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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Wirkungen der allgemeinen Wehrpflicht.
ihrer viele auch erst in die deutsche Sprache eingeführt. Mochte der
rheinische Bauer immerhin von seinem im Heere dienenden Sohne be-
dauernd sagen: "er ist bei de Prüß", und mancher Soldat aus der Pro-
vinz Sachsen wehmüthig über "den fremden Dienst" klagen -- die mili-
tärische Mannszucht schlug den Jungen doch gut an. Arndts völkerkun-
diger Blick bemerkte bald, wie auffällig sich die Jugend dieser Provinzen
von den Stammgenossen in den Kleinstaaten zu unterscheiden begann.
Hier noch ein gemüthliches bequemes Philisterthum, dort das bei den Nach-
barn übel berufene stramme "preußische Wesen", eine kurz angebundene,
dreiste Entschlossenheit, die zuweilen sehr unliebenswürdig werden konnte,
aber dem Charakter eines edlen Volkes besser anstand als die gedrückte
Schüchternheit der alten Zeit des ungestörten häuslichen Lebens. Durch
ihr Heer gewannen die Preußen wieder, was keine große Nation auf die
Dauer entbehren kann, den nationalen Stil, die stolze Sicherheit des
Auftretens. Und der Stolz dieses Volkes in Waffen war deutsch von Grund
aus; er wurzelte in dem Bewußtsein, daß am letzten Ende Deutschlands
Schicksal an den schwarzundweißen Fahnen hing. --

Der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht entsprang einem politischen
Idealismus, der an die Energie des antiken Staatsbegriffs erinnerte. Die-
selbe freie und weitherzige Auffassung der Pflichten des Staates bekundete
sich auch in der Unterrichtsverwaltung. Bei Allen, welche diese letzten Jahre
mit Bewußtsein durchlebt hatten, stand die Ueberzeugung fest, daß die endlich
vollzogene Versöhnung des preußischen Staates mit der neuen Bildung der
Nation für immer dauern müsse. Es galt, das mit der Stiftung der
Berliner Hochschule begonnene Werk weiter zu führen, die altpreußische
Idee der allgemeinen Schulpflicht vollständig zu verwirklichen, auch die
niederen und mittleren Lehranstalten mit dem Geiste der neuen Wissen-
schaft zu erfüllen und also dem Staate Friedrichs in dem geistigen Leben
der Nation eine seines Waffenruhmes würdige Stellung zu gewinnen.
In den dreiundzwanzig Jahren der Verwaltung des Freiherrn v. Alten-
stein ist diese Aufgabe im Wesentlichen gelöst worden. Der Staat, der
so lange in seinen harten Daseinskämpfen die Wissenschaft hatte darben
lassen, gelangte allmählich dahin, daß er nach Verhältniß seiner Mittel für
die Volksbildung mehr als irgend eine andere Großmacht aufwendete und
seine Unterrichtsanstalten den besten Europas vergleichen durfte; er wider-
legte durch die That das wunderliche, aus den krankhaften Erfahrungen
der heimischen Geschichte entsprossene deutsche Vorurtheil, als ob der Reich-
thum des geistigen Lebens nur in der Enge kleiner Staaten gedeihe. Ein
geborner Franke und von Haus aus den liberalen Ansichten der Harden-
bergischen Beamtenschule zugethan, verstand Altenstein doch immer sich den
Ideen überlegener Köpfe anzuschmiegen, so daß selbst Stein, der mit den
fränkischen Anschauungen so wenig gemein hatte, den geistreichen Beamten
gern zum Entwerfen seiner Gesetze benützte und stets sicher war seine

Wirkungen der allgemeinen Wehrpflicht.
ihrer viele auch erſt in die deutſche Sprache eingeführt. Mochte der
rheiniſche Bauer immerhin von ſeinem im Heere dienenden Sohne be-
dauernd ſagen: „er iſt bei de Prüß“, und mancher Soldat aus der Pro-
vinz Sachſen wehmüthig über „den fremden Dienſt“ klagen — die mili-
täriſche Mannszucht ſchlug den Jungen doch gut an. Arndts völkerkun-
diger Blick bemerkte bald, wie auffällig ſich die Jugend dieſer Provinzen
von den Stammgenoſſen in den Kleinſtaaten zu unterſcheiden begann.
Hier noch ein gemüthliches bequemes Philiſterthum, dort das bei den Nach-
barn übel berufene ſtramme „preußiſche Weſen“, eine kurz angebundene,
dreiſte Entſchloſſenheit, die zuweilen ſehr unliebenswürdig werden konnte,
aber dem Charakter eines edlen Volkes beſſer anſtand als die gedrückte
Schüchternheit der alten Zeit des ungeſtörten häuslichen Lebens. Durch
ihr Heer gewannen die Preußen wieder, was keine große Nation auf die
Dauer entbehren kann, den nationalen Stil, die ſtolze Sicherheit des
Auftretens. Und der Stolz dieſes Volkes in Waffen war deutſch von Grund
aus; er wurzelte in dem Bewußtſein, daß am letzten Ende Deutſchlands
Schickſal an den ſchwarzundweißen Fahnen hing. —

Der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht entſprang einem politiſchen
Idealismus, der an die Energie des antiken Staatsbegriffs erinnerte. Die-
ſelbe freie und weitherzige Auffaſſung der Pflichten des Staates bekundete
ſich auch in der Unterrichtsverwaltung. Bei Allen, welche dieſe letzten Jahre
mit Bewußtſein durchlebt hatten, ſtand die Ueberzeugung feſt, daß die endlich
vollzogene Verſöhnung des preußiſchen Staates mit der neuen Bildung der
Nation für immer dauern müſſe. Es galt, das mit der Stiftung der
Berliner Hochſchule begonnene Werk weiter zu führen, die altpreußiſche
Idee der allgemeinen Schulpflicht vollſtändig zu verwirklichen, auch die
niederen und mittleren Lehranſtalten mit dem Geiſte der neuen Wiſſen-
ſchaft zu erfüllen und alſo dem Staate Friedrichs in dem geiſtigen Leben
der Nation eine ſeines Waffenruhmes würdige Stellung zu gewinnen.
In den dreiundzwanzig Jahren der Verwaltung des Freiherrn v. Alten-
ſtein iſt dieſe Aufgabe im Weſentlichen gelöſt worden. Der Staat, der
ſo lange in ſeinen harten Daſeinskämpfen die Wiſſenſchaft hatte darben
laſſen, gelangte allmählich dahin, daß er nach Verhältniß ſeiner Mittel für
die Volksbildung mehr als irgend eine andere Großmacht aufwendete und
ſeine Unterrichtsanſtalten den beſten Europas vergleichen durfte; er wider-
legte durch die That das wunderliche, aus den krankhaften Erfahrungen
der heimiſchen Geſchichte entſproſſene deutſche Vorurtheil, als ob der Reich-
thum des geiſtigen Lebens nur in der Enge kleiner Staaten gedeihe. Ein
geborner Franke und von Haus aus den liberalen Anſichten der Harden-
bergiſchen Beamtenſchule zugethan, verſtand Altenſtein doch immer ſich den
Ideen überlegener Köpfe anzuſchmiegen, ſo daß ſelbſt Stein, der mit den
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gern zum Entwerfen ſeiner Geſetze benützte und ſtets ſicher war ſeine

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[231/0245] Wirkungen der allgemeinen Wehrpflicht. ihrer viele auch erſt in die deutſche Sprache eingeführt. Mochte der rheiniſche Bauer immerhin von ſeinem im Heere dienenden Sohne be- dauernd ſagen: „er iſt bei de Prüß“, und mancher Soldat aus der Pro- vinz Sachſen wehmüthig über „den fremden Dienſt“ klagen — die mili- täriſche Mannszucht ſchlug den Jungen doch gut an. Arndts völkerkun- diger Blick bemerkte bald, wie auffällig ſich die Jugend dieſer Provinzen von den Stammgenoſſen in den Kleinſtaaten zu unterſcheiden begann. Hier noch ein gemüthliches bequemes Philiſterthum, dort das bei den Nach- barn übel berufene ſtramme „preußiſche Weſen“, eine kurz angebundene, dreiſte Entſchloſſenheit, die zuweilen ſehr unliebenswürdig werden konnte, aber dem Charakter eines edlen Volkes beſſer anſtand als die gedrückte Schüchternheit der alten Zeit des ungeſtörten häuslichen Lebens. Durch ihr Heer gewannen die Preußen wieder, was keine große Nation auf die Dauer entbehren kann, den nationalen Stil, die ſtolze Sicherheit des Auftretens. Und der Stolz dieſes Volkes in Waffen war deutſch von Grund aus; er wurzelte in dem Bewußtſein, daß am letzten Ende Deutſchlands Schickſal an den ſchwarzundweißen Fahnen hing. — Der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht entſprang einem politiſchen Idealismus, der an die Energie des antiken Staatsbegriffs erinnerte. Die- ſelbe freie und weitherzige Auffaſſung der Pflichten des Staates bekundete ſich auch in der Unterrichtsverwaltung. Bei Allen, welche dieſe letzten Jahre mit Bewußtſein durchlebt hatten, ſtand die Ueberzeugung feſt, daß die endlich vollzogene Verſöhnung des preußiſchen Staates mit der neuen Bildung der Nation für immer dauern müſſe. Es galt, das mit der Stiftung der Berliner Hochſchule begonnene Werk weiter zu führen, die altpreußiſche Idee der allgemeinen Schulpflicht vollſtändig zu verwirklichen, auch die niederen und mittleren Lehranſtalten mit dem Geiſte der neuen Wiſſen- ſchaft zu erfüllen und alſo dem Staate Friedrichs in dem geiſtigen Leben der Nation eine ſeines Waffenruhmes würdige Stellung zu gewinnen. In den dreiundzwanzig Jahren der Verwaltung des Freiherrn v. Alten- ſtein iſt dieſe Aufgabe im Weſentlichen gelöſt worden. Der Staat, der ſo lange in ſeinen harten Daſeinskämpfen die Wiſſenſchaft hatte darben laſſen, gelangte allmählich dahin, daß er nach Verhältniß ſeiner Mittel für die Volksbildung mehr als irgend eine andere Großmacht aufwendete und ſeine Unterrichtsanſtalten den beſten Europas vergleichen durfte; er wider- legte durch die That das wunderliche, aus den krankhaften Erfahrungen der heimiſchen Geſchichte entſproſſene deutſche Vorurtheil, als ob der Reich- thum des geiſtigen Lebens nur in der Enge kleiner Staaten gedeihe. Ein geborner Franke und von Haus aus den liberalen Anſichten der Harden- bergiſchen Beamtenſchule zugethan, verſtand Altenſtein doch immer ſich den Ideen überlegener Köpfe anzuſchmiegen, ſo daß ſelbſt Stein, der mit den fränkiſchen Anſchauungen ſo wenig gemein hatte, den geiſtreichen Beamten gern zum Entwerfen ſeiner Geſetze benützte und ſtets ſicher war ſeine

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/245>, abgerufen am 28.11.2024.