Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. fürchteten, die Provinz könne durch ihren aufblühenden Wohlstand demMutterlande entfremdet werden. Nach Jahren noch tauchte immer wieder das Gerücht auf, der König denke die Provinz freiwillig an Polen zurückzu- geben; immer wieder schwebte ein glückverheißender Glorienschein um das Haupt der Mutter Polens, der heiligen Jungfrau in der Posener Karme- literkirche. Die Treue der polnischen Beamten erschien, nach dem großen Abfall von 1806, überaus zweifelhaft, und der Oberpräsident Zerboni rieth dem Staatskanzler alles Ernstes, ihnen einen Revers abzufordern, kraft dessen sie sich selber für Verräther an ihrer Nation erklären sollten falls sie ihren Diensteid brächen. Hardenberg aber lehnte den Vorschlag ab, weil die zweifache Verpflichtung den Gewissenlosen doch nicht zurück- halten würde. Nach kurzer Zeit schon fühlte sich der Statthalter sehr unglücklich in *) Radziwill an Hardenberg, 9. Aug. 1815. Rover an Gneisenau, 10. Mai 1817.
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. fürchteten, die Provinz könne durch ihren aufblühenden Wohlſtand demMutterlande entfremdet werden. Nach Jahren noch tauchte immer wieder das Gerücht auf, der König denke die Provinz freiwillig an Polen zurückzu- geben; immer wieder ſchwebte ein glückverheißender Glorienſchein um das Haupt der Mutter Polens, der heiligen Jungfrau in der Poſener Karme- literkirche. Die Treue der polniſchen Beamten erſchien, nach dem großen Abfall von 1806, überaus zweifelhaft, und der Oberpräſident Zerboni rieth dem Staatskanzler alles Ernſtes, ihnen einen Revers abzufordern, kraft deſſen ſie ſich ſelber für Verräther an ihrer Nation erklären ſollten falls ſie ihren Dienſteid brächen. Hardenberg aber lehnte den Vorſchlag ab, weil die zweifache Verpflichtung den Gewiſſenloſen doch nicht zurück- halten würde. Nach kurzer Zeit ſchon fühlte ſich der Statthalter ſehr unglücklich in *) Radziwill an Hardenberg, 9. Aug. 1815. Rover an Gneiſenau, 10. Mai 1817.
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
fürchteten, die Provinz könne durch ihren aufblühenden Wohlſtand dem
Mutterlande entfremdet werden. Nach Jahren noch tauchte immer wieder
das Gerücht auf, der König denke die Provinz freiwillig an Polen zurückzu-
geben; immer wieder ſchwebte ein glückverheißender Glorienſchein um das
Haupt der Mutter Polens, der heiligen Jungfrau in der Poſener Karme-
literkirche. Die Treue der polniſchen Beamten erſchien, nach dem großen
Abfall von 1806, überaus zweifelhaft, und der Oberpräſident Zerboni rieth
dem Staatskanzler alles Ernſtes, ihnen einen Revers abzufordern, kraft
deſſen ſie ſich ſelber für Verräther an ihrer Nation erklären ſollten
falls ſie ihren Dienſteid brächen. Hardenberg aber lehnte den Vorſchlag
ab, weil die zweifache Verpflichtung den Gewiſſenloſen doch nicht zurück-
halten würde.
Nach kurzer Zeit ſchon fühlte ſich der Statthalter ſehr unglücklich in
ſeinem glänzenden und doch wenig einflußreichen Amte. Ein ſchöner Mann,
geiſtreich, hochherzig, ritterlich, vereinigte er mit jener leichten geſelligen An-
muth, die den polniſchen Edelmann auszeichnet, die gediegene deutſche Bil-
dung; ſein gaſtfreies Haus war faſt das einzige des hohen Adels in Berlin,
wo ſich die vornehme Welt mit den Künſtlern und Gelehrten zuſammen-
fand, die Muſiker bewunderten ſein geiſtreiches Spiel und die ſinnige Ro-
mantik ſeiner Compoſitionen. Die Radziwills waren ſeit zwei Jahrhun-
derten mit den Hohenzollern mehrfach verſchwägert, Fürſt Anton ſelbſt hatte
ſich mit der liebenswürdigen Prinzeſſin Luiſe von Preußen vermählt und
ſtand dem Könige perſönlich nahe. Doch er blieb Pole und ſetzte die
Treue, die ihn ſelbſt erfüllte, arglos bei ſeinem Volke voraus. „Ich ſtehe
Ihnen dafür — ſchrieb er nach der Huldigung an Hardenberg — daß dieſe
Provinz mit denen, welche ſeit Jahrhunderten dem Scepter Sr. Majeſtät
unterworfen ſind, in Liebe wetteifern wird.“ Hatte doch der Canonicus
Kawiecki in ſeiner Feſtpredigt ſo rührſam von dem Jagellonenblute der
Hohenzollern geſprochen und der Adel ſo brünſtig verſichert: „ſchwere Er-
fahrungen haben uns gereift!“ Durch ein „Syſtem der Nationalität“,
durch liebevolles Eingehen auf alle Wünſche der Polen hoffte der Fürſt
die Provinz am ſicherſten für Preußen zu gewinnen; indeß ward er bald
irr an dieſen Plänen, als Gneiſenau ihn warnte und er allmählich ſelbſt
bemerkte, wie mißtrauiſch und hinterhaltig ſeine eigenen Landsleute ihm
begegneten. *) Auch der Oberpräſident Zerboni di Spoſetti gelangte nie-
mals zu einer feſten Haltung den Polen gegenüber. Der geiſtreiche, leicht
erregte Feuerkopf hatte in ſeinen jungen Tagen mit Hans v. Held und
Kneſebeck für die Ideale der Revolution geſchwärmt; er war noch immer
ein erklärter Liberaler, dem Staatskanzler unbedingt ergeben, und meinte
ſich verpflichtet die von der liberalen Welt gebrandmarkte Theilung Polens
durch nachſichtige Milde zu ſühnen. Zuweilen ward er freilich, gleich dem
*) Radziwill an Hardenberg, 9. Aug. 1815. Rover an Gneiſenau, 10. Mai 1817.
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