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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Wittgenstein. Karl v. Mecklenburg. Ancillon.
sehr thätig im Staatsrathe wie in seinem militärischen Berufe, war er doch
bei der Mehrzahl der Offiziere nicht beliebt, in der gebildeten Gesellschaft
der Hauptstadt gründlich verhaßt. Denn er nährte in seinem Gardecorps ein
dünkelhaftes Wesen, das dem Civil wie den Linientruppen gleich anstößig
ward, und blieb trotz seiner Jugend ein Berufssoldat der alten Schule, ein
entschiedener Gegner der neuen Heeresverfassung. In der Politik schloß
er sich eng an Wittgenstein an und bekämpfte wie dieser jede Neuerung,
die dem Wiener Hofe mißfallen konnte.

Noch mächtiger war der stille Einfluß Ancillons. Der in alle Sättel
gerechte Theolog wurde im Jahre 1814 als Geheimer Rath im Auswärtigen
Amte angestellt und schwamm jetzt wieder selbstgefällig obenauf, obgleich der
Erfolg des Krieges alle seine kleinmüthigen Warnungen Lügen gestraft hatte.
Hardenberg glaubte durch diese Ernennung eine Brücke zwischen der Wissen-
schaft und der Politik zu schlagen; denn Ancillon verdankte seiner seichten,
aber vielseitigen und immer für die Unterhaltung der Salons bereiten Ge-
lehrsamkeit ein hohes Ansehen, das auch reichere Geister bestach. Die Diplo-
maten rühmten die sokratische Gelassenheit, die urbane Milde seiner Um-
gangsformen; selbst Schön, der Alles tadelte, ließ ihn gelten, und noch in
späteren Jahren schaute der junge Leopold Ranke bewundernd zu ihm auf.
Er hatte am Ausgang des alten Jahrhunderts als eleganter Prediger an
der französischen Gemeinde den weichlichen Geschmack der Zeit glücklich ge-
troffen und dann als Lehrer der Staatswissenschaft an der Kriegsschule seine
Gemeinplätze mit so feierlicher Gespreiztheit, mit einem so überlegenen staats-
männischen Lächeln vorgetragen, daß sein Zuhörer, der junge Nesselrode sich
ganz bezaubert fühlte. Bei Hofe verstand er durch unterthänige Beflissen-
heit seinen Platz unter den vornehmen Herren zu behaupten. Es ward
verhängnißvoll für eine späte Zukunft, daß auch Königin Luise und der
Freiherr v. Stein sich durch den erschlichenen Ruhm des glatten Halb-
franzosen blenden ließen und ihm die Erziehung des jungen Thronfolgers
anvertrauten. So gerieth der verschwenderisch begabte, aber phantastische
und eigenwillige Geist des Prinzen, der vor Allem einer strengen Zucht
und der Belehrung über die harte Wirklichkeit des Lebens bedurfte, unter
die Leitung eines charakterlosen Schönredners, der selber kaum fühlte, wie
viel von seinem Thun der angeborenen Furchtsamkeit, wie viel der welt-
klugen Berechnung entsprang. Seitdem wurde Ancillon auch zu den po-
litischen Berathungen öfters zugezogen und schrieb nun unermüdlich mit
seiner schwunglosen, verkniffenen kleinen Gelehrtenhand eine Masse von
Denkschriften -- breite Betrachtungen ohne Kraft und Schneide, die alle-
sammt ebenso leer wie seine Bücher doch immer den Eindruck erregten,
als ob sich ein tiefer Sinn hinter dem Wortschwall verbärge. Durch ihn
ward die Kunst, hohle Worte zu einem glitzernden Gewebe zu verknüpfen,
zuerst in die preußische Politik eingeführt -- eine Kunst, die unter dem ge-
strengen alten Absolutismus ganz unbekannt gewesen war und erst später-

Wittgenſtein. Karl v. Mecklenburg. Ancillon.
ſehr thätig im Staatsrathe wie in ſeinem militäriſchen Berufe, war er doch
bei der Mehrzahl der Offiziere nicht beliebt, in der gebildeten Geſellſchaft
der Hauptſtadt gründlich verhaßt. Denn er nährte in ſeinem Gardecorps ein
dünkelhaftes Weſen, das dem Civil wie den Linientruppen gleich anſtößig
ward, und blieb trotz ſeiner Jugend ein Berufsſoldat der alten Schule, ein
entſchiedener Gegner der neuen Heeresverfaſſung. In der Politik ſchloß
er ſich eng an Wittgenſtein an und bekämpfte wie dieſer jede Neuerung,
die dem Wiener Hofe mißfallen konnte.

Noch mächtiger war der ſtille Einfluß Ancillons. Der in alle Sättel
gerechte Theolog wurde im Jahre 1814 als Geheimer Rath im Auswärtigen
Amte angeſtellt und ſchwamm jetzt wieder ſelbſtgefällig obenauf, obgleich der
Erfolg des Krieges alle ſeine kleinmüthigen Warnungen Lügen geſtraft hatte.
Hardenberg glaubte durch dieſe Ernennung eine Brücke zwiſchen der Wiſſen-
ſchaft und der Politik zu ſchlagen; denn Ancillon verdankte ſeiner ſeichten,
aber vielſeitigen und immer für die Unterhaltung der Salons bereiten Ge-
lehrſamkeit ein hohes Anſehen, das auch reichere Geiſter beſtach. Die Diplo-
maten rühmten die ſokratiſche Gelaſſenheit, die urbane Milde ſeiner Um-
gangsformen; ſelbſt Schön, der Alles tadelte, ließ ihn gelten, und noch in
ſpäteren Jahren ſchaute der junge Leopold Ranke bewundernd zu ihm auf.
Er hatte am Ausgang des alten Jahrhunderts als eleganter Prediger an
der franzöſiſchen Gemeinde den weichlichen Geſchmack der Zeit glücklich ge-
troffen und dann als Lehrer der Staatswiſſenſchaft an der Kriegsſchule ſeine
Gemeinplätze mit ſo feierlicher Geſpreiztheit, mit einem ſo überlegenen ſtaats-
männiſchen Lächeln vorgetragen, daß ſein Zuhörer, der junge Neſſelrode ſich
ganz bezaubert fühlte. Bei Hofe verſtand er durch unterthänige Befliſſen-
heit ſeinen Platz unter den vornehmen Herren zu behaupten. Es ward
verhängnißvoll für eine ſpäte Zukunft, daß auch Königin Luiſe und der
Freiherr v. Stein ſich durch den erſchlichenen Ruhm des glatten Halb-
franzoſen blenden ließen und ihm die Erziehung des jungen Thronfolgers
anvertrauten. So gerieth der verſchwenderiſch begabte, aber phantaſtiſche
und eigenwillige Geiſt des Prinzen, der vor Allem einer ſtrengen Zucht
und der Belehrung über die harte Wirklichkeit des Lebens bedurfte, unter
die Leitung eines charakterloſen Schönredners, der ſelber kaum fühlte, wie
viel von ſeinem Thun der angeborenen Furchtſamkeit, wie viel der welt-
klugen Berechnung entſprang. Seitdem wurde Ancillon auch zu den po-
litiſchen Berathungen öfters zugezogen und ſchrieb nun unermüdlich mit
ſeiner ſchwungloſen, verkniffenen kleinen Gelehrtenhand eine Maſſe von
Denkſchriften — breite Betrachtungen ohne Kraft und Schneide, die alle-
ſammt ebenſo leer wie ſeine Bücher doch immer den Eindruck erregten,
als ob ſich ein tiefer Sinn hinter dem Wortſchwall verbärge. Durch ihn
ward die Kunſt, hohle Worte zu einem glitzernden Gewebe zu verknüpfen,
zuerſt in die preußiſche Politik eingeführt — eine Kunſt, die unter dem ge-
ſtrengen alten Abſolutismus ganz unbekannt geweſen war und erſt ſpäter-

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[189/0203] Wittgenſtein. Karl v. Mecklenburg. Ancillon. ſehr thätig im Staatsrathe wie in ſeinem militäriſchen Berufe, war er doch bei der Mehrzahl der Offiziere nicht beliebt, in der gebildeten Geſellſchaft der Hauptſtadt gründlich verhaßt. Denn er nährte in ſeinem Gardecorps ein dünkelhaftes Weſen, das dem Civil wie den Linientruppen gleich anſtößig ward, und blieb trotz ſeiner Jugend ein Berufsſoldat der alten Schule, ein entſchiedener Gegner der neuen Heeresverfaſſung. In der Politik ſchloß er ſich eng an Wittgenſtein an und bekämpfte wie dieſer jede Neuerung, die dem Wiener Hofe mißfallen konnte. Noch mächtiger war der ſtille Einfluß Ancillons. Der in alle Sättel gerechte Theolog wurde im Jahre 1814 als Geheimer Rath im Auswärtigen Amte angeſtellt und ſchwamm jetzt wieder ſelbſtgefällig obenauf, obgleich der Erfolg des Krieges alle ſeine kleinmüthigen Warnungen Lügen geſtraft hatte. Hardenberg glaubte durch dieſe Ernennung eine Brücke zwiſchen der Wiſſen- ſchaft und der Politik zu ſchlagen; denn Ancillon verdankte ſeiner ſeichten, aber vielſeitigen und immer für die Unterhaltung der Salons bereiten Ge- lehrſamkeit ein hohes Anſehen, das auch reichere Geiſter beſtach. Die Diplo- maten rühmten die ſokratiſche Gelaſſenheit, die urbane Milde ſeiner Um- gangsformen; ſelbſt Schön, der Alles tadelte, ließ ihn gelten, und noch in ſpäteren Jahren ſchaute der junge Leopold Ranke bewundernd zu ihm auf. Er hatte am Ausgang des alten Jahrhunderts als eleganter Prediger an der franzöſiſchen Gemeinde den weichlichen Geſchmack der Zeit glücklich ge- troffen und dann als Lehrer der Staatswiſſenſchaft an der Kriegsſchule ſeine Gemeinplätze mit ſo feierlicher Geſpreiztheit, mit einem ſo überlegenen ſtaats- männiſchen Lächeln vorgetragen, daß ſein Zuhörer, der junge Neſſelrode ſich ganz bezaubert fühlte. Bei Hofe verſtand er durch unterthänige Befliſſen- heit ſeinen Platz unter den vornehmen Herren zu behaupten. Es ward verhängnißvoll für eine ſpäte Zukunft, daß auch Königin Luiſe und der Freiherr v. Stein ſich durch den erſchlichenen Ruhm des glatten Halb- franzoſen blenden ließen und ihm die Erziehung des jungen Thronfolgers anvertrauten. So gerieth der verſchwenderiſch begabte, aber phantaſtiſche und eigenwillige Geiſt des Prinzen, der vor Allem einer ſtrengen Zucht und der Belehrung über die harte Wirklichkeit des Lebens bedurfte, unter die Leitung eines charakterloſen Schönredners, der ſelber kaum fühlte, wie viel von ſeinem Thun der angeborenen Furchtſamkeit, wie viel der welt- klugen Berechnung entſprang. Seitdem wurde Ancillon auch zu den po- litiſchen Berathungen öfters zugezogen und ſchrieb nun unermüdlich mit ſeiner ſchwungloſen, verkniffenen kleinen Gelehrtenhand eine Maſſe von Denkſchriften — breite Betrachtungen ohne Kraft und Schneide, die alle- ſammt ebenſo leer wie ſeine Bücher doch immer den Eindruck erregten, als ob ſich ein tiefer Sinn hinter dem Wortſchwall verbärge. Durch ihn ward die Kunſt, hohle Worte zu einem glitzernden Gewebe zu verknüpfen, zuerſt in die preußiſche Politik eingeführt — eine Kunſt, die unter dem ge- ſtrengen alten Abſolutismus ganz unbekannt geweſen war und erſt ſpäter-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/203>, abgerufen am 24.11.2024.