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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Provinz Posen.
wieder mit ihrer alten Heimath, dem Ordenslande, und bildete aus der
Hauptmasse, nebst einigen westpreußischen Gebietstheilen, eine neue Pro-
vinz; sie erhielt den Namen des Großherzogthums Posen, der staatsrechtlich
ebenso bedeutungslos war wie die neuen Titel des Großherzogthums Nie-
derrhein und des Herzogthums Sachsen. Noch von Wien aus erließ der
König eine Proclamation an die Einwohner, worin es hieß: "Auch Ihr
habt ein Vaterland und mit ihm einen Beweis meiner Achtung für Eure
Anhänglichkeit an dasselbe erhalten. Ihr werdet meiner Monarchie ein-
verleibt ohne Eure Nationalität verleugnen zu dürfen." Auch diese Worte
enthielten, wie in der Vorberathung beim Staatskanzler ausdrücklich zu
Protokoll erklärt wurde, in keiner Weise die Anerkennung einer Sonder-
stellung der Provinz. Um die besiegte Nation zu ehren gewährte der König
dem Großherzogthum -- als einzige Auszeichnung vor den andern Pro-
vinzen -- ein besonderes Wappen, den weißen Adler im Herzschilde des
preußischen, und einen Statthalter aus jagellonischem Blute, den Fürsten
Anton Radziwill. Die Leitung der Verwaltung blieb jedoch wie in den
übrigen Provinzen ausschließlich dem Oberpräsidenten vorbehalten; der
Statthalter war nur befugt über den Gang der Geschäfte Auskunft zu
verlangen, die Wünsche der Einwohner entgegenzunehmen und sie über
die Absichten des Monarchen aufzuklären. Bei der Huldigung am 3. Aug.
1815 warnte Fürst Radziwill seine Landsleute nachdrücklich vor gefährlichen
Täuschungen und versprach ihnen vollen Antheil an der bürgerlichen Frei-
heit, welche Preußen allen seinen Unterthanen gewähre, auch Schonung
ihrer "Eigenthümlichkeiten" in Sprache, Sitte und Gewohnheit, aber
keinerlei Sonderrechte.

Die neue Provinz umfaßte die Kernlande des alten Großpolens. Hier
in der vielbesungenen Siebenhügelstadt Gnesen hatte einst der weiße Adler
gehorstet, hier lagen mehrere der theuersten Heiligthümer der polnischen
Geschichte, das Adalbertsgrab in Gnesen und die Wallfahrtskirche von
Tremessen, und von jeher war der Adel Großpolens durch die Wärme
seines Nationalstolzes berühmt. Die Polen hatten unter allen Vasallen
Frankreichs am Längsten, bis zu der Schlacht auf dem Montmartre bei
Napoleon ausgehalten. Während der hundert Tage eilten die Deutschen
der Provinz mit hellem Jubel zu den Fahnen, der Posener Adel aber
trat sofort in geheimen Verkehr mit den Tuilerien, und die Behörden
mußten daran erinnern, daß das Gesetz den Landesverrath mit dem Tode
bedrohe.*) Nach dem zweiten Sturze des Imperators richteten die Unzu-
friedenen ihre hoffenden Blicke auf das nahe Königreich Polen und seine
neue Verfassung; die geheimen Sendboten der Warschauer Patrioten
schürten die Flamme der nationalen Propaganda um so eifriger, da sie
die Ueberlegenheit der preußischen Verwaltung kannten und ernstlich be-

*) Zerbonis Bericht an den Staatskanzler, 21. Juni 1815.

Provinz Poſen.
wieder mit ihrer alten Heimath, dem Ordenslande, und bildete aus der
Hauptmaſſe, nebſt einigen weſtpreußiſchen Gebietstheilen, eine neue Pro-
vinz; ſie erhielt den Namen des Großherzogthums Poſen, der ſtaatsrechtlich
ebenſo bedeutungslos war wie die neuen Titel des Großherzogthums Nie-
derrhein und des Herzogthums Sachſen. Noch von Wien aus erließ der
König eine Proclamation an die Einwohner, worin es hieß: „Auch Ihr
habt ein Vaterland und mit ihm einen Beweis meiner Achtung für Eure
Anhänglichkeit an daſſelbe erhalten. Ihr werdet meiner Monarchie ein-
verleibt ohne Eure Nationalität verleugnen zu dürfen.“ Auch dieſe Worte
enthielten, wie in der Vorberathung beim Staatskanzler ausdrücklich zu
Protokoll erklärt wurde, in keiner Weiſe die Anerkennung einer Sonder-
ſtellung der Provinz. Um die beſiegte Nation zu ehren gewährte der König
dem Großherzogthum — als einzige Auszeichnung vor den andern Pro-
vinzen — ein beſonderes Wappen, den weißen Adler im Herzſchilde des
preußiſchen, und einen Statthalter aus jagelloniſchem Blute, den Fürſten
Anton Radziwill. Die Leitung der Verwaltung blieb jedoch wie in den
übrigen Provinzen ausſchließlich dem Oberpräſidenten vorbehalten; der
Statthalter war nur befugt über den Gang der Geſchäfte Auskunft zu
verlangen, die Wünſche der Einwohner entgegenzunehmen und ſie über
die Abſichten des Monarchen aufzuklären. Bei der Huldigung am 3. Aug.
1815 warnte Fürſt Radziwill ſeine Landsleute nachdrücklich vor gefährlichen
Täuſchungen und verſprach ihnen vollen Antheil an der bürgerlichen Frei-
heit, welche Preußen allen ſeinen Unterthanen gewähre, auch Schonung
ihrer „Eigenthümlichkeiten“ in Sprache, Sitte und Gewohnheit, aber
keinerlei Sonderrechte.

Die neue Provinz umfaßte die Kernlande des alten Großpolens. Hier
in der vielbeſungenen Siebenhügelſtadt Gneſen hatte einſt der weiße Adler
gehorſtet, hier lagen mehrere der theuerſten Heiligthümer der polniſchen
Geſchichte, das Adalbertsgrab in Gneſen und die Wallfahrtskirche von
Tremeſſen, und von jeher war der Adel Großpolens durch die Wärme
ſeines Nationalſtolzes berühmt. Die Polen hatten unter allen Vaſallen
Frankreichs am Längſten, bis zu der Schlacht auf dem Montmartre bei
Napoleon ausgehalten. Während der hundert Tage eilten die Deutſchen
der Provinz mit hellem Jubel zu den Fahnen, der Poſener Adel aber
trat ſofort in geheimen Verkehr mit den Tuilerien, und die Behörden
mußten daran erinnern, daß das Geſetz den Landesverrath mit dem Tode
bedrohe.*) Nach dem zweiten Sturze des Imperators richteten die Unzu-
friedenen ihre hoffenden Blicke auf das nahe Königreich Polen und ſeine
neue Verfaſſung; die geheimen Sendboten der Warſchauer Patrioten
ſchürten die Flamme der nationalen Propaganda um ſo eifriger, da ſie
die Ueberlegenheit der preußiſchen Verwaltung kannten und ernſtlich be-

*) Zerbonis Bericht an den Staatskanzler, 21. Juni 1815.
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[245/0259] Provinz Poſen. wieder mit ihrer alten Heimath, dem Ordenslande, und bildete aus der Hauptmaſſe, nebſt einigen weſtpreußiſchen Gebietstheilen, eine neue Pro- vinz; ſie erhielt den Namen des Großherzogthums Poſen, der ſtaatsrechtlich ebenſo bedeutungslos war wie die neuen Titel des Großherzogthums Nie- derrhein und des Herzogthums Sachſen. Noch von Wien aus erließ der König eine Proclamation an die Einwohner, worin es hieß: „Auch Ihr habt ein Vaterland und mit ihm einen Beweis meiner Achtung für Eure Anhänglichkeit an daſſelbe erhalten. Ihr werdet meiner Monarchie ein- verleibt ohne Eure Nationalität verleugnen zu dürfen.“ Auch dieſe Worte enthielten, wie in der Vorberathung beim Staatskanzler ausdrücklich zu Protokoll erklärt wurde, in keiner Weiſe die Anerkennung einer Sonder- ſtellung der Provinz. Um die beſiegte Nation zu ehren gewährte der König dem Großherzogthum — als einzige Auszeichnung vor den andern Pro- vinzen — ein beſonderes Wappen, den weißen Adler im Herzſchilde des preußiſchen, und einen Statthalter aus jagelloniſchem Blute, den Fürſten Anton Radziwill. Die Leitung der Verwaltung blieb jedoch wie in den übrigen Provinzen ausſchließlich dem Oberpräſidenten vorbehalten; der Statthalter war nur befugt über den Gang der Geſchäfte Auskunft zu verlangen, die Wünſche der Einwohner entgegenzunehmen und ſie über die Abſichten des Monarchen aufzuklären. Bei der Huldigung am 3. Aug. 1815 warnte Fürſt Radziwill ſeine Landsleute nachdrücklich vor gefährlichen Täuſchungen und verſprach ihnen vollen Antheil an der bürgerlichen Frei- heit, welche Preußen allen ſeinen Unterthanen gewähre, auch Schonung ihrer „Eigenthümlichkeiten“ in Sprache, Sitte und Gewohnheit, aber keinerlei Sonderrechte. Die neue Provinz umfaßte die Kernlande des alten Großpolens. Hier in der vielbeſungenen Siebenhügelſtadt Gneſen hatte einſt der weiße Adler gehorſtet, hier lagen mehrere der theuerſten Heiligthümer der polniſchen Geſchichte, das Adalbertsgrab in Gneſen und die Wallfahrtskirche von Tremeſſen, und von jeher war der Adel Großpolens durch die Wärme ſeines Nationalſtolzes berühmt. Die Polen hatten unter allen Vaſallen Frankreichs am Längſten, bis zu der Schlacht auf dem Montmartre bei Napoleon ausgehalten. Während der hundert Tage eilten die Deutſchen der Provinz mit hellem Jubel zu den Fahnen, der Poſener Adel aber trat ſofort in geheimen Verkehr mit den Tuilerien, und die Behörden mußten daran erinnern, daß das Geſetz den Landesverrath mit dem Tode bedrohe. *) Nach dem zweiten Sturze des Imperators richteten die Unzu- friedenen ihre hoffenden Blicke auf das nahe Königreich Polen und ſeine neue Verfaſſung; die geheimen Sendboten der Warſchauer Patrioten ſchürten die Flamme der nationalen Propaganda um ſo eifriger, da ſie die Ueberlegenheit der preußiſchen Verwaltung kannten und ernſtlich be- *) Zerbonis Bericht an den Staatskanzler, 21. Juni 1815.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/259>, abgerufen am 24.11.2024.