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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Bülows Entwurf vor dem Staatsrathe.
geblieben. Die Berliner höhnten laut über den unglücklichen Finanz-
minister, der die Hälfte seiner Steuerpläne beseitigt, seine gesammte Amts-
führung unbarmherzig bloßgestellt sah und durch die Schroffheit seines Auf-
tretens, durch seine Ausfälle auf die neue Heeresverfassung den Unwillen der
Opposition bis zum Hasse gesteigert hatte. Die Partei Humboldts verhehlte
längst nicht mehr, daß nur die Entlassung Bülows ihr noch genügen konnte.
In solchem Sinne schrieben Schön und Klewiz mehrmals an den Staats-
kanzler, Sack forderte mindestens die Beschränkung der Willkür des Finanz-
ministers durch eine beigeordnete Commission. Auch Schuckmann, der
während des ganzen Streites auf Bülows Seite gestanden, ward in die
Niederlage seines Genossen mit hineingerissen. Und da sich nun plötzlich die
Aussicht auf einen vollständigen Ministerwechsel zu eröffnen schien, so richtete
Schön, der Heißsporn der Opposition, einen leidenschaftlichen Angriff auch
gegen Wittgenstein, der an den Verhandlungen des Staatsraths kaum
theilgenommen hatte. Abermals maßlos übertreibend warf er dem Fürsten
nicht blos die schlechten Künste der geheimen Polizei vor, sondern auch den
Fortbestand der im Jahre 1812 errichteten Gensdarmerie, die sich überall
gut bewährte: sie sei eine Waffe zur Bekriegung des Volks und gänzlich
überflüssig neben der zahlreichen Armee.

Sobald Hardenberg einsah, daß ein Zugeständniß an den allgemeinen
Unmuth des hohen Beamtenthums unvermeidlich war, suchte er zunächst
seinen alten Gegner Humboldt zum Eintritt in die Regierung zu bewegen.
Der aber erwiderte scharf (14. Juli): mit Bülow und Schuckmann könne
er niemals übereinstimmen, ja sich nicht einmal verständigen, "durch den
Einen würden die materiellen, durch den Anderen die moralischen Kräfte
des Staates gefährdet;" nur Hardenberg selbst und Boyen besäßen noch
das Vertrauen des Volks, nur in der Kriegsverwaltung zeige sich noch
Ernst, Ordnung, vaterländische Gesinnung; dem Ministerium fehle die
innere Einheit wie die Selbständigkeit dem Staatskanzler gegenüber. Noch
dringender mahnte Boyen: "der Zeitgeist fordert in den höheren Posten
Männer des Vertrauens;" man darf nicht warten bis die Nation selber
die Entlassung Bülows verlangt; "eine solche Verwaltung, ein solcher Mann
kann bei längerer Fortdauer nur dem Vaterlande namenloses Verderben
bereiten."*)

Hardenberg aber wollte weder auf die Rechte seines Staatskanzleramts
verzichten noch seinen Vetter und den bei Hofe unentbehrlichen Wittgen-
stein, dem er noch immer volles Vertrauen schenkte, kurzerhand preisgeben.
Noch weniger wünschte der König eine durchgreifende Umgestaltung; "bei
Veränderungen von Personen, so äußerte er sich, ist große Vorsicht nöthig,
man läuft Gefahr ungerecht zu sein." Im September erhielt Humboldt

*) Humboldt an Hardenberg 14. Juli. Boyens Gutachten über die Finanzver-
waltung, 10. August 1817.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 14

Bülows Entwurf vor dem Staatsrathe.
geblieben. Die Berliner höhnten laut über den unglücklichen Finanz-
miniſter, der die Hälfte ſeiner Steuerpläne beſeitigt, ſeine geſammte Amts-
führung unbarmherzig bloßgeſtellt ſah und durch die Schroffheit ſeines Auf-
tretens, durch ſeine Ausfälle auf die neue Heeresverfaſſung den Unwillen der
Oppoſition bis zum Haſſe geſteigert hatte. Die Partei Humboldts verhehlte
längſt nicht mehr, daß nur die Entlaſſung Bülows ihr noch genügen konnte.
In ſolchem Sinne ſchrieben Schön und Klewiz mehrmals an den Staats-
kanzler, Sack forderte mindeſtens die Beſchränkung der Willkür des Finanz-
miniſters durch eine beigeordnete Commiſſion. Auch Schuckmann, der
während des ganzen Streites auf Bülows Seite geſtanden, ward in die
Niederlage ſeines Genoſſen mit hineingeriſſen. Und da ſich nun plötzlich die
Ausſicht auf einen vollſtändigen Miniſterwechſel zu eröffnen ſchien, ſo richtete
Schön, der Heißſporn der Oppoſition, einen leidenſchaftlichen Angriff auch
gegen Wittgenſtein, der an den Verhandlungen des Staatsraths kaum
theilgenommen hatte. Abermals maßlos übertreibend warf er dem Fürſten
nicht blos die ſchlechten Künſte der geheimen Polizei vor, ſondern auch den
Fortbeſtand der im Jahre 1812 errichteten Gensdarmerie, die ſich überall
gut bewährte: ſie ſei eine Waffe zur Bekriegung des Volks und gänzlich
überflüſſig neben der zahlreichen Armee.

Sobald Hardenberg einſah, daß ein Zugeſtändniß an den allgemeinen
Unmuth des hohen Beamtenthums unvermeidlich war, ſuchte er zunächſt
ſeinen alten Gegner Humboldt zum Eintritt in die Regierung zu bewegen.
Der aber erwiderte ſcharf (14. Juli): mit Bülow und Schuckmann könne
er niemals übereinſtimmen, ja ſich nicht einmal verſtändigen, „durch den
Einen würden die materiellen, durch den Anderen die moraliſchen Kräfte
des Staates gefährdet;“ nur Hardenberg ſelbſt und Boyen beſäßen noch
das Vertrauen des Volks, nur in der Kriegsverwaltung zeige ſich noch
Ernſt, Ordnung, vaterländiſche Geſinnung; dem Miniſterium fehle die
innere Einheit wie die Selbſtändigkeit dem Staatskanzler gegenüber. Noch
dringender mahnte Boyen: „der Zeitgeiſt fordert in den höheren Poſten
Männer des Vertrauens;“ man darf nicht warten bis die Nation ſelber
die Entlaſſung Bülows verlangt; „eine ſolche Verwaltung, ein ſolcher Mann
kann bei längerer Fortdauer nur dem Vaterlande namenloſes Verderben
bereiten.“*)

Hardenberg aber wollte weder auf die Rechte ſeines Staatskanzleramts
verzichten noch ſeinen Vetter und den bei Hofe unentbehrlichen Wittgen-
ſtein, dem er noch immer volles Vertrauen ſchenkte, kurzerhand preisgeben.
Noch weniger wünſchte der König eine durchgreifende Umgeſtaltung; „bei
Veränderungen von Perſonen, ſo äußerte er ſich, iſt große Vorſicht nöthig,
man läuft Gefahr ungerecht zu ſein.“ Im September erhielt Humboldt

*) Humboldt an Hardenberg 14. Juli. Boyens Gutachten über die Finanzver-
waltung, 10. Auguſt 1817.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 14
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[209/0223] Bülows Entwurf vor dem Staatsrathe. geblieben. Die Berliner höhnten laut über den unglücklichen Finanz- miniſter, der die Hälfte ſeiner Steuerpläne beſeitigt, ſeine geſammte Amts- führung unbarmherzig bloßgeſtellt ſah und durch die Schroffheit ſeines Auf- tretens, durch ſeine Ausfälle auf die neue Heeresverfaſſung den Unwillen der Oppoſition bis zum Haſſe geſteigert hatte. Die Partei Humboldts verhehlte längſt nicht mehr, daß nur die Entlaſſung Bülows ihr noch genügen konnte. In ſolchem Sinne ſchrieben Schön und Klewiz mehrmals an den Staats- kanzler, Sack forderte mindeſtens die Beſchränkung der Willkür des Finanz- miniſters durch eine beigeordnete Commiſſion. Auch Schuckmann, der während des ganzen Streites auf Bülows Seite geſtanden, ward in die Niederlage ſeines Genoſſen mit hineingeriſſen. Und da ſich nun plötzlich die Ausſicht auf einen vollſtändigen Miniſterwechſel zu eröffnen ſchien, ſo richtete Schön, der Heißſporn der Oppoſition, einen leidenſchaftlichen Angriff auch gegen Wittgenſtein, der an den Verhandlungen des Staatsraths kaum theilgenommen hatte. Abermals maßlos übertreibend warf er dem Fürſten nicht blos die ſchlechten Künſte der geheimen Polizei vor, ſondern auch den Fortbeſtand der im Jahre 1812 errichteten Gensdarmerie, die ſich überall gut bewährte: ſie ſei eine Waffe zur Bekriegung des Volks und gänzlich überflüſſig neben der zahlreichen Armee. Sobald Hardenberg einſah, daß ein Zugeſtändniß an den allgemeinen Unmuth des hohen Beamtenthums unvermeidlich war, ſuchte er zunächſt ſeinen alten Gegner Humboldt zum Eintritt in die Regierung zu bewegen. Der aber erwiderte ſcharf (14. Juli): mit Bülow und Schuckmann könne er niemals übereinſtimmen, ja ſich nicht einmal verſtändigen, „durch den Einen würden die materiellen, durch den Anderen die moraliſchen Kräfte des Staates gefährdet;“ nur Hardenberg ſelbſt und Boyen beſäßen noch das Vertrauen des Volks, nur in der Kriegsverwaltung zeige ſich noch Ernſt, Ordnung, vaterländiſche Geſinnung; dem Miniſterium fehle die innere Einheit wie die Selbſtändigkeit dem Staatskanzler gegenüber. Noch dringender mahnte Boyen: „der Zeitgeiſt fordert in den höheren Poſten Männer des Vertrauens;“ man darf nicht warten bis die Nation ſelber die Entlaſſung Bülows verlangt; „eine ſolche Verwaltung, ein ſolcher Mann kann bei längerer Fortdauer nur dem Vaterlande namenloſes Verderben bereiten.“ *) Hardenberg aber wollte weder auf die Rechte ſeines Staatskanzleramts verzichten noch ſeinen Vetter und den bei Hofe unentbehrlichen Wittgen- ſtein, dem er noch immer volles Vertrauen ſchenkte, kurzerhand preisgeben. Noch weniger wünſchte der König eine durchgreifende Umgeſtaltung; „bei Veränderungen von Perſonen, ſo äußerte er ſich, iſt große Vorſicht nöthig, man läuft Gefahr ungerecht zu ſein.“ Im September erhielt Humboldt *) Humboldt an Hardenberg 14. Juli. Boyens Gutachten über die Finanzver- waltung, 10. Auguſt 1817. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 14

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/223>, abgerufen am 22.11.2024.