II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
Nicht lange, und den frechen Worten folgte die verrätherische That. Im Jahre 1818 entwarf General Dombrowsky den Plan zu einer ge- heimen polnischen Verbrüderung, die ein Jahr darauf unter dem Namen der nationalen Freimaurerei ins Leben trat. Die Behörden sahen dem gesetzwidrigen Treiben gelassen zu und schritten erst ein, als die Ver- schworenen, aus dem Dunkel ihrer Logen heraustretend, unter den Bauern Freischaaren zu bilden versuchten, welche den unzweideutigen Namen Sen- senmänner (Kosiniery) erhielten.
Die Absicht der Vernichtung des Deutschthums, die sich in jenen Denkschriften des polnischen Adels unverhohlen bekundete, fand bei dem Statthalter allerdings kein Gehör, aber auch für die Förderung deutscher Cultur that die Verwaltung unmittelbar nichts. Mit peinlicher Gewissen- haftigkeit erfüllte die Regierung ihre den Polen gegebenen Verheißungen. Die alten Erinnerungen und Hoheitszeichen des Landes blieben, nach der großmüthigen preußischen Art, unberührt; noch heute prangt am Ringe zu Posen das große polnische Wappen mit dem Herzschilde der Poniatowskys dicht über dem Schilderhause der preußischen Wache. Die polnischen Offi- ziere wurden pensionirt oder in das preußische Heer eingereiht; auch von den Warschauer Beamten nahm man eine große Zahl in den preußischen Dienst auf, obgleich viele des Schreibens, die meisten des Deutschen un- kundig waren und fast alle sich unzuverlässig zeigten. Die Kreisverwal- tung lag in den Händen gewählter Landräthe, die zumeist dem polnischen Adel angehörten; nur die gutsherrliche Polizei wurde, zur großen Freude der Bauern, nicht wiederhergestellt. Die Geschäftssprache der Behörden war deutsch, aber alle für das Publicum bestimmten Verhandlungen und Bekanntmachungen erfolgten in der Sprache, die den Betheiligten ver- ständlich war; so ward auch in den Volksschulen der polnischen Ortschaften nur polnischer Unterricht ertheilt.
Gleichwohl schritt das Deutschthum selbst unter dieser bis zur Schwäche langmüthigen Verwaltung unaufhaltsam vor. Sobald die bürgerliche Ord- nung wiederhergestellt war, öffneten sich von selber die Schleusen dem Strome der deutschen Einwanderung, der schon im Mittelalter dies ver- wahrloste Land befruchtet hatte. Die Ueberlegenheit deutschen Fleißes und Capitals zeigte sich überall, vornehmlich im Landbau. Der Morgen mitt- leren Bodens wurde zur Zeit der Besitzergreifung für 11/2 Thlr. verkauft -- etwa ebenso hoch wie die Urwaldländereien im fernen Westen Nord- amerikas. Welch eine Wandlung in diesen barbarischen Zuständen, als jetzt die preußischen Agrargesetze vom Jahre 1811 eingeführt wurden. Um- sonst sendete der Adel, auf die "Schreckenskunde von dieser Güterconfis- cation", eine klagende Adresse an den König, welche in naiven Worten den wahren Charakter der gerühmten sarmatischen Junkerfreiheit enthüllte: "in den zügellosen Ausschweifungen des finstern rohen Landvolks -- hieß es da -- werden sich die Keime eines praktischen Jakobinismus ent-
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
Nicht lange, und den frechen Worten folgte die verrätheriſche That. Im Jahre 1818 entwarf General Dombrowsky den Plan zu einer ge- heimen polniſchen Verbrüderung, die ein Jahr darauf unter dem Namen der nationalen Freimaurerei ins Leben trat. Die Behörden ſahen dem geſetzwidrigen Treiben gelaſſen zu und ſchritten erſt ein, als die Ver- ſchworenen, aus dem Dunkel ihrer Logen heraustretend, unter den Bauern Freiſchaaren zu bilden verſuchten, welche den unzweideutigen Namen Sen- ſenmänner (Koſiniery) erhielten.
Die Abſicht der Vernichtung des Deutſchthums, die ſich in jenen Denkſchriften des polniſchen Adels unverhohlen bekundete, fand bei dem Statthalter allerdings kein Gehör, aber auch für die Förderung deutſcher Cultur that die Verwaltung unmittelbar nichts. Mit peinlicher Gewiſſen- haftigkeit erfüllte die Regierung ihre den Polen gegebenen Verheißungen. Die alten Erinnerungen und Hoheitszeichen des Landes blieben, nach der großmüthigen preußiſchen Art, unberührt; noch heute prangt am Ringe zu Poſen das große polniſche Wappen mit dem Herzſchilde der Poniatowskys dicht über dem Schilderhauſe der preußiſchen Wache. Die polniſchen Offi- ziere wurden penſionirt oder in das preußiſche Heer eingereiht; auch von den Warſchauer Beamten nahm man eine große Zahl in den preußiſchen Dienſt auf, obgleich viele des Schreibens, die meiſten des Deutſchen un- kundig waren und faſt alle ſich unzuverläſſig zeigten. Die Kreisverwal- tung lag in den Händen gewählter Landräthe, die zumeiſt dem polniſchen Adel angehörten; nur die gutsherrliche Polizei wurde, zur großen Freude der Bauern, nicht wiederhergeſtellt. Die Geſchäftsſprache der Behörden war deutſch, aber alle für das Publicum beſtimmten Verhandlungen und Bekanntmachungen erfolgten in der Sprache, die den Betheiligten ver- ſtändlich war; ſo ward auch in den Volksſchulen der polniſchen Ortſchaften nur polniſcher Unterricht ertheilt.
Gleichwohl ſchritt das Deutſchthum ſelbſt unter dieſer bis zur Schwäche langmüthigen Verwaltung unaufhaltſam vor. Sobald die bürgerliche Ord- nung wiederhergeſtellt war, öffneten ſich von ſelber die Schleuſen dem Strome der deutſchen Einwanderung, der ſchon im Mittelalter dies ver- wahrloſte Land befruchtet hatte. Die Ueberlegenheit deutſchen Fleißes und Capitals zeigte ſich überall, vornehmlich im Landbau. Der Morgen mitt- leren Bodens wurde zur Zeit der Beſitzergreifung für 1½ Thlr. verkauft — etwa ebenſo hoch wie die Urwaldländereien im fernen Weſten Nord- amerikas. Welch eine Wandlung in dieſen barbariſchen Zuſtänden, als jetzt die preußiſchen Agrargeſetze vom Jahre 1811 eingeführt wurden. Um- ſonſt ſendete der Adel, auf die „Schreckenskunde von dieſer Güterconfis- cation“, eine klagende Adreſſe an den König, welche in naiven Worten den wahren Charakter der gerühmten ſarmatiſchen Junkerfreiheit enthüllte: „in den zügelloſen Ausſchweifungen des finſtern rohen Landvolks — hieß es da — werden ſich die Keime eines praktiſchen Jakobinismus ent-
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
Nicht lange, und den frechen Worten folgte die verrätheriſche That.
Im Jahre 1818 entwarf General Dombrowsky den Plan zu einer ge-
heimen polniſchen Verbrüderung, die ein Jahr darauf unter dem Namen
der nationalen Freimaurerei ins Leben trat. Die Behörden ſahen dem
geſetzwidrigen Treiben gelaſſen zu und ſchritten erſt ein, als die Ver-
ſchworenen, aus dem Dunkel ihrer Logen heraustretend, unter den Bauern
Freiſchaaren zu bilden verſuchten, welche den unzweideutigen Namen Sen-
ſenmänner (Koſiniery) erhielten.
Die Abſicht der Vernichtung des Deutſchthums, die ſich in jenen
Denkſchriften des polniſchen Adels unverhohlen bekundete, fand bei dem
Statthalter allerdings kein Gehör, aber auch für die Förderung deutſcher
Cultur that die Verwaltung unmittelbar nichts. Mit peinlicher Gewiſſen-
haftigkeit erfüllte die Regierung ihre den Polen gegebenen Verheißungen.
Die alten Erinnerungen und Hoheitszeichen des Landes blieben, nach der
großmüthigen preußiſchen Art, unberührt; noch heute prangt am Ringe
zu Poſen das große polniſche Wappen mit dem Herzſchilde der Poniatowskys
dicht über dem Schilderhauſe der preußiſchen Wache. Die polniſchen Offi-
ziere wurden penſionirt oder in das preußiſche Heer eingereiht; auch von
den Warſchauer Beamten nahm man eine große Zahl in den preußiſchen
Dienſt auf, obgleich viele des Schreibens, die meiſten des Deutſchen un-
kundig waren und faſt alle ſich unzuverläſſig zeigten. Die Kreisverwal-
tung lag in den Händen gewählter Landräthe, die zumeiſt dem polniſchen
Adel angehörten; nur die gutsherrliche Polizei wurde, zur großen Freude
der Bauern, nicht wiederhergeſtellt. Die Geſchäftsſprache der Behörden
war deutſch, aber alle für das Publicum beſtimmten Verhandlungen und
Bekanntmachungen erfolgten in der Sprache, die den Betheiligten ver-
ſtändlich war; ſo ward auch in den Volksſchulen der polniſchen Ortſchaften
nur polniſcher Unterricht ertheilt.
Gleichwohl ſchritt das Deutſchthum ſelbſt unter dieſer bis zur Schwäche
langmüthigen Verwaltung unaufhaltſam vor. Sobald die bürgerliche Ord-
nung wiederhergeſtellt war, öffneten ſich von ſelber die Schleuſen dem
Strome der deutſchen Einwanderung, der ſchon im Mittelalter dies ver-
wahrloſte Land befruchtet hatte. Die Ueberlegenheit deutſchen Fleißes und
Capitals zeigte ſich überall, vornehmlich im Landbau. Der Morgen mitt-
leren Bodens wurde zur Zeit der Beſitzergreifung für 1½ Thlr. verkauft
— etwa ebenſo hoch wie die Urwaldländereien im fernen Weſten Nord-
amerikas. Welch eine Wandlung in dieſen barbariſchen Zuſtänden, als
jetzt die preußiſchen Agrargeſetze vom Jahre 1811 eingeführt wurden. Um-
ſonſt ſendete der Adel, auf die „Schreckenskunde von dieſer Güterconfis-
cation“, eine klagende Adreſſe an den König, welche in naiven Worten den
wahren Charakter der gerühmten ſarmatiſchen Junkerfreiheit enthüllte:
„in den zügelloſen Ausſchweifungen des finſtern rohen Landvolks — hieß
es da — werden ſich die Keime eines praktiſchen Jakobinismus ent-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/262>, abgerufen am 24.11.2024.
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