Inzwischen war am Karlsruher Hofe ein glücklicher Umschwung er- folgt. Hacke wurde entlassen, die Freiherren von Reitzenstein und Berstett traten in das Ministerium ein: Dieser ein unbedeutender Mann, nicht besser unterrichtet als der Durchschnitt seiner alten Kameraden von der österreichischen Reiterei, aber pflichteifrig, pünktlich, dem fürstlichen Hause unbedingt ergeben und trotz seiner hochconservativen Gesinnung doch nicht so ängstlich, daß er sich vor einem Karlsruher Landtage gefürchtet hätte; Jener dagegen ein staatsmännischer Kopf, wohl würdig eines größeren Wirkungskreises, der vertraute Rathgeber Karl Friedrichs in dessen letzten Jahren. Den Franzosen als deutscher Patriot verdächtig hatte Reitzen- stein bei allen Reformen jener schweren Zeit mitgewirkt. Die Wieder- belebung der Heidelberger Universität war vornehmlich ihm zu verdanken; selbst der Zunftstolz der Professoren ließ den geistreichen, gelehrten, durch- aus freisinnigen Curator als einen Ebenbürtigen gelten. Er erkannte sogleich, daß nach dem Tode des Erbprinzen vor Allem eine endgiltige Entscheidung der Erbfolgefrage geboten war, und bewog den Großherzog, am 4. Okt. 1817 ein Hausgesetz zu veröffentlichen, das die Untheilbar- keit des Landes festsetzte und das Thronfolgerecht der Grafen von Hoch- berg nochmals anerkannte. Der bairische Hof war entrüstet, der diplo- matische Verkehr wurde stillschweigend abgebrochen. Auch Metternich, der die Baiern noch immer mit halben Worten hinhielt, zeigte sich verletzt. Ein so eigenmächtiger Schritt, sagte er zu Krusemark, sei nur aus dem Schwindelgeiste, der die kleinen Fürsten jetzt beherrsche, zu erklären; das Hausgesetz gemahne doch stark an die eine und untheilbare Republik der Franzosen.*)
Der unerschrockene Minister in Karlsruhe ließ sich nicht beirren. Auf Reitzensteins Rath entschloß sich der Großherzog den Stier bei den Hörnern zu packen, dem Gegner, der das kleine Land seit Jahren aus dem Dunkeln heraus bedrohte, offen entgegenzutreten. In einem Briefe an König Max Joseph (12. März 1818) verwahrte sich der bedrängte Fürst dawider, daß Oesterreich seine Schulden "mit Provinzen, die mir gehören," abzutragen suche. "In so ernster Lage, fuhr er fort, ist es mir unmöglich, die bairische Regierung von ihrem Monarchen zu trennen, in diesem noch meinen Schwager und Freund zu sehen, während jene sich als mein blutigster Feind zeigt." Will Baiern Gewalt brauchen, "dann werde ich die öffentliche Meinung zu Hilfe rufen, und Ew. Maj. wird schwer einen mächtigeren Bundesgenossen finden." Sichtlich verlegen wußte Max Joseph der scharfen Anklage nach seiner Gewohnheit wieder nur eine furchtsame Unwahrheit entgegenzustellen: niemals, so betheuerte er, habe die bairische Regierung feindselige Pläne gegen Baden gehegt; sie begnüge sich "schweigend" die Entscheidung der großen Mächte abzuwarten.
*) Krusemarks Bericht, 18. Okt. 1817.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 24
Miniſterium Reitzenſtein-Berſtett.
Inzwiſchen war am Karlsruher Hofe ein glücklicher Umſchwung er- folgt. Hacke wurde entlaſſen, die Freiherren von Reitzenſtein und Berſtett traten in das Miniſterium ein: Dieſer ein unbedeutender Mann, nicht beſſer unterrichtet als der Durchſchnitt ſeiner alten Kameraden von der öſterreichiſchen Reiterei, aber pflichteifrig, pünktlich, dem fürſtlichen Hauſe unbedingt ergeben und trotz ſeiner hochconſervativen Geſinnung doch nicht ſo ängſtlich, daß er ſich vor einem Karlsruher Landtage gefürchtet hätte; Jener dagegen ein ſtaatsmänniſcher Kopf, wohl würdig eines größeren Wirkungskreiſes, der vertraute Rathgeber Karl Friedrichs in deſſen letzten Jahren. Den Franzoſen als deutſcher Patriot verdächtig hatte Reitzen- ſtein bei allen Reformen jener ſchweren Zeit mitgewirkt. Die Wieder- belebung der Heidelberger Univerſität war vornehmlich ihm zu verdanken; ſelbſt der Zunftſtolz der Profeſſoren ließ den geiſtreichen, gelehrten, durch- aus freiſinnigen Curator als einen Ebenbürtigen gelten. Er erkannte ſogleich, daß nach dem Tode des Erbprinzen vor Allem eine endgiltige Entſcheidung der Erbfolgefrage geboten war, und bewog den Großherzog, am 4. Okt. 1817 ein Hausgeſetz zu veröffentlichen, das die Untheilbar- keit des Landes feſtſetzte und das Thronfolgerecht der Grafen von Hoch- berg nochmals anerkannte. Der bairiſche Hof war entrüſtet, der diplo- matiſche Verkehr wurde ſtillſchweigend abgebrochen. Auch Metternich, der die Baiern noch immer mit halben Worten hinhielt, zeigte ſich verletzt. Ein ſo eigenmächtiger Schritt, ſagte er zu Kruſemark, ſei nur aus dem Schwindelgeiſte, der die kleinen Fürſten jetzt beherrſche, zu erklären; das Hausgeſetz gemahne doch ſtark an die eine und untheilbare Republik der Franzoſen.*)
Der unerſchrockene Miniſter in Karlsruhe ließ ſich nicht beirren. Auf Reitzenſteins Rath entſchloß ſich der Großherzog den Stier bei den Hörnern zu packen, dem Gegner, der das kleine Land ſeit Jahren aus dem Dunkeln heraus bedrohte, offen entgegenzutreten. In einem Briefe an König Max Joſeph (12. März 1818) verwahrte ſich der bedrängte Fürſt dawider, daß Oeſterreich ſeine Schulden „mit Provinzen, die mir gehören,“ abzutragen ſuche. „In ſo ernſter Lage, fuhr er fort, iſt es mir unmöglich, die bairiſche Regierung von ihrem Monarchen zu trennen, in dieſem noch meinen Schwager und Freund zu ſehen, während jene ſich als mein blutigſter Feind zeigt.“ Will Baiern Gewalt brauchen, „dann werde ich die öffentliche Meinung zu Hilfe rufen, und Ew. Maj. wird ſchwer einen mächtigeren Bundesgenoſſen finden.“ Sichtlich verlegen wußte Max Joſeph der ſcharfen Anklage nach ſeiner Gewohnheit wieder nur eine furchtſame Unwahrheit entgegenzuſtellen: niemals, ſo betheuerte er, habe die bairiſche Regierung feindſelige Pläne gegen Baden gehegt; ſie begnüge ſich „ſchweigend“ die Entſcheidung der großen Mächte abzuwarten.
*) Kruſemarks Bericht, 18. Okt. 1817.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 24
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Inzwiſchen war am Karlsruher Hofe ein glücklicher Umſchwung er-
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traten in das Miniſterium ein: Dieſer ein unbedeutender Mann, nicht
beſſer unterrichtet als der Durchſchnitt ſeiner alten Kameraden von der
öſterreichiſchen Reiterei, aber pflichteifrig, pünktlich, dem fürſtlichen Hauſe
unbedingt ergeben und trotz ſeiner hochconſervativen Geſinnung doch nicht
ſo ängſtlich, daß er ſich vor einem Karlsruher Landtage gefürchtet hätte;
Jener dagegen ein ſtaatsmänniſcher Kopf, wohl würdig eines größeren
Wirkungskreiſes, der vertraute Rathgeber Karl Friedrichs in deſſen letzten
Jahren. Den Franzoſen als deutſcher Patriot verdächtig hatte Reitzen-
ſtein bei allen Reformen jener ſchweren Zeit mitgewirkt. Die Wieder-
belebung der Heidelberger Univerſität war vornehmlich ihm zu verdanken;
ſelbſt der Zunftſtolz der Profeſſoren ließ den geiſtreichen, gelehrten, durch-
aus freiſinnigen Curator als einen Ebenbürtigen gelten. Er erkannte
ſogleich, daß nach dem Tode des Erbprinzen vor Allem eine endgiltige
Entſcheidung der Erbfolgefrage geboten war, und bewog den Großherzog,
am 4. Okt. 1817 ein Hausgeſetz zu veröffentlichen, das die Untheilbar-
keit des Landes feſtſetzte und das Thronfolgerecht der Grafen von Hoch-
berg nochmals anerkannte. Der bairiſche Hof war entrüſtet, der diplo-
matiſche Verkehr wurde ſtillſchweigend abgebrochen. Auch Metternich, der
die Baiern noch immer mit halben Worten hinhielt, zeigte ſich verletzt.
Ein ſo eigenmächtiger Schritt, ſagte er zu Kruſemark, ſei nur aus dem
Schwindelgeiſte, der die kleinen Fürſten jetzt beherrſche, zu erklären; das
Hausgeſetz gemahne doch ſtark an die eine und untheilbare Republik der
Franzoſen. *)
Der unerſchrockene Miniſter in Karlsruhe ließ ſich nicht beirren.
Auf Reitzenſteins Rath entſchloß ſich der Großherzog den Stier bei den
Hörnern zu packen, dem Gegner, der das kleine Land ſeit Jahren aus
dem Dunkeln heraus bedrohte, offen entgegenzutreten. In einem Briefe
an König Max Joſeph (12. März 1818) verwahrte ſich der bedrängte
Fürſt dawider, daß Oeſterreich ſeine Schulden „mit Provinzen, die mir
gehören,“ abzutragen ſuche. „In ſo ernſter Lage, fuhr er fort, iſt es
mir unmöglich, die bairiſche Regierung von ihrem Monarchen zu trennen,
in dieſem noch meinen Schwager und Freund zu ſehen, während jene
ſich als mein blutigſter Feind zeigt.“ Will Baiern Gewalt brauchen,
„dann werde ich die öffentliche Meinung zu Hilfe rufen, und Ew. Maj. wird
ſchwer einen mächtigeren Bundesgenoſſen finden.“ Sichtlich verlegen
wußte Max Joſeph der ſcharfen Anklage nach ſeiner Gewohnheit wieder
nur eine furchtſame Unwahrheit entgegenzuſtellen: niemals, ſo betheuerte
er, habe die bairiſche Regierung feindſelige Pläne gegen Baden gehegt; ſie
begnüge ſich „ſchweigend“ die Entſcheidung der großen Mächte abzuwarten.
*) Kruſemarks Bericht, 18. Okt. 1817.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 24
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/383>, abgerufen am 25.11.2024.
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