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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Ost- und Westpreußen.
unter, zumal in Westpreußen, wo Schön nach seiner despotischen Art
rücksichtslos seinem eigenen Kopfe folgte. Die großen Grundherren zer-
spalteten sich in zwei Lager; die Einen beschuldigten den liberalen Ober-
präsidenten, daß er aus Haß gegen den Adel die alten Familien zu Grunde
gerichtet habe, während die Andern ihn ebenso leidenschaftlich als den Er-
retter des Adels feierten und unbedingt auf die Worte des "großen alt-
preußischen Staatsmannes" schwuren. Da der verarmte Staat schlechter-
dings nicht allen Provinzen gleichmäßig gerecht werden konnte, so gebot ihm
die Pflicht der Selbsterhaltung, seine Hilfe zumeist den noch ungesicherten
neuen Gebieten zuzuwenden und die alten getreuen darben zu lassen.
Den grollenden Danzigern ward daher ein großer Theil ihrer Kriegs-
schulden vom Staate abgenommen, das seiner Schuldenlast fast erliegende
Königsberg rief vergeblich um Hilfe. In Ostpreußen stand bereits seit
Anfang des Jahrhunderts der Landhofmeister v. Auerswald an der Spitze
der Verwaltung, ein warmer Freund der Bauern, der schon vor dem Ge-
setze von 1807 auf seinen Gütern die Erbunterthänigkeit aufgehoben hatte
und unbefangen aussprach: der große Grundbesitz habe nicht das Ver-
trauen der Nation, er sei ärmer an Bildung als der Mittelstand. Unter
seiner Leitung wurde die Auseinandersetzung zwischen den Grundherren und
den Bauern während der nächsten Jahre durchgeführt. Schön dagegen
beförderte in Westpreußen vornehmlich das Schulwesen und den Wegebau;
darin erkannte er die beiden wirksamsten Mittel zur Hebung des Deutsch-
thums. Vierhundert Volksschulen wurden unter seiner Verwaltung von
den Gemeinden und den Grundherren gestiftet. Den polnischen Adel
wußte er in Zucht zu halten; dem Clerus gegenüber vertrat er streng,
nicht ohne Härte die Grundsätze des Landrechts und wahrte den öffent-
lichen Frieden um so erfolgreicher, da auch der Bischof Prinz von Hohen-
zollern, der noch heute unter dem Namen des guten Prinzen im Ge-
dächtniß des strenggläubigen ermeländischen Volkes fortlebt, den nationalen
Träumen der polnischen Kapläne nicht hold war. Trotz der umsichtigen
Verwaltung vernarbten die Wunden des Krieges hier in der Ostmark nur
sehr allmählich; abgetrennt von ihrem Hinterlande konnten die entlegenen
Küstenstriche schwer gesunden. Wenn der deutsche Grundherr in Litthauen
von den Höhen des Memelthals die wenigen armseligen Flöße der pol-
nischen Szimken drunten auf dem mächtigen Strome erblickte, dann klagte
er, dies schöne Land gelte den Berliner Bureaus nur als der große
Remontemarkt für die Reiterregimenter. Mit bitteren Gefühlen dachten
die Altpreußen an die bevorzugten westlichen Provinzen und fragten, ob
sie denn wieder, wie in König Friedrichs Tagen, die Stiefkinder der preu-
ßischen Krone seien. --

In Pommern gewann der neue Oberpräsident Sack das Vertrauen
der Bevölkerung bald noch vollständiger als vordem am Rhein; selbst das
unzufriedene Neuvorpommern versöhnte sich nach und nach mit dem deut-

Oſt- und Weſtpreußen.
unter, zumal in Weſtpreußen, wo Schön nach ſeiner despotiſchen Art
rückſichtslos ſeinem eigenen Kopfe folgte. Die großen Grundherren zer-
ſpalteten ſich in zwei Lager; die Einen beſchuldigten den liberalen Ober-
präſidenten, daß er aus Haß gegen den Adel die alten Familien zu Grunde
gerichtet habe, während die Andern ihn ebenſo leidenſchaftlich als den Er-
retter des Adels feierten und unbedingt auf die Worte des „großen alt-
preußiſchen Staatsmannes“ ſchwuren. Da der verarmte Staat ſchlechter-
dings nicht allen Provinzen gleichmäßig gerecht werden konnte, ſo gebot ihm
die Pflicht der Selbſterhaltung, ſeine Hilfe zumeiſt den noch ungeſicherten
neuen Gebieten zuzuwenden und die alten getreuen darben zu laſſen.
Den grollenden Danzigern ward daher ein großer Theil ihrer Kriegs-
ſchulden vom Staate abgenommen, das ſeiner Schuldenlaſt faſt erliegende
Königsberg rief vergeblich um Hilfe. In Oſtpreußen ſtand bereits ſeit
Anfang des Jahrhunderts der Landhofmeiſter v. Auerswald an der Spitze
der Verwaltung, ein warmer Freund der Bauern, der ſchon vor dem Ge-
ſetze von 1807 auf ſeinen Gütern die Erbunterthänigkeit aufgehoben hatte
und unbefangen ausſprach: der große Grundbeſitz habe nicht das Ver-
trauen der Nation, er ſei ärmer an Bildung als der Mittelſtand. Unter
ſeiner Leitung wurde die Auseinanderſetzung zwiſchen den Grundherren und
den Bauern während der nächſten Jahre durchgeführt. Schön dagegen
beförderte in Weſtpreußen vornehmlich das Schulweſen und den Wegebau;
darin erkannte er die beiden wirkſamſten Mittel zur Hebung des Deutſch-
thums. Vierhundert Volksſchulen wurden unter ſeiner Verwaltung von
den Gemeinden und den Grundherren geſtiftet. Den polniſchen Adel
wußte er in Zucht zu halten; dem Clerus gegenüber vertrat er ſtreng,
nicht ohne Härte die Grundſätze des Landrechts und wahrte den öffent-
lichen Frieden um ſo erfolgreicher, da auch der Biſchof Prinz von Hohen-
zollern, der noch heute unter dem Namen des guten Prinzen im Ge-
dächtniß des ſtrenggläubigen ermeländiſchen Volkes fortlebt, den nationalen
Träumen der polniſchen Kapläne nicht hold war. Trotz der umſichtigen
Verwaltung vernarbten die Wunden des Krieges hier in der Oſtmark nur
ſehr allmählich; abgetrennt von ihrem Hinterlande konnten die entlegenen
Küſtenſtriche ſchwer geſunden. Wenn der deutſche Grundherr in Litthauen
von den Höhen des Memelthals die wenigen armſeligen Flöße der pol-
niſchen Szimken drunten auf dem mächtigen Strome erblickte, dann klagte
er, dies ſchöne Land gelte den Berliner Bureaus nur als der große
Remontemarkt für die Reiterregimenter. Mit bitteren Gefühlen dachten
die Altpreußen an die bevorzugten weſtlichen Provinzen und fragten, ob
ſie denn wieder, wie in König Friedrichs Tagen, die Stiefkinder der preu-
ßiſchen Krone ſeien. —

In Pommern gewann der neue Oberpräſident Sack das Vertrauen
der Bevölkerung bald noch vollſtändiger als vordem am Rhein; ſelbſt das
unzufriedene Neuvorpommern verſöhnte ſich nach und nach mit dem deut-

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[251/0265] Oſt- und Weſtpreußen. unter, zumal in Weſtpreußen, wo Schön nach ſeiner despotiſchen Art rückſichtslos ſeinem eigenen Kopfe folgte. Die großen Grundherren zer- ſpalteten ſich in zwei Lager; die Einen beſchuldigten den liberalen Ober- präſidenten, daß er aus Haß gegen den Adel die alten Familien zu Grunde gerichtet habe, während die Andern ihn ebenſo leidenſchaftlich als den Er- retter des Adels feierten und unbedingt auf die Worte des „großen alt- preußiſchen Staatsmannes“ ſchwuren. Da der verarmte Staat ſchlechter- dings nicht allen Provinzen gleichmäßig gerecht werden konnte, ſo gebot ihm die Pflicht der Selbſterhaltung, ſeine Hilfe zumeiſt den noch ungeſicherten neuen Gebieten zuzuwenden und die alten getreuen darben zu laſſen. Den grollenden Danzigern ward daher ein großer Theil ihrer Kriegs- ſchulden vom Staate abgenommen, das ſeiner Schuldenlaſt faſt erliegende Königsberg rief vergeblich um Hilfe. In Oſtpreußen ſtand bereits ſeit Anfang des Jahrhunderts der Landhofmeiſter v. Auerswald an der Spitze der Verwaltung, ein warmer Freund der Bauern, der ſchon vor dem Ge- ſetze von 1807 auf ſeinen Gütern die Erbunterthänigkeit aufgehoben hatte und unbefangen ausſprach: der große Grundbeſitz habe nicht das Ver- trauen der Nation, er ſei ärmer an Bildung als der Mittelſtand. Unter ſeiner Leitung wurde die Auseinanderſetzung zwiſchen den Grundherren und den Bauern während der nächſten Jahre durchgeführt. Schön dagegen beförderte in Weſtpreußen vornehmlich das Schulweſen und den Wegebau; darin erkannte er die beiden wirkſamſten Mittel zur Hebung des Deutſch- thums. Vierhundert Volksſchulen wurden unter ſeiner Verwaltung von den Gemeinden und den Grundherren geſtiftet. Den polniſchen Adel wußte er in Zucht zu halten; dem Clerus gegenüber vertrat er ſtreng, nicht ohne Härte die Grundſätze des Landrechts und wahrte den öffent- lichen Frieden um ſo erfolgreicher, da auch der Biſchof Prinz von Hohen- zollern, der noch heute unter dem Namen des guten Prinzen im Ge- dächtniß des ſtrenggläubigen ermeländiſchen Volkes fortlebt, den nationalen Träumen der polniſchen Kapläne nicht hold war. Trotz der umſichtigen Verwaltung vernarbten die Wunden des Krieges hier in der Oſtmark nur ſehr allmählich; abgetrennt von ihrem Hinterlande konnten die entlegenen Küſtenſtriche ſchwer geſunden. Wenn der deutſche Grundherr in Litthauen von den Höhen des Memelthals die wenigen armſeligen Flöße der pol- niſchen Szimken drunten auf dem mächtigen Strome erblickte, dann klagte er, dies ſchöne Land gelte den Berliner Bureaus nur als der große Remontemarkt für die Reiterregimenter. Mit bitteren Gefühlen dachten die Altpreußen an die bevorzugten weſtlichen Provinzen und fragten, ob ſie denn wieder, wie in König Friedrichs Tagen, die Stiefkinder der preu- ßiſchen Krone ſeien. — In Pommern gewann der neue Oberpräſident Sack das Vertrauen der Bevölkerung bald noch vollſtändiger als vordem am Rhein; ſelbſt das unzufriedene Neuvorpommern verſöhnte ſich nach und nach mit dem deut-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/265>, abgerufen am 24.11.2024.