Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. darauf am 27. Septbr. 1817 veröffentlicht wurde. In schlichten Wortenverkündigte der König seinen Entschluß, am Reformationsfeste gemeinsam mit den Lutheranern zum Abendmahl zu gehen; er denke damit im Geiste des Protestantismus, nach den Absichten seiner Vorfahren und der Re- formatoren selbst zu handeln. Nicht der Uebergang der einen Kirche zu der andern sei beabsichtigt, sondern beide sollten eine neu belebte evangelisch- christliche Kirche werden; aus der Freiheit eigener Ueberzeugung, nicht aus Ueberredung oder Indifferentismus müsse die Wiedervereinigung hervor- gehn. Sein Beispiel, so hoffe er, werde wohlthuend auf alle protestanti- schen Gemeinden im Lande wirken und eine allgemeine Nachfolge im Geiste und in der Wahrheit finden. Der Eindruck der herzlichen Ansprache war tief und nachhaltig. Die unter Schleiermachers Vorsitze versammelte bran- denburgische Synode erklärte sofort ihre Zustimmung, und der ehrwürdige Sack, der während dieser bewegten Tage starb, schied von der Erde mit der frohen Ahnung, daß die Saat seines Lebens jetzt aufging. Am 30. Oktober strömte überall im Lande das protestantische Volk II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. darauf am 27. Septbr. 1817 veröffentlicht wurde. In ſchlichten Wortenverkündigte der König ſeinen Entſchluß, am Reformationsfeſte gemeinſam mit den Lutheranern zum Abendmahl zu gehen; er denke damit im Geiſte des Proteſtantismus, nach den Abſichten ſeiner Vorfahren und der Re- formatoren ſelbſt zu handeln. Nicht der Uebergang der einen Kirche zu der andern ſei beabſichtigt, ſondern beide ſollten eine neu belebte evangeliſch- chriſtliche Kirche werden; aus der Freiheit eigener Ueberzeugung, nicht aus Ueberredung oder Indifferentismus müſſe die Wiedervereinigung hervor- gehn. Sein Beiſpiel, ſo hoffe er, werde wohlthuend auf alle proteſtanti- ſchen Gemeinden im Lande wirken und eine allgemeine Nachfolge im Geiſte und in der Wahrheit finden. Der Eindruck der herzlichen Anſprache war tief und nachhaltig. Die unter Schleiermachers Vorſitze verſammelte bran- denburgiſche Synode erklärte ſofort ihre Zuſtimmung, und der ehrwürdige Sack, der während dieſer bewegten Tage ſtarb, ſchied von der Erde mit der frohen Ahnung, daß die Saat ſeines Lebens jetzt aufging. Am 30. Oktober ſtrömte überall im Lande das proteſtantiſche Volk <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0256" n="242"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.</fw><lb/> darauf am 27. Septbr. 1817 veröffentlicht wurde. 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Vor zweihundert Jahren ſtand das Unwetter des<lb/> großen Krieges drohend am Himmel, hundert Jahre darauf war die Kirche<lb/> völlig verarmt an geiſtiger Kraft, und jetzt gelang ihr wieder eine ſchöpferiſche<lb/> That, eine That der Verſöhnung. Das Erwachen des hiſtoriſchen Sinnes<lb/> hatte auch auf das kirchliche Leben ſegensreich zurückgewirkt. Luther er-<lb/> ſchien ſeinem Volke nicht mehr, wie in den Tagen des alten Rationalismus,<lb/> blos als der Bekämpfer Roms; das neue Geſchlecht begann auch die auf-<lb/> bauende Thätigkeit der Reformation wieder dankbar zu würdigen. Ein<lb/> frommer Sinn beſeelte unverkennbar die meiſten der Feſtſchriften des Tages.<lb/> Das katholiſche Volk nahm an der friedlichen Feier wenig Aergerniß, ob-<lb/> gleich es an Hader nicht ganz fehlte und die Streitſchrift des katholiſchen<lb/> Pfarrers van Eß eine Reihe gereizter Erwiderungen hervorrief. Der Ge-<lb/> danke der Union ergab ſich ſo nothwendig aus der Geſchichte des deutſchen<lb/> Proteſtantismus, daß Friedrich Wilhelms Beiſpiel bald faſt in ſämmtlichen<lb/> Gemeinden ſeines Landes und dann auch in andern deutſchen Staaten<lb/> freiwillige Nachfolge fand. Schon im Auguſt 1818 wurde in der Stifts-<lb/> kirche zu Kaiſerslautern feierlich verkündigt, daß die Union für die bairiſche<lb/> Pfalz durch Abſtimmung aller Gemeinden angenommen ſei, und hier aller-<lb/> dings hatte die kirchliche Gleichgiltigkeit einigen Antheil an dem Gelingen;<lb/> viele der aufgeklärten Pfälzer fragten einfach, ob die Union die Kirchen-<lb/> ſteuern erhöhen werde, und ſtimmten zu ſobald man ſie darüber be-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [242/0256]
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
darauf am 27. Septbr. 1817 veröffentlicht wurde. In ſchlichten Worten
verkündigte der König ſeinen Entſchluß, am Reformationsfeſte gemeinſam
mit den Lutheranern zum Abendmahl zu gehen; er denke damit im Geiſte
des Proteſtantismus, nach den Abſichten ſeiner Vorfahren und der Re-
formatoren ſelbſt zu handeln. Nicht der Uebergang der einen Kirche zu
der andern ſei beabſichtigt, ſondern beide ſollten eine neu belebte evangeliſch-
chriſtliche Kirche werden; aus der Freiheit eigener Ueberzeugung, nicht aus
Ueberredung oder Indifferentismus müſſe die Wiedervereinigung hervor-
gehn. Sein Beiſpiel, ſo hoffe er, werde wohlthuend auf alle proteſtanti-
ſchen Gemeinden im Lande wirken und eine allgemeine Nachfolge im Geiſte
und in der Wahrheit finden. Der Eindruck der herzlichen Anſprache war
tief und nachhaltig. Die unter Schleiermachers Vorſitze verſammelte bran-
denburgiſche Synode erklärte ſofort ihre Zuſtimmung, und der ehrwürdige
Sack, der während dieſer bewegten Tage ſtarb, ſchied von der Erde mit
der frohen Ahnung, daß die Saat ſeines Lebens jetzt aufging.
Am 30. Oktober ſtrömte überall im Lande das proteſtantiſche Volk
zu den feſtlich geſchmückten Kirchen. In Berlin reichte Schleiermacher
nach dem gemeinſamen Abendmahle dem Lutheraner Marheineke vor dem
Altar die Hand. In der Potsdamer Garniſonkirche empfing der König
mit ſeinem Hauſe und unzähligen Genoſſen beider Bekenntniſſe das Sacra-
ment; Tags darauf legte er in Wittenberg den Grundſtein für das Stand-
bild des Reformators. Welch ein Gegenſatz zu den beiden erſten Jubel-
feſten der Reformation! Vor zweihundert Jahren ſtand das Unwetter des
großen Krieges drohend am Himmel, hundert Jahre darauf war die Kirche
völlig verarmt an geiſtiger Kraft, und jetzt gelang ihr wieder eine ſchöpferiſche
That, eine That der Verſöhnung. Das Erwachen des hiſtoriſchen Sinnes
hatte auch auf das kirchliche Leben ſegensreich zurückgewirkt. Luther er-
ſchien ſeinem Volke nicht mehr, wie in den Tagen des alten Rationalismus,
blos als der Bekämpfer Roms; das neue Geſchlecht begann auch die auf-
bauende Thätigkeit der Reformation wieder dankbar zu würdigen. Ein
frommer Sinn beſeelte unverkennbar die meiſten der Feſtſchriften des Tages.
Das katholiſche Volk nahm an der friedlichen Feier wenig Aergerniß, ob-
gleich es an Hader nicht ganz fehlte und die Streitſchrift des katholiſchen
Pfarrers van Eß eine Reihe gereizter Erwiderungen hervorrief. Der Ge-
danke der Union ergab ſich ſo nothwendig aus der Geſchichte des deutſchen
Proteſtantismus, daß Friedrich Wilhelms Beiſpiel bald faſt in ſämmtlichen
Gemeinden ſeines Landes und dann auch in andern deutſchen Staaten
freiwillige Nachfolge fand. Schon im Auguſt 1818 wurde in der Stifts-
kirche zu Kaiſerslautern feierlich verkündigt, daß die Union für die bairiſche
Pfalz durch Abſtimmung aller Gemeinden angenommen ſei, und hier aller-
dings hatte die kirchliche Gleichgiltigkeit einigen Antheil an dem Gelingen;
viele der aufgeklärten Pfälzer fragten einfach, ob die Union die Kirchen-
ſteuern erhöhen werde, und ſtimmten zu ſobald man ſie darüber be-
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