Hoch und Niedrig an den köstlichen Kalendergeschichten des Rheinischen Hausfreunds und an den alemannischen Gedichten Hebels, die in der treuherzigen Volkssprache von dem Glücke des gemüthlichen Oberlandes erzählten, von seinen dunklen Wäldern und plaudernden Bächen, von den Kästenbäumen und dem Markgräflerweine, von dem Frohsinn, der Schelmerei, dem kräftigen Verstande seiner aufrechten Mannen und schönen Dirnen. Sonne und Mond, Tages- und Jahreszeiten, alle Schicksalsmächte, die das Leben des Landvolks bestimmen, nahmen in diesen lieblichen Idyllen die Gestalt und Sprache alemannischer Bauern an, so daß Goethe rühmte, der oberländische Poet verbauere auf die naivste, anmuthigste Weise durchaus das Universum. Und auch darum erschien Hebel als ein echter Volksdichter, weil er ganz erfüllt war von dem Geiste der Aufklärung, der hier zu Lande in der Luft lag. Ein kind- lich frommer Rationalist sah er über den Streit der Bekenntnisse mit einer Milde hinweg, die den kirchlichen Eiferern fast bedenklich vorkam, und versäumte selten den lustigen Geschichten seines Hausfreundes eine hausbackene moralische Nutzanwendung, die doch immer in den Schranken der Kunst blieb, anzuhängen.
Der Schwerpunkt des neuen Staates lag in dem überwiegend katho- lischen Oberlande. Wohl währte es lange, bis die Breisgauer sich über die Trennung von dem geliebten Kaiserhause trösteten. Der Adel vergaß die Schließung seines Freiburger Ständehauses nicht und unterhielt erst mit den französischen Emigranten, dann mit dem Wiener Hofe einen ver- dächtigen Verkehr; die Bürger beklagten, daß die Altbadener im Staats- dienste bevorzugt würden, die alten Markgrafenlande immer die tüchtigsten Amtleute erhielten. Am Ende mußten die vorderösterreichischen Alemannen die Verbindung mit den badischen Stammgenossen doch natürlich finden.
Weit langsamer gewöhnten sich die pfälzischen Franken des Unterlandes an den neuen Landesherrn. Was konnte Badens bescheidene Geschichte aufweisen gegen die stolzen Erinnerungen des ältesten rheinischen Kur- fürstenthums, das so lange den Reichsapfel des Kaisers getragen und, ein gefürchteter Störenfried der geistlichen Nachbarn ringsum, der streitbaren reformirten Kirche dort am Unterlaufe des Neckars eine feste Burg er- richtet hatte? Trotz allem Jammer der letzten kurfürstlichen Zeiten blieb das Volk noch bei dem alten Spruche: fröhlich Pfalz, Gott erhalt's. Man sprach noch gern von den alten Tagen, da es so hoch herging am großen Faß zu Heidelberg; und die glückliche Mutter sagte stolz von ihrer schönen Tochter: sie schaut aus wie eine Pfalzgräfin. Die freieren Köpfe wendeten sich, als sie ihr geliebtes altes Gemeinwesen zusammenbrechen sahen, den nationalen Ideen zu. Keine Landschaft im Süden war so gut deutsch gesinnt. Die rechtsrheinischen Pfälzer hatten sich vor ihren über- rheinischen Mitbürgern immer durch ein regeres geistiges Leben ausgezeichnet und auch als das linke Rheinufer der Fremdherrschaft verfiel, die Fühlung
Alemannen und Pfälzer.
Hoch und Niedrig an den köſtlichen Kalendergeſchichten des Rheiniſchen Hausfreunds und an den alemanniſchen Gedichten Hebels, die in der treuherzigen Volksſprache von dem Glücke des gemüthlichen Oberlandes erzählten, von ſeinen dunklen Wäldern und plaudernden Bächen, von den Käſtenbäumen und dem Markgräflerweine, von dem Frohſinn, der Schelmerei, dem kräftigen Verſtande ſeiner aufrechten Mannen und ſchönen Dirnen. Sonne und Mond, Tages- und Jahreszeiten, alle Schickſalsmächte, die das Leben des Landvolks beſtimmen, nahmen in dieſen lieblichen Idyllen die Geſtalt und Sprache alemanniſcher Bauern an, ſo daß Goethe rühmte, der oberländiſche Poet verbauere auf die naivſte, anmuthigſte Weiſe durchaus das Univerſum. Und auch darum erſchien Hebel als ein echter Volksdichter, weil er ganz erfüllt war von dem Geiſte der Aufklärung, der hier zu Lande in der Luft lag. Ein kind- lich frommer Rationaliſt ſah er über den Streit der Bekenntniſſe mit einer Milde hinweg, die den kirchlichen Eiferern faſt bedenklich vorkam, und verſäumte ſelten den luſtigen Geſchichten ſeines Hausfreundes eine hausbackene moraliſche Nutzanwendung, die doch immer in den Schranken der Kunſt blieb, anzuhängen.
Der Schwerpunkt des neuen Staates lag in dem überwiegend katho- liſchen Oberlande. Wohl währte es lange, bis die Breisgauer ſich über die Trennung von dem geliebten Kaiſerhauſe tröſteten. Der Adel vergaß die Schließung ſeines Freiburger Ständehauſes nicht und unterhielt erſt mit den franzöſiſchen Emigranten, dann mit dem Wiener Hofe einen ver- dächtigen Verkehr; die Bürger beklagten, daß die Altbadener im Staats- dienſte bevorzugt würden, die alten Markgrafenlande immer die tüchtigſten Amtleute erhielten. Am Ende mußten die vorderöſterreichiſchen Alemannen die Verbindung mit den badiſchen Stammgenoſſen doch natürlich finden.
Weit langſamer gewöhnten ſich die pfälziſchen Franken des Unterlandes an den neuen Landesherrn. Was konnte Badens beſcheidene Geſchichte aufweiſen gegen die ſtolzen Erinnerungen des älteſten rheiniſchen Kur- fürſtenthums, das ſo lange den Reichsapfel des Kaiſers getragen und, ein gefürchteter Störenfried der geiſtlichen Nachbarn ringsum, der ſtreitbaren reformirten Kirche dort am Unterlaufe des Neckars eine feſte Burg er- richtet hatte? Trotz allem Jammer der letzten kurfürſtlichen Zeiten blieb das Volk noch bei dem alten Spruche: fröhlich Pfalz, Gott erhalt’s. Man ſprach noch gern von den alten Tagen, da es ſo hoch herging am großen Faß zu Heidelberg; und die glückliche Mutter ſagte ſtolz von ihrer ſchönen Tochter: ſie ſchaut aus wie eine Pfalzgräfin. Die freieren Köpfe wendeten ſich, als ſie ihr geliebtes altes Gemeinweſen zuſammenbrechen ſahen, den nationalen Ideen zu. Keine Landſchaft im Süden war ſo gut deutſch geſinnt. Die rechtsrheiniſchen Pfälzer hatten ſich vor ihren über- rheiniſchen Mitbürgern immer durch ein regeres geiſtiges Leben ausgezeichnet und auch als das linke Rheinufer der Fremdherrſchaft verfiel, die Fühlung
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Alemannen und Pfälzer.
Hoch und Niedrig an den köſtlichen Kalendergeſchichten des Rheiniſchen
Hausfreunds und an den alemanniſchen Gedichten Hebels, die in der
treuherzigen Volksſprache von dem Glücke des gemüthlichen Oberlandes
erzählten, von ſeinen dunklen Wäldern und plaudernden Bächen, von
den Käſtenbäumen und dem Markgräflerweine, von dem Frohſinn, der
Schelmerei, dem kräftigen Verſtande ſeiner aufrechten Mannen und
ſchönen Dirnen. Sonne und Mond, Tages- und Jahreszeiten, alle
Schickſalsmächte, die das Leben des Landvolks beſtimmen, nahmen in
dieſen lieblichen Idyllen die Geſtalt und Sprache alemanniſcher Bauern
an, ſo daß Goethe rühmte, der oberländiſche Poet verbauere auf die naivſte,
anmuthigſte Weiſe durchaus das Univerſum. Und auch darum erſchien
Hebel als ein echter Volksdichter, weil er ganz erfüllt war von dem
Geiſte der Aufklärung, der hier zu Lande in der Luft lag. Ein kind-
lich frommer Rationaliſt ſah er über den Streit der Bekenntniſſe mit
einer Milde hinweg, die den kirchlichen Eiferern faſt bedenklich vorkam,
und verſäumte ſelten den luſtigen Geſchichten ſeines Hausfreundes eine
hausbackene moraliſche Nutzanwendung, die doch immer in den Schranken
der Kunſt blieb, anzuhängen.
Der Schwerpunkt des neuen Staates lag in dem überwiegend katho-
liſchen Oberlande. Wohl währte es lange, bis die Breisgauer ſich über
die Trennung von dem geliebten Kaiſerhauſe tröſteten. Der Adel vergaß
die Schließung ſeines Freiburger Ständehauſes nicht und unterhielt erſt
mit den franzöſiſchen Emigranten, dann mit dem Wiener Hofe einen ver-
dächtigen Verkehr; die Bürger beklagten, daß die Altbadener im Staats-
dienſte bevorzugt würden, die alten Markgrafenlande immer die tüchtigſten
Amtleute erhielten. Am Ende mußten die vorderöſterreichiſchen Alemannen
die Verbindung mit den badiſchen Stammgenoſſen doch natürlich finden.
Weit langſamer gewöhnten ſich die pfälziſchen Franken des Unterlandes
an den neuen Landesherrn. Was konnte Badens beſcheidene Geſchichte
aufweiſen gegen die ſtolzen Erinnerungen des älteſten rheiniſchen Kur-
fürſtenthums, das ſo lange den Reichsapfel des Kaiſers getragen und, ein
gefürchteter Störenfried der geiſtlichen Nachbarn ringsum, der ſtreitbaren
reformirten Kirche dort am Unterlaufe des Neckars eine feſte Burg er-
richtet hatte? Trotz allem Jammer der letzten kurfürſtlichen Zeiten blieb
das Volk noch bei dem alten Spruche: fröhlich Pfalz, Gott erhalt’s.
Man ſprach noch gern von den alten Tagen, da es ſo hoch herging am
großen Faß zu Heidelberg; und die glückliche Mutter ſagte ſtolz von ihrer
ſchönen Tochter: ſie ſchaut aus wie eine Pfalzgräfin. Die freieren Köpfe
wendeten ſich, als ſie ihr geliebtes altes Gemeinweſen zuſammenbrechen
ſahen, den nationalen Ideen zu. Keine Landſchaft im Süden war ſo gut
deutſch geſinnt. Die rechtsrheiniſchen Pfälzer hatten ſich vor ihren über-
rheiniſchen Mitbürgern immer durch ein regeres geiſtiges Leben ausgezeichnet
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/371>, abgerufen am 16.02.2025.
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