Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Verhandlungen über den Wirkungskreis der Provinzialbehörden.
seine Schroffheit nirgends Liebe erweckte; der rationalistische Zug seines
Geistes entsprach der Gesinnung, die in der Stadt der reinen Vernunft
seit Langem vorherrschte, und Alle wußten, wie glühend er seine Heimath
liebte, wie einsichtig und unerschrocken er sich aller ihrer Interessen vor
dem Throne annahm. Das Beispiel seiner absprechenden Tadelsucht wirkte
verderblich auf das ohnehin zu scharfem Urtheil geneigte Volk; durch Schöns
langjährige Verwaltung wurde die Uebermacht der extremen Parteien in
unserer Ostmark zuerst begründet. In Berlin spottete man insgeheim über
seinen unermeßlichen Dünkel und erzählte sich lächelnd, wie er einmal,
unmittelbar vor der Heimreise, eine Einladung Hardenbergs mit den Worten
ausgeschlagen hatte: "meine Provinz kann meiner nicht eine Stunde länger
entbehren;" doch mochte Niemand gern dem streitbaren Manne mit den
strengen, strafenden Augen offen entgegentreten. Witzleben, Klewiz, Vincke
schätzten ihn hoch; auch der König nahm von ihm manches herbe Wort
hin, da er seine Ergebenheit kannte.

Als Schön aus den Verhandlungen des Staatsraths die Uneinigkeit
der Minister kennen lernte, hielt er die Lage des Staates alsbald für
ebenso verzweifelt wie sie vor der Schlacht von Jena gewesen, und rieth
dem Staatskanzler dringend zur Bildung eines neuen Ministeriums, das
nur aus Gesinnungsgenossen bestände und, gleich dem englischen Kabinet,
durch "die Achtung des Volks" getragen würde: dies England blieb ihm nun
einmal der liberale Musterstaat, obgleich dem Hochtory-Kabinet jener Tage
wahrlich nichts gleichgiltiger war als die Achtung des Volks. Um seinen
Vorschlägen Nachdruck zu geben, überreichte Schön sodann den versammelten
Oberpräsidenten den Entwurf einer gemeinsamen Beschwerdeschrift, die den
Monarchen über "den bekümmernden Zustand der Verwaltung" aufklären
sollte. Dies sonderbare, an drastischen Wendungen überreiche Schriftstück
schilderte mit grellen Farben, Wahres und Falsches willkürlich vermischend:
wie der so bunt zusammengesetzte Staat allein durch den Geist zusammen-
gehalten werden könne, und dieser Geist jetzt unterdrückt werde; die Polizei
bekunde sich als Druck, die allgemeine Wehrpflicht arte in eine Last des
Landes aus, die Justiz sei nur noch eine leidende Maschine in der Hand
des Ministers, für Kirche und Schule geschehe gar nichts. Daran schlossen
sich scharfe Anklagen wider die eigenmächtige und nachlässige Amtsführung
des Finanzministers und wohlberechtigte Beschwerden über "das ungebundene
Ziehen aller Geschäfte der Provinzialverwaltung, in französischer Art, nach
der Mitte". So mächtig war die grämliche Verstimmung der Zeit, daß
sieben von den zehn Oberpräsidenten sich entschlossen, dies lange Register
unbestimmter und zum Theil grundloser Klagen zu unterzeichnen (30. Juni).
Nur Zerboni, ein persönlicher Freund Hardenbergs, und der hochconser-
vative Heydebreck verweigerten die Unterschrift; der Oberpräsident von
Sachsen war als Bruder des Finanzministers von vornherein aus dem
Spiele geblieben.

Verhandlungen über den Wirkungskreis der Provinzialbehörden.
ſeine Schroffheit nirgends Liebe erweckte; der rationaliſtiſche Zug ſeines
Geiſtes entſprach der Geſinnung, die in der Stadt der reinen Vernunft
ſeit Langem vorherrſchte, und Alle wußten, wie glühend er ſeine Heimath
liebte, wie einſichtig und unerſchrocken er ſich aller ihrer Intereſſen vor
dem Throne annahm. Das Beiſpiel ſeiner abſprechenden Tadelſucht wirkte
verderblich auf das ohnehin zu ſcharfem Urtheil geneigte Volk; durch Schöns
langjährige Verwaltung wurde die Uebermacht der extremen Parteien in
unſerer Oſtmark zuerſt begründet. In Berlin ſpottete man insgeheim über
ſeinen unermeßlichen Dünkel und erzählte ſich lächelnd, wie er einmal,
unmittelbar vor der Heimreiſe, eine Einladung Hardenbergs mit den Worten
ausgeſchlagen hatte: „meine Provinz kann meiner nicht eine Stunde länger
entbehren;“ doch mochte Niemand gern dem ſtreitbaren Manne mit den
ſtrengen, ſtrafenden Augen offen entgegentreten. Witzleben, Klewiz, Vincke
ſchätzten ihn hoch; auch der König nahm von ihm manches herbe Wort
hin, da er ſeine Ergebenheit kannte.

Als Schön aus den Verhandlungen des Staatsraths die Uneinigkeit
der Miniſter kennen lernte, hielt er die Lage des Staates alsbald für
ebenſo verzweifelt wie ſie vor der Schlacht von Jena geweſen, und rieth
dem Staatskanzler dringend zur Bildung eines neuen Miniſteriums, das
nur aus Geſinnungsgenoſſen beſtände und, gleich dem engliſchen Kabinet,
durch „die Achtung des Volks“ getragen würde: dies England blieb ihm nun
einmal der liberale Muſterſtaat, obgleich dem Hochtory-Kabinet jener Tage
wahrlich nichts gleichgiltiger war als die Achtung des Volks. Um ſeinen
Vorſchlägen Nachdruck zu geben, überreichte Schön ſodann den verſammelten
Oberpräſidenten den Entwurf einer gemeinſamen Beſchwerdeſchrift, die den
Monarchen über „den bekümmernden Zuſtand der Verwaltung“ aufklären
ſollte. Dies ſonderbare, an draſtiſchen Wendungen überreiche Schriftſtück
ſchilderte mit grellen Farben, Wahres und Falſches willkürlich vermiſchend:
wie der ſo bunt zuſammengeſetzte Staat allein durch den Geiſt zuſammen-
gehalten werden könne, und dieſer Geiſt jetzt unterdrückt werde; die Polizei
bekunde ſich als Druck, die allgemeine Wehrpflicht arte in eine Laſt des
Landes aus, die Juſtiz ſei nur noch eine leidende Maſchine in der Hand
des Miniſters, für Kirche und Schule geſchehe gar nichts. Daran ſchloſſen
ſich ſcharfe Anklagen wider die eigenmächtige und nachläſſige Amtsführung
des Finanzminiſters und wohlberechtigte Beſchwerden über „das ungebundene
Ziehen aller Geſchäfte der Provinzialverwaltung, in franzöſiſcher Art, nach
der Mitte“. So mächtig war die grämliche Verſtimmung der Zeit, daß
ſieben von den zehn Oberpräſidenten ſich entſchloſſen, dies lange Regiſter
unbeſtimmter und zum Theil grundloſer Klagen zu unterzeichnen (30. Juni).
Nur Zerboni, ein perſönlicher Freund Hardenbergs, und der hochconſer-
vative Heydebreck verweigerten die Unterſchrift; der Oberpräſident von
Sachſen war als Bruder des Finanzminiſters von vornherein aus dem
Spiele geblieben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0215" n="201"/><fw place="top" type="header">Verhandlungen über den Wirkungskreis der Provinzialbehörden.</fw><lb/>
&#x017F;eine Schroffheit nirgends Liebe erweckte; der rationali&#x017F;ti&#x017F;che Zug &#x017F;eines<lb/>
Gei&#x017F;tes ent&#x017F;prach der Ge&#x017F;innung, die in der Stadt der reinen Vernunft<lb/>
&#x017F;eit Langem vorherr&#x017F;chte, und Alle wußten, wie glühend er &#x017F;eine Heimath<lb/>
liebte, wie ein&#x017F;ichtig und uner&#x017F;chrocken er &#x017F;ich aller ihrer Intere&#x017F;&#x017F;en vor<lb/>
dem Throne annahm. Das Bei&#x017F;piel &#x017F;einer ab&#x017F;prechenden Tadel&#x017F;ucht wirkte<lb/>
verderblich auf das ohnehin zu &#x017F;charfem Urtheil geneigte Volk; durch Schöns<lb/>
langjährige Verwaltung wurde die Uebermacht der extremen Parteien in<lb/>
un&#x017F;erer O&#x017F;tmark zuer&#x017F;t begründet. In Berlin &#x017F;pottete man insgeheim über<lb/>
&#x017F;einen unermeßlichen Dünkel und erzählte &#x017F;ich lächelnd, wie er einmal,<lb/>
unmittelbar vor der Heimrei&#x017F;e, eine Einladung Hardenbergs mit den Worten<lb/>
ausge&#x017F;chlagen hatte: &#x201E;meine Provinz kann meiner nicht eine Stunde länger<lb/>
entbehren;&#x201C; doch mochte Niemand gern dem &#x017F;treitbaren Manne mit den<lb/>
&#x017F;trengen, &#x017F;trafenden Augen offen entgegentreten. Witzleben, Klewiz, Vincke<lb/>
&#x017F;chätzten ihn hoch; auch der König nahm von ihm manches herbe Wort<lb/>
hin, da er &#x017F;eine Ergebenheit kannte.</p><lb/>
          <p>Als Schön aus den Verhandlungen des Staatsraths die Uneinigkeit<lb/>
der Mini&#x017F;ter kennen lernte, hielt er die Lage des Staates alsbald für<lb/>
eben&#x017F;o verzweifelt wie &#x017F;ie vor der Schlacht von Jena gewe&#x017F;en, und rieth<lb/>
dem Staatskanzler dringend zur Bildung eines neuen Mini&#x017F;teriums, das<lb/>
nur aus Ge&#x017F;innungsgeno&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;tände und, gleich dem engli&#x017F;chen Kabinet,<lb/>
durch &#x201E;die Achtung des Volks&#x201C; getragen würde: dies England blieb ihm nun<lb/>
einmal der liberale Mu&#x017F;ter&#x017F;taat, obgleich dem Hochtory-Kabinet jener Tage<lb/>
wahrlich nichts gleichgiltiger war als die Achtung des Volks. Um &#x017F;einen<lb/>
Vor&#x017F;chlägen Nachdruck zu geben, überreichte Schön &#x017F;odann den ver&#x017F;ammelten<lb/>
Oberprä&#x017F;identen den Entwurf einer gemein&#x017F;amen Be&#x017F;chwerde&#x017F;chrift, die den<lb/>
Monarchen über &#x201E;den bekümmernden Zu&#x017F;tand der Verwaltung&#x201C; aufklären<lb/>
&#x017F;ollte. Dies &#x017F;onderbare, an dra&#x017F;ti&#x017F;chen Wendungen überreiche Schrift&#x017F;tück<lb/>
&#x017F;childerte mit grellen Farben, Wahres und Fal&#x017F;ches willkürlich vermi&#x017F;chend:<lb/>
wie der &#x017F;o bunt zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzte Staat allein durch den Gei&#x017F;t zu&#x017F;ammen-<lb/>
gehalten werden könne, und die&#x017F;er Gei&#x017F;t jetzt unterdrückt werde; die Polizei<lb/>
bekunde &#x017F;ich als Druck, die allgemeine Wehrpflicht arte in eine La&#x017F;t des<lb/>
Landes aus, die Ju&#x017F;tiz &#x017F;ei nur noch eine leidende Ma&#x017F;chine in der Hand<lb/>
des Mini&#x017F;ters, für Kirche und Schule ge&#x017F;chehe gar nichts. Daran &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;charfe Anklagen wider die eigenmächtige und nachlä&#x017F;&#x017F;ige Amtsführung<lb/>
des Finanzmini&#x017F;ters und wohlberechtigte Be&#x017F;chwerden über &#x201E;das ungebundene<lb/>
Ziehen aller Ge&#x017F;chäfte der Provinzialverwaltung, in franzö&#x017F;i&#x017F;cher Art, nach<lb/>
der Mitte&#x201C;. So mächtig war die grämliche Ver&#x017F;timmung der Zeit, daß<lb/>
&#x017F;ieben von den zehn Oberprä&#x017F;identen &#x017F;ich ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, dies lange Regi&#x017F;ter<lb/>
unbe&#x017F;timmter und zum Theil grundlo&#x017F;er Klagen zu unterzeichnen (30. Juni).<lb/>
Nur Zerboni, ein per&#x017F;önlicher Freund Hardenbergs, und der hochcon&#x017F;er-<lb/>
vative Heydebreck verweigerten die Unter&#x017F;chrift; der Oberprä&#x017F;ident von<lb/>
Sach&#x017F;en war als Bruder des Finanzmini&#x017F;ters von vornherein aus dem<lb/>
Spiele geblieben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0215] Verhandlungen über den Wirkungskreis der Provinzialbehörden. ſeine Schroffheit nirgends Liebe erweckte; der rationaliſtiſche Zug ſeines Geiſtes entſprach der Geſinnung, die in der Stadt der reinen Vernunft ſeit Langem vorherrſchte, und Alle wußten, wie glühend er ſeine Heimath liebte, wie einſichtig und unerſchrocken er ſich aller ihrer Intereſſen vor dem Throne annahm. Das Beiſpiel ſeiner abſprechenden Tadelſucht wirkte verderblich auf das ohnehin zu ſcharfem Urtheil geneigte Volk; durch Schöns langjährige Verwaltung wurde die Uebermacht der extremen Parteien in unſerer Oſtmark zuerſt begründet. In Berlin ſpottete man insgeheim über ſeinen unermeßlichen Dünkel und erzählte ſich lächelnd, wie er einmal, unmittelbar vor der Heimreiſe, eine Einladung Hardenbergs mit den Worten ausgeſchlagen hatte: „meine Provinz kann meiner nicht eine Stunde länger entbehren;“ doch mochte Niemand gern dem ſtreitbaren Manne mit den ſtrengen, ſtrafenden Augen offen entgegentreten. Witzleben, Klewiz, Vincke ſchätzten ihn hoch; auch der König nahm von ihm manches herbe Wort hin, da er ſeine Ergebenheit kannte. Als Schön aus den Verhandlungen des Staatsraths die Uneinigkeit der Miniſter kennen lernte, hielt er die Lage des Staates alsbald für ebenſo verzweifelt wie ſie vor der Schlacht von Jena geweſen, und rieth dem Staatskanzler dringend zur Bildung eines neuen Miniſteriums, das nur aus Geſinnungsgenoſſen beſtände und, gleich dem engliſchen Kabinet, durch „die Achtung des Volks“ getragen würde: dies England blieb ihm nun einmal der liberale Muſterſtaat, obgleich dem Hochtory-Kabinet jener Tage wahrlich nichts gleichgiltiger war als die Achtung des Volks. Um ſeinen Vorſchlägen Nachdruck zu geben, überreichte Schön ſodann den verſammelten Oberpräſidenten den Entwurf einer gemeinſamen Beſchwerdeſchrift, die den Monarchen über „den bekümmernden Zuſtand der Verwaltung“ aufklären ſollte. Dies ſonderbare, an draſtiſchen Wendungen überreiche Schriftſtück ſchilderte mit grellen Farben, Wahres und Falſches willkürlich vermiſchend: wie der ſo bunt zuſammengeſetzte Staat allein durch den Geiſt zuſammen- gehalten werden könne, und dieſer Geiſt jetzt unterdrückt werde; die Polizei bekunde ſich als Druck, die allgemeine Wehrpflicht arte in eine Laſt des Landes aus, die Juſtiz ſei nur noch eine leidende Maſchine in der Hand des Miniſters, für Kirche und Schule geſchehe gar nichts. Daran ſchloſſen ſich ſcharfe Anklagen wider die eigenmächtige und nachläſſige Amtsführung des Finanzminiſters und wohlberechtigte Beſchwerden über „das ungebundene Ziehen aller Geſchäfte der Provinzialverwaltung, in franzöſiſcher Art, nach der Mitte“. So mächtig war die grämliche Verſtimmung der Zeit, daß ſieben von den zehn Oberpräſidenten ſich entſchloſſen, dies lange Regiſter unbeſtimmter und zum Theil grundloſer Klagen zu unterzeichnen (30. Juni). Nur Zerboni, ein perſönlicher Freund Hardenbergs, und der hochconſer- vative Heydebreck verweigerten die Unterſchrift; der Oberpräſident von Sachſen war als Bruder des Finanzminiſters von vornherein aus dem Spiele geblieben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/215
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/215>, abgerufen am 25.11.2024.