Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. behutsam schonte und ihm auch die Pfründen der reichen Domstifter Naum-burg und Merseburg beließ, so fühlte er doch, daß er in Sachsen der Herr gewesen und jetzt lernen mußte in den Kreis der Unterthanen hinab- zusteigen. Er gewöhnte sich so schwer an das monarchische Regiment, daß der Oberpräsident Bülow im Staatsrathe dringend rieth die neuen Steuer- gesetze nicht ohne Genehmigung der sächsischen Stände zu erlassen: "sonst würde vielleicht auf immer das leider noch wenig begründete Vertrauen der Bewohner verscherzt." Auch die Beamten klagten bitterlich über den strengen preußischen Dienst, zumal die Richter, die bisher in allen schwie- rigen Fällen die bequeme Hinterthür der Aktenversendung benutzt hatten und jetzt gezwungen wurden selber Recht zu sprechen; manche, die sich be- einträchtigt glaubten, kehrten wieder in die behagliche alte Heimath zurück.*) Selbst die Einsichtigen zeigten überall jene gemüthliche Vorliebe für das Althergebrachte, welche trotz allem Lärm der liberalen Schriftsteller die eigentliche Gesinnung der Deutschen blieb. Wie viele Kämpfe mußte Johannes Schulze mit dem Rector von Schulpforta, dem trefflichen Ilgen bestehen bis er endlich durchsetzte, daß die alte Fürstenschule sich der preußischen Prüfungsordnung fügte und die städtischen Freistellen nicht mehr nach Gunst und Laune der berechtigten Stadträthe besetzt wurden. Der Oberpräsident Friedrich v. Bülow war für dies Land der Adels- *) Bülows Votum über die Steuervorlagen im Staatsrathe, 23. Mai 1817. Bülow
an Hardenberg 9. März, Kircheisen an Hardenberg 2. Juni 1816. II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. behutſam ſchonte und ihm auch die Pfründen der reichen Domſtifter Naum-burg und Merſeburg beließ, ſo fühlte er doch, daß er in Sachſen der Herr geweſen und jetzt lernen mußte in den Kreis der Unterthanen hinab- zuſteigen. Er gewöhnte ſich ſo ſchwer an das monarchiſche Regiment, daß der Oberpräſident Bülow im Staatsrathe dringend rieth die neuen Steuer- geſetze nicht ohne Genehmigung der ſächſiſchen Stände zu erlaſſen: „ſonſt würde vielleicht auf immer das leider noch wenig begründete Vertrauen der Bewohner verſcherzt.“ Auch die Beamten klagten bitterlich über den ſtrengen preußiſchen Dienſt, zumal die Richter, die bisher in allen ſchwie- rigen Fällen die bequeme Hinterthür der Aktenverſendung benutzt hatten und jetzt gezwungen wurden ſelber Recht zu ſprechen; manche, die ſich be- einträchtigt glaubten, kehrten wieder in die behagliche alte Heimath zurück.*) Selbſt die Einſichtigen zeigten überall jene gemüthliche Vorliebe für das Althergebrachte, welche trotz allem Lärm der liberalen Schriftſteller die eigentliche Geſinnung der Deutſchen blieb. Wie viele Kämpfe mußte Johannes Schulze mit dem Rector von Schulpforta, dem trefflichen Ilgen beſtehen bis er endlich durchſetzte, daß die alte Fürſtenſchule ſich der preußiſchen Prüfungsordnung fügte und die ſtädtiſchen Freiſtellen nicht mehr nach Gunſt und Laune der berechtigten Stadträthe beſetzt wurden. Der Oberpräſident Friedrich v. Bülow war für dies Land der Adels- *) Bülows Votum über die Steuervorlagen im Staatsrathe, 23. Mai 1817. Bülow
an Hardenberg 9. März, Kircheiſen an Hardenberg 2. Juni 1816. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0274" n="260"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.</fw><lb/> behutſam ſchonte und ihm auch die Pfründen der reichen Domſtifter Naum-<lb/> burg und Merſeburg beließ, ſo fühlte er doch, daß er in Sachſen der<lb/> Herr geweſen und jetzt lernen mußte in den Kreis der Unterthanen hinab-<lb/> zuſteigen. Er gewöhnte ſich ſo ſchwer an das monarchiſche Regiment, daß<lb/> der Oberpräſident Bülow im Staatsrathe dringend rieth die neuen Steuer-<lb/> geſetze nicht ohne Genehmigung der ſächſiſchen Stände zu erlaſſen: „ſonſt<lb/> würde vielleicht auf immer das leider noch wenig begründete Vertrauen<lb/> der Bewohner verſcherzt.“ Auch die Beamten klagten bitterlich über den<lb/> ſtrengen preußiſchen Dienſt, zumal die Richter, die bisher in allen ſchwie-<lb/> rigen Fällen die bequeme Hinterthür der Aktenverſendung benutzt hatten<lb/> und jetzt gezwungen wurden ſelber Recht zu ſprechen; manche, die ſich be-<lb/> einträchtigt glaubten, kehrten wieder in die behagliche alte Heimath zurück.<note place="foot" n="*)">Bülows Votum über die Steuervorlagen im Staatsrathe, 23. Mai 1817. Bülow<lb/> an Hardenberg 9. März, Kircheiſen an Hardenberg 2. Juni 1816.</note><lb/> Selbſt die Einſichtigen zeigten überall jene gemüthliche Vorliebe für das<lb/> Althergebrachte, welche trotz allem Lärm der liberalen Schriftſteller die<lb/> eigentliche Geſinnung der Deutſchen blieb. Wie viele Kämpfe mußte Johannes<lb/> Schulze mit dem Rector von Schulpforta, dem trefflichen Ilgen beſtehen<lb/> bis er endlich durchſetzte, daß die alte Fürſtenſchule ſich der preußiſchen<lb/> Prüfungsordnung fügte und die ſtädtiſchen Freiſtellen nicht mehr nach<lb/> Gunſt und Laune der berechtigten Stadträthe beſetzt wurden.</p><lb/> <p>Der Oberpräſident Friedrich v. Bülow war für dies Land der Adels-<lb/> herrlichkeit auserſehen worden, weil er ähnliche Verhältniſſe noch von ſeiner<lb/> hannöverſchen Dienſtzeit her kannte und ſchon vor Jahren in einer ſcharfen<lb/> Schrift wider ſeinen Landsmann Rehberg bewieſen hatte, wie richtig er<lb/> die Ueberlegenheit der monarchiſchen Verwaltung gegenüber der altſtän-<lb/> diſchen zu ſchätzen wußte. In ſeiner neuen Heimath hatte er ſich die An-<lb/> ſchauungen des fridericianiſchen Beamtenthums ſo gänzlich angeeignet, daß<lb/> er beim Beginn der Unionsbewegung für nöthig hielt nochmals als Schrift-<lb/> ſteller aufzutreten und die Krone vor den Gefahren einer unabhängigen<lb/> Synodalkirche zu warnen. Doch verfuhr er ſtets wohlwollend und be-<lb/> dachtſam und kam ſelbſt mit dem ſächſiſchen Adel leidlich aus. Rückſichts-<lb/> loſer trat der Merſeburger Regierungspräſident Schönberg auf, ein ſäch-<lb/> ſiſcher Edelmann, der ſeit Jahren voll Unmuths die Mißbräuche der<lb/> adlichen Vetternherrſchaft beobachtet hatte und jetzt mit Freuden daran<lb/> ging, die Grundſätze moderner Rechtsgleichheit in dies Chaos einzuführen.<lb/> Eine liebenswürdige Natur von ſprudelnder Laune und derber Lebensluſt<lb/> genoß er im Volke allgemeiner Gunſt; ſeine Standesgenoſſen haßten ihn<lb/> als den Vertreter des „demokratiſchen Beamtengeiſtes“. Weitaus der<lb/> tüchtigſte unter den Organiſatoren der neuen Provinz war doch der Vice-<lb/> präſident Motz, der, wenig beläſtigt von ſeinem Vorgeſetzten, einem alten<lb/> Diplomaten Grafen Keller, den neuen Regierungsbezirk Erfurt verwaltete.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [260/0274]
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
behutſam ſchonte und ihm auch die Pfründen der reichen Domſtifter Naum-
burg und Merſeburg beließ, ſo fühlte er doch, daß er in Sachſen der
Herr geweſen und jetzt lernen mußte in den Kreis der Unterthanen hinab-
zuſteigen. Er gewöhnte ſich ſo ſchwer an das monarchiſche Regiment, daß
der Oberpräſident Bülow im Staatsrathe dringend rieth die neuen Steuer-
geſetze nicht ohne Genehmigung der ſächſiſchen Stände zu erlaſſen: „ſonſt
würde vielleicht auf immer das leider noch wenig begründete Vertrauen
der Bewohner verſcherzt.“ Auch die Beamten klagten bitterlich über den
ſtrengen preußiſchen Dienſt, zumal die Richter, die bisher in allen ſchwie-
rigen Fällen die bequeme Hinterthür der Aktenverſendung benutzt hatten
und jetzt gezwungen wurden ſelber Recht zu ſprechen; manche, die ſich be-
einträchtigt glaubten, kehrten wieder in die behagliche alte Heimath zurück. *)
Selbſt die Einſichtigen zeigten überall jene gemüthliche Vorliebe für das
Althergebrachte, welche trotz allem Lärm der liberalen Schriftſteller die
eigentliche Geſinnung der Deutſchen blieb. Wie viele Kämpfe mußte Johannes
Schulze mit dem Rector von Schulpforta, dem trefflichen Ilgen beſtehen
bis er endlich durchſetzte, daß die alte Fürſtenſchule ſich der preußiſchen
Prüfungsordnung fügte und die ſtädtiſchen Freiſtellen nicht mehr nach
Gunſt und Laune der berechtigten Stadträthe beſetzt wurden.
Der Oberpräſident Friedrich v. Bülow war für dies Land der Adels-
herrlichkeit auserſehen worden, weil er ähnliche Verhältniſſe noch von ſeiner
hannöverſchen Dienſtzeit her kannte und ſchon vor Jahren in einer ſcharfen
Schrift wider ſeinen Landsmann Rehberg bewieſen hatte, wie richtig er
die Ueberlegenheit der monarchiſchen Verwaltung gegenüber der altſtän-
diſchen zu ſchätzen wußte. In ſeiner neuen Heimath hatte er ſich die An-
ſchauungen des fridericianiſchen Beamtenthums ſo gänzlich angeeignet, daß
er beim Beginn der Unionsbewegung für nöthig hielt nochmals als Schrift-
ſteller aufzutreten und die Krone vor den Gefahren einer unabhängigen
Synodalkirche zu warnen. Doch verfuhr er ſtets wohlwollend und be-
dachtſam und kam ſelbſt mit dem ſächſiſchen Adel leidlich aus. Rückſichts-
loſer trat der Merſeburger Regierungspräſident Schönberg auf, ein ſäch-
ſiſcher Edelmann, der ſeit Jahren voll Unmuths die Mißbräuche der
adlichen Vetternherrſchaft beobachtet hatte und jetzt mit Freuden daran
ging, die Grundſätze moderner Rechtsgleichheit in dies Chaos einzuführen.
Eine liebenswürdige Natur von ſprudelnder Laune und derber Lebensluſt
genoß er im Volke allgemeiner Gunſt; ſeine Standesgenoſſen haßten ihn
als den Vertreter des „demokratiſchen Beamtengeiſtes“. Weitaus der
tüchtigſte unter den Organiſatoren der neuen Provinz war doch der Vice-
präſident Motz, der, wenig beläſtigt von ſeinem Vorgeſetzten, einem alten
Diplomaten Grafen Keller, den neuen Regierungsbezirk Erfurt verwaltete.
*) Bülows Votum über die Steuervorlagen im Staatsrathe, 23. Mai 1817. Bülow
an Hardenberg 9. März, Kircheiſen an Hardenberg 2. Juni 1816.
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