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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Aeußerungen der Notabeln.
Ueber die altständische Verfassung sagte er kurzab: "sie war nur ein
Schattenbild und Blendwerk von Repräsentation." Gleichen Sinnes
forderte ein Düsseldorfer Richter eine Interessenvertretung für die socialen
Klassen, mit Ausschluß des Adels. Eine andere rheinische Denkschrift ver-
langt eine erste Kammer von lebenslänglich Berufenen aus den Reihen
des Grundbesitzes, des Großkapitals, der Intelligenz, und eine zweite
Kammer, die von allen selbständigen Staatsbürgern in indirekten Wahlen
gewählt wird und das gesammte Volk vertritt. Das sei die nothwendige
Ergänzung der allgemeinen Wehrpflicht. Also kündigten sich hier bereits
Gedanken an, welche erst das Jahr 1848 zur Reife bringen sollte. Mächtig
waren sie noch nicht; denn die Masse der Rheinländer lebte allein den
Sorgen des Handels und Wandels, weder die constitutionelle Bewegung
noch die teutonische Schwärmerei der Jugend fand bei ihnen starken Wider-
hall. In Westphalen scheint Altenstein vornehmlich mit dem Adel ge-
sprochen zu haben; von einer Unterredung mit Stein schieden beide Theile
gleich befriedigt.*)

In den östlichen Provinzen stritt man sich vornehmlich über die Frage,
ob der kaum erst befreite Bauernstand schon fähig sei zur landständischen
Wirksamkeit. Den Adel Vorpommerns fand Beyme noch ganz und gar
erfüllt von altständischen Anschauungen; nur wenige Edelleute wünschten
Reformen, vor Allen Fürst Putbus, "ein wahrer Bauernfreund". Mit
geringem Erfolge versuchte der Greifswalder Professor Schildener in einer
Flugschrift den privilegirten Klassen zu erweisen, daß kein anderer Stand
den pommerschen Geist so treu bewahre wie die mißachteten Bauern. Unter
den Notabeln von Hinterpommern überwog ebenfalls der Wunsch nach Her-
stellung der alten Verfassung; indeß hielt man die Aufnahme der Bauern
für unvermeidlich. "Der gute und rührige Geist," den das Jahr 1813
in Ostpreußen erweckt hatte, berührte den Minister wohlthuend. Hier galt
die Vertretung des Bauernstandes überall als nothwendig. In West-
preußen wurde Beyme überrascht durch die allgemeine politische Gleich-
giltigkeit: die Städte klagten lebhaft über die ungewohnten Lasten der
Städteordnung, der Adel sprach zumeist gegen die Landstandschaft der
bürgerlichen Rittergutsbesitzer.**)

Die Mehrzahl der schlesischen Notabeln war für die Vertretung aller
drei Stände in Niederschlesien; doch wurde fast allgemein bezweifelt, ob
der oberschlesische Bauer für politische Thätigkeit reif sei. Selbst der hoch-
conservative Feldmarschall York erklärte -- so stark war der Eindruck des
königlichen Worts gewesen: -- "Die monarchische Verfassung und Ver-
waltung, so wie sie unter Friedrich dem Großen war, ist mir die liebste
und beste. Indeß ist dem Lande Constitution und Repräsentation ver-

*) Commissionsakten, die Bereisung der westlichen Provinzen betreffend.
**) Beymes Bericht über die Bereisung von Pommern und Preußen.
19*

Aeußerungen der Notabeln.
Ueber die altſtändiſche Verfaſſung ſagte er kurzab: „ſie war nur ein
Schattenbild und Blendwerk von Repräſentation.“ Gleichen Sinnes
forderte ein Düſſeldorfer Richter eine Intereſſenvertretung für die ſocialen
Klaſſen, mit Ausſchluß des Adels. Eine andere rheiniſche Denkſchrift ver-
langt eine erſte Kammer von lebenslänglich Berufenen aus den Reihen
des Grundbeſitzes, des Großkapitals, der Intelligenz, und eine zweite
Kammer, die von allen ſelbſtändigen Staatsbürgern in indirekten Wahlen
gewählt wird und das geſammte Volk vertritt. Das ſei die nothwendige
Ergänzung der allgemeinen Wehrpflicht. Alſo kündigten ſich hier bereits
Gedanken an, welche erſt das Jahr 1848 zur Reife bringen ſollte. Mächtig
waren ſie noch nicht; denn die Maſſe der Rheinländer lebte allein den
Sorgen des Handels und Wandels, weder die conſtitutionelle Bewegung
noch die teutoniſche Schwärmerei der Jugend fand bei ihnen ſtarken Wider-
hall. In Weſtphalen ſcheint Altenſtein vornehmlich mit dem Adel ge-
ſprochen zu haben; von einer Unterredung mit Stein ſchieden beide Theile
gleich befriedigt.*)

In den öſtlichen Provinzen ſtritt man ſich vornehmlich über die Frage,
ob der kaum erſt befreite Bauernſtand ſchon fähig ſei zur landſtändiſchen
Wirkſamkeit. Den Adel Vorpommerns fand Beyme noch ganz und gar
erfüllt von altſtändiſchen Anſchauungen; nur wenige Edelleute wünſchten
Reformen, vor Allen Fürſt Putbus, „ein wahrer Bauernfreund“. Mit
geringem Erfolge verſuchte der Greifswalder Profeſſor Schildener in einer
Flugſchrift den privilegirten Klaſſen zu erweiſen, daß kein anderer Stand
den pommerſchen Geiſt ſo treu bewahre wie die mißachteten Bauern. Unter
den Notabeln von Hinterpommern überwog ebenfalls der Wunſch nach Her-
ſtellung der alten Verfaſſung; indeß hielt man die Aufnahme der Bauern
für unvermeidlich. „Der gute und rührige Geiſt,“ den das Jahr 1813
in Oſtpreußen erweckt hatte, berührte den Miniſter wohlthuend. Hier galt
die Vertretung des Bauernſtandes überall als nothwendig. In Weſt-
preußen wurde Beyme überraſcht durch die allgemeine politiſche Gleich-
giltigkeit: die Städte klagten lebhaft über die ungewohnten Laſten der
Städteordnung, der Adel ſprach zumeiſt gegen die Landſtandſchaft der
bürgerlichen Rittergutsbeſitzer.**)

Die Mehrzahl der ſchleſiſchen Notabeln war für die Vertretung aller
drei Stände in Niederſchleſien; doch wurde faſt allgemein bezweifelt, ob
der oberſchleſiſche Bauer für politiſche Thätigkeit reif ſei. Selbſt der hoch-
conſervative Feldmarſchall York erklärte — ſo ſtark war der Eindruck des
königlichen Worts geweſen: — „Die monarchiſche Verfaſſung und Ver-
waltung, ſo wie ſie unter Friedrich dem Großen war, iſt mir die liebſte
und beſte. Indeß iſt dem Lande Conſtitution und Repräſentation ver-

*) Commiſſionsakten, die Bereiſung der weſtlichen Provinzen betreffend.
**) Beymes Bericht über die Bereiſung von Pommern und Preußen.
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[291/0305] Aeußerungen der Notabeln. Ueber die altſtändiſche Verfaſſung ſagte er kurzab: „ſie war nur ein Schattenbild und Blendwerk von Repräſentation.“ Gleichen Sinnes forderte ein Düſſeldorfer Richter eine Intereſſenvertretung für die ſocialen Klaſſen, mit Ausſchluß des Adels. Eine andere rheiniſche Denkſchrift ver- langt eine erſte Kammer von lebenslänglich Berufenen aus den Reihen des Grundbeſitzes, des Großkapitals, der Intelligenz, und eine zweite Kammer, die von allen ſelbſtändigen Staatsbürgern in indirekten Wahlen gewählt wird und das geſammte Volk vertritt. Das ſei die nothwendige Ergänzung der allgemeinen Wehrpflicht. Alſo kündigten ſich hier bereits Gedanken an, welche erſt das Jahr 1848 zur Reife bringen ſollte. Mächtig waren ſie noch nicht; denn die Maſſe der Rheinländer lebte allein den Sorgen des Handels und Wandels, weder die conſtitutionelle Bewegung noch die teutoniſche Schwärmerei der Jugend fand bei ihnen ſtarken Wider- hall. In Weſtphalen ſcheint Altenſtein vornehmlich mit dem Adel ge- ſprochen zu haben; von einer Unterredung mit Stein ſchieden beide Theile gleich befriedigt. *) In den öſtlichen Provinzen ſtritt man ſich vornehmlich über die Frage, ob der kaum erſt befreite Bauernſtand ſchon fähig ſei zur landſtändiſchen Wirkſamkeit. Den Adel Vorpommerns fand Beyme noch ganz und gar erfüllt von altſtändiſchen Anſchauungen; nur wenige Edelleute wünſchten Reformen, vor Allen Fürſt Putbus, „ein wahrer Bauernfreund“. Mit geringem Erfolge verſuchte der Greifswalder Profeſſor Schildener in einer Flugſchrift den privilegirten Klaſſen zu erweiſen, daß kein anderer Stand den pommerſchen Geiſt ſo treu bewahre wie die mißachteten Bauern. Unter den Notabeln von Hinterpommern überwog ebenfalls der Wunſch nach Her- ſtellung der alten Verfaſſung; indeß hielt man die Aufnahme der Bauern für unvermeidlich. „Der gute und rührige Geiſt,“ den das Jahr 1813 in Oſtpreußen erweckt hatte, berührte den Miniſter wohlthuend. Hier galt die Vertretung des Bauernſtandes überall als nothwendig. In Weſt- preußen wurde Beyme überraſcht durch die allgemeine politiſche Gleich- giltigkeit: die Städte klagten lebhaft über die ungewohnten Laſten der Städteordnung, der Adel ſprach zumeiſt gegen die Landſtandſchaft der bürgerlichen Rittergutsbeſitzer. **) Die Mehrzahl der ſchleſiſchen Notabeln war für die Vertretung aller drei Stände in Niederſchleſien; doch wurde faſt allgemein bezweifelt, ob der oberſchleſiſche Bauer für politiſche Thätigkeit reif ſei. Selbſt der hoch- conſervative Feldmarſchall York erklärte — ſo ſtark war der Eindruck des königlichen Worts geweſen: — „Die monarchiſche Verfaſſung und Ver- waltung, ſo wie ſie unter Friedrich dem Großen war, iſt mir die liebſte und beſte. Indeß iſt dem Lande Conſtitution und Repräſentation ver- *) Commiſſionsakten, die Bereiſung der weſtlichen Provinzen betreffend. **) Beymes Bericht über die Bereiſung von Pommern und Preußen. 19*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/305>, abgerufen am 22.11.2024.