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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
hierauf erklärte der Monarch, daß er zunächst die Beschlüsse des Bundes-
tags über die Rechte der deutschen Landstände abwarten und inzwischen
alle die übrigen Verheißungen seines Entwurfs in Kraft setzen werde.

Zwei Jahre lang schaltete der König nun wieder als unumschränkter
Herr und gab dem Lande in rascher Folge eine Reihe wohlthätiger Ge-
setze, welche die beiden "Reformminister" Wangenheim und Kerner, der
Bruder des Dichters, seit Langem vorbereitet hatten. Die Leibeigen-
schaft fiel endlich hinweg, auch ein Theil -- freilich nur ein Theil -- der
grundherrlichen Abgaben ward für ablösbar erklärt, die Auswanderung
wurde frei gegeben, die bisher völlig unselbständigen Communen erhielten
das alte Institut der Gemeindedeputirten in verbesserter Gestalt wieder,
und an die Stelle der Landvögte traten vier Kreisregierungen. Die
katholisch-theologische Facultät in Ellwangen wurde nach Tübingen ver-
legt, so daß die hartlutherische alte Landesuniversität jetzt in die Reihe
der paritätischen Hochschulen eintrat; um für einen Theil der bisher mit
Schreibern besetzten Verwaltungsstellen brauchbare Beamte auszubilden
unternahm man auch die wenig glückliche Einrichtung einer besonderen
Facultät für die Staatswirthschaft. Da sich während der Nothjahre fast
überall in dem fruchtbaren Lande ein sehr mangelhafter Zustand des
Landbaus herausstellte und die ganz ohne Capital wirthschaftenden kleinen
Bauern schaarenweise den Wucherjuden verfielen, so griff der König mit
seinem scharfen Geschäftsverstande kräftig ein. Er bildete einen großen
landwirthschaftlichen Verein, zur Belehrung und Unterstützung der Grund-
besitzer, gründete Gestüte und Musterwirthschaften auf seinen Kammer-
gütern, errichtete in Hohenheim eine landwirthschaftliche Lehranstalt, die
unter der Leitung des rüstigen Rheinländers Schwerz bald mit Möglin
wetteiferte. Es war sein persönliches Verdienst, daß unter den schwä-
bischen Landwirthen wieder ein frischer Unternehmungsgeist erwachte; all-
jährlich drängten sich die Bauern zu dem lustigen landwirthschaftlichen
Feste, das seit 1818 in Canstatt abgehalten wurde, und warben mit
ihren Rossen und Stieren um die königlichen Preise.

Währenddem blieb die politische Stimmung des Landes noch lange
so gereizt, daß selbst Wangenheim noch im Frühjahr 1818 vor der Be-
rufung eines neuen Landtags dringend warnte.*) Nach und nach kehrte
doch die ruhige Besinnung zurück. Namentlich die Neuwürttemberger be-
gannen den Eigensinn der Stände zu bereuen, und der "Volksfreund"
Friedrich Lists, der die neuen Ideale der allgemeinen Volksvertretung,
der Selbstverwaltung, der öffentlichen Rechtspflege mit Geist und Lei-
denschaft verherrlichte, fand unter der Jugend wachsenden Anhang. Aber
auch der König bereute seine vergeblichen Anerbietungen; er hatte er-
fahren, daß der Ruhm des liberalsten deutschen Fürsten doch nicht so

*) Wangenheim an Hartmann, 1. April 1818.

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
hierauf erklärte der Monarch, daß er zunächſt die Beſchlüſſe des Bundes-
tags über die Rechte der deutſchen Landſtände abwarten und inzwiſchen
alle die übrigen Verheißungen ſeines Entwurfs in Kraft ſetzen werde.

Zwei Jahre lang ſchaltete der König nun wieder als unumſchränkter
Herr und gab dem Lande in raſcher Folge eine Reihe wohlthätiger Ge-
ſetze, welche die beiden „Reformminiſter“ Wangenheim und Kerner, der
Bruder des Dichters, ſeit Langem vorbereitet hatten. Die Leibeigen-
ſchaft fiel endlich hinweg, auch ein Theil — freilich nur ein Theil — der
grundherrlichen Abgaben ward für ablösbar erklärt, die Auswanderung
wurde frei gegeben, die bisher völlig unſelbſtändigen Communen erhielten
das alte Inſtitut der Gemeindedeputirten in verbeſſerter Geſtalt wieder,
und an die Stelle der Landvögte traten vier Kreisregierungen. Die
katholiſch-theologiſche Facultät in Ellwangen wurde nach Tübingen ver-
legt, ſo daß die hartlutheriſche alte Landesuniverſität jetzt in die Reihe
der paritätiſchen Hochſchulen eintrat; um für einen Theil der bisher mit
Schreibern beſetzten Verwaltungsſtellen brauchbare Beamte auszubilden
unternahm man auch die wenig glückliche Einrichtung einer beſonderen
Facultät für die Staatswirthſchaft. Da ſich während der Nothjahre faſt
überall in dem fruchtbaren Lande ein ſehr mangelhafter Zuſtand des
Landbaus herausſtellte und die ganz ohne Capital wirthſchaftenden kleinen
Bauern ſchaarenweiſe den Wucherjuden verfielen, ſo griff der König mit
ſeinem ſcharfen Geſchäftsverſtande kräftig ein. Er bildete einen großen
landwirthſchaftlichen Verein, zur Belehrung und Unterſtützung der Grund-
beſitzer, gründete Geſtüte und Muſterwirthſchaften auf ſeinen Kammer-
gütern, errichtete in Hohenheim eine landwirthſchaftliche Lehranſtalt, die
unter der Leitung des rüſtigen Rheinländers Schwerz bald mit Möglin
wetteiferte. Es war ſein perſönliches Verdienſt, daß unter den ſchwä-
biſchen Landwirthen wieder ein friſcher Unternehmungsgeiſt erwachte; all-
jährlich drängten ſich die Bauern zu dem luſtigen landwirthſchaftlichen
Feſte, das ſeit 1818 in Canſtatt abgehalten wurde, und warben mit
ihren Roſſen und Stieren um die königlichen Preiſe.

Währenddem blieb die politiſche Stimmung des Landes noch lange
ſo gereizt, daß ſelbſt Wangenheim noch im Frühjahr 1818 vor der Be-
rufung eines neuen Landtags dringend warnte.*) Nach und nach kehrte
doch die ruhige Beſinnung zurück. Namentlich die Neuwürttemberger be-
gannen den Eigenſinn der Stände zu bereuen, und der „Volksfreund“
Friedrich Liſts, der die neuen Ideale der allgemeinen Volksvertretung,
der Selbſtverwaltung, der öffentlichen Rechtspflege mit Geiſt und Lei-
denſchaft verherrlichte, fand unter der Jugend wachſenden Anhang. Aber
auch der König bereute ſeine vergeblichen Anerbietungen; er hatte er-
fahren, daß der Ruhm des liberalſten deutſchen Fürſten doch nicht ſo

*) Wangenheim an Hartmann, 1. April 1818.
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[322/0336] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. hierauf erklärte der Monarch, daß er zunächſt die Beſchlüſſe des Bundes- tags über die Rechte der deutſchen Landſtände abwarten und inzwiſchen alle die übrigen Verheißungen ſeines Entwurfs in Kraft ſetzen werde. Zwei Jahre lang ſchaltete der König nun wieder als unumſchränkter Herr und gab dem Lande in raſcher Folge eine Reihe wohlthätiger Ge- ſetze, welche die beiden „Reformminiſter“ Wangenheim und Kerner, der Bruder des Dichters, ſeit Langem vorbereitet hatten. Die Leibeigen- ſchaft fiel endlich hinweg, auch ein Theil — freilich nur ein Theil — der grundherrlichen Abgaben ward für ablösbar erklärt, die Auswanderung wurde frei gegeben, die bisher völlig unſelbſtändigen Communen erhielten das alte Inſtitut der Gemeindedeputirten in verbeſſerter Geſtalt wieder, und an die Stelle der Landvögte traten vier Kreisregierungen. Die katholiſch-theologiſche Facultät in Ellwangen wurde nach Tübingen ver- legt, ſo daß die hartlutheriſche alte Landesuniverſität jetzt in die Reihe der paritätiſchen Hochſchulen eintrat; um für einen Theil der bisher mit Schreibern beſetzten Verwaltungsſtellen brauchbare Beamte auszubilden unternahm man auch die wenig glückliche Einrichtung einer beſonderen Facultät für die Staatswirthſchaft. Da ſich während der Nothjahre faſt überall in dem fruchtbaren Lande ein ſehr mangelhafter Zuſtand des Landbaus herausſtellte und die ganz ohne Capital wirthſchaftenden kleinen Bauern ſchaarenweiſe den Wucherjuden verfielen, ſo griff der König mit ſeinem ſcharfen Geſchäftsverſtande kräftig ein. Er bildete einen großen landwirthſchaftlichen Verein, zur Belehrung und Unterſtützung der Grund- beſitzer, gründete Geſtüte und Muſterwirthſchaften auf ſeinen Kammer- gütern, errichtete in Hohenheim eine landwirthſchaftliche Lehranſtalt, die unter der Leitung des rüſtigen Rheinländers Schwerz bald mit Möglin wetteiferte. Es war ſein perſönliches Verdienſt, daß unter den ſchwä- biſchen Landwirthen wieder ein friſcher Unternehmungsgeiſt erwachte; all- jährlich drängten ſich die Bauern zu dem luſtigen landwirthſchaftlichen Feſte, das ſeit 1818 in Canſtatt abgehalten wurde, und warben mit ihren Roſſen und Stieren um die königlichen Preiſe. Währenddem blieb die politiſche Stimmung des Landes noch lange ſo gereizt, daß ſelbſt Wangenheim noch im Frühjahr 1818 vor der Be- rufung eines neuen Landtags dringend warnte. *) Nach und nach kehrte doch die ruhige Beſinnung zurück. Namentlich die Neuwürttemberger be- gannen den Eigenſinn der Stände zu bereuen, und der „Volksfreund“ Friedrich Liſts, der die neuen Ideale der allgemeinen Volksvertretung, der Selbſtverwaltung, der öffentlichen Rechtspflege mit Geiſt und Lei- denſchaft verherrlichte, fand unter der Jugend wachſenden Anhang. Aber auch der König bereute ſeine vergeblichen Anerbietungen; er hatte er- fahren, daß der Ruhm des liberalſten deutſchen Fürſten doch nicht ſo *) Wangenheim an Hartmann, 1. April 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/336>, abgerufen am 22.11.2024.