthum nach einem halben Jahrhundert wieder verschwand, war noch nicht einmal die Landstraße durch das dichtbevölkerte Rheinthal vollendet; wer fahren wollte, mochte drüben auf dem linken Ufer die preu- ßische Chaussee benutzen.
Also wurde die neue Organisation der Behörden und der Gemeinden ohne den Landtag begründet, obgleich die Verfassung den Landständen die Mitwirkung bei neuen Gesetzen versprach. Daran schloß sich die Trennung der Domänen- und der Steuerkasse, eine scheinbar harmlose Maßregel, die einen argen Gewaltstreich vorbereiten sollte. Die Kassentrennung war kaum vollzogen, so überraschte Marschall das Land durch die Behauptung, daß die gesammten Domänen dem Landesherrn allein gehörten, und eröffnete damit die endlose Reihe jener Kämpfe um das Kammergut, welche seitdem durch viele Jahrzehnte eine ekelhafte Eigenthümlichkeit der deutschen Klein- staaterei blieben und den monarchischen Sinn dieser gutmüthigen Bevöl- kerung zu untergraben halfen. Die Frage, ob das Kammergut dem Staate oder dem fürstlichen Hause gehöre, war allerdings nicht leicht und nicht überall auf die gleiche Weise zu beantworten, da die meisten der kleinen Territorien noch bis zum Anfang des neuen Jahrhunderts nach den Grundsätzen des Patrimonialstaats regiert wurden und mithin den Unter- schied von Staats- und Privatrecht kaum kannten. Das politische König- thum der Hohenzollern hatte schon hundert Jahre zuvor die Domänen für Staatsgut erklärt; Baiern und einige andere größere Fürstenhäuser folgten jetzt diesem Beispiele. Den kleinen Fürsten dagegen lag die Ver- suchung nahe, das Land nur als ein Rittergut, die Herrschaft nur als ein nutzbares Recht zu betrachten; sie fühlten, daß ihre Macht wesentlich auf ihrem Reichthum ruhte, und beeilten sich ihr Haus gegen die Wechsel- fälle der Zukunft zu sichern, da ihnen das Schicksal der Mediatisirten vor den Augen stand. So fand der Großherzog von Baden an dem Nebenius'schen Verfassungsentwurfe nur einen Punkt bedenklich: er bestand darauf, daß die Domänen seinem Hause als Patrimonialgut zugewiesen würden. In Nassau war mindestens ein Theil der Ansprüche des Landes- herrn durchaus unberechtigt; denn die kurmainzischen Kammergüter, jene herrlichen Rebgärten des Rheingaus, deren Weine in dem berühmten Eber- bacher Klosterkeller lagerten, hatten unzweifelhaft dem Erzstifte, dem Staate gehört.
Eine neue, noch erstaunlichere Forderung des Herzogs Wilhelm brachte endlich das ganze Land in Harnisch. Im Jahre 1808 waren die
Naſſauiſcher Domänenſtreit.
nicht auf. Die preußiſchen Behörden hatten beſtändig über die händel- ſüchtige Anmaßung dieſer Nachbarn zu klagen; den bereits vereinbarten Vertrag über eine preußiſche Etappenſtraße wollte Marſchall nachträglich noch abändern, und erſt als ihn General Wolzogen mit einer Piſtolen- forderung bedrohte, gab er die verſprochene Unterſchrift. Zwecklos erging ſich der bureaukratiſche Aktenfleiß im reinen Genuſſe ſeines Daſeins. Als das neue Herzogthum nach einem halben Jahrhundert wieder verſchwand, war noch nicht einmal die Landſtraße durch das dichtbevölkerte Rheinthal vollendet; wer fahren wollte, mochte drüben auf dem linken Ufer die preu- ßiſche Chauſſee benutzen.
Alſo wurde die neue Organiſation der Behörden und der Gemeinden ohne den Landtag begründet, obgleich die Verfaſſung den Landſtänden die Mitwirkung bei neuen Geſetzen verſprach. Daran ſchloß ſich die Trennung der Domänen- und der Steuerkaſſe, eine ſcheinbar harmloſe Maßregel, die einen argen Gewaltſtreich vorbereiten ſollte. Die Kaſſentrennung war kaum vollzogen, ſo überraſchte Marſchall das Land durch die Behauptung, daß die geſammten Domänen dem Landesherrn allein gehörten, und eröffnete damit die endloſe Reihe jener Kämpfe um das Kammergut, welche ſeitdem durch viele Jahrzehnte eine ekelhafte Eigenthümlichkeit der deutſchen Klein- ſtaaterei blieben und den monarchiſchen Sinn dieſer gutmüthigen Bevöl- kerung zu untergraben halfen. Die Frage, ob das Kammergut dem Staate oder dem fürſtlichen Hauſe gehöre, war allerdings nicht leicht und nicht überall auf die gleiche Weiſe zu beantworten, da die meiſten der kleinen Territorien noch bis zum Anfang des neuen Jahrhunderts nach den Grundſätzen des Patrimonialſtaats regiert wurden und mithin den Unter- ſchied von Staats- und Privatrecht kaum kannten. Das politiſche König- thum der Hohenzollern hatte ſchon hundert Jahre zuvor die Domänen für Staatsgut erklärt; Baiern und einige andere größere Fürſtenhäuſer folgten jetzt dieſem Beiſpiele. Den kleinen Fürſten dagegen lag die Ver- ſuchung nahe, das Land nur als ein Rittergut, die Herrſchaft nur als ein nutzbares Recht zu betrachten; ſie fühlten, daß ihre Macht weſentlich auf ihrem Reichthum ruhte, und beeilten ſich ihr Haus gegen die Wechſel- fälle der Zukunft zu ſichern, da ihnen das Schickſal der Mediatiſirten vor den Augen ſtand. So fand der Großherzog von Baden an dem Nebenius’ſchen Verfaſſungsentwurfe nur einen Punkt bedenklich: er beſtand darauf, daß die Domänen ſeinem Hauſe als Patrimonialgut zugewieſen würden. In Naſſau war mindeſtens ein Theil der Anſprüche des Landes- herrn durchaus unberechtigt; denn die kurmainziſchen Kammergüter, jene herrlichen Rebgärten des Rheingaus, deren Weine in dem berühmten Eber- bacher Kloſterkeller lagerten, hatten unzweifelhaft dem Erzſtifte, dem Staate gehört.
Eine neue, noch erſtaunlichere Forderung des Herzogs Wilhelm brachte endlich das ganze Land in Harniſch. Im Jahre 1808 waren die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0391"n="377"/><fwplace="top"type="header">Naſſauiſcher Domänenſtreit.</fw><lb/>
nicht auf. Die preußiſchen Behörden hatten beſtändig über die händel-<lb/>ſüchtige Anmaßung dieſer Nachbarn zu klagen; den bereits vereinbarten<lb/>
Vertrag über eine preußiſche Etappenſtraße wollte Marſchall nachträglich<lb/>
noch abändern, und erſt als ihn General Wolzogen mit einer Piſtolen-<lb/>
forderung bedrohte, gab er die verſprochene Unterſchrift. Zwecklos erging<lb/>ſich der bureaukratiſche Aktenfleiß im reinen Genuſſe ſeines Daſeins. Als<lb/>
das neue Herzogthum nach einem halben Jahrhundert wieder verſchwand,<lb/>
war noch nicht einmal die Landſtraße durch das dichtbevölkerte Rheinthal<lb/>
vollendet; wer fahren wollte, mochte drüben auf dem linken Ufer die preu-<lb/>
ßiſche Chauſſee benutzen.</p><lb/><p>Alſo wurde die neue Organiſation der Behörden und der Gemeinden<lb/>
ohne den Landtag begründet, obgleich die Verfaſſung den Landſtänden die<lb/>
Mitwirkung bei neuen Geſetzen verſprach. Daran ſchloß ſich die Trennung<lb/>
der Domänen- und der Steuerkaſſe, eine ſcheinbar harmloſe Maßregel, die<lb/>
einen argen Gewaltſtreich vorbereiten ſollte. Die Kaſſentrennung war kaum<lb/>
vollzogen, ſo überraſchte Marſchall das Land durch die Behauptung, daß<lb/>
die geſammten Domänen dem Landesherrn allein gehörten, und eröffnete<lb/>
damit die endloſe Reihe jener Kämpfe um das Kammergut, welche ſeitdem<lb/>
durch viele Jahrzehnte eine ekelhafte Eigenthümlichkeit der deutſchen Klein-<lb/>ſtaaterei blieben und den monarchiſchen Sinn dieſer gutmüthigen Bevöl-<lb/>
kerung zu untergraben halfen. Die Frage, ob das Kammergut dem Staate<lb/>
oder dem fürſtlichen Hauſe gehöre, war allerdings nicht leicht und nicht<lb/>
überall auf die gleiche Weiſe zu beantworten, da die meiſten der kleinen<lb/>
Territorien noch bis zum Anfang des neuen Jahrhunderts nach den<lb/>
Grundſätzen des Patrimonialſtaats regiert wurden und mithin den Unter-<lb/>ſchied von Staats- und Privatrecht kaum kannten. Das politiſche König-<lb/>
thum der Hohenzollern hatte ſchon hundert Jahre zuvor die Domänen<lb/>
für Staatsgut erklärt; Baiern und einige andere größere Fürſtenhäuſer<lb/>
folgten jetzt dieſem Beiſpiele. Den kleinen Fürſten dagegen lag die Ver-<lb/>ſuchung nahe, das Land nur als ein Rittergut, die Herrſchaft nur als<lb/>
ein nutzbares Recht zu betrachten; ſie fühlten, daß ihre Macht weſentlich<lb/>
auf ihrem Reichthum ruhte, und beeilten ſich ihr Haus gegen die Wechſel-<lb/>
fälle der Zukunft zu ſichern, da ihnen das Schickſal der Mediatiſirten<lb/>
vor den Augen ſtand. So fand der Großherzog von Baden an dem<lb/>
Nebenius’ſchen Verfaſſungsentwurfe nur einen Punkt bedenklich: er beſtand<lb/>
darauf, daß die Domänen ſeinem Hauſe als Patrimonialgut zugewieſen<lb/>
würden. In Naſſau war mindeſtens ein Theil der Anſprüche des Landes-<lb/>
herrn durchaus unberechtigt; denn die kurmainziſchen Kammergüter, jene<lb/>
herrlichen Rebgärten des Rheingaus, deren Weine in dem berühmten Eber-<lb/>
bacher Kloſterkeller lagerten, hatten unzweifelhaft dem Erzſtifte, dem Staate<lb/>
gehört.</p><lb/><p>Eine neue, noch erſtaunlichere Forderung des Herzogs Wilhelm<lb/>
brachte endlich das ganze Land in Harniſch. Im Jahre 1808 waren die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[377/0391]
Naſſauiſcher Domänenſtreit.
nicht auf. Die preußiſchen Behörden hatten beſtändig über die händel-
ſüchtige Anmaßung dieſer Nachbarn zu klagen; den bereits vereinbarten
Vertrag über eine preußiſche Etappenſtraße wollte Marſchall nachträglich
noch abändern, und erſt als ihn General Wolzogen mit einer Piſtolen-
forderung bedrohte, gab er die verſprochene Unterſchrift. Zwecklos erging
ſich der bureaukratiſche Aktenfleiß im reinen Genuſſe ſeines Daſeins. Als
das neue Herzogthum nach einem halben Jahrhundert wieder verſchwand,
war noch nicht einmal die Landſtraße durch das dichtbevölkerte Rheinthal
vollendet; wer fahren wollte, mochte drüben auf dem linken Ufer die preu-
ßiſche Chauſſee benutzen.
Alſo wurde die neue Organiſation der Behörden und der Gemeinden
ohne den Landtag begründet, obgleich die Verfaſſung den Landſtänden die
Mitwirkung bei neuen Geſetzen verſprach. Daran ſchloß ſich die Trennung
der Domänen- und der Steuerkaſſe, eine ſcheinbar harmloſe Maßregel, die
einen argen Gewaltſtreich vorbereiten ſollte. Die Kaſſentrennung war kaum
vollzogen, ſo überraſchte Marſchall das Land durch die Behauptung, daß
die geſammten Domänen dem Landesherrn allein gehörten, und eröffnete
damit die endloſe Reihe jener Kämpfe um das Kammergut, welche ſeitdem
durch viele Jahrzehnte eine ekelhafte Eigenthümlichkeit der deutſchen Klein-
ſtaaterei blieben und den monarchiſchen Sinn dieſer gutmüthigen Bevöl-
kerung zu untergraben halfen. Die Frage, ob das Kammergut dem Staate
oder dem fürſtlichen Hauſe gehöre, war allerdings nicht leicht und nicht
überall auf die gleiche Weiſe zu beantworten, da die meiſten der kleinen
Territorien noch bis zum Anfang des neuen Jahrhunderts nach den
Grundſätzen des Patrimonialſtaats regiert wurden und mithin den Unter-
ſchied von Staats- und Privatrecht kaum kannten. Das politiſche König-
thum der Hohenzollern hatte ſchon hundert Jahre zuvor die Domänen
für Staatsgut erklärt; Baiern und einige andere größere Fürſtenhäuſer
folgten jetzt dieſem Beiſpiele. Den kleinen Fürſten dagegen lag die Ver-
ſuchung nahe, das Land nur als ein Rittergut, die Herrſchaft nur als
ein nutzbares Recht zu betrachten; ſie fühlten, daß ihre Macht weſentlich
auf ihrem Reichthum ruhte, und beeilten ſich ihr Haus gegen die Wechſel-
fälle der Zukunft zu ſichern, da ihnen das Schickſal der Mediatiſirten
vor den Augen ſtand. So fand der Großherzog von Baden an dem
Nebenius’ſchen Verfaſſungsentwurfe nur einen Punkt bedenklich: er beſtand
darauf, daß die Domänen ſeinem Hauſe als Patrimonialgut zugewieſen
würden. In Naſſau war mindeſtens ein Theil der Anſprüche des Landes-
herrn durchaus unberechtigt; denn die kurmainziſchen Kammergüter, jene
herrlichen Rebgärten des Rheingaus, deren Weine in dem berühmten Eber-
bacher Kloſterkeller lagerten, hatten unzweifelhaft dem Erzſtifte, dem Staate
gehört.
Eine neue, noch erſtaunlichere Forderung des Herzogs Wilhelm
brachte endlich das ganze Land in Harniſch. Im Jahre 1808 waren die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/391>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.