Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Berg. Cleve. lich hatten noch auf dem Wiener Congresse alle Gegner Preußens die Hoff-nung ausgesprochen: an diesem deutschfranzösischen Sonderleben müsse sich der norddeutsche Staat die Stirn einrennen. Der König verbarg sich die gefahrvolle Lage der entlegenen Westmark nicht und erklärte bei der Besitzergeifung offen: "die höhere Rücksicht auf das gesammte deutsche Vaterland entschied meinen Entschluß; diese deutschen Urländer müssen mit Deutschland vereinigt bleiben, sie sind die Vormauer der Freiheit und Unabhängigkeit Deutschlands." Das Rheinland wurde für ein Menschen- alter das Schooßkind der preußischen Krone, aus dem nämlichen Grunde wie einst Schlesien unter Friedrich II. Auch die Mehrzahl der in den Westen berufenen altständischen Beamten ging voll Besorgniß ans Werk und erkannte erst allmählich, wie dünn der gallische Firniß war, der über diesen kernhaften deutschen Stämmen lag. Am sprödesten hatten die niederrheinischen Landschaften abwärts von Berg. Cleve. lich hatten noch auf dem Wiener Congreſſe alle Gegner Preußens die Hoff-nung ausgeſprochen: an dieſem deutſchfranzöſiſchen Sonderleben müſſe ſich der norddeutſche Staat die Stirn einrennen. Der König verbarg ſich die gefahrvolle Lage der entlegenen Weſtmark nicht und erklärte bei der Beſitzergeifung offen: „die höhere Rückſicht auf das geſammte deutſche Vaterland entſchied meinen Entſchluß; dieſe deutſchen Urländer müſſen mit Deutſchland vereinigt bleiben, ſie ſind die Vormauer der Freiheit und Unabhängigkeit Deutſchlands.“ Das Rheinland wurde für ein Menſchen- alter das Schooßkind der preußiſchen Krone, aus dem nämlichen Grunde wie einſt Schleſien unter Friedrich II. Auch die Mehrzahl der in den Weſten berufenen altſtändiſchen Beamten ging voll Beſorgniß ans Werk und erkannte erſt allmählich, wie dünn der galliſche Firniß war, der über dieſen kernhaften deutſchen Stämmen lag. Am ſprödeſten hatten die niederrheiniſchen Landſchaften abwärts von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0281" n="267"/><fw place="top" type="header">Berg. Cleve.</fw><lb/> lich hatten noch auf dem Wiener Congreſſe alle Gegner Preußens die Hoff-<lb/> nung ausgeſprochen: an dieſem deutſchfranzöſiſchen Sonderleben müſſe ſich<lb/> der norddeutſche Staat die Stirn einrennen. 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Berg. Cleve.
lich hatten noch auf dem Wiener Congreſſe alle Gegner Preußens die Hoff-
nung ausgeſprochen: an dieſem deutſchfranzöſiſchen Sonderleben müſſe ſich
der norddeutſche Staat die Stirn einrennen. Der König verbarg ſich
die gefahrvolle Lage der entlegenen Weſtmark nicht und erklärte bei der
Beſitzergeifung offen: „die höhere Rückſicht auf das geſammte deutſche
Vaterland entſchied meinen Entſchluß; dieſe deutſchen Urländer müſſen
mit Deutſchland vereinigt bleiben, ſie ſind die Vormauer der Freiheit und
Unabhängigkeit Deutſchlands.“ Das Rheinland wurde für ein Menſchen-
alter das Schooßkind der preußiſchen Krone, aus dem nämlichen Grunde
wie einſt Schleſien unter Friedrich II. Auch die Mehrzahl der in den
Weſten berufenen altſtändiſchen Beamten ging voll Beſorgniß ans Werk
und erkannte erſt allmählich, wie dünn der galliſche Firniß war, der über
dieſen kernhaften deutſchen Stämmen lag.
Am ſprödeſten hatten die niederrheiniſchen Landſchaften abwärts von
Köln ihre deutſche Eigenart behauptet. Auf dem rechten Ufer in dem
freien Lande der Berge erſchienen die Preußen nicht als Fremde; hatte
doch ſeine proteſtantiſche Kirche mehr denn hundert Jahre lang unter
dem Schutze der preußiſchen Krone, ſein Landtag mit dem benachbarten
märkiſchen in ſtändiſcher Union gelebt. Der vaterländiſche Geiſt, den
die bergiſchen Landſtürmer im Jahre 1814 bewährt, ſtammte nicht von
geſtern. Noch erzählte man ſich gern, wie der „bergiſche Held“ Stücker
und ſeine tapferen Bauern einſt beim erſten Einfall der Ohnehoſen, gegen
den Willen des bairiſchen Landesherrn, den kleinen Krieg geführt hatten;
noch kannte jedes Kind im Lande das Schelmen-Vaterunſer, das ſchon
während der fridericianiſchen Kriege den franzöſiſchen Plünderern zum
Schimpf entſtanden war. Der rührige, ſchon längſt an die überſeeiſche
Ausfuhr gewöhnte Gewerbefleiß und die bunte Mannichfaltigkeit der kirch-
lichen Gegenſätze gaben hier dem Leben einen freien, großſtädtiſchen Zug.
Die Fabrikanten des Wupperthales nannten ihre Doppelſtadt Elberfeld-
Barmen bereits das deutſche Mancheſter, die Solinger ſprachen mit
Selbſtgefühl von dem Weltruhm ihrer Klingen, Alle fühlten ſich ſtolz
ihren Wohlſtand allein ſich ſelber zu verdanken und traten gutes Muths
in die großen Verhältniſſe des preußiſchen Staats hinüber, der ihrer
rüſtigen Kraft ein weites Arbeitsfeld eröffnete. Wohl keine andere Land-
ſchaft des Nordens beſaß ſo viele volksthümliche Männer, die auf eigene
Fauſt für das gemeine Wohl, für die Erweckung deutſchen Geiſtes
arbeiteten. Da war der allbekannte Eremit von Gauting, Freiherr v.
Hallberg, ein wüthender Franzoſenfeind, während des Krieges Feldhaupt-
mann des Landſturms an der Sieg und jetzt ſtets bei der Hand wenn
es galt die franzöſiſche Partei zu bekämpfen; dann der Herr Rath zu
Opladen, Deycks, der allgemeine Rechtsbeiſtand für die Wupperlande, der
Pfleger des Gartenbaus und der Ackerbauſchulen; dann Zuccalmaglio,
der Doctor zu Schlebuſch: der hatte noch unter der Fremdherrſchaft die
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