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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
durfte erwarten, daß der mecklenburgische Adel auf seine Zollfreiheit, der
sächsische auf die mit den ständischen Privilegien fest verkettete General-
accise verzichten würde, so lange die ständische Oligarchie in diesen Landen
ungestört herrschte? Wie war es möglich, die preußischen Zölle, welche die
Einheit des Staatshaushaltes voraussetzten, in Hannover einzuführen,
wo noch die königliche Domänenkasse und die ständische Steuerkasse selb-
ständig neben einander standen? Das Zollwesen hing überdies eng zu-
sammen mit der Besteuerung des inländischen Consums; nur wenn die
Kleinstaaten sich entschlossen das System ihrer indirekten Steuern auf
preußischen Fuß zu setzen oder doch dem preußischen Muster anzunähern, war
eine ehrliche Gegenseitigkeit, eine dauernde Zollgemeinschaft zwischen ihnen
möglich. Und ließ sich solche Opferwilligkeit erwarten in jenem Augenblicke,
da der Rheinbund und das Ränkespiel des Wiener Congresses den selbst-
süchtigen Dünkel der Dynastien krankhaft aufgeregt und jeder Scham
entwöhnt hatten? Selbst jene Staaten, denen redlicher Wille nicht fehlte,
konnten gar nicht sofort auf die harten Zumuthungen eingehen, welche
Preußen ihnen stellen mußte, um sich den Ertrag seiner Zölle zu sichern.
Man mußte, so gestand Eichhorn späterhin, sich erst orientiren in der ver-
änderten Lage, die nationalökonomischen Bedürfnisse des eigenen Landes und
die zur Deckung der Staatsausgaben nothwendigen Opfer überschlagen;
"bevor man hierüber ins Klare gekommen, konnte man sich von einer gemein-
samen Berathung keinen Erfolg versprechen, am wenigsten von einer Be-
rathung für ganz Deutschland am Bundestage."*)

Wie die Dinge lagen mußte Preußen selbständig vorgehen ohne jede
schonende Rücksicht für die deutschen Nachbarn. Unter den gemüthlichen
Leuten herrschte die Ansicht vor, Preußen solle die Binnengrenzen gegen
Deutschland offen halten und allein an den Grenzen gegen das Ausland
Zölle zu erheben. Der kindische Vorschlag hätte, ausgeführt, jede Grenz-
bewachung unmöglich gemacht, die finanziellen wie die volkswirthschaftlichen
Zwecke der Zollreform völlig vereitelt. Selbst eine mildere Besteuerung
deutscher Produkte war unausführbar. Gerade die deutschen Kleinstaaten
mit ihren verzwickten, mangelhaft oder gar nicht bewachten Grenzen mußten
der preußischen Staatskasse als die gefährlichsten Gegner erscheinen. Ur-
sprungszeugnisse, von solchen Behörden ausgestellt, boten den genauen
Rechnern der Berliner Bureaus keine genügende Sicherheit. Jede Er-
leichterung, die an diesen Grenzen eintrat, ermuthigte den Unterschleif, so
lange nicht eine geordnete Zollverwaltung in den kleinen Nachbarstaaten
bestand. Noch mehr: gewährte Preußen den deutschen Staaten Begün-
stigungen, so griff das Ausland unfehlbar zu Retorsionen, und der Staat
wurde allmählich in ein Differentialzollsystem hineingetrieben, das den Ab-
sichten seiner Staatsmänner schnurstracks zuwiderlief. Differentialzölle er-

*) Eichhorn, Instruktion für die Gesandten an den deutschen Höfen, 25. März 1828.

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
durfte erwarten, daß der mecklenburgiſche Adel auf ſeine Zollfreiheit, der
ſächſiſche auf die mit den ſtändiſchen Privilegien feſt verkettete General-
acciſe verzichten würde, ſo lange die ſtändiſche Oligarchie in dieſen Landen
ungeſtört herrſchte? Wie war es möglich, die preußiſchen Zölle, welche die
Einheit des Staatshaushaltes vorausſetzten, in Hannover einzuführen,
wo noch die königliche Domänenkaſſe und die ſtändiſche Steuerkaſſe ſelb-
ſtändig neben einander ſtanden? Das Zollweſen hing überdies eng zu-
ſammen mit der Beſteuerung des inländiſchen Conſums; nur wenn die
Kleinſtaaten ſich entſchloſſen das Syſtem ihrer indirekten Steuern auf
preußiſchen Fuß zu ſetzen oder doch dem preußiſchen Muſter anzunähern, war
eine ehrliche Gegenſeitigkeit, eine dauernde Zollgemeinſchaft zwiſchen ihnen
möglich. Und ließ ſich ſolche Opferwilligkeit erwarten in jenem Augenblicke,
da der Rheinbund und das Ränkeſpiel des Wiener Congreſſes den ſelbſt-
ſüchtigen Dünkel der Dynaſtien krankhaft aufgeregt und jeder Scham
entwöhnt hatten? Selbſt jene Staaten, denen redlicher Wille nicht fehlte,
konnten gar nicht ſofort auf die harten Zumuthungen eingehen, welche
Preußen ihnen ſtellen mußte, um ſich den Ertrag ſeiner Zölle zu ſichern.
Man mußte, ſo geſtand Eichhorn ſpäterhin, ſich erſt orientiren in der ver-
änderten Lage, die nationalökonomiſchen Bedürfniſſe des eigenen Landes und
die zur Deckung der Staatsausgaben nothwendigen Opfer überſchlagen;
„bevor man hierüber ins Klare gekommen, konnte man ſich von einer gemein-
ſamen Berathung keinen Erfolg verſprechen, am wenigſten von einer Be-
rathung für ganz Deutſchland am Bundestage.“*)

Wie die Dinge lagen mußte Preußen ſelbſtändig vorgehen ohne jede
ſchonende Rückſicht für die deutſchen Nachbarn. Unter den gemüthlichen
Leuten herrſchte die Anſicht vor, Preußen ſolle die Binnengrenzen gegen
Deutſchland offen halten und allein an den Grenzen gegen das Ausland
Zölle zu erheben. Der kindiſche Vorſchlag hätte, ausgeführt, jede Grenz-
bewachung unmöglich gemacht, die finanziellen wie die volkswirthſchaftlichen
Zwecke der Zollreform völlig vereitelt. Selbſt eine mildere Beſteuerung
deutſcher Produkte war unausführbar. Gerade die deutſchen Kleinſtaaten
mit ihren verzwickten, mangelhaft oder gar nicht bewachten Grenzen mußten
der preußiſchen Staatskaſſe als die gefährlichſten Gegner erſcheinen. Ur-
ſprungszeugniſſe, von ſolchen Behörden ausgeſtellt, boten den genauen
Rechnern der Berliner Bureaus keine genügende Sicherheit. Jede Er-
leichterung, die an dieſen Grenzen eintrat, ermuthigte den Unterſchleif, ſo
lange nicht eine geordnete Zollverwaltung in den kleinen Nachbarſtaaten
beſtand. Noch mehr: gewährte Preußen den deutſchen Staaten Begün-
ſtigungen, ſo griff das Ausland unfehlbar zu Retorſionen, und der Staat
wurde allmählich in ein Differentialzollſyſtem hineingetrieben, das den Ab-
ſichten ſeiner Staatsmänner ſchnurſtracks zuwiderlief. Differentialzölle er-

*) Eichhorn, Inſtruktion für die Geſandten an den deutſchen Höfen, 25. März 1828.
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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/232>, abgerufen am 22.11.2024.