Graf Solms-Laubach in Köln, Steins Freund und Gehilfe bei der deut- schen Centralverwaltung, übernahm sein Amt aus patriotischem Pflichtge- fühl, arbeitete sich mit großem Fleiß in die Verwaltungsgeschäfte ein und vergaß den mediatisirten Herrn so völlig über dem monarchischen Beamten, daß die begehrlichen Ritterbürtigen ihn bald als einen Abtrünnigen be- trachteten; er kannte seine rheinischen Landsleute und verbot seinen Unter- gebenen den herrischen altpreußischen Ton, den das Selbstgefühl der Rhein- franken nicht erträgt. Keiner von Beiden besaß die Selbständigkeit Vinckes; aber sie fanden kräftige Hilfe bei der Gesammtheit des Beamtenthums, das fast durchweg aus tüchtigen Männern bestand und, von dem geist- reichen trier'schen Regierungspräsidenten Delius an bis herab zum letzten Gensdarmen, inmitten der argwöhnischen Bevölkerung fest zusammenhielt.
Wer nur offenen Auges um sich schaute, konnte überall auf Märkten und Gassen bemerken, wie diesem Lande mit der Befreiung vom fremden Joche auch die bürgerliche Freiheit und die alten vaterländischen Bräuche zurück- kehrten. Die Schmuggler und die Deserteure, die Landplage der napo- leonischen Zeit, verschwanden sofort, mit ihnen das unselige Häscher- und Späherwesen. Die Städte schmückten sich wieder mit ihren stolzen Wappen, die bisher als Symbole des Foederalismus verfehmt waren; auch die alten, von den Franzosen abgeschafften Kirmessen und Schützenfeste lebten wieder auf, freilich sah man in dem Fahnenschmucke der Festplätze fast nie- mals die Adlerfahne, der das Volk doch das Wiedererwachen der rhei- nischen Lustigkeit verdankte. Der Kölner Carneval hatte sich unter Napoleon schüchtern in die Häuser zurückgezogen; jetzt klangen die fröhlichen Rufe: Alaaf Köln! und Geck loß Geck elans! wieder auf den Gassen, die köl- nischen Funken hielten ihre närrische Parade, und damit den Preußen doch der Dank nicht fehle wurde wohl einmal ein großer, mit einem Lorbeer- kranz geschmückter Stockfisch auf hoher Stange plötzlich über die Volks- menge emporgehoben und mit einem stürmischen "Heil Dir im Sieger- kranz" begrüßt; der schweigsame König mißfiel den Rheinländern gründlich, wie viel besser lebte sich's doch mit der ausgelassenen Munterkeit des witzigen Kronprinzen. Im Jahre 1822 trat dann ein Verein zusammen, der die Leitung des schönen Volksfestes in die Hand nahm und in seinen glän- zenden Maskenzügen den Reichthum und das Behagen der neu auf- blühenden rheinischen Hauptstadt mit jedem Jahre deutlicher bekundete. Um dem Rheinlande ihre Duldsamkeit zu zeigen, gestattete die Regierung auch, gegen das napoleonische Gesetz, den öffentlichen Umzug kirchlicher Processionen; seit dem Jahre 1818 wurde das Frohnleichnamsfest in Köln wieder mit dem alten Pomp unter freiem Himmel gefeiert. Wunderbar, wie die romantischen Ideen, die bisher nur in dem engen Kreise der Boisserees gelebt hatten, jetzt mit einem male ins Volk drangen, wie die Rheinländer anfingen sich ihrer großen Geschichte wieder zu erinnern. Als die Franzosen die Kunstwerke aus Köln und Aachen entführten, hatte Nie-
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Ingersleben. Solms-Laubach.
Graf Solms-Laubach in Köln, Steins Freund und Gehilfe bei der deut- ſchen Centralverwaltung, übernahm ſein Amt aus patriotiſchem Pflichtge- fühl, arbeitete ſich mit großem Fleiß in die Verwaltungsgeſchäfte ein und vergaß den mediatiſirten Herrn ſo völlig über dem monarchiſchen Beamten, daß die begehrlichen Ritterbürtigen ihn bald als einen Abtrünnigen be- trachteten; er kannte ſeine rheiniſchen Landsleute und verbot ſeinen Unter- gebenen den herriſchen altpreußiſchen Ton, den das Selbſtgefühl der Rhein- franken nicht erträgt. Keiner von Beiden beſaß die Selbſtändigkeit Vinckes; aber ſie fanden kräftige Hilfe bei der Geſammtheit des Beamtenthums, das faſt durchweg aus tüchtigen Männern beſtand und, von dem geiſt- reichen trier’ſchen Regierungspräſidenten Delius an bis herab zum letzten Gensdarmen, inmitten der argwöhniſchen Bevölkerung feſt zuſammenhielt.
Wer nur offenen Auges um ſich ſchaute, konnte überall auf Märkten und Gaſſen bemerken, wie dieſem Lande mit der Befreiung vom fremden Joche auch die bürgerliche Freiheit und die alten vaterländiſchen Bräuche zurück- kehrten. Die Schmuggler und die Deſerteure, die Landplage der napo- leoniſchen Zeit, verſchwanden ſofort, mit ihnen das unſelige Häſcher- und Späherweſen. Die Städte ſchmückten ſich wieder mit ihren ſtolzen Wappen, die bisher als Symbole des Foederalismus verfehmt waren; auch die alten, von den Franzoſen abgeſchafften Kirmeſſen und Schützenfeſte lebten wieder auf, freilich ſah man in dem Fahnenſchmucke der Feſtplätze faſt nie- mals die Adlerfahne, der das Volk doch das Wiedererwachen der rhei- niſchen Luſtigkeit verdankte. Der Kölner Carneval hatte ſich unter Napoleon ſchüchtern in die Häuſer zurückgezogen; jetzt klangen die fröhlichen Rufe: Alaaf Köln! und Geck loß Geck elans! wieder auf den Gaſſen, die köl- niſchen Funken hielten ihre närriſche Parade, und damit den Preußen doch der Dank nicht fehle wurde wohl einmal ein großer, mit einem Lorbeer- kranz geſchmückter Stockfiſch auf hoher Stange plötzlich über die Volks- menge emporgehoben und mit einem ſtürmiſchen „Heil Dir im Sieger- kranz“ begrüßt; der ſchweigſame König mißfiel den Rheinländern gründlich, wie viel beſſer lebte ſich’s doch mit der ausgelaſſenen Munterkeit des witzigen Kronprinzen. Im Jahre 1822 trat dann ein Verein zuſammen, der die Leitung des ſchönen Volksfeſtes in die Hand nahm und in ſeinen glän- zenden Maskenzügen den Reichthum und das Behagen der neu auf- blühenden rheiniſchen Hauptſtadt mit jedem Jahre deutlicher bekundete. Um dem Rheinlande ihre Duldſamkeit zu zeigen, geſtattete die Regierung auch, gegen das napoleoniſche Geſetz, den öffentlichen Umzug kirchlicher Proceſſionen; ſeit dem Jahre 1818 wurde das Frohnleichnamsfeſt in Köln wieder mit dem alten Pomp unter freiem Himmel gefeiert. Wunderbar, wie die romantiſchen Ideen, die bisher nur in dem engen Kreiſe der Boiſſerees gelebt hatten, jetzt mit einem male ins Volk drangen, wie die Rheinländer anfingen ſich ihrer großen Geſchichte wieder zu erinnern. Als die Franzoſen die Kunſtwerke aus Köln und Aachen entführten, hatte Nie-
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Ingersleben. Solms-Laubach.
Graf Solms-Laubach in Köln, Steins Freund und Gehilfe bei der deut-
ſchen Centralverwaltung, übernahm ſein Amt aus patriotiſchem Pflichtge-
fühl, arbeitete ſich mit großem Fleiß in die Verwaltungsgeſchäfte ein und
vergaß den mediatiſirten Herrn ſo völlig über dem monarchiſchen Beamten,
daß die begehrlichen Ritterbürtigen ihn bald als einen Abtrünnigen be-
trachteten; er kannte ſeine rheiniſchen Landsleute und verbot ſeinen Unter-
gebenen den herriſchen altpreußiſchen Ton, den das Selbſtgefühl der Rhein-
franken nicht erträgt. Keiner von Beiden beſaß die Selbſtändigkeit Vinckes;
aber ſie fanden kräftige Hilfe bei der Geſammtheit des Beamtenthums,
das faſt durchweg aus tüchtigen Männern beſtand und, von dem geiſt-
reichen trier’ſchen Regierungspräſidenten Delius an bis herab zum letzten
Gensdarmen, inmitten der argwöhniſchen Bevölkerung feſt zuſammenhielt.
Wer nur offenen Auges um ſich ſchaute, konnte überall auf Märkten und
Gaſſen bemerken, wie dieſem Lande mit der Befreiung vom fremden Joche
auch die bürgerliche Freiheit und die alten vaterländiſchen Bräuche zurück-
kehrten. Die Schmuggler und die Deſerteure, die Landplage der napo-
leoniſchen Zeit, verſchwanden ſofort, mit ihnen das unſelige Häſcher- und
Späherweſen. Die Städte ſchmückten ſich wieder mit ihren ſtolzen Wappen,
die bisher als Symbole des Foederalismus verfehmt waren; auch die
alten, von den Franzoſen abgeſchafften Kirmeſſen und Schützenfeſte lebten
wieder auf, freilich ſah man in dem Fahnenſchmucke der Feſtplätze faſt nie-
mals die Adlerfahne, der das Volk doch das Wiedererwachen der rhei-
niſchen Luſtigkeit verdankte. Der Kölner Carneval hatte ſich unter Napoleon
ſchüchtern in die Häuſer zurückgezogen; jetzt klangen die fröhlichen Rufe:
Alaaf Köln! und Geck loß Geck elans! wieder auf den Gaſſen, die köl-
niſchen Funken hielten ihre närriſche Parade, und damit den Preußen doch
der Dank nicht fehle wurde wohl einmal ein großer, mit einem Lorbeer-
kranz geſchmückter Stockfiſch auf hoher Stange plötzlich über die Volks-
menge emporgehoben und mit einem ſtürmiſchen „Heil Dir im Sieger-
kranz“ begrüßt; der ſchweigſame König mißfiel den Rheinländern gründlich,
wie viel beſſer lebte ſich’s doch mit der ausgelaſſenen Munterkeit des witzigen
Kronprinzen. Im Jahre 1822 trat dann ein Verein zuſammen, der die
Leitung des ſchönen Volksfeſtes in die Hand nahm und in ſeinen glän-
zenden Maskenzügen den Reichthum und das Behagen der neu auf-
blühenden rheiniſchen Hauptſtadt mit jedem Jahre deutlicher bekundete.
Um dem Rheinlande ihre Duldſamkeit zu zeigen, geſtattete die Regierung
auch, gegen das napoleoniſche Geſetz, den öffentlichen Umzug kirchlicher
Proceſſionen; ſeit dem Jahre 1818 wurde das Frohnleichnamsfeſt in Köln
wieder mit dem alten Pomp unter freiem Himmel gefeiert. Wunderbar,
wie die romantiſchen Ideen, die bisher nur in dem engen Kreiſe der
Boiſſerees gelebt hatten, jetzt mit einem male ins Volk drangen, wie die
Rheinländer anfingen ſich ihrer großen Geſchichte wieder zu erinnern. Als
die Franzoſen die Kunſtwerke aus Köln und Aachen entführten, hatte Nie-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/289>, abgerufen am 17.07.2024.
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