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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
sondern auch einem unleugbaren politischen Nothstande. Ueber das ver-
einigte Alt- und Neu-Württemberg stürzten nun alle Schrecken des Des-
potismus herein; aber die Selbstherrschaft schenkte dem Lande neben un-
zähligen Thaten empörender Willkür doch auch die unentbehrlichen In-
stitutionen des modernen Staates. Das Religionsedikt, König Friedrichs
bestes Werk, zerstörte die Herrschaft der lutherischen Kirche, gab beiden Be-
kenntnissen gleiche Rechte. Durch die Secularisation des Kirchenkastens
und die Aufhebung der ständischen Kasse wurde die Einheit des Staats-
haushalts gegründet und die regelmäßige Steuerpflicht durchgeführt, freilich
mit solcher Härte, daß der Grundbesitz fast vier Fünftel seines Reinertrags
an Abgaben zu zahlen hatte. Das waffenlose Land erhielt endlich wieder
ein kriegstüchtiges kleines Heer, das, wie der König prahlte, mit den
Truppen anderer Monarchen in gleicher Linie stand; und wenngleich der
alte Unfug des Schreiberwesens nicht gänzlich beseitigt wurde, so ent-
standen doch durch die neuen Gerichte und Verwaltungsstellen die ersten
Anfänge eines monarchischen, akademisch gebildeten Beamtenthums, und
jede Begünstigung des alten Herrenstandes fiel hinweg. Selbst das Unter-
richtswesen, das der König mit roher Geringschätzung behandelte, gewann
mindestens die Möglichkeit einer freieren Entwicklung seit die Leitung in
die Hände weltlicher Behörden kam.

Der ganze Umschwung vollzog sich gewaltsam, stoßweise und darum
unvollständig: die Patrimonialgerichte fielen, die drückenden Grundlasten
und Frohnden, das Jagdrecht und das gänzlich verrottete Zunftwesen
blieben bestehen. Immerhin brachte dies Schreckensregiment einige Ord-
nung in ein Chaos verlebter Territorien und ebnete den Boden, auf dem
sich vielleicht dereinst ein gesünderes Staatsleben erheben konnte. Der
Feind der Revolution begründete selber in seinem Staate mit revolu-
tionärem Ungestüm die moderne Rechtsgleichheit, nur daß sie hier, wie im
napoleonischen Frankreich, zunächst als die gleiche Knechtschaft Aller erschien.
Merkwürdig doch, wie viel Lebens- und Arbeitskraft der böse dicke König
mitten im Schmutze seiner Ausschweifungen sich bewahrte. Er selber war
die Seele seines Reichs und zeigte sich unerschöpflich in neuen Entwürfen:
die Hafenstadt Friedrichshafen am Bodensee, das Eisenwerk Friedrichsthal,
die Saline Friedrichshall sollten den Caesarenruhm des ersten Schwaben-
königs der Nachwelt überliefern. Alle seine Räthe, die er mit Vorliebe dem
deutschen Anslande entnahm, dienten ihm als willenlose Werkzeuge, wohl
nur Graf Wintzingerode verstieg sich zuweilen zu einem eigenen Gedanken.
Auch dem Protector gegenüber wußte König Friedrich, bei aller Ergeben-
heit, den fürstlichen Stolz besser zu wahren als die anderen Könige des
Rheinbunds; er weigerte sich seine Truppen nach Spanien zu senden,
und Napoleon rief einst erbost: wenn dieser Mann hunderttausend Sol-
daten hätte, so würde ich ihm den Krieg erklären.

Die Masse des Volks konnte für die berechtigten politischen Gedanken,

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
ſondern auch einem unleugbaren politiſchen Nothſtande. Ueber das ver-
einigte Alt- und Neu-Württemberg ſtürzten nun alle Schrecken des Des-
potismus herein; aber die Selbſtherrſchaft ſchenkte dem Lande neben un-
zähligen Thaten empörender Willkür doch auch die unentbehrlichen In-
ſtitutionen des modernen Staates. Das Religionsedikt, König Friedrichs
beſtes Werk, zerſtörte die Herrſchaft der lutheriſchen Kirche, gab beiden Be-
kenntniſſen gleiche Rechte. Durch die Seculariſation des Kirchenkaſtens
und die Aufhebung der ſtändiſchen Kaſſe wurde die Einheit des Staats-
haushalts gegründet und die regelmäßige Steuerpflicht durchgeführt, freilich
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an Abgaben zu zahlen hatte. Das waffenloſe Land erhielt endlich wieder
ein kriegstüchtiges kleines Heer, das, wie der König prahlte, mit den
Truppen anderer Monarchen in gleicher Linie ſtand; und wenngleich der
alte Unfug des Schreiberweſens nicht gänzlich beſeitigt wurde, ſo ent-
ſtanden doch durch die neuen Gerichte und Verwaltungsſtellen die erſten
Anfänge eines monarchiſchen, akademiſch gebildeten Beamtenthums, und
jede Begünſtigung des alten Herrenſtandes fiel hinweg. Selbſt das Unter-
richtsweſen, das der König mit roher Geringſchätzung behandelte, gewann
mindeſtens die Möglichkeit einer freieren Entwicklung ſeit die Leitung in
die Hände weltlicher Behörden kam.

Der ganze Umſchwung vollzog ſich gewaltſam, ſtoßweiſe und darum
unvollſtändig: die Patrimonialgerichte fielen, die drückenden Grundlaſten
und Frohnden, das Jagdrecht und das gänzlich verrottete Zunftweſen
blieben beſtehen. Immerhin brachte dies Schreckensregiment einige Ord-
nung in ein Chaos verlebter Territorien und ebnete den Boden, auf dem
ſich vielleicht dereinſt ein geſünderes Staatsleben erheben konnte. Der
Feind der Revolution begründete ſelber in ſeinem Staate mit revolu-
tionärem Ungeſtüm die moderne Rechtsgleichheit, nur daß ſie hier, wie im
napoleoniſchen Frankreich, zunächſt als die gleiche Knechtſchaft Aller erſchien.
Merkwürdig doch, wie viel Lebens- und Arbeitskraft der böſe dicke König
mitten im Schmutze ſeiner Ausſchweifungen ſich bewahrte. Er ſelber war
die Seele ſeines Reichs und zeigte ſich unerſchöpflich in neuen Entwürfen:
die Hafenſtadt Friedrichshafen am Bodenſee, das Eiſenwerk Friedrichsthal,
die Saline Friedrichshall ſollten den Caeſarenruhm des erſten Schwaben-
königs der Nachwelt überliefern. Alle ſeine Räthe, die er mit Vorliebe dem
deutſchen Anslande entnahm, dienten ihm als willenloſe Werkzeuge, wohl
nur Graf Wintzingerode verſtieg ſich zuweilen zu einem eigenen Gedanken.
Auch dem Protector gegenüber wußte König Friedrich, bei aller Ergeben-
heit, den fürſtlichen Stolz beſſer zu wahren als die anderen Könige des
Rheinbunds; er weigerte ſich ſeine Truppen nach Spanien zu ſenden,
und Napoleon rief einſt erboſt: wenn dieſer Mann hunderttauſend Sol-
daten hätte, ſo würde ich ihm den Krieg erklären.

Die Maſſe des Volks konnte für die berechtigten politiſchen Gedanken,

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[306/0320] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. ſondern auch einem unleugbaren politiſchen Nothſtande. Ueber das ver- einigte Alt- und Neu-Württemberg ſtürzten nun alle Schrecken des Des- potismus herein; aber die Selbſtherrſchaft ſchenkte dem Lande neben un- zähligen Thaten empörender Willkür doch auch die unentbehrlichen In- ſtitutionen des modernen Staates. Das Religionsedikt, König Friedrichs beſtes Werk, zerſtörte die Herrſchaft der lutheriſchen Kirche, gab beiden Be- kenntniſſen gleiche Rechte. Durch die Seculariſation des Kirchenkaſtens und die Aufhebung der ſtändiſchen Kaſſe wurde die Einheit des Staats- haushalts gegründet und die regelmäßige Steuerpflicht durchgeführt, freilich mit ſolcher Härte, daß der Grundbeſitz faſt vier Fünftel ſeines Reinertrags an Abgaben zu zahlen hatte. Das waffenloſe Land erhielt endlich wieder ein kriegstüchtiges kleines Heer, das, wie der König prahlte, mit den Truppen anderer Monarchen in gleicher Linie ſtand; und wenngleich der alte Unfug des Schreiberweſens nicht gänzlich beſeitigt wurde, ſo ent- ſtanden doch durch die neuen Gerichte und Verwaltungsſtellen die erſten Anfänge eines monarchiſchen, akademiſch gebildeten Beamtenthums, und jede Begünſtigung des alten Herrenſtandes fiel hinweg. Selbſt das Unter- richtsweſen, das der König mit roher Geringſchätzung behandelte, gewann mindeſtens die Möglichkeit einer freieren Entwicklung ſeit die Leitung in die Hände weltlicher Behörden kam. Der ganze Umſchwung vollzog ſich gewaltſam, ſtoßweiſe und darum unvollſtändig: die Patrimonialgerichte fielen, die drückenden Grundlaſten und Frohnden, das Jagdrecht und das gänzlich verrottete Zunftweſen blieben beſtehen. Immerhin brachte dies Schreckensregiment einige Ord- nung in ein Chaos verlebter Territorien und ebnete den Boden, auf dem ſich vielleicht dereinſt ein geſünderes Staatsleben erheben konnte. Der Feind der Revolution begründete ſelber in ſeinem Staate mit revolu- tionärem Ungeſtüm die moderne Rechtsgleichheit, nur daß ſie hier, wie im napoleoniſchen Frankreich, zunächſt als die gleiche Knechtſchaft Aller erſchien. Merkwürdig doch, wie viel Lebens- und Arbeitskraft der böſe dicke König mitten im Schmutze ſeiner Ausſchweifungen ſich bewahrte. Er ſelber war die Seele ſeines Reichs und zeigte ſich unerſchöpflich in neuen Entwürfen: die Hafenſtadt Friedrichshafen am Bodenſee, das Eiſenwerk Friedrichsthal, die Saline Friedrichshall ſollten den Caeſarenruhm des erſten Schwaben- königs der Nachwelt überliefern. Alle ſeine Räthe, die er mit Vorliebe dem deutſchen Anslande entnahm, dienten ihm als willenloſe Werkzeuge, wohl nur Graf Wintzingerode verſtieg ſich zuweilen zu einem eigenen Gedanken. Auch dem Protector gegenüber wußte König Friedrich, bei aller Ergeben- heit, den fürſtlichen Stolz beſſer zu wahren als die anderen Könige des Rheinbunds; er weigerte ſich ſeine Truppen nach Spanien zu ſenden, und Napoleon rief einſt erboſt: wenn dieſer Mann hunderttauſend Sol- daten hätte, ſo würde ich ihm den Krieg erklären. Die Maſſe des Volks konnte für die berechtigten politiſchen Gedanken,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/320>, abgerufen am 22.11.2024.