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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
trauen und empfingen ihn, als er nach der Hanauer Schlacht in Frank-
furt erschien, so unfreundlich, daß er nachher selber Bedenken trug per-
sönlich auf dem Wiener Congresse zu erscheinen. Aber er verwaltete noch
immer die drei wichtigsten Ministerien, das Auswärtige, das Innere, die
Finanzen, und durfte wohl auf seine Unentbehrlichkeit trotzen; denn nicht
umsonst führte er die Königskrone in seinem Grafenwappen. Er war
der Schöpfer des neuen bairischen Staates; seit dem Kurfürsten Moritz
von Sachsen hatte die Politik des nackten folgerechten Partikularismus
auf deutschem Boden nicht mehr einen so klugen und glücklichen Vertreter
gefunden. Obwohl er dem altbairischen Lande durch die Geburt ange-
hörte, zählte Montgelas doch zu jenen diplomatischen Landsknechten, die
in der Geschichte der deutschen Mittelstaaten so häufig auftauchen, zu jenen
Heimathlosen, die aller politischen Traditionen ledig die Stätte ihres
Schaffens überall suchen wo sich dem Ehrgeiz ein freies Feld bietet. Die
Freundschaft für den König, dem er schon in der Pfalz nahe getreten
war, bildete das einzige gemüthliche Band, das ihn an seine Heimath
kettete; Land und Leute blieben ihm verächtlich. Er verzieh es nie, daß
er in seiner Jugend als Mitglied des Illuminatenordens das gläubige
Baierland hatte verlassen müssen, und urtheilte noch im Alter über cette
nation bornee
mit der schneidenden Lieblosigkeit des Fremdlings. Aber
die Laune des Glücks hatte ihn in das ungeliebte Land zurückgeführt, ein
reicher Wirkungskreis that sich ihm auf; im Bewußtsein seiner Kraft hielt
er sich berufen diesen Staat zu der Stellung einer selbständigen europäi-
schen Macht emporzuheben. Die Macht war ihm Selbstzweck, und nichts
lag ihm ferner als die Frage, wie sie zum Heile Deutschlands zu ver-
werthen sei; was irgend an die Gemeinschaft des großen Vaterlandes er-
innerte, erschien ihm nur als eine lästige Fessel für die Selbständigkeit
Baierns. Ein kaltblütiger Spieler, durch sittliche Bedenken niemals, durch
Haß und Liebe selten beirrt, rechnete er unbefangen mit der Gunst des
Augenblicks und nahm die Freunde wo er sie fand. Sein getreuer Ritter
Lang schilderte, als er im Jahre 1814 den Minister wider die leiden-
schaftlichen Angriffe der Freunde Steins vertheidigen mußte, die Herzens-
geheimnisse dieser ideenlosen Schlauheit also: "die einzige echte Maxime
der bairischen Politik ist die Selbsterhaltung des Staats; diejenige äußere
Macht, welche dieses Princip anerkennt und mit ihrer eigenen Macht
verstärkt, ist als die wahrhaft befreundete zu halten."

Darum stand Montgelas, trotz seines halbfranzösischen Blutes und
trotz seiner durchaus französischen Bildung, dem Protector des Rhein-
bunds freier, fester gegenüber als der König. Nicht aus Vorliebe für
Frankreich hatte er einst das alte Bündniß mit Preußen aufgegeben, son-
dern weil er einsah, daß die bairische Vergrößerungslust vorläufig von
Preußens Schwäche nichts, von Bonapartes Thatkraft Alles erwarten
konnte. An den Kriegen Napoleons gegen Oesterreich und Preußen nahm

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
trauen und empfingen ihn, als er nach der Hanauer Schlacht in Frank-
furt erſchien, ſo unfreundlich, daß er nachher ſelber Bedenken trug per-
ſönlich auf dem Wiener Congreſſe zu erſcheinen. Aber er verwaltete noch
immer die drei wichtigſten Miniſterien, das Auswärtige, das Innere, die
Finanzen, und durfte wohl auf ſeine Unentbehrlichkeit trotzen; denn nicht
umſonſt führte er die Königskrone in ſeinem Grafenwappen. Er war
der Schöpfer des neuen bairiſchen Staates; ſeit dem Kurfürſten Moritz
von Sachſen hatte die Politik des nackten folgerechten Partikularismus
auf deutſchem Boden nicht mehr einen ſo klugen und glücklichen Vertreter
gefunden. Obwohl er dem altbairiſchen Lande durch die Geburt ange-
hörte, zählte Montgelas doch zu jenen diplomatiſchen Landsknechten, die
in der Geſchichte der deutſchen Mittelſtaaten ſo häufig auftauchen, zu jenen
Heimathloſen, die aller politiſchen Traditionen ledig die Stätte ihres
Schaffens überall ſuchen wo ſich dem Ehrgeiz ein freies Feld bietet. Die
Freundſchaft für den König, dem er ſchon in der Pfalz nahe getreten
war, bildete das einzige gemüthliche Band, das ihn an ſeine Heimath
kettete; Land und Leute blieben ihm verächtlich. Er verzieh es nie, daß
er in ſeiner Jugend als Mitglied des Illuminatenordens das gläubige
Baierland hatte verlaſſen müſſen, und urtheilte noch im Alter über cette
nation bornée
mit der ſchneidenden Liebloſigkeit des Fremdlings. Aber
die Laune des Glücks hatte ihn in das ungeliebte Land zurückgeführt, ein
reicher Wirkungskreis that ſich ihm auf; im Bewußtſein ſeiner Kraft hielt
er ſich berufen dieſen Staat zu der Stellung einer ſelbſtändigen europäi-
ſchen Macht emporzuheben. Die Macht war ihm Selbſtzweck, und nichts
lag ihm ferner als die Frage, wie ſie zum Heile Deutſchlands zu ver-
werthen ſei; was irgend an die Gemeinſchaft des großen Vaterlandes er-
innerte, erſchien ihm nur als eine läſtige Feſſel für die Selbſtändigkeit
Baierns. Ein kaltblütiger Spieler, durch ſittliche Bedenken niemals, durch
Haß und Liebe ſelten beirrt, rechnete er unbefangen mit der Gunſt des
Augenblicks und nahm die Freunde wo er ſie fand. Sein getreuer Ritter
Lang ſchilderte, als er im Jahre 1814 den Miniſter wider die leiden-
ſchaftlichen Angriffe der Freunde Steins vertheidigen mußte, die Herzens-
geheimniſſe dieſer ideenloſen Schlauheit alſo: „die einzige echte Maxime
der bairiſchen Politik iſt die Selbſterhaltung des Staats; diejenige äußere
Macht, welche dieſes Princip anerkennt und mit ihrer eigenen Macht
verſtärkt, iſt als die wahrhaft befreundete zu halten.“

Darum ſtand Montgelas, trotz ſeines halbfranzöſiſchen Blutes und
trotz ſeiner durchaus franzöſiſchen Bildung, dem Protector des Rhein-
bunds freier, feſter gegenüber als der König. Nicht aus Vorliebe für
Frankreich hatte er einſt das alte Bündniß mit Preußen aufgegeben, ſon-
dern weil er einſah, daß die bairiſche Vergrößerungsluſt vorläufig von
Preußens Schwäche nichts, von Bonapartes Thatkraft Alles erwarten
konnte. An den Kriegen Napoleons gegen Oeſterreich und Preußen nahm

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[334/0348] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. trauen und empfingen ihn, als er nach der Hanauer Schlacht in Frank- furt erſchien, ſo unfreundlich, daß er nachher ſelber Bedenken trug per- ſönlich auf dem Wiener Congreſſe zu erſcheinen. Aber er verwaltete noch immer die drei wichtigſten Miniſterien, das Auswärtige, das Innere, die Finanzen, und durfte wohl auf ſeine Unentbehrlichkeit trotzen; denn nicht umſonſt führte er die Königskrone in ſeinem Grafenwappen. Er war der Schöpfer des neuen bairiſchen Staates; ſeit dem Kurfürſten Moritz von Sachſen hatte die Politik des nackten folgerechten Partikularismus auf deutſchem Boden nicht mehr einen ſo klugen und glücklichen Vertreter gefunden. Obwohl er dem altbairiſchen Lande durch die Geburt ange- hörte, zählte Montgelas doch zu jenen diplomatiſchen Landsknechten, die in der Geſchichte der deutſchen Mittelſtaaten ſo häufig auftauchen, zu jenen Heimathloſen, die aller politiſchen Traditionen ledig die Stätte ihres Schaffens überall ſuchen wo ſich dem Ehrgeiz ein freies Feld bietet. Die Freundſchaft für den König, dem er ſchon in der Pfalz nahe getreten war, bildete das einzige gemüthliche Band, das ihn an ſeine Heimath kettete; Land und Leute blieben ihm verächtlich. Er verzieh es nie, daß er in ſeiner Jugend als Mitglied des Illuminatenordens das gläubige Baierland hatte verlaſſen müſſen, und urtheilte noch im Alter über cette nation bornée mit der ſchneidenden Liebloſigkeit des Fremdlings. Aber die Laune des Glücks hatte ihn in das ungeliebte Land zurückgeführt, ein reicher Wirkungskreis that ſich ihm auf; im Bewußtſein ſeiner Kraft hielt er ſich berufen dieſen Staat zu der Stellung einer ſelbſtändigen europäi- ſchen Macht emporzuheben. Die Macht war ihm Selbſtzweck, und nichts lag ihm ferner als die Frage, wie ſie zum Heile Deutſchlands zu ver- werthen ſei; was irgend an die Gemeinſchaft des großen Vaterlandes er- innerte, erſchien ihm nur als eine läſtige Feſſel für die Selbſtändigkeit Baierns. Ein kaltblütiger Spieler, durch ſittliche Bedenken niemals, durch Haß und Liebe ſelten beirrt, rechnete er unbefangen mit der Gunſt des Augenblicks und nahm die Freunde wo er ſie fand. Sein getreuer Ritter Lang ſchilderte, als er im Jahre 1814 den Miniſter wider die leiden- ſchaftlichen Angriffe der Freunde Steins vertheidigen mußte, die Herzens- geheimniſſe dieſer ideenloſen Schlauheit alſo: „die einzige echte Maxime der bairiſchen Politik iſt die Selbſterhaltung des Staats; diejenige äußere Macht, welche dieſes Princip anerkennt und mit ihrer eigenen Macht verſtärkt, iſt als die wahrhaft befreundete zu halten.“ Darum ſtand Montgelas, trotz ſeines halbfranzöſiſchen Blutes und trotz ſeiner durchaus franzöſiſchen Bildung, dem Protector des Rhein- bunds freier, feſter gegenüber als der König. Nicht aus Vorliebe für Frankreich hatte er einſt das alte Bündniß mit Preußen aufgegeben, ſon- dern weil er einſah, daß die bairiſche Vergrößerungsluſt vorläufig von Preußens Schwäche nichts, von Bonapartes Thatkraft Alles erwarten konnte. An den Kriegen Napoleons gegen Oeſterreich und Preußen nahm

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/348>, abgerufen am 25.11.2024.