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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Unterrichtswesen.
verzieh dem feurigen Manne gern seine blinde Vorliebe für die neue
Hegel'sche Lehre. Eine ganze Reihe neuer Gymnasien ward gegründet,
vornehmlich in Posen und am Rhein, im Jahre 1825 bestanden ihrer
bereits 133, und während man anfangs die Philologen von auswärts
hatte herbeirufen müssen, gewann der Name der preußischen Lehramts-
candidaten bald überall ein gutes Ansehen und Preußen konnte den Nach-
barn von seinem eigenen Ueberfluß abgeben. Auch für den Elementar-
unterricht sorgte Altenstein zunächst durch die Erziehung tüchtiger Schul-
lehrer. In den zahlreichen neuen Seminarien wuchs ein Schulmeister-
stand heran, der die abgedankten Unteroffiziere der fridericianischen Zeit
an Kenntnissen weit übertraf, aber auch schon zuweilen die Unarten der vor-
lauten Halbbildung zeigte. Namentlich die ostpreußischen Lehrer, welche der
frische, heitere, volksthümlich derbe Obersachse Dinter heranzog, zeichneten
sich durch flachen Rationalismus aus. Ebenso rührig, doch minder ein-
seitig wirkte Diesterweg am Niederrhein. Nach einigen Jahren schon konnte
Altenstein nachweisen, daß in Preußen mehr Kinder die Schule besuchten
als in irgend einem andern Großstaate; gleichwohl blieben die Elementar-
schulen noch weit hinter seinen Wünschen zurück. Im Westen setzte die
niedere Geistlichkeit den Schulbehörden einen zähen stillen Widerstand ent-
gegen, der sich kaum leichter überwinden ließ als der Stumpfsinn der Eltern
in den polnischen Landestheilen. In den deutschen Provinzen des Ostens
erschwerte die Armuth der vielen kleinen Landgemeinden jede Verbesserung.

Dem hochfliegenden Idealismus Süverns genügte die reiche Thätigkeit
der Unterrichtsverwaltung nicht. Der treffliche Mann überschätzte, gleich
der Mehrzahl der Zeitgenossen, den Werth jener allgemeinen politischen
Programme, welche Hardenberg während der ersten Jahre seiner Staats-
kanzlerschaft in die preußische Gesetzgebung eingeführt hatte. Er hielt für
nöthig, daß die leitenden Grundsätze des Unterrichtswesens in ihrem innern
Zusammenhange dem Volke dargelegt würden, und beantragte im August
1817 die Abfassung eines Schulgesetzes, das dem gesammten Deutschland
zum Muster dienen sollte. Hochbegeistert, mit einer Staatsgesinnung,
die den Einfluß platonischer Ideen nicht verkennen ließ, trat er an die
Arbeit heran. Der Staat, so führte seine Denkschrift aus, erscheint
selber als eine Erziehungsanstalt im Großen, giebt seinen Genossen ein
eigenthümliches Gepräge des Geistes wie der Gesinnung; nicht auf die
todten Kräfte der Natur ist der preußische Staat gegründet, sondern auf die
lebendigen, unendlicher Erhöhung und Entwicklung fähigen des Menschen-
geistes. Auch Altenstein verlangte als methodischer Philosoph vor Allem
"einen großen, allgemeinen Plan", damit Preußen "durch einen eigen-
thümlichen Charakter von Ernst und Reife mit den gebildetsten Völkern
Europas um den Vorrang buhlen" könne. Dem Könige entging nicht, daß
die Unterrichtsfrage, in so hohem Sinne aufgefaßt, die Grundlagen des
gesammten Staatslebens berührte; darum wurde die Commission, welche das

Unterrichtsweſen.
verzieh dem feurigen Manne gern ſeine blinde Vorliebe für die neue
Hegel’ſche Lehre. Eine ganze Reihe neuer Gymnaſien ward gegründet,
vornehmlich in Poſen und am Rhein, im Jahre 1825 beſtanden ihrer
bereits 133, und während man anfangs die Philologen von auswärts
hatte herbeirufen müſſen, gewann der Name der preußiſchen Lehramts-
candidaten bald überall ein gutes Anſehen und Preußen konnte den Nach-
barn von ſeinem eigenen Ueberfluß abgeben. Auch für den Elementar-
unterricht ſorgte Altenſtein zunächſt durch die Erziehung tüchtiger Schul-
lehrer. In den zahlreichen neuen Seminarien wuchs ein Schulmeiſter-
ſtand heran, der die abgedankten Unteroffiziere der fridericianiſchen Zeit
an Kenntniſſen weit übertraf, aber auch ſchon zuweilen die Unarten der vor-
lauten Halbbildung zeigte. Namentlich die oſtpreußiſchen Lehrer, welche der
friſche, heitere, volksthümlich derbe Oberſachſe Dinter heranzog, zeichneten
ſich durch flachen Rationalismus aus. Ebenſo rührig, doch minder ein-
ſeitig wirkte Dieſterweg am Niederrhein. Nach einigen Jahren ſchon konnte
Altenſtein nachweiſen, daß in Preußen mehr Kinder die Schule beſuchten
als in irgend einem andern Großſtaate; gleichwohl blieben die Elementar-
ſchulen noch weit hinter ſeinen Wünſchen zurück. Im Weſten ſetzte die
niedere Geiſtlichkeit den Schulbehörden einen zähen ſtillen Widerſtand ent-
gegen, der ſich kaum leichter überwinden ließ als der Stumpfſinn der Eltern
in den polniſchen Landestheilen. In den deutſchen Provinzen des Oſtens
erſchwerte die Armuth der vielen kleinen Landgemeinden jede Verbeſſerung.

Dem hochfliegenden Idealismus Süverns genügte die reiche Thätigkeit
der Unterrichtsverwaltung nicht. Der treffliche Mann überſchätzte, gleich
der Mehrzahl der Zeitgenoſſen, den Werth jener allgemeinen politiſchen
Programme, welche Hardenberg während der erſten Jahre ſeiner Staats-
kanzlerſchaft in die preußiſche Geſetzgebung eingeführt hatte. Er hielt für
nöthig, daß die leitenden Grundſätze des Unterrichtsweſens in ihrem innern
Zuſammenhange dem Volke dargelegt würden, und beantragte im Auguſt
1817 die Abfaſſung eines Schulgeſetzes, das dem geſammten Deutſchland
zum Muſter dienen ſollte. Hochbegeiſtert, mit einer Staatsgeſinnung,
die den Einfluß platoniſcher Ideen nicht verkennen ließ, trat er an die
Arbeit heran. Der Staat, ſo führte ſeine Denkſchrift aus, erſcheint
ſelber als eine Erziehungsanſtalt im Großen, giebt ſeinen Genoſſen ein
eigenthümliches Gepräge des Geiſtes wie der Geſinnung; nicht auf die
todten Kräfte der Natur iſt der preußiſche Staat gegründet, ſondern auf die
lebendigen, unendlicher Erhöhung und Entwicklung fähigen des Menſchen-
geiſtes. Auch Altenſtein verlangte als methodiſcher Philoſoph vor Allem
„einen großen, allgemeinen Plan“, damit Preußen „durch einen eigen-
thümlichen Charakter von Ernſt und Reife mit den gebildetſten Völkern
Europas um den Vorrang buhlen“ könne. Dem Könige entging nicht, daß
die Unterrichtsfrage, in ſo hohem Sinne aufgefaßt, die Grundlagen des
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[237/0251] Unterrichtsweſen. verzieh dem feurigen Manne gern ſeine blinde Vorliebe für die neue Hegel’ſche Lehre. Eine ganze Reihe neuer Gymnaſien ward gegründet, vornehmlich in Poſen und am Rhein, im Jahre 1825 beſtanden ihrer bereits 133, und während man anfangs die Philologen von auswärts hatte herbeirufen müſſen, gewann der Name der preußiſchen Lehramts- candidaten bald überall ein gutes Anſehen und Preußen konnte den Nach- barn von ſeinem eigenen Ueberfluß abgeben. Auch für den Elementar- unterricht ſorgte Altenſtein zunächſt durch die Erziehung tüchtiger Schul- lehrer. In den zahlreichen neuen Seminarien wuchs ein Schulmeiſter- ſtand heran, der die abgedankten Unteroffiziere der fridericianiſchen Zeit an Kenntniſſen weit übertraf, aber auch ſchon zuweilen die Unarten der vor- lauten Halbbildung zeigte. Namentlich die oſtpreußiſchen Lehrer, welche der friſche, heitere, volksthümlich derbe Oberſachſe Dinter heranzog, zeichneten ſich durch flachen Rationalismus aus. Ebenſo rührig, doch minder ein- ſeitig wirkte Dieſterweg am Niederrhein. Nach einigen Jahren ſchon konnte Altenſtein nachweiſen, daß in Preußen mehr Kinder die Schule beſuchten als in irgend einem andern Großſtaate; gleichwohl blieben die Elementar- ſchulen noch weit hinter ſeinen Wünſchen zurück. Im Weſten ſetzte die niedere Geiſtlichkeit den Schulbehörden einen zähen ſtillen Widerſtand ent- gegen, der ſich kaum leichter überwinden ließ als der Stumpfſinn der Eltern in den polniſchen Landestheilen. In den deutſchen Provinzen des Oſtens erſchwerte die Armuth der vielen kleinen Landgemeinden jede Verbeſſerung. Dem hochfliegenden Idealismus Süverns genügte die reiche Thätigkeit der Unterrichtsverwaltung nicht. Der treffliche Mann überſchätzte, gleich der Mehrzahl der Zeitgenoſſen, den Werth jener allgemeinen politiſchen Programme, welche Hardenberg während der erſten Jahre ſeiner Staats- kanzlerſchaft in die preußiſche Geſetzgebung eingeführt hatte. Er hielt für nöthig, daß die leitenden Grundſätze des Unterrichtsweſens in ihrem innern Zuſammenhange dem Volke dargelegt würden, und beantragte im Auguſt 1817 die Abfaſſung eines Schulgeſetzes, das dem geſammten Deutſchland zum Muſter dienen ſollte. Hochbegeiſtert, mit einer Staatsgeſinnung, die den Einfluß platoniſcher Ideen nicht verkennen ließ, trat er an die Arbeit heran. Der Staat, ſo führte ſeine Denkſchrift aus, erſcheint ſelber als eine Erziehungsanſtalt im Großen, giebt ſeinen Genoſſen ein eigenthümliches Gepräge des Geiſtes wie der Geſinnung; nicht auf die todten Kräfte der Natur iſt der preußiſche Staat gegründet, ſondern auf die lebendigen, unendlicher Erhöhung und Entwicklung fähigen des Menſchen- geiſtes. Auch Altenſtein verlangte als methodiſcher Philoſoph vor Allem „einen großen, allgemeinen Plan“, damit Preußen „durch einen eigen- thümlichen Charakter von Ernſt und Reife mit den gebildetſten Völkern Europas um den Vorrang buhlen“ könne. Dem Könige entging nicht, daß die Unterrichtsfrage, in ſo hohem Sinne aufgefaßt, die Grundlagen des geſammten Staatslebens berührte; darum wurde die Commiſſion, welche das

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/251>, abgerufen am 24.11.2024.