worden, so begannen die Landstände bereits über Verschwendung zu klagen und willigten schon nach drei Jahren freudig ein, als der König sich be- reit erklärte die Unterhaltung des Hoftheaters wieder aus der Civilliste zu bestreiten. Die Monarchen sorgten meist mit rühmlichem Eifer für die äußere Ausstattung ihrer Theater sowie für die Berufung einzelner bedeutender Kräfte; die alten socialen Vorurtheile gegen den Schauspieler- stand begannen sich zu mildern seit man die Bühne in so nahem Verkehre mit den Höfen sah.
Gleichwohl hat die Schauspielkunst durch die Hoftheater wenig ge- wonnen. Nach Ifflands Tode betraute König Friedrich Wilhelm den Grafen Brühl mit der Leitung der Berliner Hofbühnen, einen liebens- würdigen, feingebildeten Mann, der aber weder dramatischer Dichter noch Schauspieler war und sich nur mit dem Eifer des geistreichen Kenners die strengen classischen Grundsätze der Weimarischen Theaterschule ange- eignet hatte. Das gefährliche Beispiel fand rasche Nachfolge; bald wurde an allen Höfen das Amt des Theater-Intendanten zu den hohen Hof- würden gezählt, die Leitung der größten deutschen Theater ging den ge- schulten Fachmännern verloren und fiel in die Hände hochgeborener Dilet- tanten.
Wohl hielten die guten Ueberlieferungen aus der alten Zeit noch eine Weile vor. Der Mangel an schönen neuen Stücken ward noch nicht allzu fühlbar, da die Dramen der classischen Epoche noch auf allgemeine Theilnahme rechnen konnten und Shakespeares Werke jetzt erst auf der deutschen Bühne sich völlig einbürgerten. Die Hoftheater von Berlin, München, Karlsruhe, Braunschweig zeichneten sich durch manche tüchtige Leistungen aus, ebenso das altberühmte Hamburger und das neue Leipziger Stadttheater. In Berlin fand die realistische Richtung, die hier einst durch Fleck die Herrschaft erlangt hatte, an Ludwig Devrient einen ge- nialen Vertreter. Welche grauenhafte, diabolische Kraft lag in seinem Richard III., welcher Uebermuth naturwüchsigen Humors in seinem Fal- staff! Fast erstaunlicher noch, wie er selbst kleine Nebenrollen zu heben wußte; als Knecht Gottschalk im Käthchen von Heilbronn traf er den Ton der einfältigen Treue und Wahrhaftigkeit so wunderbar glücklich, daß den Hörern die ganze unverstümmelte Kraft und Größe des alten deutschen Lebens mit einem male vor die Seele trat. Jedoch die feste künstlerische Zucht der Bühne lockerte sich nach und nach. Die neue romantische Sit- tenlehre ermuthigte jedes Talent sich rücksichtslos vorzudrängen und seine Eigenart durchzusetzen; die vornehmen Intendanten aber besaßen weder die Sachkenntniß um durch das eigene Beispiel die Einheit des Stiles in der Truppe aufrechtzuhalten, noch das Ansehen um die Mitglieder in ihre Schranken zurückzuweisen. Ein so gleichmäßig durchgebildetes und abge- rundetes Zusammenspiel, wie es einst die Hamburger zu Ekhofs, die Berliner zu Ifflands Zeiten entzückt hatte, brachten die glänzenden neuen
Die Schauſpielkunſt.
worden, ſo begannen die Landſtände bereits über Verſchwendung zu klagen und willigten ſchon nach drei Jahren freudig ein, als der König ſich be- reit erklärte die Unterhaltung des Hoftheaters wieder aus der Civilliſte zu beſtreiten. Die Monarchen ſorgten meiſt mit rühmlichem Eifer für die äußere Ausſtattung ihrer Theater ſowie für die Berufung einzelner bedeutender Kräfte; die alten ſocialen Vorurtheile gegen den Schauſpieler- ſtand begannen ſich zu mildern ſeit man die Bühne in ſo nahem Verkehre mit den Höfen ſah.
Gleichwohl hat die Schauſpielkunſt durch die Hoftheater wenig ge- wonnen. Nach Ifflands Tode betraute König Friedrich Wilhelm den Grafen Brühl mit der Leitung der Berliner Hofbühnen, einen liebens- würdigen, feingebildeten Mann, der aber weder dramatiſcher Dichter noch Schauſpieler war und ſich nur mit dem Eifer des geiſtreichen Kenners die ſtrengen claſſiſchen Grundſätze der Weimariſchen Theaterſchule ange- eignet hatte. Das gefährliche Beiſpiel fand raſche Nachfolge; bald wurde an allen Höfen das Amt des Theater-Intendanten zu den hohen Hof- würden gezählt, die Leitung der größten deutſchen Theater ging den ge- ſchulten Fachmännern verloren und fiel in die Hände hochgeborener Dilet- tanten.
Wohl hielten die guten Ueberlieferungen aus der alten Zeit noch eine Weile vor. Der Mangel an ſchönen neuen Stücken ward noch nicht allzu fühlbar, da die Dramen der claſſiſchen Epoche noch auf allgemeine Theilnahme rechnen konnten und Shakeſpeares Werke jetzt erſt auf der deutſchen Bühne ſich völlig einbürgerten. Die Hoftheater von Berlin, München, Karlsruhe, Braunſchweig zeichneten ſich durch manche tüchtige Leiſtungen aus, ebenſo das altberühmte Hamburger und das neue Leipziger Stadttheater. In Berlin fand die realiſtiſche Richtung, die hier einſt durch Fleck die Herrſchaft erlangt hatte, an Ludwig Devrient einen ge- nialen Vertreter. Welche grauenhafte, diaboliſche Kraft lag in ſeinem Richard III., welcher Uebermuth naturwüchſigen Humors in ſeinem Fal- ſtaff! Faſt erſtaunlicher noch, wie er ſelbſt kleine Nebenrollen zu heben wußte; als Knecht Gottſchalk im Käthchen von Heilbronn traf er den Ton der einfältigen Treue und Wahrhaftigkeit ſo wunderbar glücklich, daß den Hörern die ganze unverſtümmelte Kraft und Größe des alten deutſchen Lebens mit einem male vor die Seele trat. Jedoch die feſte künſtleriſche Zucht der Bühne lockerte ſich nach und nach. Die neue romantiſche Sit- tenlehre ermuthigte jedes Talent ſich rückſichtslos vorzudrängen und ſeine Eigenart durchzuſetzen; die vornehmen Intendanten aber beſaßen weder die Sachkenntniß um durch das eigene Beiſpiel die Einheit des Stiles in der Truppe aufrechtzuhalten, noch das Anſehen um die Mitglieder in ihre Schranken zurückzuweiſen. Ein ſo gleichmäßig durchgebildetes und abge- rundetes Zuſammenſpiel, wie es einſt die Hamburger zu Ekhofs, die Berliner zu Ifflands Zeiten entzückt hatte, brachten die glänzenden neuen
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[21/0035]
Die Schauſpielkunſt.
worden, ſo begannen die Landſtände bereits über Verſchwendung zu klagen
und willigten ſchon nach drei Jahren freudig ein, als der König ſich be-
reit erklärte die Unterhaltung des Hoftheaters wieder aus der Civilliſte
zu beſtreiten. Die Monarchen ſorgten meiſt mit rühmlichem Eifer für
die äußere Ausſtattung ihrer Theater ſowie für die Berufung einzelner
bedeutender Kräfte; die alten ſocialen Vorurtheile gegen den Schauſpieler-
ſtand begannen ſich zu mildern ſeit man die Bühne in ſo nahem Verkehre
mit den Höfen ſah.
Gleichwohl hat die Schauſpielkunſt durch die Hoftheater wenig ge-
wonnen. Nach Ifflands Tode betraute König Friedrich Wilhelm den
Grafen Brühl mit der Leitung der Berliner Hofbühnen, einen liebens-
würdigen, feingebildeten Mann, der aber weder dramatiſcher Dichter noch
Schauſpieler war und ſich nur mit dem Eifer des geiſtreichen Kenners
die ſtrengen claſſiſchen Grundſätze der Weimariſchen Theaterſchule ange-
eignet hatte. Das gefährliche Beiſpiel fand raſche Nachfolge; bald wurde
an allen Höfen das Amt des Theater-Intendanten zu den hohen Hof-
würden gezählt, die Leitung der größten deutſchen Theater ging den ge-
ſchulten Fachmännern verloren und fiel in die Hände hochgeborener Dilet-
tanten.
Wohl hielten die guten Ueberlieferungen aus der alten Zeit noch
eine Weile vor. Der Mangel an ſchönen neuen Stücken ward noch nicht
allzu fühlbar, da die Dramen der claſſiſchen Epoche noch auf allgemeine
Theilnahme rechnen konnten und Shakeſpeares Werke jetzt erſt auf der
deutſchen Bühne ſich völlig einbürgerten. Die Hoftheater von Berlin,
München, Karlsruhe, Braunſchweig zeichneten ſich durch manche tüchtige
Leiſtungen aus, ebenſo das altberühmte Hamburger und das neue Leipziger
Stadttheater. In Berlin fand die realiſtiſche Richtung, die hier einſt
durch Fleck die Herrſchaft erlangt hatte, an Ludwig Devrient einen ge-
nialen Vertreter. Welche grauenhafte, diaboliſche Kraft lag in ſeinem
Richard III., welcher Uebermuth naturwüchſigen Humors in ſeinem Fal-
ſtaff! Faſt erſtaunlicher noch, wie er ſelbſt kleine Nebenrollen zu heben
wußte; als Knecht Gottſchalk im Käthchen von Heilbronn traf er den Ton
der einfältigen Treue und Wahrhaftigkeit ſo wunderbar glücklich, daß den
Hörern die ganze unverſtümmelte Kraft und Größe des alten deutſchen
Lebens mit einem male vor die Seele trat. Jedoch die feſte künſtleriſche
Zucht der Bühne lockerte ſich nach und nach. Die neue romantiſche Sit-
tenlehre ermuthigte jedes Talent ſich rückſichtslos vorzudrängen und ſeine
Eigenart durchzuſetzen; die vornehmen Intendanten aber beſaßen weder
die Sachkenntniß um durch das eigene Beiſpiel die Einheit des Stiles in
der Truppe aufrechtzuhalten, noch das Anſehen um die Mitglieder in ihre
Schranken zurückzuweiſen. Ein ſo gleichmäßig durchgebildetes und abge-
rundetes Zuſammenſpiel, wie es einſt die Hamburger zu Ekhofs, die
Berliner zu Ifflands Zeiten entzückt hatte, brachten die glänzenden neuen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/35>, abgerufen am 24.11.2024.
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