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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Notabeln-Versammlungen.
die Mehrheit, da Bülow lebhaft für die gefährdete Staatseinheit eintrat,
und Schuckmann in einer langen Denkschrift ausführte: wenn der preu-
ßische Staat diese Lebensfrage dem Gutdünken von zehn Provinzialland-
tagen anheimgebe, so werde er bald in eine ähnliche Lage gerathen wie
Frankreich in den Tagen Calonnes.*) Die Commission wagte auch nicht,
wie Humboldt vorschlug, geradezu die Mitwirkung der Landstände bei
der Feststellung des neuen Steuersystems zu fordern. Sie fühlte, daß die
Krone noch immer hoch über der politischen Einsicht des Volkes stand, und
eine durchgreifende Steuerreform nur durch ein königliches Machtgebot
gelingen konnte; zudem bestanden die verheißenen neuen Landtage noch gar
nicht, und mit den alten Ständen von Neuvorpommern und Sachsen, die
sich trotzig auf ihre verbriefte Steuerfreiheit beriefen, war jede Verhand-
lung aussichtslos. Daher wurde dem Commissionsberichte nur die viel-
deutige Schlußwendung hinzugefügt: zur Beruhigung des Volkes scheine
es nothwendig "den neuen Steuerplan mit den Maßregeln wegen der
Stände in Zusammenhang zu setzen". Am 20. Juni ging der Bericht an
den Monarchen ab; er beantragte Annahme des Zollgesetzes und Vorlegung
eines umfassenden neuen Planes für die gesammte innere Besteuerung.

Der König verhehlte der Commission nicht, daß er nicht blos scharfe
Kritik, sondern bestimmte Gegenvorschläge erwartet habe; doch genehmigte
er ihre Anträge und befahl den Oberpräsidenten, zunächst angesehene Ein-
wohner aus ihren Provinzen zu berufen, damit die öffentliche Meinung
sich über den Steuerplan äußern könne. Im August und September
wurden diese Notabelnversammlungen in allen zehn Provinzen abgehalten,
und sie sprachen sich allesammt gegen die Mahl- und Fleischsteuer aus.
Es fehlte nicht an stürmischen Auftritten. Die Notabeln des Großher-
zogthums Posen, neun polnische Edelleute und drei bürgerliche Deutsche,
behaupteten mit sarmatischer Ueberschwänglichkeit: diese Steuer vernichte
"die gänzliche Civil- oder Menschenfreiheit; der Angriff auf solches Heilig-
thum löset alle Bande der menschlichen Gesellschaft auf." Darauf ver-
sicherten sie dreist die grobe Unwahrheit, daß der Steuerertrag Posens zur
Bereicherung der alten Provinzen verwendet werde: "das Gewehr ist nieder-
gelegt, die Hand gedrückt; soll denn das Herzogthum keinen Antheil an
den Vortheilen des Friedens haben?" Die schlesischen Notabeln fügten
ihrem Gutachten sogar eine bedeutsame Rechtsverwahrung hinzu. Sie
erklärten, auf den Antrag des Grafen Dyhrn, daß sie nur ihre persön-
liche Meinung abgäben; die Mitwirkung bei dem neuen Steuergesetze müsse
den künftigen Ständen vorbehalten bleiben.**) Es war ein Schatten kom-
mender Ereignisse, ein erstes böses Anzeichen der staatsrechtlichen Ver-

*) Schuckmann, Denkschrift an das Staatsministerium, 4. Juni 1817.
**) Eingabe der Posener Notabeln an den Staatskanzler, 17. August 1817. -- Die
Verhandlungen der schlesischen Notabeln bei Wuttke, Die schlesischen Stände. S. 219 f.

Die Notabeln-Verſammlungen.
die Mehrheit, da Bülow lebhaft für die gefährdete Staatseinheit eintrat,
und Schuckmann in einer langen Denkſchrift ausführte: wenn der preu-
ßiſche Staat dieſe Lebensfrage dem Gutdünken von zehn Provinzialland-
tagen anheimgebe, ſo werde er bald in eine ähnliche Lage gerathen wie
Frankreich in den Tagen Calonnes.*) Die Commiſſion wagte auch nicht,
wie Humboldt vorſchlug, geradezu die Mitwirkung der Landſtände bei
der Feſtſtellung des neuen Steuerſyſtems zu fordern. Sie fühlte, daß die
Krone noch immer hoch über der politiſchen Einſicht des Volkes ſtand, und
eine durchgreifende Steuerreform nur durch ein königliches Machtgebot
gelingen konnte; zudem beſtanden die verheißenen neuen Landtage noch gar
nicht, und mit den alten Ständen von Neuvorpommern und Sachſen, die
ſich trotzig auf ihre verbriefte Steuerfreiheit beriefen, war jede Verhand-
lung ausſichtslos. Daher wurde dem Commiſſionsberichte nur die viel-
deutige Schlußwendung hinzugefügt: zur Beruhigung des Volkes ſcheine
es nothwendig „den neuen Steuerplan mit den Maßregeln wegen der
Stände in Zuſammenhang zu ſetzen“. Am 20. Juni ging der Bericht an
den Monarchen ab; er beantragte Annahme des Zollgeſetzes und Vorlegung
eines umfaſſenden neuen Planes für die geſammte innere Beſteuerung.

Der König verhehlte der Commiſſion nicht, daß er nicht blos ſcharfe
Kritik, ſondern beſtimmte Gegenvorſchläge erwartet habe; doch genehmigte
er ihre Anträge und befahl den Oberpräſidenten, zunächſt angeſehene Ein-
wohner aus ihren Provinzen zu berufen, damit die öffentliche Meinung
ſich über den Steuerplan äußern könne. Im Auguſt und September
wurden dieſe Notabelnverſammlungen in allen zehn Provinzen abgehalten,
und ſie ſprachen ſich alleſammt gegen die Mahl- und Fleiſchſteuer aus.
Es fehlte nicht an ſtürmiſchen Auftritten. Die Notabeln des Großher-
zogthums Poſen, neun polniſche Edelleute und drei bürgerliche Deutſche,
behaupteten mit ſarmatiſcher Ueberſchwänglichkeit: dieſe Steuer vernichte
„die gänzliche Civil- oder Menſchenfreiheit; der Angriff auf ſolches Heilig-
thum löſet alle Bande der menſchlichen Geſellſchaft auf.“ Darauf ver-
ſicherten ſie dreiſt die grobe Unwahrheit, daß der Steuerertrag Poſens zur
Bereicherung der alten Provinzen verwendet werde: „das Gewehr iſt nieder-
gelegt, die Hand gedrückt; ſoll denn das Herzogthum keinen Antheil an
den Vortheilen des Friedens haben?“ Die ſchleſiſchen Notabeln fügten
ihrem Gutachten ſogar eine bedeutſame Rechtsverwahrung hinzu. Sie
erklärten, auf den Antrag des Grafen Dyhrn, daß ſie nur ihre perſön-
liche Meinung abgäben; die Mitwirkung bei dem neuen Steuergeſetze müſſe
den künftigen Ständen vorbehalten bleiben.**) Es war ein Schatten kom-
mender Ereigniſſe, ein erſtes böſes Anzeichen der ſtaatsrechtlichen Ver-

*) Schuckmann, Denkſchrift an das Staatsminiſterium, 4. Juni 1817.
**) Eingabe der Poſener Notabeln an den Staatskanzler, 17. Auguſt 1817. — Die
Verhandlungen der ſchleſiſchen Notabeln bei Wuttke, Die ſchleſiſchen Stände. S. 219 f.
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[207/0221] Die Notabeln-Verſammlungen. die Mehrheit, da Bülow lebhaft für die gefährdete Staatseinheit eintrat, und Schuckmann in einer langen Denkſchrift ausführte: wenn der preu- ßiſche Staat dieſe Lebensfrage dem Gutdünken von zehn Provinzialland- tagen anheimgebe, ſo werde er bald in eine ähnliche Lage gerathen wie Frankreich in den Tagen Calonnes. *) Die Commiſſion wagte auch nicht, wie Humboldt vorſchlug, geradezu die Mitwirkung der Landſtände bei der Feſtſtellung des neuen Steuerſyſtems zu fordern. Sie fühlte, daß die Krone noch immer hoch über der politiſchen Einſicht des Volkes ſtand, und eine durchgreifende Steuerreform nur durch ein königliches Machtgebot gelingen konnte; zudem beſtanden die verheißenen neuen Landtage noch gar nicht, und mit den alten Ständen von Neuvorpommern und Sachſen, die ſich trotzig auf ihre verbriefte Steuerfreiheit beriefen, war jede Verhand- lung ausſichtslos. Daher wurde dem Commiſſionsberichte nur die viel- deutige Schlußwendung hinzugefügt: zur Beruhigung des Volkes ſcheine es nothwendig „den neuen Steuerplan mit den Maßregeln wegen der Stände in Zuſammenhang zu ſetzen“. Am 20. Juni ging der Bericht an den Monarchen ab; er beantragte Annahme des Zollgeſetzes und Vorlegung eines umfaſſenden neuen Planes für die geſammte innere Beſteuerung. Der König verhehlte der Commiſſion nicht, daß er nicht blos ſcharfe Kritik, ſondern beſtimmte Gegenvorſchläge erwartet habe; doch genehmigte er ihre Anträge und befahl den Oberpräſidenten, zunächſt angeſehene Ein- wohner aus ihren Provinzen zu berufen, damit die öffentliche Meinung ſich über den Steuerplan äußern könne. Im Auguſt und September wurden dieſe Notabelnverſammlungen in allen zehn Provinzen abgehalten, und ſie ſprachen ſich alleſammt gegen die Mahl- und Fleiſchſteuer aus. Es fehlte nicht an ſtürmiſchen Auftritten. Die Notabeln des Großher- zogthums Poſen, neun polniſche Edelleute und drei bürgerliche Deutſche, behaupteten mit ſarmatiſcher Ueberſchwänglichkeit: dieſe Steuer vernichte „die gänzliche Civil- oder Menſchenfreiheit; der Angriff auf ſolches Heilig- thum löſet alle Bande der menſchlichen Geſellſchaft auf.“ Darauf ver- ſicherten ſie dreiſt die grobe Unwahrheit, daß der Steuerertrag Poſens zur Bereicherung der alten Provinzen verwendet werde: „das Gewehr iſt nieder- gelegt, die Hand gedrückt; ſoll denn das Herzogthum keinen Antheil an den Vortheilen des Friedens haben?“ Die ſchleſiſchen Notabeln fügten ihrem Gutachten ſogar eine bedeutſame Rechtsverwahrung hinzu. Sie erklärten, auf den Antrag des Grafen Dyhrn, daß ſie nur ihre perſön- liche Meinung abgäben; die Mitwirkung bei dem neuen Steuergeſetze müſſe den künftigen Ständen vorbehalten bleiben. **) Es war ein Schatten kom- mender Ereigniſſe, ein erſtes böſes Anzeichen der ſtaatsrechtlichen Ver- *) Schuckmann, Denkſchrift an das Staatsminiſterium, 4. Juni 1817. **) Eingabe der Poſener Notabeln an den Staatskanzler, 17. Auguſt 1817. — Die Verhandlungen der ſchleſiſchen Notabeln bei Wuttke, Die ſchleſiſchen Stände. S. 219 f.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/221>, abgerufen am 22.11.2024.