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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
schen Staate. Als die Preußen in Greifswald einzogen, sang der Poet
des Landes, Kosegarten wehmüthig:

Ja, unter den drei Kronen
Ließ es sich ruhig wohnen --

und allerdings die Strenge der monarchischen Gerechtigkeit war dieser
Kornkammer des armen Schwedenreichs, die nur 60,296 Thaler Gold an
direkten Steuern zahlte, bisher ganz unbekannt gewesen. Während im preu-
ßischen Pommern der Bauer durch die starke Hand des Königthums geschützt
wurde, hatten hier die Krone, der Adel, die Universität und die Patriciate
der reichen Städte fast die gesammte Bauerschaft ausgekauft und, ähnlich wie
im nahen Mecklenburg, ein bequemes oligarchisches Regiment eingerichtet.
Als im Westphälischen Frieden die Mündungen der Weser, Elbe und Oder
an die Krone Schweden kamen, errichtete sie in Pommern die höchsten
Aemter für ihre sämmtlichen deutschen Provinzen, und die fetten Pfründen
dieser für eine Million Unterthanen bestimmten Behörden, ein willkom-
mener Unterschlupf für die Söhne der guten Familien, bestanden nach
anderthalb Jahrhunderten unverändert fort, als nur noch die hundert-
tausend Deutschen zwischen der Peene und der Ostsee zu Schweden ge-
hörten. Geringschätzig blickte der Adel auf seine preußischen Standesge-
nossen herab; hingen doch seine Wappen im Ritterhause zu Stockholm
neben den Schildern der Torstenson und Oxenstierna. Breit und behäbig
lebte die Universität Greifswald der Verwaltung ihrer großen Güter, nur
aller zwanzig Jahre einmal durch eine königliche Visitation gestört; von den
akademischen Instituten der reichsten deutschen Hochschule stand freilich nur
eines, die Reitbahn, in gutem Rufe. Das stolze Stralsund hatte sich mit
der Pracht seiner Kirchen, Rathhäuser und Beginenhöfe auch die alte han-
sische Freiheit treu bewahrt und beherrschte unumschränkt ein Gebiet von
mehr als hundert Ortschaften. Behutsam traten die preußischen Behörden an
dies zähe Sonderleben heran. Die meisten der alten Aemter wurden trotz
der Proteste des Adels beseitigt, nur das Greifswalder Hohe Tribunal blieb
als bescheidenes Appellationsgericht bestehen; Stralsund und die anderen
größeren Städte behielten ihre alte Verfassung, doch mußten sie, nach wie-
derholter Verwahrung, dem preußischen Kreisverbande sich einfügen. Nach
zweijährigem Zögern wagte man auch das neue Zollgesetz einzuführen.
Sicher und stetig vollzog sich die Verschmelzung. Die Mehrzahl der Pächter
und Gutsunterthanen, namentlich auf Rügen, hatte von Haus aus das
Mißtrauen der privilegirten Klassen nicht getheilt und freute sich bei den
neuen Behörden einigen Schutz gegen die Willkür der Grundherren zu
finden.*)

*) Promemoria über die Reorganisation von Neuvorpommern, von Karl Schneider
in Bergen, 3. Dec. 1815. Eingabe der Abgeordneten des Bauernstandes, Pächter Arndt
und Schulze Lüders, an den König, 20. Juli 1816. -- Bittschrift von Bürgermeister und
Rath von Stralsund an den Staatskanzler, 12. Septbr. 1816.

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
ſchen Staate. Als die Preußen in Greifswald einzogen, ſang der Poet
des Landes, Koſegarten wehmüthig:

Ja, unter den drei Kronen
Ließ es ſich ruhig wohnen —

und allerdings die Strenge der monarchiſchen Gerechtigkeit war dieſer
Kornkammer des armen Schwedenreichs, die nur 60,296 Thaler Gold an
direkten Steuern zahlte, bisher ganz unbekannt geweſen. Während im preu-
ßiſchen Pommern der Bauer durch die ſtarke Hand des Königthums geſchützt
wurde, hatten hier die Krone, der Adel, die Univerſität und die Patriciate
der reichen Städte faſt die geſammte Bauerſchaft ausgekauft und, ähnlich wie
im nahen Mecklenburg, ein bequemes oligarchiſches Regiment eingerichtet.
Als im Weſtphäliſchen Frieden die Mündungen der Weſer, Elbe und Oder
an die Krone Schweden kamen, errichtete ſie in Pommern die höchſten
Aemter für ihre ſämmtlichen deutſchen Provinzen, und die fetten Pfründen
dieſer für eine Million Unterthanen beſtimmten Behörden, ein willkom-
mener Unterſchlupf für die Söhne der guten Familien, beſtanden nach
anderthalb Jahrhunderten unverändert fort, als nur noch die hundert-
tauſend Deutſchen zwiſchen der Peene und der Oſtſee zu Schweden ge-
hörten. Geringſchätzig blickte der Adel auf ſeine preußiſchen Standesge-
noſſen herab; hingen doch ſeine Wappen im Ritterhauſe zu Stockholm
neben den Schildern der Torſtenſon und Oxenſtierna. Breit und behäbig
lebte die Univerſität Greifswald der Verwaltung ihrer großen Güter, nur
aller zwanzig Jahre einmal durch eine königliche Viſitation geſtört; von den
akademiſchen Inſtituten der reichſten deutſchen Hochſchule ſtand freilich nur
eines, die Reitbahn, in gutem Rufe. Das ſtolze Stralſund hatte ſich mit
der Pracht ſeiner Kirchen, Rathhäuſer und Beginenhöfe auch die alte han-
ſiſche Freiheit treu bewahrt und beherrſchte unumſchränkt ein Gebiet von
mehr als hundert Ortſchaften. Behutſam traten die preußiſchen Behörden an
dies zähe Sonderleben heran. Die meiſten der alten Aemter wurden trotz
der Proteſte des Adels beſeitigt, nur das Greifswalder Hohe Tribunal blieb
als beſcheidenes Appellationsgericht beſtehen; Stralſund und die anderen
größeren Städte behielten ihre alte Verfaſſung, doch mußten ſie, nach wie-
derholter Verwahrung, dem preußiſchen Kreisverbande ſich einfügen. Nach
zweijährigem Zögern wagte man auch das neue Zollgeſetz einzuführen.
Sicher und ſtetig vollzog ſich die Verſchmelzung. Die Mehrzahl der Pächter
und Gutsunterthanen, namentlich auf Rügen, hatte von Haus aus das
Mißtrauen der privilegirten Klaſſen nicht getheilt und freute ſich bei den
neuen Behörden einigen Schutz gegen die Willkür der Grundherren zu
finden.*)

*) Promemoria über die Reorganiſation von Neuvorpommern, von Karl Schneider
in Bergen, 3. Dec. 1815. Eingabe der Abgeordneten des Bauernſtandes, Pächter Arndt
und Schulze Lüders, an den König, 20. Juli 1816. — Bittſchrift von Bürgermeiſter und
Rath von Stralſund an den Staatskanzler, 12. Septbr. 1816.
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[252/0266] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. ſchen Staate. Als die Preußen in Greifswald einzogen, ſang der Poet des Landes, Koſegarten wehmüthig: Ja, unter den drei Kronen Ließ es ſich ruhig wohnen — und allerdings die Strenge der monarchiſchen Gerechtigkeit war dieſer Kornkammer des armen Schwedenreichs, die nur 60,296 Thaler Gold an direkten Steuern zahlte, bisher ganz unbekannt geweſen. Während im preu- ßiſchen Pommern der Bauer durch die ſtarke Hand des Königthums geſchützt wurde, hatten hier die Krone, der Adel, die Univerſität und die Patriciate der reichen Städte faſt die geſammte Bauerſchaft ausgekauft und, ähnlich wie im nahen Mecklenburg, ein bequemes oligarchiſches Regiment eingerichtet. Als im Weſtphäliſchen Frieden die Mündungen der Weſer, Elbe und Oder an die Krone Schweden kamen, errichtete ſie in Pommern die höchſten Aemter für ihre ſämmtlichen deutſchen Provinzen, und die fetten Pfründen dieſer für eine Million Unterthanen beſtimmten Behörden, ein willkom- mener Unterſchlupf für die Söhne der guten Familien, beſtanden nach anderthalb Jahrhunderten unverändert fort, als nur noch die hundert- tauſend Deutſchen zwiſchen der Peene und der Oſtſee zu Schweden ge- hörten. Geringſchätzig blickte der Adel auf ſeine preußiſchen Standesge- noſſen herab; hingen doch ſeine Wappen im Ritterhauſe zu Stockholm neben den Schildern der Torſtenſon und Oxenſtierna. Breit und behäbig lebte die Univerſität Greifswald der Verwaltung ihrer großen Güter, nur aller zwanzig Jahre einmal durch eine königliche Viſitation geſtört; von den akademiſchen Inſtituten der reichſten deutſchen Hochſchule ſtand freilich nur eines, die Reitbahn, in gutem Rufe. Das ſtolze Stralſund hatte ſich mit der Pracht ſeiner Kirchen, Rathhäuſer und Beginenhöfe auch die alte han- ſiſche Freiheit treu bewahrt und beherrſchte unumſchränkt ein Gebiet von mehr als hundert Ortſchaften. Behutſam traten die preußiſchen Behörden an dies zähe Sonderleben heran. Die meiſten der alten Aemter wurden trotz der Proteſte des Adels beſeitigt, nur das Greifswalder Hohe Tribunal blieb als beſcheidenes Appellationsgericht beſtehen; Stralſund und die anderen größeren Städte behielten ihre alte Verfaſſung, doch mußten ſie, nach wie- derholter Verwahrung, dem preußiſchen Kreisverbande ſich einfügen. Nach zweijährigem Zögern wagte man auch das neue Zollgeſetz einzuführen. Sicher und ſtetig vollzog ſich die Verſchmelzung. Die Mehrzahl der Pächter und Gutsunterthanen, namentlich auf Rügen, hatte von Haus aus das Mißtrauen der privilegirten Klaſſen nicht getheilt und freute ſich bei den neuen Behörden einigen Schutz gegen die Willkür der Grundherren zu finden. *) *) Promemoria über die Reorganiſation von Neuvorpommern, von Karl Schneider in Bergen, 3. Dec. 1815. Eingabe der Abgeordneten des Bauernſtandes, Pächter Arndt und Schulze Lüders, an den König, 20. Juli 1816. — Bittſchrift von Bürgermeiſter und Rath von Stralſund an den Staatskanzler, 12. Septbr. 1816.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/266>, abgerufen am 21.11.2024.