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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Wiederaufnahme der Verfassungsarbeit.
pfändet hatte, blieb ihm nur noch eine Hinterthür offen: jener Art. 18
nämlich, kraft dessen das Concordat als Staatsgesetz verkündigt werden
sollte. Die Regierung beschloß -- so gestand der Minister Rechberg dem
preußischen Gesandten im tiefsten Vertrauen -- "den Vertrag nach Mög-
lichkeit zu interpretiren;" sie dachte das Concordat als Gesetz für das
Königreich zu veröffentlichen, aber gleichzeitig auch ein zweites Gesetz, das
den Gewährungen des Concordats die Spitze abbrechen und die Protestanten
beruhigen sollte.*) Ein kläglicher Ausweg aus einer selbstverschuldeten
kläglichen Lage, aber nach Allem was geschehen immerhin noch das einzige
Mittel um die preisgegebenen Rechte der Staatsgewalt zurückzuerlangen.

Den bequemsten Anlaß zur Ausführung dieses Vorhabens bot die
Einlösung des Verfassungsversprechens. Am 11. Februar 1818 beschloß
das Staatsministerium auf den Antrag des Generaldirectors v. Zentner,
der Verfassung ein Edict über die Rechtsverhältnisse der christlichen Reli-
gionsgemeinschaften beizulegen. So hatte die Nachgiebigkeit gegen den
römischen Stuhl doch die eine günstige Folge, daß die stockende Ver-
fassungsarbeit wieder in Fluß gerieth. Auch die Finanznoth kam den
Wünschen der Verfassungsfreunde zu statten; sie war unter diesem viel-
köpfigen Regimente so hoch gestiegen, daß der Kronprinz kurzweg erklärte,
nur die Berufung der Landstände könne den zerrütteten Staatscredit
wiederherstellen.**) Stärker als alle diese Rücksichten wirkte der dynastische
Ehrgeiz. Die Erwerbung der badischen Pfalz blieb nach wie vor der lei-
tende Gedanke der bairischen Staatskunst, und da der Schiedsspruch der
großen Mächte noch ausstand, so begannen im Frühjahr 1818 die beiden
Höfe von München und Karlsruhe einen wunderlichen Wettlauf um die
Gunst der öffentlichen Meinung, die doch sehr wenig bedeutete. Beide
Gegner betrieben mit fieberischem Eifer ihre Verfassungsberathungen, um
den Beistand der Tagespresse für die Entscheidung der Gebietsfrage zu
gewinnen. Darum vornehmlich hielten der Kronprinz und der Feldmar-
schall standhaft zu der constitutionellen Partei.

Seit dem Februar 1818 wurde die Durchsicht der Constitutions-
Entwürfe von 1808 und 1814 wieder aufgenommen. Im Verlaufe dieser
Berathungen gewann Zentner täglich an Ansehen, neben Lerchenfeld der
beste Kopf des Münchener Cabinets, vormals Professor in Erlangen,
aber frei von jenem doctrinären Eigensinn, welcher die deutschen Gelehrten
in der praktischen Politik fast immer Schiffbruch leiden läßt; Bureau-
krat durch und durch, beredt, klug, sachkundig, ganz erfüllt von dem Ge-
danken der Allmacht des Staates, im persönlichen Verkehre geistreich und
liebenswürdig, wenngleich das geckenhafte Wesen des alten Junggesellen
zuweilen ein Lächeln erregte. Als Generaldirector im Ministerium des

*) Zastrows Berichte, 15. Febr., 15. April 1818.
**) Zastrows Bericht 15. März 1818.

Wiederaufnahme der Verfaſſungsarbeit.
pfändet hatte, blieb ihm nur noch eine Hinterthür offen: jener Art. 18
nämlich, kraft deſſen das Concordat als Staatsgeſetz verkündigt werden
ſollte. Die Regierung beſchloß — ſo geſtand der Miniſter Rechberg dem
preußiſchen Geſandten im tiefſten Vertrauen — „den Vertrag nach Mög-
lichkeit zu interpretiren;“ ſie dachte das Concordat als Geſetz für das
Königreich zu veröffentlichen, aber gleichzeitig auch ein zweites Geſetz, das
den Gewährungen des Concordats die Spitze abbrechen und die Proteſtanten
beruhigen ſollte.*) Ein kläglicher Ausweg aus einer ſelbſtverſchuldeten
kläglichen Lage, aber nach Allem was geſchehen immerhin noch das einzige
Mittel um die preisgegebenen Rechte der Staatsgewalt zurückzuerlangen.

Den bequemſten Anlaß zur Ausführung dieſes Vorhabens bot die
Einlöſung des Verfaſſungsverſprechens. Am 11. Februar 1818 beſchloß
das Staatsminiſterium auf den Antrag des Generaldirectors v. Zentner,
der Verfaſſung ein Edict über die Rechtsverhältniſſe der chriſtlichen Reli-
gionsgemeinſchaften beizulegen. So hatte die Nachgiebigkeit gegen den
römiſchen Stuhl doch die eine günſtige Folge, daß die ſtockende Ver-
faſſungsarbeit wieder in Fluß gerieth. Auch die Finanznoth kam den
Wünſchen der Verfaſſungsfreunde zu ſtatten; ſie war unter dieſem viel-
köpfigen Regimente ſo hoch geſtiegen, daß der Kronprinz kurzweg erklärte,
nur die Berufung der Landſtände könne den zerrütteten Staatscredit
wiederherſtellen.**) Stärker als alle dieſe Rückſichten wirkte der dynaſtiſche
Ehrgeiz. Die Erwerbung der badiſchen Pfalz blieb nach wie vor der lei-
tende Gedanke der bairiſchen Staatskunſt, und da der Schiedsſpruch der
großen Mächte noch ausſtand, ſo begannen im Frühjahr 1818 die beiden
Höfe von München und Karlsruhe einen wunderlichen Wettlauf um die
Gunſt der öffentlichen Meinung, die doch ſehr wenig bedeutete. Beide
Gegner betrieben mit fieberiſchem Eifer ihre Verfaſſungsberathungen, um
den Beiſtand der Tagespreſſe für die Entſcheidung der Gebietsfrage zu
gewinnen. Darum vornehmlich hielten der Kronprinz und der Feldmar-
ſchall ſtandhaft zu der conſtitutionellen Partei.

Seit dem Februar 1818 wurde die Durchſicht der Conſtitutions-
Entwürfe von 1808 und 1814 wieder aufgenommen. Im Verlaufe dieſer
Berathungen gewann Zentner täglich an Anſehen, neben Lerchenfeld der
beſte Kopf des Münchener Cabinets, vormals Profeſſor in Erlangen,
aber frei von jenem doctrinären Eigenſinn, welcher die deutſchen Gelehrten
in der praktiſchen Politik faſt immer Schiffbruch leiden läßt; Bureau-
krat durch und durch, beredt, klug, ſachkundig, ganz erfüllt von dem Ge-
danken der Allmacht des Staates, im perſönlichen Verkehre geiſtreich und
liebenswürdig, wenngleich das geckenhafte Weſen des alten Junggeſellen
zuweilen ein Lächeln erregte. Als Generaldirector im Miniſterium des

*) Zaſtrows Berichte, 15. Febr., 15. April 1818.
**) Zaſtrows Bericht 15. März 1818.
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[351/0365] Wiederaufnahme der Verfaſſungsarbeit. pfändet hatte, blieb ihm nur noch eine Hinterthür offen: jener Art. 18 nämlich, kraft deſſen das Concordat als Staatsgeſetz verkündigt werden ſollte. Die Regierung beſchloß — ſo geſtand der Miniſter Rechberg dem preußiſchen Geſandten im tiefſten Vertrauen — „den Vertrag nach Mög- lichkeit zu interpretiren;“ ſie dachte das Concordat als Geſetz für das Königreich zu veröffentlichen, aber gleichzeitig auch ein zweites Geſetz, das den Gewährungen des Concordats die Spitze abbrechen und die Proteſtanten beruhigen ſollte. *) Ein kläglicher Ausweg aus einer ſelbſtverſchuldeten kläglichen Lage, aber nach Allem was geſchehen immerhin noch das einzige Mittel um die preisgegebenen Rechte der Staatsgewalt zurückzuerlangen. Den bequemſten Anlaß zur Ausführung dieſes Vorhabens bot die Einlöſung des Verfaſſungsverſprechens. Am 11. Februar 1818 beſchloß das Staatsminiſterium auf den Antrag des Generaldirectors v. Zentner, der Verfaſſung ein Edict über die Rechtsverhältniſſe der chriſtlichen Reli- gionsgemeinſchaften beizulegen. So hatte die Nachgiebigkeit gegen den römiſchen Stuhl doch die eine günſtige Folge, daß die ſtockende Ver- faſſungsarbeit wieder in Fluß gerieth. Auch die Finanznoth kam den Wünſchen der Verfaſſungsfreunde zu ſtatten; ſie war unter dieſem viel- köpfigen Regimente ſo hoch geſtiegen, daß der Kronprinz kurzweg erklärte, nur die Berufung der Landſtände könne den zerrütteten Staatscredit wiederherſtellen. **) Stärker als alle dieſe Rückſichten wirkte der dynaſtiſche Ehrgeiz. Die Erwerbung der badiſchen Pfalz blieb nach wie vor der lei- tende Gedanke der bairiſchen Staatskunſt, und da der Schiedsſpruch der großen Mächte noch ausſtand, ſo begannen im Frühjahr 1818 die beiden Höfe von München und Karlsruhe einen wunderlichen Wettlauf um die Gunſt der öffentlichen Meinung, die doch ſehr wenig bedeutete. Beide Gegner betrieben mit fieberiſchem Eifer ihre Verfaſſungsberathungen, um den Beiſtand der Tagespreſſe für die Entſcheidung der Gebietsfrage zu gewinnen. Darum vornehmlich hielten der Kronprinz und der Feldmar- ſchall ſtandhaft zu der conſtitutionellen Partei. Seit dem Februar 1818 wurde die Durchſicht der Conſtitutions- Entwürfe von 1808 und 1814 wieder aufgenommen. Im Verlaufe dieſer Berathungen gewann Zentner täglich an Anſehen, neben Lerchenfeld der beſte Kopf des Münchener Cabinets, vormals Profeſſor in Erlangen, aber frei von jenem doctrinären Eigenſinn, welcher die deutſchen Gelehrten in der praktiſchen Politik faſt immer Schiffbruch leiden läßt; Bureau- krat durch und durch, beredt, klug, ſachkundig, ganz erfüllt von dem Ge- danken der Allmacht des Staates, im perſönlichen Verkehre geiſtreich und liebenswürdig, wenngleich das geckenhafte Weſen des alten Junggeſellen zuweilen ein Lächeln erregte. Als Generaldirector im Miniſterium des *) Zaſtrows Berichte, 15. Febr., 15. April 1818. **) Zaſtrows Bericht 15. März 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/365>, abgerufen am 22.11.2024.