II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
Mit gewandten Händen schürte die kleine, aber im Stillen wachsende ultramontane Partei das Feuer des rheinischen Particularismus; sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, diese Kernlande der Priesterherrschaft dereinst der weltlichen Gewalt wieder zu entreißen. Wenn der Bischof von Trier jetzt zur Firmung seinen Sprengel bereiste, dann gaben ihm berittene Bauerburschen, mit kurtrierischen Fahnen in der Hand, das Geleite, was sie unter französischer Herrschaft nie gewagt hatten. Nicht minder laut als die Polen klagten die Rheinländer in den Bischofs- landen über die Unmasse der fremden Eindringlinge, die ihre Heimath überschwemmten. Die Beschwerde ward so hartnäckig wiederholt, daß sie endlich auch in den freundlich gesinnten niederrheinischen Landschaften Anklang fand und sogar Benzenberg pathetisch versicherte: das "Indigenat" sei das natürliche Recht jedes Volkes, schon der große Kurfürst habe den clevischen Landständen versprochen, nur Landeskinder bei ihnen an- zustellen. In der That war eine gründliche Säuberung des rheinischen Beamtenthums erfolgt. Die Präfekten, allesammt Franzosen, hatten das Land verlassen, desgleichen die Unterpräfekten, mit Ausnahme der drei oder vier deutschen; die Gemeindeverwaltung war völlig verwahrlost, da die Maires zumeist kein Französisch verstanden und ihre Geschäfte un- wissenden Schreibern überließen. Dennoch verfuhr der König bei der unvermeidlichen Neugestaltung sehr schonend; er sprach es als seinen "un- abänderlichen Willen" aus, daß Niemand am Rhein seine Stelle ver- lieren dürfe, außer im Falle erwiesener Unfähigkeit. Vielen der kaiserlichen Beamten hielt man noch jahrelang ihre Stellen offen bis sie sich in Bonn die wissenschaftliche Bildung erworben hatten, welche das Gesetz von den preußischen Staatsdienern verlangte. Im Jahre 1816 waren an den sechs rheinischen Regierungen angestellt: 207 Rheinländer, 23 Nichtpreußen, 159 aus den anderen Provinzen, die Letzteren zumeist in den subalternen Aemtern, welche den ausgedienten Soldaten vorbehalten blieben: sicherlich ein billiges Verhältniß, zumal da die große Mehrzahl der rheinischen Juristen sich dem Justizfache zugewendet hatte und die Gerichte auch fernerhin fast ausschließlich aus Landeskindern bestanden.*)
Aber die einmal erregte Erbitterung wider "das kalte, starre Preußen- thum" fragte nichts nach Zahlen. Froh ihres gesegneten Landes, ihrer um tausend Jahre älteren Cultur, noch gänzlich unbekannt mit der deutschen Welt, die ihnen bei Frankfurt aufhörte, meinten die Rheinländer den Alt- preußen in Allem überlegen zu sein; "Litthauer seid Ihr" -- rief einmal Görres seinen altländischen Freunden zu, und alle Coblenzer dachten wie er. Besonders anstößig erschien diesem ganz bürgerlichen Volke, daß sich unter den altländischen Beamten auch einige Edelleute befanden. Eine Denk-
*) Kabinetsordre vom 8. November 1816. Uebersicht des Personals der rheinischen Regierungen, 20. Februar 1817.
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
Mit gewandten Händen ſchürte die kleine, aber im Stillen wachſende ultramontane Partei das Feuer des rheiniſchen Particularismus; ſie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dieſe Kernlande der Prieſterherrſchaft dereinſt der weltlichen Gewalt wieder zu entreißen. Wenn der Biſchof von Trier jetzt zur Firmung ſeinen Sprengel bereiſte, dann gaben ihm berittene Bauerburſchen, mit kurtrieriſchen Fahnen in der Hand, das Geleite, was ſie unter franzöſiſcher Herrſchaft nie gewagt hatten. Nicht minder laut als die Polen klagten die Rheinländer in den Biſchofs- landen über die Unmaſſe der fremden Eindringlinge, die ihre Heimath überſchwemmten. Die Beſchwerde ward ſo hartnäckig wiederholt, daß ſie endlich auch in den freundlich geſinnten niederrheiniſchen Landſchaften Anklang fand und ſogar Benzenberg pathetiſch verſicherte: das „Indigenat“ ſei das natürliche Recht jedes Volkes, ſchon der große Kurfürſt habe den cleviſchen Landſtänden verſprochen, nur Landeskinder bei ihnen an- zuſtellen. In der That war eine gründliche Säuberung des rheiniſchen Beamtenthums erfolgt. Die Präfekten, alleſammt Franzoſen, hatten das Land verlaſſen, desgleichen die Unterpräfekten, mit Ausnahme der drei oder vier deutſchen; die Gemeindeverwaltung war völlig verwahrloſt, da die Maires zumeiſt kein Franzöſiſch verſtanden und ihre Geſchäfte un- wiſſenden Schreibern überließen. Dennoch verfuhr der König bei der unvermeidlichen Neugeſtaltung ſehr ſchonend; er ſprach es als ſeinen „un- abänderlichen Willen“ aus, daß Niemand am Rhein ſeine Stelle ver- lieren dürfe, außer im Falle erwieſener Unfähigkeit. Vielen der kaiſerlichen Beamten hielt man noch jahrelang ihre Stellen offen bis ſie ſich in Bonn die wiſſenſchaftliche Bildung erworben hatten, welche das Geſetz von den preußiſchen Staatsdienern verlangte. Im Jahre 1816 waren an den ſechs rheiniſchen Regierungen angeſtellt: 207 Rheinländer, 23 Nichtpreußen, 159 aus den anderen Provinzen, die Letzteren zumeiſt in den ſubalternen Aemtern, welche den ausgedienten Soldaten vorbehalten blieben: ſicherlich ein billiges Verhältniß, zumal da die große Mehrzahl der rheiniſchen Juriſten ſich dem Juſtizfache zugewendet hatte und die Gerichte auch fernerhin faſt ausſchließlich aus Landeskindern beſtanden.*)
Aber die einmal erregte Erbitterung wider „das kalte, ſtarre Preußen- thum“ fragte nichts nach Zahlen. Froh ihres geſegneten Landes, ihrer um tauſend Jahre älteren Cultur, noch gänzlich unbekannt mit der deutſchen Welt, die ihnen bei Frankfurt aufhörte, meinten die Rheinländer den Alt- preußen in Allem überlegen zu ſein; „Litthauer ſeid Ihr“ — rief einmal Görres ſeinen altländiſchen Freunden zu, und alle Coblenzer dachten wie er. Beſonders anſtößig erſchien dieſem ganz bürgerlichen Volke, daß ſich unter den altländiſchen Beamten auch einige Edelleute befanden. Eine Denk-
*) Kabinetsordre vom 8. November 1816. Ueberſicht des Perſonals der rheiniſchen Regierungen, 20. Februar 1817.
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Mit gewandten Händen ſchürte die kleine, aber im Stillen wachſende
ultramontane Partei das Feuer des rheiniſchen Particularismus; ſie hatte
die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dieſe Kernlande der Prieſterherrſchaft
dereinſt der weltlichen Gewalt wieder zu entreißen. Wenn der Biſchof
von Trier jetzt zur Firmung ſeinen Sprengel bereiſte, dann gaben ihm
berittene Bauerburſchen, mit kurtrieriſchen Fahnen in der Hand, das
Geleite, was ſie unter franzöſiſcher Herrſchaft nie gewagt hatten. Nicht
minder laut als die Polen klagten die Rheinländer in den Biſchofs-
landen über die Unmaſſe der fremden Eindringlinge, die ihre Heimath
überſchwemmten. Die Beſchwerde ward ſo hartnäckig wiederholt, daß
ſie endlich auch in den freundlich geſinnten niederrheiniſchen Landſchaften
Anklang fand und ſogar Benzenberg pathetiſch verſicherte: das „Indigenat“
ſei das natürliche Recht jedes Volkes, ſchon der große Kurfürſt habe
den cleviſchen Landſtänden verſprochen, nur Landeskinder bei ihnen an-
zuſtellen. In der That war eine gründliche Säuberung des rheiniſchen
Beamtenthums erfolgt. Die Präfekten, alleſammt Franzoſen, hatten das
Land verlaſſen, desgleichen die Unterpräfekten, mit Ausnahme der drei
oder vier deutſchen; die Gemeindeverwaltung war völlig verwahrloſt, da
die Maires zumeiſt kein Franzöſiſch verſtanden und ihre Geſchäfte un-
wiſſenden Schreibern überließen. Dennoch verfuhr der König bei der
unvermeidlichen Neugeſtaltung ſehr ſchonend; er ſprach es als ſeinen „un-
abänderlichen Willen“ aus, daß Niemand am Rhein ſeine Stelle ver-
lieren dürfe, außer im Falle erwieſener Unfähigkeit. Vielen der kaiſerlichen
Beamten hielt man noch jahrelang ihre Stellen offen bis ſie ſich in Bonn
die wiſſenſchaftliche Bildung erworben hatten, welche das Geſetz von den
preußiſchen Staatsdienern verlangte. Im Jahre 1816 waren an den
ſechs rheiniſchen Regierungen angeſtellt: 207 Rheinländer, 23 Nichtpreußen,
159 aus den anderen Provinzen, die Letzteren zumeiſt in den ſubalternen
Aemtern, welche den ausgedienten Soldaten vorbehalten blieben: ſicherlich
ein billiges Verhältniß, zumal da die große Mehrzahl der rheiniſchen
Juriſten ſich dem Juſtizfache zugewendet hatte und die Gerichte auch
fernerhin faſt ausſchließlich aus Landeskindern beſtanden. *)
Aber die einmal erregte Erbitterung wider „das kalte, ſtarre Preußen-
thum“ fragte nichts nach Zahlen. Froh ihres geſegneten Landes, ihrer um
tauſend Jahre älteren Cultur, noch gänzlich unbekannt mit der deutſchen
Welt, die ihnen bei Frankfurt aufhörte, meinten die Rheinländer den Alt-
preußen in Allem überlegen zu ſein; „Litthauer ſeid Ihr“ — rief einmal
Görres ſeinen altländiſchen Freunden zu, und alle Coblenzer dachten wie er.
Beſonders anſtößig erſchien dieſem ganz bürgerlichen Volke, daß ſich unter
den altländiſchen Beamten auch einige Edelleute befanden. Eine Denk-
*) Kabinetsordre vom 8. November 1816. Ueberſicht des Perſonals der rheiniſchen
Regierungen, 20. Februar 1817.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/284>, abgerufen am 24.11.2024.
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