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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
für die verderblichste aller Abgaben erklärt. Die Commission griff daher
die Consumtionssteuern nachdrücklich an und tadelte vornehmlich, daß der
Finanzminister nicht auch ein Gesetz über die direkten Abgaben vorgelegt
habe; denn um eine gerechte Vertheilung der Steuerlast zu finden, müsse
zunächst die Ungleichheit der Grundsteuern beseitigt oder doch den einzelnen
Provinzen angerechnet werden. Sie sprach damit nur aus, was die große
Mehrzahl des Bürgerthums wünschte. Die bunte Mannichfaltigkeit der
Grundsteuern war eine alte Klage im Lande. An ihr zeigte sich auf das
Grellste, wie mühsam dieser Staat aus einem Gewirr selbständiger Terri-
torien emporgewachsen war; je strenger seine Könige den Gedanken der
Staatseinheit in der oberen Verwaltung durchgeführt hatten, um so nach-
sichtiger war auf dem flachen Lande das altständische Wesen geduldet worden.
In der Monarchie bestanden 33 verschiedene, meist uralte Grundsteuer-
verfassungen, in der Provinz Sachsen allein acht, deren jede wieder mannich-
fache örtliche Verschiedenheiten und Privilegien aufwies. Ost- und West-
preußen zahlten auf der Geviertmeile 639 Thlr. Grundsteuer, die Rhein-
lande, allerdings auf weit werthvollerem Boden, 4969 Thlr. Kein Wunder,
daß die Rheinländer über die Steuerfreiheit des Ostens laut murrten und
auch Schlesien, das durch Friedrich II. ein Kataster erhalten hatte, sich
gegen die anderen, nicht katastrirten, alten Provinzen benachtheiligt glaubte.
Und doch blieb eine Reform für jetzt noch unmöglich. Da die alte Grund-
steuer im Verlaufe der Jahrhunderte den Charakter einer Rente ange-
nommen hatte, so ließ sich die Ausgleichung nur nach Entschädigung der
Befreiten durchführen. Und woher jetzt die Mittel dazu nehmen? woher
die technischen Kräfte zur Katastrirung des gesammten Landes? Und war
es billig, den Landadel, der in den östlichen Provinzen noch fast allein
die Kosten der gutsherrlichen Polizei, der Patrimonialgerichte und des
Kirchenpatronats trug, mit neuen Lasten zu beschweren in einem Augen-
blicke, da er, durch harte patriotische Opfer erschöpft, sich kaum noch im
Besitz seiner Güter zu behaupten vermochte? Von allen diesen ernsten Be-
denken wollte Humboldt nichts hören; er begnügte sich mit einer schonungs-
losen Kritik und schilderte die Ungleichheit der bestehenden Grundsteuern,
die Gebrechen aller indirekten Abgaben nicht ohne doktrinäre Uebertreibung.

Auch von particularistischen Hintergedanken war die Opposition nicht
frei. In Sachsen, Posen und am Rhein hoffte das Volk auf eine Quoti-
sirung der Steuern, dergestalt daß die Stände jeder Provinz ihren An-
theil an dem Staatsbedarfe nach eigenem Ermessen aufbringen und ver-
theilen sollten. Dieser ungeheuerliche Vorschlag, der die Monarchie in einen
lockeren Staatenbund zu verwandeln drohte, ward von mehreren Ober-
präsidenten befürwortet, am eifrigsten von dem wackeren Grafen Solms-
Laubach in Jülich-Cleve-Berg.*) Indeß erlangte er im Staatsrathe nicht

*) Solms-Laubach, Denkschrift über das Abgabenwesen am Rhein, Januar 1817.

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
für die verderblichſte aller Abgaben erklärt. Die Commiſſion griff daher
die Conſumtionsſteuern nachdrücklich an und tadelte vornehmlich, daß der
Finanzminiſter nicht auch ein Geſetz über die direkten Abgaben vorgelegt
habe; denn um eine gerechte Vertheilung der Steuerlaſt zu finden, müſſe
zunächſt die Ungleichheit der Grundſteuern beſeitigt oder doch den einzelnen
Provinzen angerechnet werden. Sie ſprach damit nur aus, was die große
Mehrzahl des Bürgerthums wünſchte. Die bunte Mannichfaltigkeit der
Grundſteuern war eine alte Klage im Lande. An ihr zeigte ſich auf das
Grellſte, wie mühſam dieſer Staat aus einem Gewirr ſelbſtändiger Terri-
torien emporgewachſen war; je ſtrenger ſeine Könige den Gedanken der
Staatseinheit in der oberen Verwaltung durchgeführt hatten, um ſo nach-
ſichtiger war auf dem flachen Lande das altſtändiſche Weſen geduldet worden.
In der Monarchie beſtanden 33 verſchiedene, meiſt uralte Grundſteuer-
verfaſſungen, in der Provinz Sachſen allein acht, deren jede wieder mannich-
fache örtliche Verſchiedenheiten und Privilegien aufwies. Oſt- und Weſt-
preußen zahlten auf der Geviertmeile 639 Thlr. Grundſteuer, die Rhein-
lande, allerdings auf weit werthvollerem Boden, 4969 Thlr. Kein Wunder,
daß die Rheinländer über die Steuerfreiheit des Oſtens laut murrten und
auch Schleſien, das durch Friedrich II. ein Kataſter erhalten hatte, ſich
gegen die anderen, nicht kataſtrirten, alten Provinzen benachtheiligt glaubte.
Und doch blieb eine Reform für jetzt noch unmöglich. Da die alte Grund-
ſteuer im Verlaufe der Jahrhunderte den Charakter einer Rente ange-
nommen hatte, ſo ließ ſich die Ausgleichung nur nach Entſchädigung der
Befreiten durchführen. Und woher jetzt die Mittel dazu nehmen? woher
die techniſchen Kräfte zur Kataſtrirung des geſammten Landes? Und war
es billig, den Landadel, der in den öſtlichen Provinzen noch faſt allein
die Koſten der gutsherrlichen Polizei, der Patrimonialgerichte und des
Kirchenpatronats trug, mit neuen Laſten zu beſchweren in einem Augen-
blicke, da er, durch harte patriotiſche Opfer erſchöpft, ſich kaum noch im
Beſitz ſeiner Güter zu behaupten vermochte? Von allen dieſen ernſten Be-
denken wollte Humboldt nichts hören; er begnügte ſich mit einer ſchonungs-
loſen Kritik und ſchilderte die Ungleichheit der beſtehenden Grundſteuern,
die Gebrechen aller indirekten Abgaben nicht ohne doktrinäre Uebertreibung.

Auch von particulariſtiſchen Hintergedanken war die Oppoſition nicht
frei. In Sachſen, Poſen und am Rhein hoffte das Volk auf eine Quoti-
ſirung der Steuern, dergeſtalt daß die Stände jeder Provinz ihren An-
theil an dem Staatsbedarfe nach eigenem Ermeſſen aufbringen und ver-
theilen ſollten. Dieſer ungeheuerliche Vorſchlag, der die Monarchie in einen
lockeren Staatenbund zu verwandeln drohte, ward von mehreren Ober-
präſidenten befürwortet, am eifrigſten von dem wackeren Grafen Solms-
Laubach in Jülich-Cleve-Berg.*) Indeß erlangte er im Staatsrathe nicht

*) Solms-Laubach, Denkſchrift über das Abgabenweſen am Rhein, Januar 1817.
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[206/0220] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. für die verderblichſte aller Abgaben erklärt. Die Commiſſion griff daher die Conſumtionsſteuern nachdrücklich an und tadelte vornehmlich, daß der Finanzminiſter nicht auch ein Geſetz über die direkten Abgaben vorgelegt habe; denn um eine gerechte Vertheilung der Steuerlaſt zu finden, müſſe zunächſt die Ungleichheit der Grundſteuern beſeitigt oder doch den einzelnen Provinzen angerechnet werden. Sie ſprach damit nur aus, was die große Mehrzahl des Bürgerthums wünſchte. Die bunte Mannichfaltigkeit der Grundſteuern war eine alte Klage im Lande. An ihr zeigte ſich auf das Grellſte, wie mühſam dieſer Staat aus einem Gewirr ſelbſtändiger Terri- torien emporgewachſen war; je ſtrenger ſeine Könige den Gedanken der Staatseinheit in der oberen Verwaltung durchgeführt hatten, um ſo nach- ſichtiger war auf dem flachen Lande das altſtändiſche Weſen geduldet worden. In der Monarchie beſtanden 33 verſchiedene, meiſt uralte Grundſteuer- verfaſſungen, in der Provinz Sachſen allein acht, deren jede wieder mannich- fache örtliche Verſchiedenheiten und Privilegien aufwies. Oſt- und Weſt- preußen zahlten auf der Geviertmeile 639 Thlr. Grundſteuer, die Rhein- lande, allerdings auf weit werthvollerem Boden, 4969 Thlr. Kein Wunder, daß die Rheinländer über die Steuerfreiheit des Oſtens laut murrten und auch Schleſien, das durch Friedrich II. ein Kataſter erhalten hatte, ſich gegen die anderen, nicht kataſtrirten, alten Provinzen benachtheiligt glaubte. Und doch blieb eine Reform für jetzt noch unmöglich. Da die alte Grund- ſteuer im Verlaufe der Jahrhunderte den Charakter einer Rente ange- nommen hatte, ſo ließ ſich die Ausgleichung nur nach Entſchädigung der Befreiten durchführen. Und woher jetzt die Mittel dazu nehmen? woher die techniſchen Kräfte zur Kataſtrirung des geſammten Landes? Und war es billig, den Landadel, der in den öſtlichen Provinzen noch faſt allein die Koſten der gutsherrlichen Polizei, der Patrimonialgerichte und des Kirchenpatronats trug, mit neuen Laſten zu beſchweren in einem Augen- blicke, da er, durch harte patriotiſche Opfer erſchöpft, ſich kaum noch im Beſitz ſeiner Güter zu behaupten vermochte? Von allen dieſen ernſten Be- denken wollte Humboldt nichts hören; er begnügte ſich mit einer ſchonungs- loſen Kritik und ſchilderte die Ungleichheit der beſtehenden Grundſteuern, die Gebrechen aller indirekten Abgaben nicht ohne doktrinäre Uebertreibung. Auch von particulariſtiſchen Hintergedanken war die Oppoſition nicht frei. In Sachſen, Poſen und am Rhein hoffte das Volk auf eine Quoti- ſirung der Steuern, dergeſtalt daß die Stände jeder Provinz ihren An- theil an dem Staatsbedarfe nach eigenem Ermeſſen aufbringen und ver- theilen ſollten. Dieſer ungeheuerliche Vorſchlag, der die Monarchie in einen lockeren Staatenbund zu verwandeln drohte, ward von mehreren Ober- präſidenten befürwortet, am eifrigſten von dem wackeren Grafen Solms- Laubach in Jülich-Cleve-Berg. *) Indeß erlangte er im Staatsrathe nicht *) Solms-Laubach, Denkſchrift über das Abgabenweſen am Rhein, Januar 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/220>, abgerufen am 22.11.2024.