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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
wolle. Trotzdem wurden die theuer erkauften realen Gewerbegerechtigkeiten
nicht aufgehoben; jede Zunft verfolgte nach wie vor die Arbeit der Pfuscher,
die Bortenmacher und die Posamentirer lebten noch immer in ewigem
Grenzstreite, und wer das Glück hatte in den streng geschlossenen kleinen
Kreis der bürgerlichen Essenkehrermeister Münchens hineinzuheirathen war
all irdischen Sorgen ledig. Die Reform blieb Stückwerk und erregte nur
den Groll der Handwerker. Von der Erlaubniß zu selbständigem Ge-
werbebetriebe hing aber in den Städten das Recht der Eheschließung ab;
da nun überdies auf dem Lande die Grundherren befugt waren jede
Heirath zu untersagen und die Untheilbarkeit der Bauernhöfe die Ver-
sorgung der jüngeren Söhne erschwerte, so geschah es, daß dies derb-
sinnliche, doch keineswegs unsittliche Volk sich durch die Masse seiner un-
ehelichen Kinder vor allen Völkern Europas traurig auszeichnete. In
Niederbaiern kam fast ein Viertel aller Kinder außer der Ehe zur Welt.
In der Pfalz dagegen blieb die Zahl der unehelichen Geburten fast dreimal
geringer, denn hier bestand die sociale Freiheit der französischen Gesetz-
gebung und das harte, aber heilsame Verbot der Vaterschaftsklage.

Für die Lebenszeit des Königs glaubte Montgelas der Herrschaft
sicher zu sein. Die große Mehrzahl des Beamtenthums war von dem
Geiste des napoleonischen Despotismus durchdrungen, und in der Haupt-
stadt bestanden nur zwei starke Parteien, beide gleich undeutsch, beide
gleich particularistisch: hier die Clericalen, die unter Max Joseph nie-
mals an's Ruder gelangen konnten, dort die Anhänger des aufgeklärten
Ministers. Die kleine Kolonie von norddeutschen und schwäbischen Ge-
lehrten, welche in München noch fast allein die politischen Ideale des Be-
freiungskrieges festhielt, besaß keinen Einfluß und durfte den Minister
nicht offen bekämpfen, da er ihr doch einen Rückhalt bot gegen den
Fremdenhaß der fanatischen Altbaiern; einer der Besten aus diesem Kreise,
der Philolog Jacobs war schon wieder nach Thüringen heimgezogen, der
feinfühlende Mann konnte es nicht ertragen beständig geschmäht zu werden
als ein nordischer, im bairischen Kanaan gemästeter Bettler. Stärker war
die Unzufriedenheit in Franken; hier zitterte die Begeisterung der Kriegs-
jahre noch lange nach, die Gemeinden grollten über den Verlust ihrer
selbständigen Verwaltung, und eine pathetische Schrift des Bambergers
Hornthal, die an den Art. 13 der Bundesakte erinnerte, fand lebhaften
Anklang. Doch auch diese Opposition schien ungefährlich. Voll Zuver-
sicht sangen die unbekehrten Rheinbündler in Aretins Alemannia noch
immer das Lob des großen Ministers, unter wüthenden Schimpfreden
gegen die Deutsch-Michelei, den Borussismus und die Anglomanie. Als
in Franken der Jahrestag der Leipziger Schlacht gefeiert wurde, erzählten
diese Alemannen in einem Festberichte: die schöne Feier habe mit einer
Thierschau geendet und der beste Ochse sei mit dem Orden des eisernen
Kreuzes geschmückt worden.

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
wolle. Trotzdem wurden die theuer erkauften realen Gewerbegerechtigkeiten
nicht aufgehoben; jede Zunft verfolgte nach wie vor die Arbeit der Pfuſcher,
die Bortenmacher und die Poſamentirer lebten noch immer in ewigem
Grenzſtreite, und wer das Glück hatte in den ſtreng geſchloſſenen kleinen
Kreis der bürgerlichen Eſſenkehrermeiſter Münchens hineinzuheirathen war
all irdiſchen Sorgen ledig. Die Reform blieb Stückwerk und erregte nur
den Groll der Handwerker. Von der Erlaubniß zu ſelbſtändigem Ge-
werbebetriebe hing aber in den Städten das Recht der Eheſchließung ab;
da nun überdies auf dem Lande die Grundherren befugt waren jede
Heirath zu unterſagen und die Untheilbarkeit der Bauernhöfe die Ver-
ſorgung der jüngeren Söhne erſchwerte, ſo geſchah es, daß dies derb-
ſinnliche, doch keineswegs unſittliche Volk ſich durch die Maſſe ſeiner un-
ehelichen Kinder vor allen Völkern Europas traurig auszeichnete. In
Niederbaiern kam faſt ein Viertel aller Kinder außer der Ehe zur Welt.
In der Pfalz dagegen blieb die Zahl der unehelichen Geburten faſt dreimal
geringer, denn hier beſtand die ſociale Freiheit der franzöſiſchen Geſetz-
gebung und das harte, aber heilſame Verbot der Vaterſchaftsklage.

Für die Lebenszeit des Königs glaubte Montgelas der Herrſchaft
ſicher zu ſein. Die große Mehrzahl des Beamtenthums war von dem
Geiſte des napoleoniſchen Despotismus durchdrungen, und in der Haupt-
ſtadt beſtanden nur zwei ſtarke Parteien, beide gleich undeutſch, beide
gleich particulariſtiſch: hier die Clericalen, die unter Max Joſeph nie-
mals an’s Ruder gelangen konnten, dort die Anhänger des aufgeklärten
Miniſters. Die kleine Kolonie von norddeutſchen und ſchwäbiſchen Ge-
lehrten, welche in München noch faſt allein die politiſchen Ideale des Be-
freiungskrieges feſthielt, beſaß keinen Einfluß und durfte den Miniſter
nicht offen bekämpfen, da er ihr doch einen Rückhalt bot gegen den
Fremdenhaß der fanatiſchen Altbaiern; einer der Beſten aus dieſem Kreiſe,
der Philolog Jacobs war ſchon wieder nach Thüringen heimgezogen, der
feinfühlende Mann konnte es nicht ertragen beſtändig geſchmäht zu werden
als ein nordiſcher, im bairiſchen Kanaan gemäſteter Bettler. Stärker war
die Unzufriedenheit in Franken; hier zitterte die Begeiſterung der Kriegs-
jahre noch lange nach, die Gemeinden grollten über den Verluſt ihrer
ſelbſtändigen Verwaltung, und eine pathetiſche Schrift des Bambergers
Hornthal, die an den Art. 13 der Bundesakte erinnerte, fand lebhaften
Anklang. Doch auch dieſe Oppoſition ſchien ungefährlich. Voll Zuver-
ſicht ſangen die unbekehrten Rheinbündler in Aretins Alemannia noch
immer das Lob des großen Miniſters, unter wüthenden Schimpfreden
gegen die Deutſch-Michelei, den Boruſſismus und die Anglomanie. Als
in Franken der Jahrestag der Leipziger Schlacht gefeiert wurde, erzählten
dieſe Alemannen in einem Feſtberichte: die ſchöne Feier habe mit einer
Thierſchau geendet und der beſte Ochſe ſei mit dem Orden des eiſernen
Kreuzes geſchmückt worden.

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[338/0352] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. wolle. Trotzdem wurden die theuer erkauften realen Gewerbegerechtigkeiten nicht aufgehoben; jede Zunft verfolgte nach wie vor die Arbeit der Pfuſcher, die Bortenmacher und die Poſamentirer lebten noch immer in ewigem Grenzſtreite, und wer das Glück hatte in den ſtreng geſchloſſenen kleinen Kreis der bürgerlichen Eſſenkehrermeiſter Münchens hineinzuheirathen war all irdiſchen Sorgen ledig. Die Reform blieb Stückwerk und erregte nur den Groll der Handwerker. Von der Erlaubniß zu ſelbſtändigem Ge- werbebetriebe hing aber in den Städten das Recht der Eheſchließung ab; da nun überdies auf dem Lande die Grundherren befugt waren jede Heirath zu unterſagen und die Untheilbarkeit der Bauernhöfe die Ver- ſorgung der jüngeren Söhne erſchwerte, ſo geſchah es, daß dies derb- ſinnliche, doch keineswegs unſittliche Volk ſich durch die Maſſe ſeiner un- ehelichen Kinder vor allen Völkern Europas traurig auszeichnete. In Niederbaiern kam faſt ein Viertel aller Kinder außer der Ehe zur Welt. In der Pfalz dagegen blieb die Zahl der unehelichen Geburten faſt dreimal geringer, denn hier beſtand die ſociale Freiheit der franzöſiſchen Geſetz- gebung und das harte, aber heilſame Verbot der Vaterſchaftsklage. Für die Lebenszeit des Königs glaubte Montgelas der Herrſchaft ſicher zu ſein. Die große Mehrzahl des Beamtenthums war von dem Geiſte des napoleoniſchen Despotismus durchdrungen, und in der Haupt- ſtadt beſtanden nur zwei ſtarke Parteien, beide gleich undeutſch, beide gleich particulariſtiſch: hier die Clericalen, die unter Max Joſeph nie- mals an’s Ruder gelangen konnten, dort die Anhänger des aufgeklärten Miniſters. Die kleine Kolonie von norddeutſchen und ſchwäbiſchen Ge- lehrten, welche in München noch faſt allein die politiſchen Ideale des Be- freiungskrieges feſthielt, beſaß keinen Einfluß und durfte den Miniſter nicht offen bekämpfen, da er ihr doch einen Rückhalt bot gegen den Fremdenhaß der fanatiſchen Altbaiern; einer der Beſten aus dieſem Kreiſe, der Philolog Jacobs war ſchon wieder nach Thüringen heimgezogen, der feinfühlende Mann konnte es nicht ertragen beſtändig geſchmäht zu werden als ein nordiſcher, im bairiſchen Kanaan gemäſteter Bettler. Stärker war die Unzufriedenheit in Franken; hier zitterte die Begeiſterung der Kriegs- jahre noch lange nach, die Gemeinden grollten über den Verluſt ihrer ſelbſtändigen Verwaltung, und eine pathetiſche Schrift des Bambergers Hornthal, die an den Art. 13 der Bundesakte erinnerte, fand lebhaften Anklang. Doch auch dieſe Oppoſition ſchien ungefährlich. Voll Zuver- ſicht ſangen die unbekehrten Rheinbündler in Aretins Alemannia noch immer das Lob des großen Miniſters, unter wüthenden Schimpfreden gegen die Deutſch-Michelei, den Boruſſismus und die Anglomanie. Als in Franken der Jahrestag der Leipziger Schlacht gefeiert wurde, erzählten dieſe Alemannen in einem Feſtberichte: die ſchöne Feier habe mit einer Thierſchau geendet und der beſte Ochſe ſei mit dem Orden des eiſernen Kreuzes geſchmückt worden.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/352>, abgerufen am 25.11.2024.