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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Pommern.

Weit härter als dies schwedische Land war das preußische Pommern
durch den Krieg heimgesucht. Die Ruinen der Häfen von Leba, Stolp-
münde, Rügenwalde, Colberg erinnerten noch an die behaglichen Zeiten
des Baseler Friedens. Stettin, das damals schon mit Hamburg gewett-
eifert, mußte sich jetzt seinen Platz auf dem Weltmarkte von Neuem
erobern; aber viele der reichen alten Firmen bestanden nicht mehr, der
Hafen von Swinemünde wurde erst wieder neu gebaut, und zudem
lähmte der Sundzoll den Aufschwung der pommerschen Plätze. Auf dem
platten Lande erregten die junge Cultur und die patriarchalischen Lebens-
verhältnisse das Erstaunen des Oberpräsidenten: hier im Kreise Neu-
Stettin nur 710 Einwohner auf der Geviertmeile, und daheim im Regie-
rungsbezirk Düsseldorf ihrer 8537; und gleichwohl "sucht der gute Pommer
noch immer seinen Reichthum im vielen Landbesitz". Sack bat den Staats-
kanzler dringend, ihm die Ansiedlung von tüchtigen Neubauern zu ge-
statten, die dem guten Pommern das Beispiel intensiver Wirthschaft geben
und ihm den Segen der neuen wirthschaftlichen Freiheit zum Bewußtsein
bringen sollten.*) Aber wo waren die Mittel für eine Colonisation im
fridericianischen Stile? Die Provinz erholte sich von den Leiden der
Kriegsjahre fast ebenso schwer wie die anderen baltischen Lande, nur daß
die ruhigen Pommern die harte freudlose Zeit gleichmüthiger ertrugen als
die leidenschaftlichen Preußen. --

Der Oberpräsident von Schlesien, Merckel, war schon während des
Krieges als Civilgouverneur seinen Landsleuten theuer geworden. Sie ver-
gaßen ihm nicht, daß er einst in einem verhängnißschweren Augenblicke durch
sein festes Vertrauen auf ihre Opferwilligkeit die Fortsetzung des Rück-
zugs verhindert hatte; denn als die Monarchen zur Zeit des Waffen-
stillstandes über die Räumung des ausgesogenen Landes berathschlagten,
da hatte er sein Wort dafür verpfändet, daß Schlesien die verbündeten
Heere ein ganzes Jahr hindurch unterhalten werde. Und wie glücklich
war nachher durch die kräftige Hilfe des Civilgouverneurs das Werk
Gneisenaus, die Bildung der schlesischen Landwehr gelungen. Der Sohn
eines angesehenen Breslauer Kaufmannshauses, von Kindesbeinen an
heimisch in allen Schichten der vielgestaltigen schlesischen Gesellschaft, er-
schien Merckel seinem Lande als der natürliche Führer. Seine ruhige,
ernsthafte, streng sachliche Weise die Geschäfte zu behandeln flößte Jedem
Zutrauen ein, und wer mit einem dringenden Anliegen kam, konnte noch
in später Nachtstunde den rüstigen kleinen Mann, dem der Schlaf ent-
behrlich schien, an seinem Schreibtisch finden. Er gehörte von jeher zu
den eifrigen Förderern der Hardenbergischen Reformen, war ein Schüler
der Kantischen Philosophie, reich gebildet, fast gelehrt und von dem Segen

*) Sack, kurzer Bericht über die Verwaltung Pommerns, Schlawe, 28. Juli 1818.
Pommern.

Weit härter als dies ſchwediſche Land war das preußiſche Pommern
durch den Krieg heimgeſucht. Die Ruinen der Häfen von Leba, Stolp-
münde, Rügenwalde, Colberg erinnerten noch an die behaglichen Zeiten
des Baſeler Friedens. Stettin, das damals ſchon mit Hamburg gewett-
eifert, mußte ſich jetzt ſeinen Platz auf dem Weltmarkte von Neuem
erobern; aber viele der reichen alten Firmen beſtanden nicht mehr, der
Hafen von Swinemünde wurde erſt wieder neu gebaut, und zudem
lähmte der Sundzoll den Aufſchwung der pommerſchen Plätze. Auf dem
platten Lande erregten die junge Cultur und die patriarchaliſchen Lebens-
verhältniſſe das Erſtaunen des Oberpräſidenten: hier im Kreiſe Neu-
Stettin nur 710 Einwohner auf der Geviertmeile, und daheim im Regie-
rungsbezirk Düſſeldorf ihrer 8537; und gleichwohl „ſucht der gute Pommer
noch immer ſeinen Reichthum im vielen Landbeſitz“. Sack bat den Staats-
kanzler dringend, ihm die Anſiedlung von tüchtigen Neubauern zu ge-
ſtatten, die dem guten Pommern das Beiſpiel intenſiver Wirthſchaft geben
und ihm den Segen der neuen wirthſchaftlichen Freiheit zum Bewußtſein
bringen ſollten.*) Aber wo waren die Mittel für eine Coloniſation im
fridericianiſchen Stile? Die Provinz erholte ſich von den Leiden der
Kriegsjahre faſt ebenſo ſchwer wie die anderen baltiſchen Lande, nur daß
die ruhigen Pommern die harte freudloſe Zeit gleichmüthiger ertrugen als
die leidenſchaftlichen Preußen. —

Der Oberpräſident von Schleſien, Merckel, war ſchon während des
Krieges als Civilgouverneur ſeinen Landsleuten theuer geworden. Sie ver-
gaßen ihm nicht, daß er einſt in einem verhängnißſchweren Augenblicke durch
ſein feſtes Vertrauen auf ihre Opferwilligkeit die Fortſetzung des Rück-
zugs verhindert hatte; denn als die Monarchen zur Zeit des Waffen-
ſtillſtandes über die Räumung des ausgeſogenen Landes berathſchlagten,
da hatte er ſein Wort dafür verpfändet, daß Schleſien die verbündeten
Heere ein ganzes Jahr hindurch unterhalten werde. Und wie glücklich
war nachher durch die kräftige Hilfe des Civilgouverneurs das Werk
Gneiſenaus, die Bildung der ſchleſiſchen Landwehr gelungen. Der Sohn
eines angeſehenen Breslauer Kaufmannshauſes, von Kindesbeinen an
heimiſch in allen Schichten der vielgeſtaltigen ſchleſiſchen Geſellſchaft, er-
ſchien Merckel ſeinem Lande als der natürliche Führer. Seine ruhige,
ernſthafte, ſtreng ſachliche Weiſe die Geſchäfte zu behandeln flößte Jedem
Zutrauen ein, und wer mit einem dringenden Anliegen kam, konnte noch
in ſpäter Nachtſtunde den rüſtigen kleinen Mann, dem der Schlaf ent-
behrlich ſchien, an ſeinem Schreibtiſch finden. Er gehörte von jeher zu
den eifrigen Förderern der Hardenbergiſchen Reformen, war ein Schüler
der Kantiſchen Philoſophie, reich gebildet, faſt gelehrt und von dem Segen

*) Sack, kurzer Bericht über die Verwaltung Pommerns, Schlawe, 28. Juli 1818.
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[253/0267] Pommern. Weit härter als dies ſchwediſche Land war das preußiſche Pommern durch den Krieg heimgeſucht. Die Ruinen der Häfen von Leba, Stolp- münde, Rügenwalde, Colberg erinnerten noch an die behaglichen Zeiten des Baſeler Friedens. Stettin, das damals ſchon mit Hamburg gewett- eifert, mußte ſich jetzt ſeinen Platz auf dem Weltmarkte von Neuem erobern; aber viele der reichen alten Firmen beſtanden nicht mehr, der Hafen von Swinemünde wurde erſt wieder neu gebaut, und zudem lähmte der Sundzoll den Aufſchwung der pommerſchen Plätze. Auf dem platten Lande erregten die junge Cultur und die patriarchaliſchen Lebens- verhältniſſe das Erſtaunen des Oberpräſidenten: hier im Kreiſe Neu- Stettin nur 710 Einwohner auf der Geviertmeile, und daheim im Regie- rungsbezirk Düſſeldorf ihrer 8537; und gleichwohl „ſucht der gute Pommer noch immer ſeinen Reichthum im vielen Landbeſitz“. Sack bat den Staats- kanzler dringend, ihm die Anſiedlung von tüchtigen Neubauern zu ge- ſtatten, die dem guten Pommern das Beiſpiel intenſiver Wirthſchaft geben und ihm den Segen der neuen wirthſchaftlichen Freiheit zum Bewußtſein bringen ſollten. *) Aber wo waren die Mittel für eine Coloniſation im fridericianiſchen Stile? Die Provinz erholte ſich von den Leiden der Kriegsjahre faſt ebenſo ſchwer wie die anderen baltiſchen Lande, nur daß die ruhigen Pommern die harte freudloſe Zeit gleichmüthiger ertrugen als die leidenſchaftlichen Preußen. — Der Oberpräſident von Schleſien, Merckel, war ſchon während des Krieges als Civilgouverneur ſeinen Landsleuten theuer geworden. Sie ver- gaßen ihm nicht, daß er einſt in einem verhängnißſchweren Augenblicke durch ſein feſtes Vertrauen auf ihre Opferwilligkeit die Fortſetzung des Rück- zugs verhindert hatte; denn als die Monarchen zur Zeit des Waffen- ſtillſtandes über die Räumung des ausgeſogenen Landes berathſchlagten, da hatte er ſein Wort dafür verpfändet, daß Schleſien die verbündeten Heere ein ganzes Jahr hindurch unterhalten werde. Und wie glücklich war nachher durch die kräftige Hilfe des Civilgouverneurs das Werk Gneiſenaus, die Bildung der ſchleſiſchen Landwehr gelungen. Der Sohn eines angeſehenen Breslauer Kaufmannshauſes, von Kindesbeinen an heimiſch in allen Schichten der vielgeſtaltigen ſchleſiſchen Geſellſchaft, er- ſchien Merckel ſeinem Lande als der natürliche Führer. Seine ruhige, ernſthafte, ſtreng ſachliche Weiſe die Geſchäfte zu behandeln flößte Jedem Zutrauen ein, und wer mit einem dringenden Anliegen kam, konnte noch in ſpäter Nachtſtunde den rüſtigen kleinen Mann, dem der Schlaf ent- behrlich ſchien, an ſeinem Schreibtiſch finden. Er gehörte von jeher zu den eifrigen Förderern der Hardenbergiſchen Reformen, war ein Schüler der Kantiſchen Philoſophie, reich gebildet, faſt gelehrt und von dem Segen *) Sack, kurzer Bericht über die Verwaltung Pommerns, Schlawe, 28. Juli 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/267>, abgerufen am 24.11.2024.