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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
liken in unverbrüchlicher Treue an ihrer alten Kirche hing, und hoffte
zuversichtlich, die Curie werde schon aus Furcht Alles was man ihr vorlege
annehmen. Im December 1817 wendete sich Wangenheim an die Bundes-
gesandten von Baden, Nassau, beiden Hessen, Hannover, Oldenburg,
Luxemburg und lud diese Höfe ein, durch Bevollmächtigte in Frankfurt
die Grundsätze eines gemeinsamen Concordats zu vereinbaren. Der bei-
gelegte Vertrags-Entwurf stimmte mit den Gedanken Wessenbergs nahezu
überein: er verlangte als unerläßlich das Placet und die Ernennung der
Bischöfe durch die Landesherren, desgleichen die Erziehung der Geistlichen
durch den Staat. Dies Alles dachte der phantasiereiche Staatsmann
durch ein Ultimatum bei dem heiligen Stuhle alsbald durchzusetzen, obschon
Jedermann wußte, daß der Papst die Ernennung der Bischöfe noch nie-
mals einem akatholischen Fürsten förmlich zugestanden hatte. Baden,
Nassau und die beiden Hessen entsprachen der Einladung, und im März
1818 begannen unter Wangenheims Vorsitz die Frankfurter Conferenzen.
Einige norddeutsche Kleinstaaten, die sich anfangs angeschlossen, traten
bald zurück. Das so ruhmredig angekündigte Unternehmen beschränkte
sich schließlich auf den Plan der Errichtung einer kleinen gemeinsamen
Erzdiöcese für die Landesbisthümer der oberrheinischen Kleinstaaten.

Auch den preußischen Bundesgesandten hatte Wangenheim einer
Einladung gewürdigt. Unterwarf sich der Berliner Hof der kirchenpoli-
tischen Führung Württembergs, so mochte er theilnehmen; wo nicht, so
war das reine Deutschland sich selbst genug. Selbst der gutmüthige
Goltz fand es doch befremdlich, daß Preußen so beiläufig als ein Neben-
land der zukünftigen oberrheinischen Kirchenprovinz behandelt wurde, und
konnte nicht begreifen -- so schrieb er dem Staatskanzler -- warum grade
Württemberg immer und überall sich vordrängen müsse.*) Hardenberg
aber verschmähte einen Notenwechsel und begnügte sich seinen deutschen
Gesandtschaften mitzutheilen: Preußen bleibe "den Conventikeln der kleinen
Höfe" fern, da die eigenthümlichen kirchlichen Interessen der Monarchie
"keine Vermischung vertrügen", und der herrische Ton der Kleinstaaten bei
dem römischen Stuhle gar nichts erreichen würde. Auch Metternich hielt
die Unternehmung der Frankfurter Verbündeten für aussichtlos.**) Beide
Großmächte wußten, daß man nicht mehr der gefügigen Curie des acht-
zehnten Jahrhunderts gegenüberstand; sie wußten auch, daß Consalvi
die Frankfurter Conferenzen als ein Werk Wessenbergs und darum von
vorn herein mit Argwohn betrachtete. Wohl war es ein Unheil, fort-
wirkend bis zum heutigen Tage, daß auch diese große gemeinsame An-
gelegenheit dem Partikularismus anheimfiel. Aber so lange Deutschland
des nationalen Staates entbehrte, blieb die deutsche Nationalkirche ein
unmögliches Traumbild. --

*) Wangenheim an Goltz 13. Decbr. Goltz's Bericht 18. Decbr. 1817.
**) Krusemarks Bericht, Wien 22. April. Weisung an Krusemark 20. Mai 1818.

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
liken in unverbrüchlicher Treue an ihrer alten Kirche hing, und hoffte
zuverſichtlich, die Curie werde ſchon aus Furcht Alles was man ihr vorlege
annehmen. Im December 1817 wendete ſich Wangenheim an die Bundes-
geſandten von Baden, Naſſau, beiden Heſſen, Hannover, Oldenburg,
Luxemburg und lud dieſe Höfe ein, durch Bevollmächtigte in Frankfurt
die Grundſätze eines gemeinſamen Concordats zu vereinbaren. Der bei-
gelegte Vertrags-Entwurf ſtimmte mit den Gedanken Weſſenbergs nahezu
überein: er verlangte als unerläßlich das Placet und die Ernennung der
Biſchöfe durch die Landesherren, desgleichen die Erziehung der Geiſtlichen
durch den Staat. Dies Alles dachte der phantaſiereiche Staatsmann
durch ein Ultimatum bei dem heiligen Stuhle alsbald durchzuſetzen, obſchon
Jedermann wußte, daß der Papſt die Ernennung der Biſchöfe noch nie-
mals einem akatholiſchen Fürſten förmlich zugeſtanden hatte. Baden,
Naſſau und die beiden Heſſen entſprachen der Einladung, und im März
1818 begannen unter Wangenheims Vorſitz die Frankfurter Conferenzen.
Einige norddeutſche Kleinſtaaten, die ſich anfangs angeſchloſſen, traten
bald zurück. Das ſo ruhmredig angekündigte Unternehmen beſchränkte
ſich ſchließlich auf den Plan der Errichtung einer kleinen gemeinſamen
Erzdiöceſe für die Landesbisthümer der oberrheiniſchen Kleinſtaaten.

Auch den preußiſchen Bundesgeſandten hatte Wangenheim einer
Einladung gewürdigt. Unterwarf ſich der Berliner Hof der kirchenpoli-
tiſchen Führung Württembergs, ſo mochte er theilnehmen; wo nicht, ſo
war das reine Deutſchland ſich ſelbſt genug. Selbſt der gutmüthige
Goltz fand es doch befremdlich, daß Preußen ſo beiläufig als ein Neben-
land der zukünftigen oberrheiniſchen Kirchenprovinz behandelt wurde, und
konnte nicht begreifen — ſo ſchrieb er dem Staatskanzler — warum grade
Württemberg immer und überall ſich vordrängen müſſe.*) Hardenberg
aber verſchmähte einen Notenwechſel und begnügte ſich ſeinen deutſchen
Geſandtſchaften mitzutheilen: Preußen bleibe „den Conventikeln der kleinen
Höfe“ fern, da die eigenthümlichen kirchlichen Intereſſen der Monarchie
„keine Vermiſchung vertrügen“, und der herriſche Ton der Kleinſtaaten bei
dem römiſchen Stuhle gar nichts erreichen würde. Auch Metternich hielt
die Unternehmung der Frankfurter Verbündeten für ausſichtlos.**) Beide
Großmächte wußten, daß man nicht mehr der gefügigen Curie des acht-
zehnten Jahrhunderts gegenüberſtand; ſie wußten auch, daß Conſalvi
die Frankfurter Conferenzen als ein Werk Weſſenbergs und darum von
vorn herein mit Argwohn betrachtete. Wohl war es ein Unheil, fort-
wirkend bis zum heutigen Tage, daß auch dieſe große gemeinſame An-
gelegenheit dem Partikularismus anheimfiel. Aber ſo lange Deutſchland
des nationalen Staates entbehrte, blieb die deutſche Nationalkirche ein
unmögliches Traumbild. —

*) Wangenheim an Goltz 13. Decbr. Goltz’s Bericht 18. Decbr. 1817.
**) Kruſemarks Bericht, Wien 22. April. Weiſung an Kruſemark 20. Mai 1818.
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[368/0382] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. liken in unverbrüchlicher Treue an ihrer alten Kirche hing, und hoffte zuverſichtlich, die Curie werde ſchon aus Furcht Alles was man ihr vorlege annehmen. Im December 1817 wendete ſich Wangenheim an die Bundes- geſandten von Baden, Naſſau, beiden Heſſen, Hannover, Oldenburg, Luxemburg und lud dieſe Höfe ein, durch Bevollmächtigte in Frankfurt die Grundſätze eines gemeinſamen Concordats zu vereinbaren. Der bei- gelegte Vertrags-Entwurf ſtimmte mit den Gedanken Weſſenbergs nahezu überein: er verlangte als unerläßlich das Placet und die Ernennung der Biſchöfe durch die Landesherren, desgleichen die Erziehung der Geiſtlichen durch den Staat. Dies Alles dachte der phantaſiereiche Staatsmann durch ein Ultimatum bei dem heiligen Stuhle alsbald durchzuſetzen, obſchon Jedermann wußte, daß der Papſt die Ernennung der Biſchöfe noch nie- mals einem akatholiſchen Fürſten förmlich zugeſtanden hatte. Baden, Naſſau und die beiden Heſſen entſprachen der Einladung, und im März 1818 begannen unter Wangenheims Vorſitz die Frankfurter Conferenzen. Einige norddeutſche Kleinſtaaten, die ſich anfangs angeſchloſſen, traten bald zurück. Das ſo ruhmredig angekündigte Unternehmen beſchränkte ſich ſchließlich auf den Plan der Errichtung einer kleinen gemeinſamen Erzdiöceſe für die Landesbisthümer der oberrheiniſchen Kleinſtaaten. Auch den preußiſchen Bundesgeſandten hatte Wangenheim einer Einladung gewürdigt. Unterwarf ſich der Berliner Hof der kirchenpoli- tiſchen Führung Württembergs, ſo mochte er theilnehmen; wo nicht, ſo war das reine Deutſchland ſich ſelbſt genug. Selbſt der gutmüthige Goltz fand es doch befremdlich, daß Preußen ſo beiläufig als ein Neben- land der zukünftigen oberrheiniſchen Kirchenprovinz behandelt wurde, und konnte nicht begreifen — ſo ſchrieb er dem Staatskanzler — warum grade Württemberg immer und überall ſich vordrängen müſſe. *) Hardenberg aber verſchmähte einen Notenwechſel und begnügte ſich ſeinen deutſchen Geſandtſchaften mitzutheilen: Preußen bleibe „den Conventikeln der kleinen Höfe“ fern, da die eigenthümlichen kirchlichen Intereſſen der Monarchie „keine Vermiſchung vertrügen“, und der herriſche Ton der Kleinſtaaten bei dem römiſchen Stuhle gar nichts erreichen würde. Auch Metternich hielt die Unternehmung der Frankfurter Verbündeten für ausſichtlos. **) Beide Großmächte wußten, daß man nicht mehr der gefügigen Curie des acht- zehnten Jahrhunderts gegenüberſtand; ſie wußten auch, daß Conſalvi die Frankfurter Conferenzen als ein Werk Weſſenbergs und darum von vorn herein mit Argwohn betrachtete. Wohl war es ein Unheil, fort- wirkend bis zum heutigen Tage, daß auch dieſe große gemeinſame An- gelegenheit dem Partikularismus anheimfiel. Aber ſo lange Deutſchland des nationalen Staates entbehrte, blieb die deutſche Nationalkirche ein unmögliches Traumbild. — *) Wangenheim an Goltz 13. Decbr. Goltz’s Bericht 18. Decbr. 1817. **) Kruſemarks Bericht, Wien 22. April. Weiſung an Kruſemark 20. Mai 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/382>, abgerufen am 22.11.2024.