Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Die Revolution in Schwaben. Deutschland waren die schwachen Köpfe seltener, nirgends die Querköpfehäufiger. Kein schwäbisches Städtchen, wo nicht irgend ein verkanntes Genie Abends im Herrenstüble des Löwen oder des Ochsen seine wunder- baren Hirngespinste über Welt und Zeit den eifrig disputirenden Ge- nossen vortrug. Selbst das unermeßlich starke Selbstgefühl des schwä- bischen Stammes trug ein absonderliches Gepräge. Der Particularismus äußerte sich nicht, wie bei den Baiern, den Sachsen, den Hannoveranern, in politischem Stolz und Ehrgeiz -- denn wer hätte hier von politischer Macht träumen sollen? -- sondern in socialen Untugenden: mit gemüth- licher Selbstgefälligkeit wurden unermüdlich alle Herrlichkeiten der Heimath, von Friedrich Rothbart und Kepler an bis herab zu den trefflichen Knöpfle und Kratzete der schwäbischen Küche, preisend aufgezählt, mit dünkelhaftem Mißtrauen alles Ausheimische abgewiesen. Im Bewußt- sein seines reichen inneren Lebens betrachtete der blöde, unbeholfene Schwabe die anderen Deutschen, die ihn durch redefertige Gewandtheit so leicht in Schatten stellen konnten, halb mit Argwohn, halb mit Ver- achtung, und niemals zeigte sich Altwürttemberg ungebärdiger, als wenn der Herzog "wieder so einen Ausländer", der den Landeskindern das Brot wegnahm, an seinen Hof berufen hatte. Sobald die Revolutionskriege über dies verrottete Gemeinwesen her- Die Revolution in Schwaben. Deutſchland waren die ſchwachen Köpfe ſeltener, nirgends die Querköpfehäufiger. Kein ſchwäbiſches Städtchen, wo nicht irgend ein verkanntes Genie Abends im Herrenſtüble des Löwen oder des Ochſen ſeine wunder- baren Hirngeſpinſte über Welt und Zeit den eifrig disputirenden Ge- noſſen vortrug. Selbſt das unermeßlich ſtarke Selbſtgefühl des ſchwä- biſchen Stammes trug ein abſonderliches Gepräge. Der Particularismus äußerte ſich nicht, wie bei den Baiern, den Sachſen, den Hannoveranern, in politiſchem Stolz und Ehrgeiz — denn wer hätte hier von politiſcher Macht träumen ſollen? — ſondern in ſocialen Untugenden: mit gemüth- licher Selbſtgefälligkeit wurden unermüdlich alle Herrlichkeiten der Heimath, von Friedrich Rothbart und Kepler an bis herab zu den trefflichen Knöpfle und Kratzete der ſchwäbiſchen Küche, preiſend aufgezählt, mit dünkelhaftem Mißtrauen alles Ausheimiſche abgewieſen. Im Bewußt- ſein ſeines reichen inneren Lebens betrachtete der blöde, unbeholfene Schwabe die anderen Deutſchen, die ihn durch redefertige Gewandtheit ſo leicht in Schatten ſtellen konnten, halb mit Argwohn, halb mit Ver- achtung, und niemals zeigte ſich Altwürttemberg ungebärdiger, als wenn der Herzog „wieder ſo einen Ausländer“, der den Landeskindern das Brot wegnahm, an ſeinen Hof berufen hatte. Sobald die Revolutionskriege über dies verrottete Gemeinweſen her- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0317" n="303"/><fw place="top" type="header">Die Revolution in Schwaben.</fw><lb/> Deutſchland waren die ſchwachen Köpfe ſeltener, nirgends die Querköpfe<lb/> häufiger. Kein ſchwäbiſches Städtchen, wo nicht irgend ein verkanntes<lb/> Genie Abends im Herrenſtüble des Löwen oder des Ochſen ſeine wunder-<lb/> baren Hirngeſpinſte über Welt und Zeit den eifrig disputirenden Ge-<lb/> noſſen vortrug. 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Die Revolution in Schwaben.
Deutſchland waren die ſchwachen Köpfe ſeltener, nirgends die Querköpfe
häufiger. Kein ſchwäbiſches Städtchen, wo nicht irgend ein verkanntes
Genie Abends im Herrenſtüble des Löwen oder des Ochſen ſeine wunder-
baren Hirngeſpinſte über Welt und Zeit den eifrig disputirenden Ge-
noſſen vortrug. Selbſt das unermeßlich ſtarke Selbſtgefühl des ſchwä-
biſchen Stammes trug ein abſonderliches Gepräge. Der Particularismus
äußerte ſich nicht, wie bei den Baiern, den Sachſen, den Hannoveranern,
in politiſchem Stolz und Ehrgeiz — denn wer hätte hier von politiſcher
Macht träumen ſollen? — ſondern in ſocialen Untugenden: mit gemüth-
licher Selbſtgefälligkeit wurden unermüdlich alle Herrlichkeiten der Heimath,
von Friedrich Rothbart und Kepler an bis herab zu den trefflichen
Knöpfle und Kratzete der ſchwäbiſchen Küche, preiſend aufgezählt, mit
dünkelhaftem Mißtrauen alles Ausheimiſche abgewieſen. Im Bewußt-
ſein ſeines reichen inneren Lebens betrachtete der blöde, unbeholfene
Schwabe die anderen Deutſchen, die ihn durch redefertige Gewandtheit
ſo leicht in Schatten ſtellen konnten, halb mit Argwohn, halb mit Ver-
achtung, und niemals zeigte ſich Altwürttemberg ungebärdiger, als wenn
der Herzog „wieder ſo einen Ausländer“, der den Landeskindern das
Brot wegnahm, an ſeinen Hof berufen hatte.
Sobald die Revolutionskriege über dies verrottete Gemeinweſen her-
einbrachen, gerieth ſofort Alles in Gährung. In einem Lande, das ſo
lange mit ſeinen Fürſten gehadert hatte, mußten die neuen Freiheits-
lehren einen wohlvorbereiteten Boden finden. Zum erſten male nach
Jahrzehnten ward der Landtag ſelber wieder verſammelt. Mehr denn
anderthalb hundert Flugſchriften erſchienen und forderten Beſeitigung
der alten Mißbräuche, Erweiterung des Wahlrechts, regelmäßige Land-
tage; freilich wußte keiner dieſer Publiciſten, auch Spittler nicht, das
Räthſel zu löſen, wie aus dem Dualismus des altſtändiſchen Vertrags-
rechts ohne einen Gewaltſtreich die moderne Staatseinheit hervorgehen
ſolle. Inmitten dieſer Wirren beſtieg Herzog Friedrich II. den Thron,
der böſeſte und begabteſte Sohn des Hauſes Württemberg, der Neugründer
des kleinen Staates, ein durchaus unſchwäbiſcher Charakter, dem Volke
gleich widerwärtig durch ſeine Vorzüge wie durch ſeine Sünden, hart, ge-
waltthätig, gewiſſenlos, aber auch ſtaatsklug, raſch entſchloſſen und frei
von Kleinlichkeit. Wie abgeſchmackt erſchien die ſchwäbiſche Kleinmeiſterei
dem Erbprinzen, als er nach weiten Reiſen, nach einem bewegten Dienſt-
leben in Preußen und Rußland endlich wie ein Fremdling in die Hei-
math zurückkehrte, reich an Erfahrung, vertraut mit allem Glanze und
allen Laſtern der großen Welt. Die Vollgewalt der abſoluten Herrſcher-
macht, wie er ſie einſt an Friedrich II. und Katharina bewundert hatte,
blieb ſein Ideal, und ſeit er gar eine engliſche Prinzeſſin heimgeführt,
wuchs ſeine Selbſtüberhebung über alles Maß. Mit brennendem Ehrgeiz
zählte er die Stunden, bis ſeine greiſen Oheime und endlich auch ſein
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